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KONGRESSBERICHT
«Controversies in Tumor Prevention and Genetics», St. Gallen, 12. bis 14. Februar 2004
Tumorprävention im Visier
In St. Gallen fand im Februar die 3. Internationale Konferenz zu Themen der Tumorprävention und Genetik mit 160 Fachleuten aus 32 Ländern statt. Krebsgenetik, Epidemiologie,Tumorprävention sowie gezielte Chemo- und Bioprävention standen dabei im Zentrum, auch in den häufig kontrovers geführten Diskussionen dieses jungen Forschungsbereichs. Die Konferenz hatte das Ziel, aktuelle Ergebnisse von Laboruntersuchungen und klinischen Studien zu besprechen, in der Absicht, bestehende Krebsvorsorgeprogramme zu evaluieren beziehungsweise neue zu entwickeln.
Hans-Jörg Senn
Rudolf Morant
Mitveranstalter der Konferenz waren die European School of Oncology mit Sitz in Mailand (Professor A. Costa), die International Society of Cancer Chemoprevention (Präsident Professor F. Meyskens) sowie St. Gallen Oncology Conferences (Professor H.J. Senn und Dr. R. Morant vom Zentrum für Tumordiagnostik und Prävention in St. Gallen). Die letzteren standen uns für ein Interview zur Verfügung.
Schweizer Zeitschrift für Onkologie: Herr Professor Senn, Herr Dr. Morant, genetische Marker spielen in der Erkennung von Krebsrisikopersonen eine wichtige Rolle. Für welche Tumoren können Marker heute bereits erkannt werden?
Hans-Jörg Senn: In der Tat werden immer mehr genetische Marker bekannt, die eine mehr oder weniger ausgeprägte Prädisposition zur Entwicklung von Tumoren bedeuten. Dazu gehören verschiedene Gene, die das Auftreten von Dickdarmkrebs begünstigen (zum Teil vergesellschaftet mit ausgeprägter Polypenbildung im Darm), ferner Gene, die das Risiko von Prostatakrebs, Brustkrebs, Hautkrebs und Schilddrüsenkrebs erhöhen, und schliesslich auch Genveränderungen, die das Auftreten bestimmter Tumoren fördern, beispielsweise das «Li-Fraumeni-Syndrom» Die Entdeckung weiterer Marker ist in den nächsten Jahren zu erwarten. Für die Praxis bedeutet das: Patienten und Angehörige mit diesen Markern brauchen ein individualisiertes Programm zur Beratung, gegebenenfalls zur Einleitung vorbeugender Massnahmen und medizinischer Überwachung.
Wo liegen die grössten Probleme bei der Erforschung von Markern? Rudolf Morant: Die einzelnen genetischen Marker sind meist relativ selten, das heisst nur für eine kleine Minderheit der entsprechenden Krebserkrankung verantwortlich. Die Forschung ist somit auf interdisziplinäre Netzwerke von Klinikern und Grundlagenforschern angewiesen. Forschungsarbeiten am menschlichen Genom sind ethisch sensibel. Ausserdem bestehen bedeutende, berechtigte administrative Auflagen sowie Bedenken von Seiten der Öffentlichkeit. Ein weiteres Problem ist die Finanzierung solcher Arbeiten, deren Resultate nicht direkt in für die pharmazeutische Industrie relevante Produkte umgesetzt werden können.
Welche Hauptprobleme bestehen gegenwärtig für die Umsetzung in die Praxis ? Rudolf Morant: Für die betroffenen Patienten steht die aktuelle Tumorerkrankung im Vordergrund. Die Frage einer genetischen Abklärung – welche übrigens nicht kassenpflichtig ist – wirft schwierige menschliche, rechtliche und versicherungsrelevante Fragen auf, die sehr oft dazu führen, dass Patienten und Angehörige auf genetische Abklärungen verzichten. In der Schweiz besteht zwar die Möglichkeit der genetischen Abklärung für einige Tumorarten wie Dickdarmkrebs; für mehrere andere Tumorarten fehlen hingegen entsprechend qualifizierte Labors wie auch die erforderliche Kostenübernahme. Der Versand ins Ausland ist – von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. arbeitet das ZeTuP mit der Universität Ulm zusammen im Gebiet Brustkrebs) – aufwändig und wird nicht finanziert. Zudem sind die Möglichkeiten einer präventiven Therapie auch nach Vorliegen eines genetischen Befundes noch eingeschränkt. Für die kompetente individuelle Beratung Betroffener gibt es spezialisierte Fachleute, auch ein schweizerisches Netzwerk existiert. Das Wissen um diese Kompetenzzentren ist allerdings auch unter den Ärzten noch nicht weit verbreitet.
Thema primäre Chemoprävention bei Brustkrebs: Welche Erfahrungen werden bei Frauen mit familiär bedingtem Brustkrebsrisiko bezüglich Gentest gemacht? Hans-Jörg Senn: Wir als onkologisch tätige Tumorärzte sind in der Regel ja mit bereits erkrankten Patientinnen konfrontiert. Nur selten melden sich nicht er-
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krankte Verwandte dieser Patientinnen bei uns zur empfohlenen Beratung über das weitere Vorgehen respektive zu einer genetischen Abklärung. Daneben war es bis vor kurzer Zeit auch technisch in der Schweiz kaum möglich, genetische Tests in einem klinisch akzeptablen Setting mit Qualitätskontrolle und relativ schneller Bestimmung durchzuführen. Die Wartezeiten für Resultate betrugen meist einige Monate. Neben diesen technischen Problemen führen begründete Ängste vor Banken, Versicherungen, Pensionskassen, sogar vor Lebenspartnern, welche von dem Befund erfahren könnten, dazu, auf genetische Untersuchungen und die Kenntnis eines Befundes zu verzichten.
Was kann aktuell prämenopausalen Frauen am ehesten zur Prophylaxe bei erhöhtem Brustkrebsrisiko empfohlen werden? Hans-Jörg Senn: Eine mögliche Prophylaxe, sei es mit Medikamenten (Chemoprävention) oder auch chirurgisch (Mastektomie, Ovarektomie), muss individuell mit den Frauen besprochen werden. Vorauszugehen hat die Besprechung der Erfolgsaussichten und zu erwartender Nebenwirkungen der geplanten Massnahme. In mehreren Studien in den USA wie auch in Europa konnte gezeigt werden, dass eine jahrelange Behandlung mit dem Antiöstrogen Tamoxifen das Auftreten von Brustkrebs bei Frauen mit erhöhtem Risiko um fast die Hälfte reduzieren kann. Allerdings treten, wenn auch selten, Nebenwirkungen auf wie thromboembolische Ereignisse und Hyperplasien der Endometriumschleimhaut. Für manche Frauen kann ein intensiviertes Vorsorgeuntersuchungsprogramm der richtige Weg sein.
Welche Studien laufen aktuell bei postmenopausalen Risikogruppen? Hans-Jörg Senn: Es sind mehrere Studien unterwegs, welche neue Präventionswege untersuchen. Für postmenopausale Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko läuft in den USA die grosse STAR-Studie, welche die präventive Wirkung von Tamoxifen und Raloxifen allein oder in Kombination untersucht. In der Schweiz beginnt jetzt zusammen mit weiteren Ländern die internationale IBIS-II-Studie, welche die
Wirkung eines Aromatasehemmers (Anastrozol) im Vergleich zu Plazebo prüft. Wie an der St. Galler Konferenz gezeigt wurde, kann zudem auch bei Frauen mit erhöhtem genetischen Risiko ein gesunder Lebensstil mit ausreichend körperlicher Bewegung, Gewichtskontrolle, gesunder Ernährung und mässigem Alkoholkonsum das Risiko einer Krebserkrankung positiv beeinflussen.
Thema primäre Prävention bei Kolonkarzinom: Welche Erkenntnisse haben wir über den Einfluss des Lebensstils? Rudolf Morant: Es liegen viele, vor allem epidemiologische, Daten vor, wonach neben möglichen genetischen Faktoren ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener, vitamin- und faserreicher Ernährung, die Vermeidung von Übergewicht sowie die vermehrte körperliche Aktivität eine präventive Rolle spielen. Diese Befunde treffen in ähnlicher Weise auf verschiedene Tumorarten zu.
Lässt sich für die nächsten Jahre eine mögliche Chemoprävention erhoffen? Rudolf Morant: Es gibt viele präklinische wie auch klinische Anhaltspunkte für eine mögliche Wirksamkeit unterschiedlicher Substanzen in der Chemoprävention des Kolonkarzinoms. Beispiele sind nichtsteroidale Antirheumatika, das Vitamin Folsäure, Kalzium und Selen. Für eine breite Empfehlung eines solchen Vorgehens fehlen jedoch noch die Resultate der dafür notwendigen langjährigen, grossen prospektiven, vergleichenden Studien. Die Resultate erster Interventionsstudien, die den Einfluss von Fasern in der Ernährung prüften, haben aus verschiedenen Gründen nicht die erhofften Resultate gezeigt.
Welche Hauptprobleme bestehen beim Screening? Rudolf Morant: Für die Wirksamkeit eines regelmässig durchgeführten einfachen Tests auf Blut im Stuhl bestehen solide wissenschaftliche Grundlagen. Für die Einführung eines allgemeinen Screenings in der Schweiz fehlt hingegen der dafür notwendige Konsens von Ärzteschaft, Politik und Kostenträgern. Die technischen Möglichkeiten sind in konstanter Entwicklung. Aktuell ist die effizienteste Technik in der Vorsorge eine
Koloskopie, welche auch die Entfernung von Polypen, also Krebsvorstufen, zulässt. In Zukunft könnte die endoskopische Abklärung durch radiologische Untersuchungen (virtuelle CT- oder MRIKoloskopie) oder auch durch genetische Stuhltests zum Teil ersetzt werden. Für die individuelle Prävention ist ein finanzieller Beitrag des Patienten durchaus zumutbar, denn schliesslich profitiert er. Die finanzielle Hürde einer fehlenden Rückerstattung durch die Versicherungsträger ist im Übrigen auch ein Grund für die aktuell nur sporadisch durchgeführten individuellen Untersuchungen. Anders ist die Situation bei Patienten mit genetisch bedingt erhöhtem Risiko. Hier existieren anerkannte Richtlinien für die wiederholte Vorsorge, die kassenpflichtig ist.
Welche Möglichkeiten haben wir heute, Lungenkrebs frühzeitig zu erkennen? Hans-Jörg Senn: Am Kongress wurden interessante Daten darüber gezeigt, wie durch wiederholte Untersuchungen mit modernen Computertomografen Lungenkrebs in einem noch frühen, operablen Stadium entdeckt werden kann. Damit ergibt sich aber noch keine allgemein anerkannte Vorsorgeuntersuchung. Forschungsarbeiten laufen gegenwärtig mit Untersuchungen am Bronchialsekret, um mit speziellen Markern das Auftreten von Lungenkrebs frühzeitig erkennen zu können. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Aufgabe, speziell junge Leute vom Rauchen abzuhalten, weiterhin die beste Prävention von Lungenkrebs darstellt. Auch hier sind neue Vorgehensarten in der Forschungspipeline, beispielsweise die Entwicklung einer «Nikotin-Impfung».
Herr Professor Senn, Herr Dr. Morant, herzlichen Dank für das Gespräch. ▲
Korrespondenzadresse: Professor Dr. med. Hans-Jörg Senn
und Dr. med. Rudolf Morant Zentrum für Tumordiagnostik, Therapie und Prävention
9006 St.Gallen E-Mail: info@sg.zetup.ch
Das Interview führte Bärbel Hirrle.
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