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CONGRESS WATCH
ASCO 2004: Neustes zum Ovarialkarzinom
Wichtige Studienergebnisse zur Therapie
Prof. Dr. med. Daniel Fink
Mit über 25 000 Teilnehmern erreichte der 40. Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in New Orleans in diesem Jahr neue Rekordzahlen. Auf der
weltweit grössten onkologischen Fortbildung befassten sich 93 Beiträge mit gynäkologischen Tumoren im engeren Sinn. Im Folgenden werden wichtige Referate diskutiert.
Das Ovarialkarzinom ist das gynäkologische Karzinom mit der höchsten Mortalität. Jede 70. Frau erkrankt daran, das Durchschnittsalter liegt bei knapp 60 Jahren. Eckpfeiler des Therapiekonzepts sind die Primäroperation mit radikalem Tumordebulking, die postoperative Chemotherapie sowie Massnahmen zur Erhaltung der Lebensqualität. Eine vollständige Entfernung des Tumorgewebes schafft die Voraussetzung für die optimale Wirkung der Chemotherapie.
Frühes Ovarialkarzinom
Bei zirka 30 Prozent der betroffenen Frauen ist die Erkrankung auf das kleine Becken begrenzt (FIGO Stadien I und IIa/b). 65 Prozent dieser Patientinnen überleben fünf Jahre, wobei die Prognose wesentlich durch die Primäroperation bestimmt wird. Tumorbefallene Lymphknoten führen dazu, dass ein Stadium FIGO IIIc vorliegt.
Neue Studiendaten auf dem ASCOKongress Eine japanische Arbeit untersuchte retrospektiv das Fünfjahres-Überleben bei 148 konsekutiv operierten Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom pT1, wobei in allen Fällen eine pelvine und paraaortale Lymphonodektomie durchgeführt wurde (Shimizu et al., Abstract 5009). Mit Ausnahme der Patientinnen mit einem Tumor FIGO IA G1 erhielten alle Patientinnen eine platinhaltige Chemotherapie. Die Inzidenz von Lymphknotenmetastasen betrug 17 Prozent (25/148). Das Fünfjahres-Überleben betrug 92 Prozent für alle pT1-Stadien,
und 18 Prozent für pT1c-Ovarialkarzi-
nome (1). Interessanterweise waren da-
mals bei allen Patientinnen mit positiven
Lymphknoten die paraaortalen Lymph-
knoten tumorbefallen, wobei in 83 Pro-
zent der Fälle ein alleiniger paraaortaler
Befall vorlag. Bei 46 Prozent der Patien-
tinnen lag der Befall kranial der Arteria
mesenterica inferior (d.h. zwischen Ar-
teria mesenterica inferior und Nierenge-
fässen). Diese Studien zeigen, dass beim
frühen Ovarialkarzinom vorzugsweise
die Lymphknoten zwischen der Arteria
mesenterica inferior und der Nieren-
vene befallen sind und dass die frühen
Ovarialkarzinome mit Lymphknoten-
befall prognostisch die bessere Sub-
population der FIGO-IIIc-Karzinome dar-
stellen. Beim frühen Ovarialkarzinom
drängt sich damit – mit Ausnahme des
New Orleans war vom 5. bis 8. Juni 2004 Zen- gut differenzierten pT1a-Karzinoms –
trum für 25 000 Krebsspezialisten.
eine pelvine und paraaortale Lymphon-
odektomie bis zum Abgang der Nieren-
gefässe auf.
98 Prozent für pT1 N 0 (FIGO I) und 74 Pro-
zent für pT1 N1 (FIGO IIIc). Die Autoren ver- Fortgeschrittenes Ovarialkarzinom glichen das Fünfjahres-Überleben mit ei-
nem älteren Kollektiv von 69 Patientinnen Bei rund 70 Prozent der Patientinnen
mit einem pT1-Karzinom, welche in der- liegt ein fortgeschrittenes Ovarialkarzi-
selben Klinik operiert wurden und auch nom vor. Im Gegensatz zu den frühen
eine platinhaltige Chemotherapie erhiel- Tumorstadien ist dieses in der Regel kli-
ten, jedoch weder pelvin noch paraaortal nisch diagnostizierbar: Bei der gynäkolo-
lymphonodektomiert worden waren. Da- gischen Untersuchung findet sich ein das
bei war das Fünfjahres-Überleben mit kleine Becken ausfüllender zystisch-soli-
92 Prozent gegenüber 81 Prozent der Tumor. Zur Bestätigung des Tast-
(p = 0,0064) statistisch signifikant höher befundes eignet sich die sensitive Va-
für die Patientinnen, bei welchen eine pel- ginalsonografie; eine Indikation zur
vine und paraaortale Lymphonodektomie Kolonoskopie sollte wegen der häufig
durchgeführt wurde. Bereits am ASCO vorkommenden Darmbeteiligung bei
2002 in Orlando berichtete dieselbe entsprechender Symptomatik grosszügig
Gruppe eine Lymphknotenbeteiligung von gestellt werden. Die Behandlung sollte in
11 Prozent für pT1a-, 56 Prozent für pT1b- grossen Zentren in interdisziplinärer Zu-
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sammenarbeit erfolgen. Theoretisch lassen sich Verbesserungen einer First-LineChemotherapie auf drei Arten erreichen: ◗ Ersatz einer Substanz durch eine an-
dere ◗ Hinzufügen einer neuen Substanz (in
Kombination oder sequenziell) und ◗ Resistenzmodulation entweder durch
Einsatz von Resistenzmodulatoren oder durch Erhöhung der Dosis.
Neue Studiendaten auf dem ASCOKongress Zwei Arbeitsgruppen untersuchten den Einsatz von Anthrazyklinen als Zusatz zur First-Line-Chemotherapie Paclitaxel/Carboplatin beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom. Die erste Gruppe verglich die Kombination Paclitaxel(Taxol®)/Carboplatin versus Paclitaxel/Epirubicin/Carboplatin bei 1282 Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom FIGO IIc-IV (du Bois et al., Abstract 5007). Beide Kombinationschemotherapien wurden sechsmal alle drei Wochen verabreicht. Der Zusatz von Epirubicin führte zu einer signifikant höheren Toxizität (Hämatotoxizität, Nausea/Emesis, Mukositis; alle p < 0,0001). Hingegen statistisch nicht verschieden waren: Ansprechraten (OR) mit 74 Prozent (Epirubicin-Arm) versus 70 Prozent (p = 0,52), progressionsfreie Überlebenszeit (PFS) mit 18,4 Monaten versus 17,9 Monate ( p = 0,33) und Gesamtüberleben (OS) mit 45,8 Monaten versus 41,0 Monate (p = 0,37). Diese Resultate wurden von der zweiten Arbeitsgruppe bestätigt (Kristensen et al., Abstract 5003). In dieser Studie wurde Paclitaxel/Carboplatin versus Paclitaxel/Carboplatin bei 887 Patientinnen mit einem Ovarial-, Tuben- oder Peritonealkarzinom FIGO IIc-IV verglichen. Ebenfalls statistisch signifikant häufiger waren im Epirubicin-Arm febrile Neutropenien (12,5% vs. 1,5%), Nausea und Mukositiden. Die progressionsfreie Überlebenszeit (PFS) war mit 17,2 Monaten (Epirubicin-Arm) versus 16,3 Monate vergleichbar (p = 0,99). Obwohl Anthrazykline neben den Taxanen und Platinsubstanzen zu den wirksamsten Substanzen beim Ovarialkarzinom gehören, bringt deren Einsatz in der
First-Line-Chemotherapie keinen zusätzlichen Benefit. Damit bleibt die Kombination Taxol/Carboplatin die FirstLine-Standardchemotherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom. Eine dritte Gruppe stellte die Phase-III-Studie GOG 162 vor, welche eine prolongierte Verabreichung von Paclitaxel untersuchte (Spriggs et al., Abstract 5004). Dabei wurde Paclitaxel(120 mg/m2/96 h)/Cisplatin versus Paclitaxel(135 mg/m2/24 h)/Cisplatin bei 293 Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom III bis IV verglichen. Mit der Verabreichung von Paclitaxel über 96 Stunden konnte eine durchschnittliche Plasmakonzentration von > 0,05 mM aufrechterhalten werden. Im 24-h-Arm fanden sich statistisch signifikant mehr Granulozytopenien (p < 0,001), wohingegen im 96-h-Arm mehr Anämien auftraten (p < 0,003). Ansonsten war das Nebenwirkungsprofil sehr ähnlich. Die mediane progressionsfreie Überlebenszeit (PFS) betrug 12,4 Monate unter Paclitaxel 24 h versus 12,6 Monate. Vergleichbar waren mit 29,9 Monaten (Paclitaxel 24 h) versus 30,5 Monate auch die medianen Überlebenszeiten (OS). Damit bringt eine prolongierte Gabe von Paclitaxel beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom keinen Überlebensvorteil. Eine vierte Arbeitsgruppe verglich die Kombination Gemcitabin(Gemzar®)/Carboplatin versus Carboplatin bei 356 Patientinnen mit platinsensitivem Ovarialkarzinomrezidiv (platinfreies Intervall > 6 Monate [Pfisterer et al., Abstract 5005]). Im Gemcitabin-Arm fanden sich statistisch signifikant mehr Anämien, Thrombozytopenien, Neutropenien und Alopezien (alle p < 0,001). Die Gesamtansprechraten (CR + PR) betrugen 47,2 Prozent für Gemcitabin/Carboplatin versus 30,9 Prozent für Carboplatin (p = 0,0016). In der Quality-of-Life(QoL)Beurteilung führte der Zusatz von Gemcitabin zu einer schnelleren Palliation der abdominalen Beschwerden. Nachdem eine ältere Arbeit zeigen konnte, dass die Kombination Paclitaxel/Carboplatin beim platinsensitiven Ovarialkarzinomrezidiv der Monochemotherapie mit Carboplatin sowohl hinsichtlich Gesamtüberlebenszeit als auch progressionsfreiem Überleben überlegen ist (2), identifiziert diese Arbeit mit
Gemcitabin eine weitere Substanz, welche in Kombination mit Carboplatin zu einem Überlebensvorteil führt. Ein Vorteil der Kombination Gemcitabin/Carboplatin ist die relativ niedrige Alopezierate (Grad 2). Unbeantwortet bleibt allerdings die Frage nach dem Vergleich der Kombination Gemcitabin/Carboplatin zur sequenziellen Gabe der beiden Substanzen. Eine fünfte Studie untersuchte die Kombinationschemotherapie Doxorubicin (Caelyx®)/Carboplatin bei 105 Patientinnen mit platinsensitivem Ovarialkarzinomrezidiv (platinfreies Intervall > 6 Monate [Ferrero et al., Abstract 5022]). Dieses Regime wurde alle vier Wochen verabreicht. Die Gesamtansprechrate (CR + PR) betrug 63 Prozent, wobei es in 38 Prozent zu einer kompletten Remission kam. Die mediane progressionsfreie Überlebenszeit (PFS) betrug neun Monate und das mediane Gesamtüberleben (OS) 31,1 Monate. Die Hauptnebenwirkung war die Hämatotoxizität, wobei eine febrile Neutropenie nur in 3 Prozent der Fälle aufgetreten ist. Palmoplantare Erythrodysästhesien (PPE), Grad 2, traten bei 11 Prozent auf. Eine Alopezie, Grad 2, wurde in 12 Prozent beobachtet. Damit könnte die Kombination Caelyx/Carboplatin eine Alternative zu Taxol/Carboplatin werden. Eine entsprechende Studie, welche diese beiden Kombinationen miteinander vergleicht, ist bereits in Planung. Van der Burg et al. (3) berichteten, dass ein Intervalldebulking nach einer Induktionschemotherapie mit drei Zyklen Cisplatin/Cyclophosphamid das Überleben der Ovarialkarzinompatientinnen mit über 1 cm Resttumor nach Primäroperation signifikant verlängert. Gemäss ihrer Studie, welche am ASCO 2002 vorgestellt wurde, scheint allerdings ein Intervalldebulking in der Paclitaxel/Platin-Ära keine statistisch signifikanten Vorteile zu bringen, wenn das initiale Debulking durch erfahrene gynäkologische Onkologen durchgeführt wurde (4). Mediane Gesamtüberlebenszeit und progressionsfreie Zeit betrugen 32 beziehungsweise 10,5 Monate für die Gruppe mit Intervalldebulking (n = 216) und 33 respek-
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tive 10,8 Monate für die Gruppe ohne Intervalldebulking (n = 209). Anhand dieser Studie wurden nun der operative Blutverlust sowie die Hospitalisationsdauer der Primäroperation versus Intervalldebulking verglichen (Rose et al., Abstract 5010). Dabei waren sowohl der mediane Blutverlust als auch die mediane Hospitalisationsdauer (5 Tage vs. 7 Tage; p < 0,001) tiefer für das Intervalldebulking verglichen mit dem maximalen Debulking-Versuch bei der Primäroperation. Die Autoren schlossen daraus, dass ein Intervalldebulking eine geringere operative Morbidität als das primäre Debulking hat. Trotzdem sollte beim Ovarialkarzinom eine neoadjuvante Chemo- therapie nur im Rahmen von Studien durchgeführt werden. ◗ Professor Dr. med. Daniel Fink Direktor Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich 8091 Zürich E-Mail: daniel.fink@usz.ch Quellen: 1. Sakurai, S. et al.: Validity of complete paraaortic and pelvic lymphadenectomy in apparent stage I (pT1) ovarian carcinoma. Proceedings ASCO 2002; 21: 201. 2. Parmar et al.: Paclitaxel plus platinum-based chemotherapy versus conventional platinum-based chemotherapy in women with relapsed ovarian cancer. Lancet 2003; 361: 2099–2106. 3. Van der Burg et al.: The effect of debulking sur- gery after induction chemotherapy on the prognosis in advanced epithelial ovarian cancer. N Engl J Med 1995; 332: 629–634. 4. Rose, P.G. et al.: A phase III randomized study of interval secondary cytoreduction in patients with advanced stage ovarian carcinoma with suboptimal residual disease. Proceedings ASCO 2002; 21: 201. 5. Kasamatsu, T. et al.: Prognostic significance of positive peritoneal cytology in endometrial carcinoma confined to the uterus. Br. J. Cancer 2003; 88: 245–250. 6. Obermair, A. et al.: Peritoneal cytology: impact on disease-free survival in clinical stage I endometrioid adenocarcinoma of the uterus. Cancer Lett. 2001; 164: 105–110. Aluminium in Arzneimitteln – ohne Risiko? OTC-Antazida bei Schwangeren im Visier Dr. rer. nat. Claudia Reinke Aluminium galt lange Zeit als toxikologisch unbedenklich. Seit sein neurotoxisches Potenzial Anfang der Siebzigerjahre erkannt wurde, beschäftigten sich zunehmend Forschungsarbeiten mit der Toxikologie dieser Substanz und ihrer Rolle in der Pathogenese verschiedener Erkrankungen. Aus experimentellen Untersuchungen mit trächtigen Tieren ist inzwischen bekannt, dass sich Aluminiumwirkungen auf den Embryo nicht generell ausschliessen lassen. Da schwangere Frauen gehäuft aluminiumhaltige Antazida wegen Sodbrennen einnehmen, erscheint es angebracht, Ärzte wie auch die Frauen auf potenzielle Risiken insbesondere durch hohe Dosen hinzuweisen. Aluminium ist überall. Der Mensch kommt damit täglich auf vielfache Weise in Kontakt. Schätzungen zufolge nimmt der Organismus allein mit dem Trinkwasser sowie durch Nahrungsmittel und Lebensmittelzusatzstoffe pro Tag zwischen 2 und 100 mg Aluminium auf. Weitere Quellen sind Kochtöpfe, Bestecke, Getränkedosen und aluminiumhaltige Medikamente. Die frühere Annahme, dass der Organismus oral aufgenommenes Aluminium nicht zu resorbieren vermag, wurde inzwischen durch zahlreiche Studien eindeutig widerlegt. Das Ausmass der Resorption hängt dabei vom pH-Wert des Gastro- intestinaltraktes, von den Eigenschaften des entsprechenden Aluminiumsalzes und von der Einnahme gewisser Nahrungskomponenten ab: Die gleichzeitige Aufnahme von Zitrat oder Laktat (Fruchtsäfte, Wein, milchsäurehaltige Getränke) steigert die Aluminiumresorption erheblich – ein Effekt, der den Alzheimer-Forscher Konrad Bey- 26 GYNÄKOLOGIE 4/2004 FORUM Aluminium in Arzneimitteln – ohne Risiko? reuther zu einem Vergleich mit dem Trojanischen Pferd veranlasst hat. Aluminiumbelastung durch Medikamente Aluminium kommt in verschiedenen Medikamenten zum Einsatz; aluminiumhaltige Antazida (mit einem Marktanteil in der Schweiz von 60%) gelten als wichtigste Quelle für die Resorption von Aluminium, nicht zuletzt, weil die OTC-Präparate oft in grossen Mengen eingenommen werden. Wer «Mittel» gegen Sodbrennen braucht, kann unter Umständen (abhängig vom eingesetzten Präparat, von der Häufigkeit und Dauer der Beschwerden beziehungsweise der verwendeten Tagesdosis) zwischen 98 mg (Einzeldosis) und 2000 mg (Maximaldosis) Aluminium pro Tag zu sich nehmen. Die Werte differieren, weil sich der Aluminiumgehalt in den verschiedenen Präparaten sowohl in der Einmaldosis als auch in der jeweils vom Hersteller empfohlenen maximalen Tagesdosis unterscheidet. Belegte und mögliche Intoxikationen Unbestritten ist inzwischen, dass erhöhte Aluminiumspiegel bei Dialysepatienten charakteristische Krankheitsbilder auslösen (renale Osteomalazie, Dialyseenzephalopathie und hypochrome mikrozytäre Anämie). Aber auch bei Nierengesunden kommt es nach Einnahme aluminiumhaltiger Antazida zu nachweisbar erhöhten Aluminium-Plasmaspiegeln, selbst wenn diese Medikamente nur kurzzeitig eingenommen werden. Eine Langzeiteinnahme kann auch bei normaler Nierenfunktion zu verstärkter Anreicherung von Aluminium in Knochen- und Hirngewebe führen, was die umfangreiche Literatur zur Toxikologie von Aluminium belegt. In diesem Zusammenhang wurde lange Zeit die Rolle erhöhter Aluminiumspiegel im Hirngewebe als Auslöser der Alzheimer-Demenz diskutiert; eindeutige Beweise für diese Hypothese konnten bisher allerdings nicht erbracht werden. Gefahr für das Ungeborene? Wie zahlreiche experimentelle Untersuchungen der letzten Jahre belegen, kann Aluminium die Plazentaschranke überwinden und sich im fötalen Gewebe anreichern. Bei den Nachkommen trächtiger Tiere (Ratten und Mäuse), die mit aluminiumangereicherter Nahrung gefüttert worden waren, liessen sich neurotoxische Effekte sowie Skelettveränderungen induzieren, wobei die gleichzeitige Gabe von Zitronensäure die toxische Wirkung noch verstärkte. Diese Erkenntnisse legen die Empfehlung nahe, auf eine unkontrollierte Langzeiteinnahme aluminiumhaltiger Antazida in der Schwangerschaft besser zu verzichten, zumal der kritische Schwellenwert (die therapeutische Breite), der über Benefit oder Toxizität entscheidet, für Aluminium nach wie vor unbekannt ist. Demnach könnten auch scheinbar geringfügige Aluminiumbelastungen des Ungeborenen bereits zu unterschwelligen neurotoxischen Schädigungen führen, die nicht spontan als solche erkannt werden und deren eigentliche Ursache im Dunkeln bleibt. Fehlende Warnhinweise in Beipackzetteln Aufgrund dieser Überlegungen hat das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte durchgesetzt, dass die möglichen Nebenwirkungen (Alumi- niumbelastung des Fötus, Aufnahme von Aluminium mit der Muttermilch, Resorp- tionsförderung bei gleichzeitigem Ver- zehr zitrathaltiger Getränke) in den Beipackzetteln aller aluminiumhaltiger Antazida vermerkt sind. In anderen eu- ropäischen Ländern enthalten die glei- chen Präparate identischer Hersteller diese Informationen nicht. In der Schweiz wird lediglich darauf hinge- wiesen, dass die Anwendung dieser Medi- kamente in der Schwangerschaft nur er- folgen sollte, wenn der potenzielle Nutzen das fötale Risiko übersteigt. Auf Anfrage verweist die Swissmedic allerdings darauf, dass die Fach- und Patienteninformatio- nen der in der Schweiz zugelassenen Medikamente in den nächsten Jahren im Rahmen der Neuzulassung sukzessive überarbeitet würden. Dennoch: Solange dies noch nicht der Fall ist, scheint es rat- sam, werdende Mütter darauf hinzuwei- sen, dass die Einnahme aluminiumhaltiger Präparate zur Behandlung des in der Schwangerschaft häufig auftretenden Sodbrennens nur nach ärztlicher Rück- sprache erfolgen sollte. ◗ Dr. rer. nat. Claudia Reinke E-Mail: claudia.reinke@medsciences.ch Quelle: 1. Reinke, C.M., Breitkreutz, J., Leuenberger, H.; Aluminium in Over-the-Counter Drugs. Risks outweigh benefits? Drug Safety 2003; 26 (14): 1011–1025. 27 GYNÄKOLOGIE 4/2004