Transkript
SCHWERPUNKT
Pillen als «Abspeckhilfe»
Sibutramin, Orlistat, Rimonabant: Wirkprinzip,Therapie, Nebenwirkungen
Adipositas stellt eine der schwerwiegendsten Gesundheitsgefahren dar, die die Industrieländer bedrohen. Bei vielen PatientInnen lässt sich selbst eine moderate Gewichtsreduktion mit Ernährungsumstellung und Steigerung der körperlichen Aktivität nicht erreichen. Drei Substanzen sind derzeit für die Adipositastherapie zugelassen, ihr Einsatz wird im Folgenden besprochen.
ULRICH R. FÖLSCH
The National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) hat herausgefunden, dass zwischen 2003 und 2004 66% aller Amerikaner, die älter als 20 Jahre sind, übergewichtig oder adipös waren. Wer durch unsere Strassen läuft, wird erkennen, dass wir nicht weit davon entfernt sind. Bereits eine Gewichtsreduktion von 5 bis 10% könnte das Risiko für die Entwicklung adipositasbedingter Erkrankungen wie TypII-Diabetes und KHK signifikant reduzieren (1, 2). Keine Frage, die Änderung des Essverhaltens und die Steigerung der körperlichen Aktivität sind wesentliche Voraussetzungen für eine Gewichtsnormalisierung (2). Diese Verhaltensänderungen sind aber nur mit sehr begrenztem Erfolg verbunden, da in den meisten Fällen nach einiger Zeit das Ausgangsgewicht wieder erreicht beziehungsweise übertroffen wird. Derzeit sind drei Substanzen für die Adipositastherapie in einem umfassenden Behandlungskonzept zugelassen, deren Einsatz besprochen wird.
Sibutramin
Sibutramin (Reductil®) ist ein Inhibitor der zentralen Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin sowie ein schwacher Inhibitor für die Dopaminwiederaufnahme. Diese Substanz ist für die Behandlung des ernährungsbedingten Übergewichts im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts (u.a. Kalorienreduktion) vorgesehen. Aktuelle Indikationen zum Einsatz sind ein Body-Mass-Index (BMI) > 30 kg/m2 beziehungsweise ein BMI > 27 kg/m2 und bestehende adipositasbedingte Risikofaktoren wie Typ-2-Diabetes oder Dyslipidämie. In einer vierarmigen randomisierten Studie wurde über zwölf Monate das Ausmass der Gewichtsreduktion unter Einsatz von Sibutramin verglichen (3): ■ Arm 1: 15 mg Sibutramin täglich ■ Arm 2: Umstellung der Lebensgewohnheiten mit
kalorienreduzierter Diät, Bewegungsprogramm und Verhaltensänderung
■ Arm 3: Kombination der Therapie von Arm 1 und der von Arm 2
■ Arm 4: Gabe von Sibutramin (15 mg) mit einer kurzen Instruktion zur Lebensumstellung.
Es zeigte sich: Im Vergleich zu den Lebensstiländerungen ist eine alleinige Sibutramintherapie über den Zeitraum eines Jahres wenig erfolgreich: Es kam zu durchschnittlichen Gewichtsverringerungen von 6,7 kg (Arm 1; Arm 4) versus 5,0 kg (Arm 2). Eine Kombination aus Lebensstiländerungen und Sibutramin (Arm 3) war jedoch einer jeweiligen Monotherapie deutlich überlegen: Die PatientInnen verloren durchschnittlich 12 kg an Gewicht. Auch in zwei weiteren Studien nahmen die Patienten unter Sibutramin mehr Gewicht ab als unter Plazebo (4). Die Jahrestherapiekosten betrugen entsprechend der in den Studien angegebenen Dosierung von 15 mg täglich zirka 440 Euro. Das Präparat ist verschreibungspflichtig. Die meisten der registrierten unerwünschten Nebenwirkungen beziehen sich auf das zentrale, periphere und vegetative Nervensystem (Kopfschmerzen, Schwindel, Tachykardie, trockener Mund) und psychische Störungen (Schlafstörungen, Nervosität, Angst). Bis jetzt liegen für Sibutramin keine Meldungen über das Vorkommen einer pulmonalen Hypertonie oder von Herzklappenveränderungen vor (5).
Orlistat
Orlistat (Xenical®) hemmt die pankreatische Lipase im Dünndarm, wodurch die Hydrolyse von Triglyzeriden, die mit der Nahrung aufgenommen werden, unterbleibt. Dies führt zur Malabsorption von Fett und konsekutiv zur Steatorrhö. Orlistat ist in Verbindung mit einer leicht hypokalorischen Kost zur Behandlung von Patienten mit Adipositas und Übergewicht ab einem BMI > 28 kg/m2 mit begleitenden Risikofaktoren zugelassen. Aus einer Metaanalyse von elf Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens einem Jahr ergibt sich eine
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SCHWERPUNKT
Tabelle:
Medikamentöse Ansätze zur Behandlung der Adipositas
■ Serotonin- und Noradrenalin-Reuptake-
Inhibitoren (anorektische Substanzen) (z.B. Sibutramin = Reductil®) ■ Lipaseinhibitoren (z.B. Orlistat = Xenical®)
■ Cannabinoid-Typ-1-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Rimonabant = Acomplia®)
■ Leptinagonisten
■ Melanocortin-3-Agonisten
■ Ghrelin-Immunokonjugate
Gastrointestinale Funktion und Appetit
Modulation der Nahrungsaufnahme/zentrale Energieaufnahme durch Neurotransmittersysteme • Serotonerg • Noradrenerg • Endocannabinoid
Satiety Signals
zusätzliche Gewichtsreduktion gegenüber Plazebo von 2,7 kg (6). Wie auch bei den anderen Substanzen war dieser Effekt bei Absetzen des Medikaments wieder rückläufig. Entsprechend der in den Studien angegebenen Dosierung von 3 x 120 mg/Tag betragen die jährlichen Therapiekosten zirka 1200 Euro und liegen damit deutlich höher als bei Sibutramin und bei Rimonabant. Die meisten registrierten Nebenwirkungen resultieren aus der therapeutisch beabsichtigten Malabsorption, das heisst Steatorrhöen (mit Bauchschmerzen, Blähungen, Pankreatitis und Übelkeit).
Rimonabant
Rimonabant (Acomplia®) ist ein selektiver Cannabinoid-Rezeptor-1-(CB1-)Antagonist und wurde erst 2007 durch die EMEA europaweit zugelassen. In den USA empfahl ein Beraterausschuss der US-Arzneimittelbehörde FDA einstimmig, Rimonabant zur Gewichtsreduktion in den USA zunächst nicht zuzulassen (Stand Juni 2007). Das relativ neu entdeckte Endocannabinoidsystem trägt sowohl über zentrale als auch periphere Effekte zur physiologischen Regulation des Energiehaushalts, der Nahrungsaufnahme und des Lipid- und Glukosestoffwechsels bei. Rimonabant ist indiziert zur Behandlung einer Adipositas (BMI > 30 kg/m2), zusätzlich zu Diät und Bewegung, oder bei Übergewicht (BMI > 27 kg/m2), wenn die PatientInnen darüber hinaus einen oder mehrere Risikofaktoren wie Typ-2-Diabetes oder Dyslipidämie aufweisen. Das Endocannabinoidsystem besteht aus
Hemmung der Fettresorption
Veränderung des peripheren Stoffwechsels
Abbildung 1: Adipositas – potenzielle Angriffspunkte einer medikamentösen Therapie
endogenen Liganden und zwei Typen von an G-Protein gekoppelten Cannabinoidrezeptoren: CB1 und CB2, die in mehreren Hirnregionen und in verschiedenen peripheren Geweben einschliesslich Fettgewebe, Gastrointestinaltrakt, Hypophyse und Nebennieren und so weiter vorkommen. Der CB1-Rezeptor-Antagonismus ist ein neuer Ansatz, multiple kardiovaskuläre Risikofaktoren zu reduzieren, indem er auf die abdominale Adipositas abzielt und Lipid- und Glukosestoffwechsel sowie Insulinresistenz direkt verbessert. Es liegen mittlerweile Ergebnisse von vier Phase-III-Studien mit mehr als 6000 Patienten für eine Dauer von maximal zwei Jahren vor, die eine Gewichtsreduktion belegen (7, 8, 9). Alle vier Studien zeigen für Rimonabant eine signifikante Gewichtsreduktion gegenüber Plazebo nach einem Jahr. Entsprechend der in den Studien angegebenen Dosierung von 20 mg/Tag betragen die jährlichen Therapiekosten zirka 1030 Euro. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen, die zum Absetzen von Rimonabant führten, waren Übelkeit, Stimmungsänderungen mit depressiven Symptomen, depressive Störungen, Angst und Schwindelgefühl. Dies hat dazu geführt,
dass die Verabreichungsempfehlungen für Rimonabant mit Schreiben der Firma Sanofi-Aventis vom Juli 2007 dahingehend abgeändert werden mussten, dass dieses Medikament bei Patienten mit einer bestehenden schweren depressiven Erkrankung und/oder bei Patienten, die derzeit mit Antidepressiva behandelt werden, kontraindiziert ist.
Fazit
Bei allen drei Substanzen muss Folgendes bedacht werden: ■ Der Einfluss auf das Körpergewicht
ist – wie bei anderen chronischen Erkrankungen – nur so lange zu beobachten, wie diese Medikamente eingenommen werden. ■ Für keine der Substanzen konnte bisher eindeutig belegt werden, dass über den Gewichtsverlust hinaus tatsächlich die kardiovaskuläre Morbidität reduziert wird. Entsprechende Studien sind jedoch angelaufen (10). ■ Aufgrund fehlender Langzeitstudien ist bis anhin nicht bekannt, dass Patienten, die über eine medikamentöse Intervention an Gewicht verlieren, die gleiche Lebenserwartung haben wie solche, die die gleiche Gewichtsreduktion durch eine alleinige Lebensstiländerung erreichen.
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SCHWERPUNKT
Abbildung 2: Anteil der PatientInnen mit mindestens 5% Gewichtsverlust nach einem Jahr (gemäss 3 Studien)
■ Es muss streng darauf geachtet wer-
den, dass diese Substanzen nicht miss-
bräuchlich eingesetzt werden: Daten
aus dem 1998 publizierten Behavioral
Risk Surveillance System Score deck-
ten auf, dass 13% der Patienten, die
entsprechende Medikamente einnah-
men, einen BMI von < 27 kg/m2 auf- wiesen (11, 12). ■ 7. Després JP, Golay A, Sjöström L, et al.: Effects of rimonabant on metabolic risk factors in overweight patients with dyslipidemia. NEJM 2005; 353: 2121–2134. 8. Van Gaal LF, Rissanen AM, Scheen A, et al.: Effects of the cannabinoid-1-receptor blocker rimonabant on weight reduction and cardiovascular risk factors in overweight patients: 1-year experience from the RIO-Europe study. Lancet 2005; 365: 1389–1397. 9. Pi-Sunyer FX, Aronee LJ, Heshmati HM, et al.: Effect of rimonabant, a cannabinoid-1-receptor blocker, on weight and cardiometabolic risk factors in overweight or obese patients: RIO-North America: a randomized controlled trial. JAMA 2006; 295: 761–775. 10. Ryan DH, Espeland MA, Foster GD, et al. Look AHEAD (Action for Health in Diabetes): design and methods for a clinical trial of weight loss for the prevention of cardiovascular disease in type 2 diabetes. Control Clin Trials 2003; 24: 610–628. 11. Blanck HM, Khan LK, Serdula MK: Prescription weight loss pill use among Americans: patterns of pill use and lessons learned from the fen-phen market withdrawal. Prev Med 2004; 39: 1243–1248. 12. Bray GA: Uses and misuses of the new pharmacotherapy of obesity. Ann Med 1999; 31–33. aus: Allgemeinarzt 2008; 7: 38–40. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Kirchheim Verlags, Deutschland. Prof. Dr. med. Ulrich R. Fölsch Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel Schittenhelmstr. 12 D-24105 Kiel E-Mail: urfoelsch@1med.uni-kiel.de Quellen: 1. National Institutes of Health. Clinical guidelines on the identification, evaluation, and treatment of overweight and obesity in adults: The Evidence Report. Obes Res 1998; Suppl 2, 515–2095 [Erratum, Obes Res 1998; 6: 464]. 2. Wadden TA, Foster GD: Behavioral treatment of obesity. Med Clin North Am 2000; 84: 441–461. 3. Wadden TA, Berkowitz RI, Womble LG et al.: Randomized trial of lifestyle modification and pharmacotherapy for obesity. NEJM 2005; 353; 2111– 2120. 4. Arterburn DE, Crane PK, Veenstra DL: The efficacy and safety of sibutramine for weightloss: a systematic review. Arch Intern Med 2004; 164: 994– 1003. 5. Zannad F, Gille B, Grentzinger A, et al.: Effects of sibutramine on ventricular dimensions and heart valves in obese patients during weight reduction. Am Heart J 2002; 144: 508–515. 6. Padwal R, Li SK, Lau DCW: Long-term pharmacotherapy for obesity and overweight. The Cochrane database of systematic reviews 2003; Issue 4, Art. No. CD004094. pub2. 14 GYNÄKOLOGIE 4/2008