Transkript
SCHWERPUNKT
Die Sterilitätsabklärung
Empfohlenes Vorgehen in der Praxis
Dr. med. Jean-Claude Spira
Die Ziele der Sterilitätsabklärung bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch bestehen in der Praxis meist darin, eine absolute Sterilität auszuschliessen und solche Paare, bei denen eine normale Fertilität festgestellt wurde, bezüglich ihres Kinderwunsches zu beruhigen. Sofern ein Paar, wie dies oft der Fall ist, an einer Subfertilität leidet und eine aktive Therapie wünscht, sind die Chancen und
Risiken der Erhöhung der therapieinduzierten Konzeptionschancen im Verhältnis zur Spontankonzeptionschance zu thematisieren. Im Folgenden werden praxisrelevante neuere Untersuchungsdaten und ein Überblick über das erste Vorgehen bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch in der gynäkologischen Grundversorgerpraxis präsentiert.
Von Sterilität spricht man, wenn bei Paaren mit regelmässigem ungeschütztem Geschlechtsverkehr nach zwei Jahren die erwünschte Schwangerschaft ausbleibt. Eine Basisabklärung mit Spermiogramm und Nachweis der Ovulation sollte bereits nach einem Jahr Kinderlosigkeit angestrebt werden, sofern das Paar dies wünscht. Im Verlauf der Abklärung sind grundsätzlich drei Fragen zu beantworten: ◗ Wie hoch ist die Spontankonzeptions-
chance? ◗ Welche ist die Ursache der Kinder-
losigkeit? ◗ Welche Massnahmen sind zur Vorbe-
reitung einer Schwangerschaft einzuleiten?
Die Spontankonzeptionschancen
In der Praxis hat sich gezeigt, dass bei Kinderwunsch innerhalb eines Jahres gut 60 Prozent der Frauen schwanger werden, nach zwei Jahren sind es bereits 85 Prozent. Eines von sechs bis sieben Paaren leidet also nach zwei Jahren unter ungewollt ausbleibender Konzeption. Die meisten Paare leiden dabei nicht unter einer absoluten Sterilität (wie Aspermie oder beidseits verschlossenen Eileitern), sondern unter einer so genannten relativen Subfertilität. Dabei besteht, wegen einem oder mehreren Problemen bei einem oder beiden Partnern, eine verminderte monatliche Chance, dass die erwünschte Schwangerschaft eintritt.
Mit dem Paar mit festgestellter relativer Sterilität ist im Gespräch zu klären, ob eine Paarbeziehung ohne Kinder als Lebenskonzept gelebt wird beziehungsweise vorstellbar ist oder ob eine der vielen therapeutischen Möglichkeiten genutzt werden soll und nach ausführlicher Erläuterung auch in Anspruch genommen werden kann. In der Praxis hat es sich gezeigt, dass bei etwa der Hälfte der Paare mit Kinderwunsch mit Ratschlägen und wenig invasiven, fertilitätsfördernden Therapien geholfen werden kann. Die übrigen 50 Prozent müssten, falls dies vom Paar gewünscht wird, aufwändige Therapien wie Insemination und In-vitro-Fertilisation (IVF) in Anspruch nehmen, um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. Bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr besteht im ersten Monat die grösste Schwangerschaftsrate; bei jüngeren Paaren beträgt sie fast 30 Prozent. Die Chance vermindert sich bis Ende des ersten Jahres jeweils um zirka 5 Prozent pro Monat. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer spontan eintretenden Schwangerschaft indirekt proportional zur Dauer der Sterilität ist, sodass beispielsweise bei einer Sterilitätsdauer von über drei Jahren jeden Monat nur noch 2 bis 3 Prozent der Frauen schwanger werden. Falls in einer Paarbeziehung früher einmal eine Schwangerschaft auftrat, erhöht dies die Chance, erneut schwanger zu werden, um den Faktor 1,7.
Zudem ist zu beachten, dass mit zunehmendem Alter der Frau die Aussicht auf eine Schwangerschaft sinkt; beispielsweise ist die Konzeptionschance bei 35bis 39-jährigen Frauen halb so gross wie bei den 19- bis 26-Jährigen. Neuere Studien zeigen, dass die Konzeptionsrate auch mit zunehmendem Alter des Mannes abnimmt. Schliesslich ist nicht zu verkennen, dass eine manifeste Adipositas die Konzeptionschance mindert. Bei Frauen mit einem Body Mass Index (BMI) von 20 bis 29 werden die höchsten Konzeptionsraten beobachtet. Insbesondere bei Patientinnen mit dem Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCOS) wird die Chance der Empfängnis durch einen BMI über 29 deutlich vermindert. Ferner ist Rauchen ein grosser und nicht zu unterschätzender Risikofaktor für Sterilität: Ein Nikotinabusus von Mann und/oder Frau erhöht die Wahrscheinlichkeit der Kinderlosigkeit nach einem Jahr um den Faktor 3,4. Ein praktischer Tipp: Bei Geschlechtsverkehr ab dem sechsten Tag vor dem Eisprung beginnt die Chance einer Schwangerschaft zu steigen. Koitus genau zum Zeitpunkt des Eisprungs provoziert Stress und ist daher nicht zu empfehlen.
Ursachen der Kinderlosigkeit
Bei 35 Prozent der Paare liegen Probleme des Mannes der gemeinsamen Subfertilität zugrunde. In weiteren 25 Prozent
4
GYNÄKOLOGIE 4/2004
SCHWERPUNKT
Die Sterilitätsabklärung
sind Eireifungsstörungen bei der Frau Ursache der Kinderlosigkeit. Anatomische Veränderungen wie ein- oder beidseitiger Tubenverschluss und Uterusanomalien sind bei einem weiteren Viertel der Frauen für die Subfertilität verantwortlich. Bei 15 Prozent der Paare kann kein medizinisch erkennbarer Grund für die Sterilität identifiziert werden («Unexplained Sterility»).
Tabelle 1: Ursachen der Sterilität bei Paaren in Prozent
Männlicher Faktor Ovulatorische Dysfunktion Tuben-/Uteruspathologie «Unexplained Sterility»
35% 25% 25% 15%
Das Erstgespräch
Das Erstgespräch bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch findet prinzipiell mit beiden Partnern gemeinsam in der Sprechstunde statt und besteht zunächst in einer breiten Anamnese und Abschätzung des Leidensdrucks. Die Familienanamnese, die allgemeingesundheitliche Anamnese und die gynäkologische und andrologische Anamnese werden aufgenommen. Neben der Medikamenteneinnahme sollte explizit nach Nikotin-, Alkohol- und Drogenkonsum gefragt werden sowie nach eventuellen Noxenexpositionen am Arbeitsplatz. Für die Prognose der aktuellen Fertilitätsstörung sind dabei die folgenden Faktoren am wichtigsten: ◗ Dauer der Kinderlosigkeit in der der-
zeitigen Beziehung ◗ Frühere Schwangerschaften ◗ Alter der Frau. Die wichtigsten Fragen beim Mann beziehen sich auf: ◗ Mögliche Subfertilität anderer
Familienmitglieder ◗ Infektionen und Operationen an Ge-
nitalorganen. Zur Abschätzung möglicher Ursachen der ungewollten Kinderlosigkeit sind die
Tabelle 2: Normalwerte des Ejakulats nach WHO-Richtlinien
Volumen Spermienkonzentration Spermienzahl pro Ejakulat Motilität*
Morphologie Leukozyten
> 2 ml > 20 000 000 pro ml > 40 000 000 > 50% Grad a + b > 25% Grad a > 30% normale Formen < 1 000 000 pro ml *Motilitätseinteilung a. Progressiv schnell beweglich b. Progressiv langsam beweglich c. Beweglichkeit am Ort d. Unbeweglich wichtigsten Fragen bei der Frau: ◗ Zum Ausschluss einer Eireifungs- störung: – Regelmässigkeit des Menstruationszy- klus und Menstruationsintervalls (normal sind 25 bis 35 Tage) – Gewicht (Body Mass Index) ◗ Als Hinweis für eine anatomische Ursache gelten: – Zustand nach Eileiterinfektion sowie Eileiterschwangerschaft – Abdominale Operationen – Dysmenorrhö – Dyspareunie – Zwischenblutungen und Menstruationsblutungen länger als sieben Tage. Zu evaluieren ist ferner, wie gross der Leidensdruck des Paares aufgrund des lange Zeit unerfüllten Kinderwunsches tatsächlich ist. Die wesentlichen Fragen, die dem Paar gestellt werden, sind: ◗ Wie wird die Monatsblutung der Frau jeweils von beiden Partnern erlebt? ◗ Wirkt sich die Kinderlosigkeit auf das Sexualleben aus? ◗ Wie hoch ist die Koitusfrequenz? ◗ Wie reagieren Familie und Freunde auf die Kinderlosigkeit (und wie werden die Reaktionen vom Paar empfunden)? Erste Untersuchungen bei Mann und Frau Die Abklärung der Sterilitätsursache betrifft immer das ungewollt kinderlose Paar. Da zu einem hohen Prozentsatz die Sterilität durch den Mann mitverursacht ist, muss die Abklärung männlicher Faktoren früh in den diagnostischen Rahmen aufgenommen werden. Invasive Verfahren sollten grundsätzlich erst später zum Einsatz kommen (vgl. Tabelle 3). Abklärungen beim Mann Es ist sicher sinnvoll, in der Abklärung der Kinderlosigkeit eine Ejakulatanalyse anhand der Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation zu veranlassen. Nach zweibis siebentägiger sexueller Abstinenz sollte die durch Masturbation gewonnene Samenprobe spätestens zwei Stunden nach der Ejakulation im Andrologielabor untersucht werden. Wichtig für die korrekte Untersuchung des Spermas ist dabei, dass der Transport «körperwarm» erfolgt (Hosentasche). Hierbei gelten als Normalwerte die Angaben in Tabelle 2. Wegen der periodischen Schwankungen der Samenqualität muss bei abnormalem Spermiogramm eine zweite Ejakulatuntersuchung veranlasst werden. Idealerweise wird dieser Test drei Monate nach der ersten Untersuchung durchgeführt. Bei Aspermie und schwerer Oligozoospermie ist dagegen die detaillierte Untersuchung baldmöglichst vorzunehmen. Abklärungen bei der Frau Erste Abklärungen der Sterilität beziehen sich auf den Nachweis der Ovulation sowie den Ausschluss anatomischer Veränderungen. 5 GYNÄKOLOGIE 4/2004 SCHWERPUNKT Die Sterilitätsabklärung Zum Nachweis der Ovulation: Die Messung der Basaltemperatur weist den Eisprung nicht sicher nach und kann heute nicht mehr empfohlen werden. Bei einem regelmässigen Zyklus kann die Eireifung mittels einer vaginalen Ultraschalluntersuchung am 11. bis 12. Zyklustag dokumentiert werden. Der Eisprung kann mittels Progesteronbestimmung zirka am 21. Zyklustag im Serum gesichert werden. Bei unregelmässigen Zyklen auch ohne Gallaktorrhö wird auch das Prolaktin bestimmt. Abklärung anatomischer Anomalien: Grobe anatomische Anomalien des Uterus und des kleinen Beckens können mit einer vaginalen Ultraschalluntersuchung zu Anfang des Zyklus sowie in der Mitte des Zyklus ausgeschlossen werden. Ist die Ovulation nachgewiesen, kann Tabelle 3: Erste Abklärungsschritte der Sterilitätsursache bei Mann und Frau 1. Ausführliche Anamnese beider Partner 2. Erste Untersuchungen q Mann: Spermiogramm q Frau: q bei regelmässigen Zyklen: Nachweis des Eisprungs mittels vaginalem Ultraschall und Progesteronbestimmung im Serum q bei unregelmässigen Zyklen: Abklärung mittels vaginalem Ultraschall und Bestimmungen von LH, FSH, E2, f-Test, DHEAS, Prolaktin q Untersuchung auf anatomische Anomalien mittels Vaginalsonografie und evtl. Hysterosalpingografie Bei verlängerten respektive verkürzten Zyklen sollte die Blutentnahme zum Nachweis des Eisprungs zirka sieben Tage vor der zur erwartenden Monatsblutung erfolgen. Sind Zyklusunregelmässigkeiten auffällig, ist es sinnvoll, neben der vaginalen Ultraschalluntersuchung eine grössere Hormonuntersuchung zu veranlassen: Zu Anfang eines (unbehandelten) Zyklus findet dabei die Blutentnahme zwischen dem 2. und 6. Zyklustag statt, und zwar frühmorgens im nüchternen Zustand. Neben dem groben Ausschluss einer Schildrüsendysfunktion durch Messung des TSH wird die Gonadenachse beurteilt, indem das Östradiol, das follikelstimulierende Hormon, das lutenisierende Hormon und das freie Testosteron bestimmt werden. Zum groben Ausschluss einer Nebennierenrindenüberfunktion, welche die Eireifung negativ beeinflusst, wird das DHEAS bestimmt. ferner die Eileiterdurchgängigkeit untersucht werden. Dies erfolgt durch Überweisung zur Hysterosalpingografie. Vor dieser Untersuchung muss eine zervikale Chlamydieninfektion mit angemessen sensitiven Tests ausgeschlossen werden. Vorbereitung einer Schwangerschaft Bei Frauen, die eine Schwangerschaft wünschen und sich in der Sterilitätsabklärung befinden, sind folgende Präventivmassnahmen zu empfehlen: Präkonzeptionell ist darauf zu achten, dass sie 0,4 mg/Tag Folsäure einnehmen zur Risikoverminderung eines kindlichen Neuralrohrdefektes. Ferner sollte eine zytologische Untersuchung des Gebärmutterhalses nicht länger als ein Jahr zurückliegen, gegebenenfalls ist sie erneut vorzunehmen. Schliesslich wird empfohlen, eine Rubella-Serologie zu veranlassen, um bei fehlender Immunität eine Impfung vorzunehmen. Daneben werden die allgemeinen Empfehlungen bei Schwangerschaft mit der Frau beziehungsweise dem Paar besprochen. Überweisung an ein Kinderwunschzentrum In der Praxis stellt sich bei nachgewiese- ner Subfertilität des Paares schnell die Frage, ob und wann das Paar an ein spe- zialisiertes Zentrum zur weiteren Be- handlung überwiesen werden sollte. Grundsätzlich gilt: Das Ziel der Sterilitäts- abklärung in der gynäkologischen Praxis besteht darin, eine absolute Sterilität auszuschliessen und das Paar bei Nor- malbefunden zu beruhigen. Falls das Paar unter Subfertilität sehr leidet, müs- sen die Chancen und Risiken der Er- höhung der Konzeptionschancen unter der Therapie besprochen und im Verhält- nis zur Spontankonzeptionschance erör- tert werden. Eine Überweisung an ein spezialisiertes Team ist insbesondere in folgenden Fäl- len nachgewiesener Subfertilität sinn- voll: ◗ Alter der Frau über 38 Jahre ◗ Aktiver Kinderwunsch beider Partner seit über drei Jahren ◗ Therapieresistente Oligoamenorrhö ◗ Hinweise für anatomische Hindernisse bei der Frau ◗ Zwei Spermiogramme mit hochgradig hypofertilem Resultat. ◗ Dr. med. Jean-Claude Spira Gynäkologie und Geburtshilfe FMH Spez. Reproduktionsmedizin und gynäko- logische Endokrinologie Kinderwunschzentrum Basel Schifflände 3 4051 Basel E-Mail: info@kinderwunschzentrum.ch Internet: www.kinderwunschzentrum.ch Literatur beim Verfasser 6 GYNÄKOLOGIE 4/2004