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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Zu viel essen und zunehmen
Nur die Kalorie zählt, aber ...
Pünktlich zur Hochsaison der guten Vorsätze widersprechen die Autoren einer in der Zeitschrift «JAMA» publizierten Studie der zurzeit weit verbreiteten Meinung, dass man – wenn man schon zu viel isst – mit proteinreicher Nahrung nicht gar so rasch zunehmen würde. In dieser Studie verzehrten stationär aufgenommene Probanden mit normalem Körpergewicht (BMI 19,7–29,9) unter Aufsicht acht Wochen lang rund 1000 kcal zu viel pro Tag. Es gab drei Gruppen mit unterschiedlicher Zusammensetzung der Nahrungsenergie, hauptsächlich im Protein-/Fettanteil. In der Gruppe mit niedrigem Proteinanteil betrug dieser
nur 6 Prozent, das Fett steuerte 52 Prozent und die Kohlenhydrate 42 Prozent der Energie bei. In der Gruppe mit normaler Proteinzufuhr waren es 15 Prozent Protein, 44 Prozent Fett und 41 Prozent Kohlenhydrate, und in der Gruppe mit hoher Proteinzufuhr stammten die Kalorien zu 26 Prozent aus Protein, zu 33 Prozent aus Fett und zu 41 Prozent aus Kohlenhydraten. Am Ende zählte für den Aufbau überschüssiger Fettdepots offenbar nur die Kalorienbilanz: Egal, womit die Probanden überfüttert worden waren, alle legten innert 8 Wochen zirka 3 Kilogramm Körperfett zu. Man darf also nicht darauf zählen, dass der höhere physiologische Aufwand beim Verstoffwechseln von Proteinen vor der Anlagerung überschüssiger Fettreserven schützt, wenn man mehr isst, als der Körper braucht. Erstaunlicherweise legten Studienteilnehmer, deren Nahrung einen normalen oder erhöhten Proteinanteil aufwies, mit rund 6 Kilogramm aber insgesamt doppelt so viel Gewicht zu wie diejenigen mit proteinarmer Nahrung. Die Messung der Körperzusammensetzung ergab, dass die normale beziehungsweise erhöhte Proteinzu-
fuhr bei ihnen zu einem zusätzlichen Aufbau von 3 Kilogramm Magermasse geführt hatte sowie zu einem erhöhten Grundumsatz. Probanden mit proteinarmer Mastkur hingegen verloren eher noch Magermasse, sprich Muskeln, was trotz vermeintlich besserer Bilanz auf der Waage sicher nicht gesund ist. Das Gewichthalten bleibt also eine komplexe Sache: «Protein hat eine Reihe von Effekten, Kalorien haben eine Reihe anderer Effekte und beide sind nicht direkt miteinander verbunden», sagte Studienleiter Dr. George A. Bray vom Biomedical Research Center in Baton Rouge, USA, in einem OnlineVideo auf der «JAMA»-Website. Protein spiele natürlich eine Rolle für die Entwicklung der Muskelmasse während jeglicher Diät, erläuterte Bray. Darum sei Protein für die Ernährung zwar sehr wichtig, aber es habe keinen Einfluss auf die Einlagerung überschüssiger Kalorien als Fettgewebe. Bleibt noch zu bemerken, dass die Studie nur 25 Probanden umfasste, was für die Autoren aber offenbar kein Manko ist. Im Gegenteil: Es gebe nur wenige Studien zum exzessiven Essen, die so viele Probanden umfassen, schreiben sie in ihrer Diskussion.
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Bray GA et al.: Effect of dietary protein content on weight gain, energy expenditure, and body composition during overeating. JAMA 2012; 307(1): 47–55.
Orthopädische Chirurgen
«So stark wie ein Ochse und fast doppelt so gescheit»
Dies der Titel eines Beitrags in der für die ausgewachsenen Blüten ihres britischen Humors beliebt-berüchtigten Weihnachtsausgabe des «British Medical Journal». Die Autoren wollten laut eigenem Bekunden die Intelligenz und Griffstärke von orthopädischen Chirurgen und Anästhesisten im Rahmen einer «prospektiven multizentrischen Vergleichsstudie» untersuchen. Teilnehmer waren 36 männliche orthopädische Chirurgen (mangels weiblicher Kolleginnen in dieser Disziplin) und 40 eben-
falls männliche Anästhesisten in drei Bezirksspitälern des Vereinigten Königreichs. Die Orthopäden hatten eine statistisch signifikant grössere Griffstärke der dominanten Hand (47,25 kg mit einer Standardabweichung [SD] von 6,95 kg) als die Narkosefachleute (43,85 kg, SD 7,57 kg). Die Intelligenzmessung erfolgte mit dem «Mensa Brain Test, Version 1.1.0» der Barnstorm Entertainment Group, bestehend aus 20 Multiple-Choice-Fragen, die innert 20 Minuten auf einem iPhone zu
beantworten waren. Auch der mittlere Score im Intelligenztest war bei den teilnehmenden Orthopäden signifikant höher als bei der Anästhesisten-Vergleichsgruppe (105,19 ± 10,85 vs. 98,38 ± 14,45). Die Schlussfolgerung dieser «ersten wissenschaftlichen Untersuchung zu dieser Fragestellung» lautet daher: «Männliche orthopädische Chirurgen besitzen eine höhere Intelligenz und bessere Griffstärke als ihre männlichen Kollegen von der Anästhesie, die daher neue Wege finden sollten, um sich über ihre Freunde aus der Orthopädie lustig zu machen.»
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P. Subramanian et al. BMJ 2011;343:d7506. (open access) doi: 10.1136/bmj.d7506
6 ARS MEDICI 1 ■ 2012
Impfen
Kinderkrankheiten werden unterschätzt
Kinderkrankheiten werden von vielen noch immer als notwendiges, aber nicht weiter gefährliches Übel betrachtet. Dies ergab eine vom Unternehmen Pfizer gesponserte, repräsentative Umfrage unter 502 Schweizerinnen und Schweizern im Alter von 18 bis 45 Jahren. Demnach glauben mehr als die Hälfte der Befragten (57,2%), dass Kinder ihre Kinderkrankheiten «durchmachen» sollten, und nur 35,5 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass man Kinderkrankheiten möglichst per Impfung vermeiden sollte. Die vom BAG und der EKIF empfohlenen Basisimpfungen für Kinder bis sieben Jahre umfassen Schutz-
impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung, Keuchhusten, Masern, Mumps, Röteln und Haemophilus influenzae Typ b. Als ergänzende Impfungen werden im Schweizer Impfplan die Impfungen gegen Meningokokken und Pneumokokken genannt. Doch die hierzulande verbreitete Impfskepsis spiegelte sich in der oben genannten Umfrage ebenfalls wider: Nur eine Minderheit, nämlich 43,5 Prozent der Befragten, ist dem Impfen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Drei von zehn Befragten (29,8%) lehnen Impfungen nicht ab, lassen sich aber nur gegen das Nötigste impfen. Ein Fünftel der Befragten (20,6%) ist Impfungen gegenüber kritisch eingestellt, und 5,8 Prozent lassen sich gegen gar nichts impfen. Dass Kinderkrankheiten mitunter auch schwerwiegende Komplikationen nach sich ziehen können, scheint vielen nicht recht bewusst zu sein. Bei den Masern wussten 42,7 Prozent der Befragten um dieses Risiko, bei der Kinderlähmung immerhin jeder zweite (51,2%), bei Mumps 46,1 Prozent und bei Röteln 39,6 Prozent der Befragten. Noch wenig bekannt sind in der Bevölkerung die Pneumokokken als Krankheitserreger: Nur 11,2 Prozent der Befragten hatten schon einmal davon gehört.
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Ganzkörpervibration
Kein Gewinn an Knochenqualität
«Ohne Schweiss kein Preis». Entgegen den Wünschen vieler Patienten: Die mühelose «Therapie» gegen Osteoporose gibt es – bis anhin – offenbar nicht. In Tierexperimenten hatte die Ganzkörper-Vibrationstherapie zwar günstige Effekte auf die Knochenstruktur ergeben, in einer randomisierten Studie bei postmenopausalen Frauen blieb dieses positive Ergebnis jedoch aus, wie eine kürzlich in den «Annals of Internal Medicine» publizierte Untersuchung ergab. Die 202 im Übrigen gesunden postmenopausalen Frauen wiesen T-Scores zwischen -1,0 und -2,5 in der Knochenmineraldichte (KMD-)Messung auf. Sie wurden randomisiert aufgefordert, täglich während 20 Minuten auf einer Vibrationsplattform mit geringen Exkursionen (0,3 g)
und entweder 90- oder 30-Hertz-Schwingun-
gen zu stehen oder in der Kontrollgruppe teil-
zunehmen. Alle erhielten eine Kalzium-Vit-
amin-D-Supplementation, aber keine anderen
Medikamente für die Knochen. Im Vergleich
zu keiner Vibrationsbehandlung hatte die
zwölfmonatige Vibrationstherapie keinen
signifikanten Effekt auf die an der Tibia be-
stimmte trabekuläre volumetrische KMD
(primärer Endpunkt). Auch bei der KMD an
Femurhals, Gesamthüfte und lumbaler Wir-
belsäule fielen die Messungen in allen Grup-
pen ähnlich aus. Die Adhärenz bei der an sich
bequemen Therapie lag zwischen 65 und
79 Prozent.
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Lubomira Slatkovska et al. Ann Intern Med. 2011; 155: 668–679.
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Swissmedic wird gegründet
Mit dem Inkrafttreten des neuen Heilmittelgesetzes nimmt am 1. Januar 2002 das schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic den Betrieb auf. Swissmedic entsteht aus dem Zusammenschluss der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) und der Facheinheit Heilmittel des Bundesamts für Gesundheit (BAG).
Vor 50 Jahren
Betablocker in der Pipeline
1962 tüftelt der Pharmakologe und spätere Nobelpreisträger Sir James W. Black als Angestellter der Firma ICI an einer neuen Substanzklasse, den Betablockern.
Mit Propranolol beschert er seinem Arbeitgeber zwei Jahre später einen echten «Blockbuster». Unter verschiedenen Markennamen, in der Schweiz als Inderal®, wird Propranolol zu einem der meistverkauften Medikamente der Welt. Black galt den einen als brillanter, eigenständig denkender Kopf, den anderen als jähzorniger Eigenbrötler, aber auf alle Fälle als eine Persönlichkeit, die es im Organigramm-Dschungel grosser Institutionen und Firmen regelmässig nur ein paar Jahre aushalten konnte. So kam denn auch nicht ICI, sondern das Unternehmen Smith Kline French, bei dem er 1964 bis 1973 blieb, in den wirtschaftlichen Genuss einer weiteren von ihm entwickelten Substanz, die sich seinerzeit noch besser verkaufte als das Propranolol: Cimetidin gegen Sodbrennen. Als Krönung seiner wissenschaftlichen Laufbahn erhielt James Black 1988 zusammen mit George H. Hitchings und Gertrude B. Elion den Nobelpreis für Entdeckungen zu wichtigen biochemischen Prinzipien der Arzneimitteltherapie.
Vor 100 Jahren
Koronargefässe und Herzinfarkt
1912 publiziert der amerikanische Internist James B. Herrick in der Zeitschrift «JAMA» einen Artikel, in welchem er die klinischen Symptome einer Koronargefäss-
stenose exakt beschreibt und klassifiziert. Er zeigt darin auf, dass ein Verschluss von Koronargefässen nicht immer tödlich enden muss, und definiert den Myokardinfarkt als eigenes Krankheitsbild. Einige Jahre später folgen Arbeiten zum klinischen Gebrauch des EKG bei KHK. Herrick befasste sich mit zahlreichen Gebieten der inneren Medizin. So beschrieb er 1910 als Erster einen Fall von Sichelzellanämie.