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STUDIE REFERIERT
Ballaststoffe senken Darmkrebsrisiko
Aus einem Review mit Metaanalyse geht hervor, dass der Verzehr von Ballaststoffen und vor allem von Getreidefasern oder Vollkornprodukten das Darmkrebsrisiko senken kann. Bei Frucht- und Gemüsefasern wurde kein signifikanter Zusammenhang mit dem Darmkrebsrisiko festgestellt.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Darmkrebs ist weltweit die dritthäufigste Krebserkrankung. Im Jahr 2008 wurden 1,2 Millionen Fälle neu diagnostiziert. Das Kolorektalkarzinom ist für etwa 9,7 Prozent aller Krebsfälle verantwortlich. Die Evidenz aus zahlreichen Studien weist darauf hin, dass umweltbedingte Risikofaktoren zu den Hauptursachen des Kolorektalkarzinoms gehören. Auch ernährungsbedingte Faktoren gelten als bedeutsam, bis anhin werden jedoch lediglich der Verzehr von rotem oder verarbeitetem Fleisch und der Alkoholkonsum als ernährungsbedingte Risikofaktoren anerkannt. Bereits in den Siebzigerjahren wurde die Hypothese aufgestellt, dass Ballaststoffe das Risiko für Dickdarmkrebs senken. Die Hypothese basierte auf der Beobachtung niedriger Darmkrebsraten bei ländlich lebenden Afrikanern,
Merksätze
❖ Zwischen den Verzehrmengen an Ballaststoffen und dem Darmkrebsrisiko besteht eine lineare inverse Verbindung.
❖ Das Darmkrebsrisiko wird vor allem durch den Konsum von Getreidefasern und Vollkornprodukten gesenkt.
deren Ernährung einen hohen Ballaststoffanteil aufwies. Obwohl die Assoziation zwischen der Aufnahme von Ballaststoffen und dem Darmkrebsrisiko seitdem in vielen epidemiologischen Studien untersucht wurde, konnten bisher keine konsistenten Ergebnisse erzielt werden. Zudem ist bis anhin nicht geklärt, welche speziellen Faserarten oder Faserquellen mit dem Darmkrebsrisiko assoziiert sind. Die Hypothese erregte neues Interesse, seit in der Studie European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC) eine lineare Verringerung des Darmkrebsrisikos mit einer zunehmenden Verzehrmenge an Ballaststoffen beobachtet wurde. In einer neueren gepoolten Analyse von 13 nordamerikanischen und europäischen Studien (ohne EPIC) zeigte sich ein um 18 Prozent erhöhtes Darmkrebsrisiko beim Verzehr von weniger als 10 g Ballaststoffen täglich im Vergleich zur Aufnahme von mehr als 10 g pro Tag. Ganze Getreidekörner gehören zu den wichtigsten Ballaststoffquellen. Sie enthalten den Keim, das Endosperm und die Kleie, während in verarbeiteten Körnern nur noch das Endosperm vorhanden ist. Im Keim und in der Kleie befinden sich zahlreiche Nährstoffe, die beim Verarbeitungsprozess verloren gehen. Ausserdem sind ganze Körner eine wichtige Quelle für Vitamine, Mineralien und Phytochemikalien mit antikanzerogenen Eigenschaften, die möglicherweise das Risiko für ein Kolorektalkarzinom über verschiedene Mechanismen positiv beeinflussen. Um den Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Ballaststoffen und Vollkornprodukten und dem Darmkrebsrisiko abzuklären, führten britische Wissenschaftler kürzlich einen systematischen Review mit Metaanalyse durch.
Studiendurchführung In die Metaanalyse wurden prospektive Observationsstudien aus PubMed und anderen relevanten Datenbanken
aus dem Zeitraum bis Dezember 2010 eingeschlossen. Bei der Datenauswertung verglichen die Wissenschaftler zunächst das zusammengefasste relative Darmkrebsrisiko beim Verzehr der niedrigsten und der höchsten Menge an Ballaststoffen, Fruchtfasern, Gemüsefasern, Leguminosenfasern, Getreidefasern und Vollkornprodukten. Anschliessend ermittelten sie in einer Dosis-Wirkungs-Analyse das zusammengefasste relative Darmkrebsrisiko für eine Aufnahme von 10 g/Tag der jeweiligen Faserquelle. Mithilfe von Metaregressionen und Sensitivitätsanalysen evaluierten sie potenzielle Ursachen von Heterogenitäten zwischen Analysen und Subgruppen.
Ergebnisse der Metaanalyse In die Metaanalyse wurden 25 prospektive Kohortenstudien und eingebettete Fall-Kontroll-Studien zum Konsum von Ballaststoffen oder Vollkornprodukten und der Darmkrebsinzidenz mit insgesamt mehr als 1,8 Millionen Teilnehmern eingeschlossen. 21 Studien wurden zur Analyse des Darmkrebsrisikos beim Verzehr der höchsten im Vergleich zur niedrigsten Menge an Ballaststoffen und 18 für die Dosis-Wirkungs-Analyse herangezogen. 12 Studien stammten aus den USA, 5 aus Europa und 4 aus Asien. Die Verzehrmengen in den Studien variierten bei Ballaststoffen insgesamt von 6,3 bis 21,4 g/Tag, bei Fruchtfasern von 1,8 bis 15,5 g/Tag, bei Gemüsefasern von 1,9 bis 16,8 g/Tag, bei Getreidefasern von 3,0 bis 16,9 g/Tag und bei Leguminosenfasern von 1,3 bis 3,8 g/Tag. In der Dosis-Wirkungs-Analyse betrug das zusammengefasste relative Darmkrebsrisiko bei einer Aufnahme von jeweils 10 g täglich: ❖ Ballaststoffe: 0,90 (16 Studien, keine
signifikante Heterogenität) ❖ Fruchtfasern: 0,93 (9 Studien, ge-
ringe Heterogenität) ❖ Gemüsefasern: 0,98 (9 Studien, keine
Heterogenität) ❖ Leguminosenfasern: 0,62 (4 Studien,
mittlere bis hohe Heterogenität) ❖ Getreidefasern: 0,90 (8 Studien, keine
Heterogenität).
In die Dosis-Wirkungs-Analyse zum Vollkornkonsum wurden 4 Kohortenstudien eingeschlossen. Zu den verzehrten Vollkornprodukten gehörten
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Fleisch. Als weitere potenzielle Limitierung werten die Autoren, dass in den meisten Studien die Verzehrmengen mit Fragebögen ermittelt wurden und somit Fehler bezüglich der tatsächlich aufgenommenen Mengen manche Zusammenhänge zwischen der Nahrungsaufnahme und chronischen Erkrankungen verschleiern könnten.
Abbildung: Der Verzehr von Vollkornprodukten kann das Darmkrebsrisiko senken.
Roggen- und andere Vollkornbrote, Haferflocken, Vollkornzerealien, Zerealien mit hohem Faseranteil, Naturreis und Porridge. Hier betrug das relative zusammengefasste Risiko 0,83 bei drei Mahlzeiten mit insgesamt 90 g Vollkorn/Tag. Insgesamt zeigte sich, dass der Verzehr grösserer Ballaststoffmengen, vor allem von Getreidefasern und Vollkornprodukten, mit einem verringerten Darmkrebsrisiko verbunden war. Bei der Dosis-Wirkungs-Analyse wurde eine inverse lineare Verbindung zwischen der Ballaststoffaufnahme und dem Darmkrebsrisiko beobachtet.
Ergebnisse der Subgruppenanalysen Auch in den meisten Subgruppenanalysen (Geschlecht, Adjustierungen für Störfaktoren, Anzahl der Fälle, Studiendauer, geografische Lokalisation und Verzehrmengen) war die GesamtBallaststoffaufnahme invers mit dem Risiko für ein Kolorektalkarzinom assoziiert. Ähnliche Ergebnisse wurden bei Getreidefasern und Vollkornprodukten beobachtet. Der Verzehr von Fruchtfasern war in den meisten Subgruppenanalysen dagegen nicht signifikant mit dem Darmkrebsrisiko assoziiert. Bei der Stratifizierung nach den Verzehrmengen wurde bei Fruchtfasern ab 10 g/Tag oder mehr in manchen Untersuchungen eine inverse Assoziation beobachtet, jedoch nicht in Studien mit einer Verzehrmenge von 10 g/Tag oder weniger. Die Aufnahme von Gemüsefasern war in den Subgruppenanalysen konsistent nicht mit dem Darmkrebsrisiko assoziiert. Zu Legu-
minosenfasern waren nicht genügend Studien für die Durchführung von Subgruppenanalysen vorhanden.
Diskussion Die Metaanalyse ergab konsistent mit einer älteren Metaanalyse eine inverse Assoziation zwischen der Aufnahme von Ballaststoffen, Getreidefasern oder Vollkornprodukten und der Entwicklung von Darmkrebs. Übereinstimmend mit einer anderen gepoolten Analyse konnte kein Zusammenhang von Darmkrebs mit der Aufnahme von Fruchtund Gemüsefasern festgestellt werden. In einer älteren Metaanalyse prospektiver Studien hatten die Autoren jedoch eine Reduzierung des Darmkrebsrisikos beim Verzehr grosser Mengen an Obst und Gemüse beobachtet, was ihrer Meinung nach auf andere nicht faserartige Substanzen hinweist, mit denen eine schützende Wirkung erklärt werden könnte. Zudem sind nach Ansicht der Autoren die in der aktuellen Metaanalyse untersuchten Verzehrmengen möglicherweise zu gering, um eine inverse Verbindung festzustellen. Als Schwäche ihrer Studie betrachten die Autoren, dass andere Faktoren der Ernährung oder des Lebensstils nicht untersucht wurden. Grössere Verzehrmengen von Ballaststoffen und Vollkorn sind häufig auch mit anderen gesundheitsfördernden Verhaltensweisen verbunden wie einer höheren Zufuhr an Folsäure, mehr körperlicher Bewegung, einer niedrigeren Prävalenz von Rauchen, Übergewicht und Adipositas oder einer geringeren Aufnahme von Alkohol und rotem oder verarbeitetem
Protektive Mechanismen Ein protektiver Effekt von Ballaststoffen und Vollkornprodukten auf das Darmkrebsrisiko ist biologisch plausibel. Vollkornprodukte sind bedeutende Ballaststoffquellen und können das Darmkrebsrisiko durch eine Erhöhung der Stuhlmenge sowie durch die Verdünnung fäkaler Karzinogene und die Verkürzung der Transitzeit vermindern, da so der Kontakt zwischen Karzinogenen und der Auskleidung des Kolorektums verringert wird. Zudem entstehen bei der bakteriellen Fermentation der Fasern kurzkettige Fettsäuren, die eine schützende Wirkung gegen Darmkrebs ausüben könnten. Andere Bestandteile ganzer Körner wie Antioxidanzien, Vitamine, Spurenmineralien, Phytate, Phenolsäuren, Lignane und Phytoöstrogene könnten ebenfalls vor Darmkrebs schützen. In ganzen Körnern findet man zudem einen hohen Gehalt an Folsäure und Magnesium, die ebenfalls mit einem reduzierten Darmkrebsrisiko assoziiert sind. Ein Verzehr grösserer Mengen von Ballaststoffen und Vollkornprodukten schützt auch vor Gewichtszunahme und Diabetes Typ 2, sodass ein Teil der positiven Wirkung in Verbindung mit dem Verzehr von Ballaststoffen auch mit einer verbesserten Gewichtskontrolle und einer reduzierten Insulinresistenz zusammenhängen könnte. Allerdings blieben die Ergebnisse auch in Studien bestehen, in denen für Folsäure und Body-Mass-Index adjustiert wurde, was wiederum auf eine unabhängige Verbindung zwischen Ballaststoffen und Darmkrebsrisiko hinweist.
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Petra Stölting
Aune Dagfinn, Chan Doris SM, Lau Rosa et al.: Dietary fibre, whole grains, and risk of colorectal cancer: systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies, BMJ 2011; 343:d6617. doi:10.1136/ bmj. d6617.
Interessenkonflikte: keine deklariert
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