Transkript
Neue Therapien
Medienkonferenz «10 Jahre Viagra®», Basel, Mai 2008
Was macht uns «sexuell attraktiv»?
Eine Studie über Geschlechts- und Altersunterschiede bei der Partnerwahl in der zweiten Lebenshälfte
In der Partnerauswahl haben wir uns seit Beginn der Menschheitsgeschichte anscheinend kaum verändert: Gemäss einer neueren empirischen Studie bleiben die Motive bei Frauen und Männern auch in der Lebensmitte die gleichen wie in Urzeiten, wenn auch mit ausgeprägten geschlechtsspezifischen Unterschieden.
Dem unbewussten Wunsch nach Fortbestand unserer Art bei Männern und Frauen stehen verschiedene Ansprüche gegenüber: Ab der Lebensmitte wird für Männer Sexualität und, bei Neuorientierung, die jüngere Partnerin zunehmend wichtiger; für Frauen stehen in dieser Situation Status des Mannes und Sicherung des Nachwuchses auf Platz eins der Präferenzliste. Diese und weitere Resultate ergab eine empirische Studie, die Prof. Karl Grammer vom Department für Anthropologie an der Universität Wien zum Thema Altern, Partnerpräferenz und Sexualität durchgeführt hat. Er wertete Daten aus einer Partnervermittlungsagentur von rund 12 000 Männern und Frauen aus, welche auf der Suche nach einem neuen Partner sind und zu ihren Präferenzen Auskunft gaben.
Thema immer häufiger in der Arztpraxis: Sexualität
Ob in der Hausarzt-, Urologie- oder Frauenarztpraxis: Sexualität ist zum Thema geworden – die Tabuzone in Zusammenhang mit gesundheitlichen Problemen in der zweiten Lebenshälfte bricht auf. Inwieweit Viagra und Konkurrenzpräparate, trotz steigender Verkaufspreise und vieler Versprechungen, Partnerbeziehungen oder auch Einzelschicksale tatsächlich glücklicher machen, lässt sich schwer beurteilen. Interessant erscheinen aber Erkenntnisse aus empirischen Studien, die tiefere Einblicke in Wünsche, Vorstellungen und Einstellungen von Männern und Frauen zur Sexualität und Partnerwahl geben, ob als Hilfe in der Selbsterkenntnis, für die Beratungssituation oder auch für weitere Diskussionen.
Sind wir in der Partnerbindung Neandertaler geblieben? Für Frauen erscheint immer noch der dominant und «statusprächtig» erscheinende Mann attraktiv. Männer ziehts in erster Linie zu der jungen, gesunden Frau. Ausdruck des Wunsches nach Fortbestand unserer Art?
Partnerinteresse für unterschiedliche Wünsche
Grammer und sein Team verglichen evolutionärpsychologische Rahmenbedingungen in der Partnerwahl und die zugrunde liegenden Mechanismen mit den Angaben der Männer und Frauen heute. Dabei fanden sie ähnliche Wunschmuster: «Adaptionen aus unserer evolutionären Vergangenheit nehmen auch heute noch Einfluss auf unser Verhalten. Bemerkenswert ist, dass sie kaum durch unsere moderne Gesellschaft, ökonomische Verhältnisse und auch nicht durch medizinische Veränderungen verdrängt werden.» Die Ergebnisse zeigten aber auch, dass es einen grundlegenden Unterschied in der Einstellung zur Sexualität zwischen
den Geschlechtern gibt, fand Grammer. Der Wiener Anthropologe brachte wichtige Erkenntnisse seiner Studie auf den Punkt. Männer und Frauen, die auf Partnersuche sind, machten – jeder für sich – einen «Denkfehler», der einer eigenverantwortlichen Entwicklung möglicherweise entgegensteht. Männer seien davon überzeugt: «Es gibt immer was!» (an Partnerinnen!). Frauen glaubten: «Er soll den Nachwuchs sichern!»
Die Männer Entsprechend ist das Ergebnis zu interpretieren, dass sich Männer in der Regel nach einer jüngeren, gesunden, aktiven, anpassungsbereiten Partnerin umsehen, weil sie ihnen sexuell attraktiv erscheint.
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Damit gehe die (teilweise unbewusste) Übertragung konform, dass diese Frau in der Lage sei, ihm (gesunde, tüchtige) Kinder zu gebären und aufzuziehen. «Je älter die Männer werden, desto jünger (proportional) sollte die Partnerin sein», fand Grammer in der Partnervermittlungsagenturstudie. Männer äusserten Kinderwunsch bis ins hohe Alter. Markant sei auch, dass Sexualität in der Partnerschaft für Männer mit dem Alter immer wichtiger werde. Das in jüngeren Jahren gesteigerte Interesse an Sexualität gegenüber Frauen sinke tendenziell, fand Grammers Studiengruppe. Im Kontrast dazu nehme die Selbsteinschätzung der Männer über ihre eigene sexuelle Attraktivität mit dem Alter stärker ab als bei Frauen, so die Studienanalyse.
Die Frauen «Frauen suchen generell im Vergleich zu ihnen ältere Männer, und zwar in allen Altersstufen», sagte Grammer. Als attraktiv eingeschätzt würden ganz überwiegend solche, die einen hohen sozialen Status bieten. Bei den über 45-jährigen Frauen wird dieses Merkmal noch stärker gewünscht als bei den jüngeren Frauen und rangiert noch vor «äusserlicher Attraktivität». Bei den Kriterien Dominanz, Intelligenz und Status des Partners sind die deutlichsten Unterschiede zwischen Mann und Frau zu finden. Den Frauen erscheinen diese Eigenschaften des Partners entscheidend für das Überleben respektive die eigene positive Entwicklung und die der Kinder. Bezüglich Sexualität zeigt sich in Grammers Studie, dass das Interesse daran in der Partnerschaft in allen Lebensjahren der Frau eher gleich bleibt. Das Alter des Mannes spielt dabei kaum eine Rolle. Sexualität hat für die Frauen eine vor allem bindende Funktion. «Frauen in den mittleren Jahren äussern aber häufiger den Wunsch nach Sexualität als die sehr jungen Frauen», stellte Grammer fest. Markante Unterschiede zeigen sich beim Kinderwunsch (bzw. der Familienbildung) in den verschiedenen Altersklassen: Bei über 45-Jährigen rangiert dieses Kriterium weit unten im Gegensatz zu jüngeren Frauen. Bei Männern ist dieser Unterschied deutlich weniger ausgeprägt.
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Medienkonferenz «10 Jahre Viagra®», Basel, Mai 2008
Kasten:
Viagra® ist zehn Jahre alt geworden
Seit der Zulassung von Sildenafilcitrat (Viagra®) für die Behandlung der erektilen Dysfunktion (ED) vor zehn Jahren wurde das Medikament bei über 35 Millionen Männern in über 120 Ländern verabreicht. In diesem Zeitraum wurden 1,8 Milliarden Tabletten verschrieben. Allein in der Schweiz werden monatlich zirka 100 000 Pillen verordnet. Damit ist die Schweiz europaweit auf Platz drei, hinter Finnland und England (1).
«Zu Beginn unserer Forschungsarbeit fand ich die Vorstellung sehr aufregend, dass das Arzneimittel einmal zu einem dringend benötigten Medikament zur Behandlung von Männern mit erektiler Dysfunktion werden würde», sagte Dr. Peter Ellis, Miterfinder von Viagra. Die Wissenschaftler von Pfizer in Sandwich, England, entwickelten den ersten wirksamen und selektiven Hemmer eines Enzyms mit dem Namen PDE 5. Die eigentliche Entdeckung von Sildenafil als Mittel zur Behandlung von ED war jedoch eher zufällig. Der Wirkstoff wurde zunächst für die Behandlung von Angina pectoris untersucht. Als jedoch während der Forschung einige sehr beachtenswerte Nebenwirkungen auftraten, wurde das Ziel des Entwicklungsprogramms auf ED umgestellt. Die Markteinführung im Jahr 1998 stellt nach wie vor einen der grössten Erfolge in der Geschichte der verschreibungspflichtigen Medikamente dar. 1999 wurde der Begriff «Viagra» sogar in den Oxford English Dictionary aufgenommen. Verschiedene Studien wiesen nach, dass eine ED erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität und die allgemeine Zufriedenheit der Betroffenen hat (Jonler, M. 1995; Wagner, T., 1996; Fugl-Meyer, A. 1997). Eine Studie des Schweizer Nationalfonds zur sexuellen Zufriedenheit in der zweiten Lebenshälfte (2) fand, dass eine erektile Dysfunktion (ED) bereits für über die Hälfte der 55- bis 59-jährigen Männer ein gelegentliches Problem bedeuten kann. Von den 60- bis 69-Jährigen leiden 34% unter moderater bis vollständiger, 45% unter minimaler ED, so eines der Resultate. In den Folgejahren komme es zur deutlichen Zunahme der ED.
1. Pfizer Inc., Daten. 2. Bucher, T.: Sexualität in der zweiten Lebenshälfte. Sozial Aktuell 2002; 21: 6–8.
Quelle: Medienkonferenz anlässlich «10 Jahre Viagra®».
Die Lücke: Ältere Frauen bleiben allein
Interessant ist das Ergebnis, dass Frauen in und nach der Lebensmitte (ausgewertet wurde die Gruppe der über 45-Jährigen im Vergleich zu jüngeren) auch noch ältere Partner suchen mit den gewünschten Eigenschaften hoher Status, Dominanz und Intelligenz. Männer im gleichen Alter suchen aber die deutlich jüngere Partnerin mit der Eigenschaft «sexy». Als obere Altersgrenze für Frauen geben die partnersuchenden Männer, die selbst über 50 Jahre sind, Ende 40 an, als untere Altersgrenze der Partnerin 39 Jahre. Frauen, die Ende 40 sind, suchen Partner zwischen zirka 47 und 56 Jahren. «Die Frauen auf Partnersuche nach der Menopause bleiben ohne Pendant», stellte Grammer fest. (Vorsichtig optimistische Frage der Redaktion: Ob die demografische Entwicklung mit dem medizinischen Fortschritt unserer Tage an dieser Tendenz etwas ändert?) ■
Bärbel Hirrle
Quelle: Vortrag Prof. Dr. dipl. biol. Karl Grammer*: «Die Bedeutung von Sexualität im Alter». Medienkonferenz anlässlich «10 Jahre Viagra®», organisiert von Pfizer, Basel, 6. Mai 2008.
*Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtethologie Institut für Humanbiologie, Althanstr. 14, A-1090 Wien
Prisma
Herbadonna: ein neues phytotherapeutisches Gynäkologie-Netzwerk
Das Potenzial der Phytotherapie ist bei vielen gynäkologischen Erkrankungen und Störungen teilweise unzureichend untersucht. Das kürzlich gegründete Netzwerk Herbadonna möchte Erfahrungen und Wissen zu phytotherapeutischen Ansätzen bündeln, wissenschaftlich dokumentieren und den Erfahrungsaustausch mit Fachpersonen verstärken. Dazu bietet das Netzwerk ein interessantes Jahreskursprogramm an.
Herbadonna versteht sich als Arbeitsgruppe der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP), welche sich als Fachgesellschaft auf wissenschaftlichem Niveau mit Phytotherapie auf rationaler und
traditioneller Ebene beschäftigt. Der Gruppe ist die eigene praxisorientierte Arbeitsweise wichtig. Sie stützt sich auf das ausgeprägte Interesse vieler Frauen sowie Frauenärztinnen und -ärzte an pflanzlichen Behandlungen bei verschiedenen gynäkologischen Erkrankungen. Die Mitglieder von Herbadonna diskutieren und dokumentieren medizinische Fragestellungen auf den mehrmals jährlich stattfindenden Workshops sowie per E-Mail untereinander. Mönchspfeffer zur Behandlung des prämenstruellen Syndroms und Traubensilberkerze bei klimakterischem Syndrom sind nur zwei der bekannten Beispiele dafür, dass Phytotherapien in der Praxis heute breit anerkannt sind.
Die SMGP-Tagung «Phytotherapie in der
Frauenheilkunde» in Solothurn im Jahr 2002
war bereits auf so grosses Teilnehmer-
interesse gestossen, dass fortan jährliche
Treffen zur Fortführung der Diskussionen von
in der Phytotherapie erfahrenen Kolleginnen
organisiert wurden. Die Arbeit wird mit dem
neuen Netzwerk und mit neuen Kursange-
boten verstärkt.
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Mehr Infos:
Dr. sc. nat. Beatrix Falch Tel. 044-262 65 69, E-Mail: bfalch@gmx.ch
Dr. med. Regina Widmer Tel. 032-621 34 54 E-Mail: regina.widmer@frauenpraxis-runa.ch
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