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Sind Östrogene Karzinogene?
Postmenopausale Hormonsubstitution und Tumorentstehung
Bei den Überlegungen für oder wider eine Hormonersatztherapie interessiert, ob und in welchem Umfang Hormone das Karzinomrisiko beeinflussen. Die Wissenschaft bietet inzwischen ein Konzept über Wirkmechanismen der Hormone auf die Zelle. Es gibt Anlass zu der Hoffnung, dass eines Tages klarere Aussagen dazu gemacht werden können, welche Frauen von der Hormongabe profitieren werden und welchen wegen eines erhöhten Krebsrisikos abgeraten werden muss.
GÜNTER EMONS, CARSTEN GRÜNDKER, VOLKER HANF
Die International Agency for Research on Cancer (IARC) zählt Östron und Östradiol zu den Substanzen, die bei Versuchstieren und Menschen karzinogen sind (15, 16). Eine Expertengruppe des National Toxicology Program des National Institute of Environmental Health Sciences der USA schlug im Dezember 2000 vor, die steroidalen Östrogene in die Liste der Karzinogene aufzunehmen. Dieses Gremium betonte, dass «Östrogene nicht nur mit einem erhöhten Risiko für Karzinome assoziiert sind, sondern dass es sich um Substanzen handelt, die bekannte Ursachen von menschlichen Karzinomen sind» (23). Es ist allgemein akzeptiert, dass ein Hyperöstrogenismus bei relativem oder absolutem Gestagenmangel das Auftreten von Endometriumkarzinomen begünstigt. Dies gilt insbesondere für die heute bei Frauen mit Uterus nicht mehr propagierte reine Östrogensubstitutionstherapie, die das Risiko für ein Endometriumkarzinom um den Faktor 2 bis 10 erhöht (10). Auch ein Zusammenhang zwischen Östrogenexposition und dem Auftreten von Mammakarzinomen ist nicht von der Hand zu weisen. Frühe Menarche, späte Menopause sowie Adipositas in der Postmenopause (Östrogenproduktion im Fettgewebe) erhöhen signifikant das Mammakarzinomrisiko (4, 17, 24). Die beidseitige Ovarektomie vor dem 40. Lebensjahr reduziert das Mammakarzinomrisiko um 80 Prozent (17). Frauen ohne funktionierende Ovarien haben ein ähnlich niedriges Mammakarzinomrisiko wie Männer (24). Eine Metaanalyse früherer Studien (5), die aktuell diskutierte Studie der Women’s Health Initiative und andere Untersuchungen legen eine marginale, aber signifikante Erhöhung des Mammakarzinomrisikos
durch eine Hormonsubstitutionstherapie in der Postmenopause nahe (34). Die hohe Effektivität von Antiöstrogenen wie Tamoxifen beziehungsweise von östrogenablativen Verfahren (Ovarektomie, GnRH-Analoga, Aromatasehemmer) in der adjuvanten und palliativen Therapie des Mammakarzinoms und insbesondere in der Prävention kontralateraler Mammakarzinome ist durch zahlreiche prospektive randomisierte Studien belegt (1, 29). Eine Reihe neuerer epidemiologischer Studien legt einen Zusammenhang zwischen einer langfristigen reinen Östrogensubstitution und dem Auftreten von Ovarialkarzinomen nahe (19, 25, 26).
Östrogene als Tumorpromotoren
Östrogene induzieren über den Östrogenrezeptor Mitosen in östrogenabhängigen Zellen. Durch die Zunahme von Mitosen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass spontane Replikationsfehler auftreten. Ausserdem sind die Möglichkeiten der DNA-Reparatur bei rasch proliferierenden Zellen reduziert (13). Als potente Mitogene für entsprechende östrogenrezeptorpositive Zellen sind Östrogene somit klassische Tumorpromotoren.
Östrogene als Karzinogene
Östrogene können aber auch in Zellen respektive Geweben, die keine Östrogenrezeptoren exprimieren, maligne Tumoren induzieren (20, 21, 28). Russo et al. konnten zum Beispiel MCF-10F-Zellen (immortalisierte humane Mammaepithelzellen ohne Östrogenrezeptoren) mit Östradiol in niedrig physiologischer Konzentration maligne transformieren (28). Da
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Abbildung 1: Modell zur östradiolinduzierten Karzinogenese (20, 21, 29, 35) Karzinogene Wirkung der Östrogene
E2 4-OH E2
maligner Tumor
Östrogenrezeptorvermittelte Proliferation
Zelltransformationen
Gestagene + (Mamma) – (Endometrium)
DNA-Schäden Genmutationen
Östradiol selbst keine direkte mutagene Wirkung hat, wurde vermutet, dass Stoffwechselprodukte dieses Steroids zu DNA-Schäden führen könnten. In der Tat konnte gezeigt werden, dass die durch aromatische Ortho-Hydroxylierung von Östradiol beziehungsweise Östron gebildeten Katecholöstrogene (2-Hydroxy- bzw. 4-Hydroxyöstrogene) zu entsprechenden Chinonen weitermetabolisiert werden, die direkt mit der DNA reagieren können. Die Metaboliten der
2-Hydroxyöstrogene bilden stabile DNAAddukte und haben eine geringe mutagene Potenz. Die DNA-Addukte der Metaboliten der 4-Hydroxyöstrogene sind jedoch instabil und führen zum Verlust von Guanin oder Adenosin aus der DNA (so genannte depurinierende Addukte). Dadurch kommt es zu Einzelstrangbrüchen, Punktmutationen und zur Bildung von «bulky DNA-adducts» (21). Somit ist in experimentellen Modellen ein schlüssiges Konzept entwickelt wor-
den, wie Östrogene eine Zelle maligne transformieren können: Die direkt genotoxischen Östrogenmetaboliten führen zu DNA-Schäden und transformierenden Mutationen. Exprimiert die betroffene Zelle gleichzeitig Östrogenrezeptoren, wirken Östrogene zusätzlich mitogen (vgl. Abbildung 1). Durch häufige Mitosen ist die Zeit für die DNA-Reparatur verkürzt, die Wahrscheinlichkeit für transformierende Mutationen und deren Weitergabe an Tochterzellen ist erhöht. Östrogene sind in diesem Modell somit mutagen und mitogen, das heisst komplette Karzinogene.
Übertragbarkeit auf den Menschen
Katecholöstrogene stellen die quantitativ wichtigsten Östrogenmetaboliten beim Menschen dar (6, 7, 8). Sie werden jedoch nach ihrer Bildung in der Leber rasch zu inaktiven und ungefährlichen Metaboliten weiterverstoffwechselt (8, 9), um dann über die Nieren ausgeschieden zu werden.
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Abbildung 2: Modell zur protektiven Wirkung der Bildung von 2-Hydroxyöstradiol (2-OH E2) und 2-Hydroxyöstradiol 2-Methyläther (2-OH E2 2-Me) bei der östrogeninduzierten Karzinogenese (36)
Protektive Wirkung der Östrogene
2-OH E2
E2 4-OH E2
COMT
Östrogenrezeptorvermittelte Proliferation
DNA-Schäden
2-OH E2 2-Me
Inhibition Östrogen-induzierte Karzinogenese
Neben dem klassischen Enzym, das in der Leber Östrogene zu Katecholöstrogenen metabolisiert (Zytochrom P 450 3A), wurde ein weiteres Enzym identifiziert (CYP 1B1), das beim Menschen unter anderem im Mamma-, Ovar- und Uterusgewebe exprimiert wird und lokal hohe 4-Hydroxyöstrogenspiegel erzeugen kann (12, 20, 21, 29). Diese Datenlage ist sicherlich nicht beweisend für eine direkte Karzinogenese durch Östradiol in Mamma, Ovar und Endometrium. Die Befunde sind jedoch schlüssig und legen die Möglichkeit nahe, dass lokal gebildete 4-Hydroxyöstrogene in diesen Organen zur malignen Transformation führen können. Die mutagenen Effekte der Östrogenmetaboliten könnten in den genannten Geweben durch die mitogenen Effekte der Östrogene unterstützt werden (14). Im Endometrium wirken Gestagene durch ihre antimitogene Aktivität protektiv. Im Mammagewebe könnten Gestagene durch ihre hier nachweisbare mitogene Aktivität die maligne Transformation zusätzlich unterstützen (Abbildung 1). Östrogene und ihre Metaboliten sind im Vergleich zu klassischen chemischen Karzinogenen nur schwach wirksam (21). Eine hohe karzinogene Aktivität dieser Steroide wäre mit der Evolution von Säugetieren und Primaten wohl nicht vereinbar gewesen. Die schwache karzinogene Aktivität von endogenen Östrogenen war gerade noch mit der Evolution kompatibel, insbesondere da die möglicherweise durch Östrogene induzierten Tumoren in der Mehrzahl erst nach der reproduktiven Lebensphase auftreten. Eine Belastung durch exogene Östro-
gene und Umweltöstrogene («endocrine disruptors») könnte jedoch zur Dekompensation dieses Systems führen (21). Unter diesem Aspekt kann auch spekuliert werden, dass das Versiegen der ovariellen Östrogenproduktion am Ende der reproduktiven Lebensphase einer Frau einen sinnvollen Mechanismus der Evolution darstellt, durch den die Exposition gegenüber endogenen Karzinogenen minimiert wird.
Schutzmechanismen
Zur Abwehr von Schäden durch genotoxische Produkte des oxidativen Östrogenstoffwechsels verfügt der menschliche Organismus über suffiziente Schutzmechanismen. Eine wichtige «Entgiftungsreaktion» für Katecholöstrogene ist die Methylätherbildung durch die Katechol-0-Methyltransferase (COMT). Der dabei gebildete 2-Hydroxyöstradiol-2Methyläther hemmt die Proliferation von zahlreichen humanen Karzinomzelllinien, ist ein potenter Angiogeneseinhibitor und hemmt damit die Tumorentstehung (11, 36). Somit können Östradiol und seine Stoffwechselprodukte Karzinome induzieren und die Karzinogenese hemmen (vgl. Abbildung 2).
Bedeutung von Genpolymorphismen
Denkbar wäre, dass Frauen, die aufgrund eines Polymorphismus des Enzyms CYP 1B1 vermehrt 4-Hydroxyöstrogene bilden, ein höheres Risiko für die östrogeninduzierte Karzinogenese aufweisen. Die Daten über höhere 4-Hydroxyöstrogenspiegel in Mammakarzinomen (21, 29) deuten in diese Richtung. Auch die Be-
funde, dass Frauen mit einer besonders aktiven Form der CYP 1B1 ein deutlich erhöhtes Ovarialkarzinomrisiko haben, unterstützen diese Hypothese (12). Frauen mit einer hohen Aktivität der Katechol-0-Methyltransferase hätten ein geringes, solche mit einer niedrigen Aktivität dieses Enzyms ein hohes Risiko für östrogeninduzierte Karzinome, wie es in einigen molekular-epidemiologischen Studien gefunden wurde (31, 35).
Perspektiven für die Zukunft
Auch wenn sich die diesbezügliche Forschung noch in einem frühen Stadium befindet, werden sich wahrscheinlich in Zukunft Gruppen von Frauen definieren lassen, deren Enzymausstattung in einem «ungefährlichen» Östrogenstoffwechsel resultiert. Für diese hätte auch eine längerfristige Östrogensubstitution kein erhöhtes Karzinomrisiko zur Folge. Für Frauen, deren Enzymausstattung zur überwiegenden Bildung von genotoxischen Östrogenmetaboliten führt, wäre eine Östrogensubstitution nicht ratsam. Es könnte sich sogar herausstellen, dass ihre endogenen Östrogene schon zu einem erhöhten Risiko von Mamma-, Endometrium- und Ovarialkarzinomen führen. Wenn dies der Fall wäre, könnten präventive Strategien entwickelt werden. Es ist inzwischen akzeptiert, dass die präventive Gabe von Tamoxifen das Auftreten von Mammakarzinomen reduzieren kann (29). Möglicherweise sind Aromatasehemmer in dieser Indikation noch effektiver. Entsprechende klinische Studien werden zurzeit durchgeführt (29). ▲
Professor Dr. med. Günter Emons Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Strasse 40 D-37075 Göttingen
E-Mail: emons@med.uni-goettingen.de
Erstpublikation in: Frauenarzt 2004; 3 (43): 214–217.
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung der Publikation «Sind Östrogene Karzinogene?» von G. Emons, C. Gründker und V. Hanf, erschienen in Der Gynäkologe 36 (2003) 182–189. Angaben zur Literatur erhalten Sie in dieser Originalarbeit oder beim Verfasser. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren, des Publi-Med-Verlages sowie des Berufsverbandes der Frauenärzte Deutschlands.
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