Transkript
Editorial
Je nach Nachrichtenlage berichten die Massenmedien nach Katastrophen mehr oder weniger ausführlich über deren Umstände. Über Gefühle der Betroffenen zu schreiben oder zu sprechen, ist schwierig. Es ist viel einfacher, den Schrecken in zum Teil voyeuristischen Bildern festzuhalten, die das Elend dokumentieren und den Betrachter sprach-, ja fassungslos machen. Im Fernsehen werden Berichterstattungen über Katastrophen meist mit dramaturgischer Höchstleistung abgeschlossen, wenn die Moderatorin der Nachrichtensendung ins Stocken gerät, bedeutungsvoll seufzt, die Stirn runzelt und mit bedächtiger Stimme verkündet: « ... aber was bleibt, sind die seeli-
Umso mehr freute es mich, als die «Süddeutsche» titelte: «Wenn der Schrecken grossgeredet wird». Erste Anzeichen von Einsicht? Leider wurde ich enttäuscht! Im folgenden Bericht wurde die kritische wissenschaftliche Debatte zum psychologischen Debriefing aufgegriffen, dieses aber fahrlässig undifferenziert der Notfallpsychologie gleichgesetzt. Ähnliche Artikel folgten wenig später in anderen Zeitungen. Angst und Schrecken kann man auch grossschreiben! Ganz einfach, indem das Vertrauen in ein Fach demontiert wird, das dank seines heutigen psychosozialen Ansatzes unbestreitbar die Salutogenese bei Opfern fördert. Hierzu besteht ein dringendes Informations-
Über Presse- und Narrenfreiheit
Der Schrecken verkauft sich gut, nicht das Fachwissen
schen Schäden». Es ist der Schrecken, der sich gut verkaufen lässt und hohe Zuschauer- oder Leserquoten garantiert, und nicht das trockene Fachwissen. Darüber kann ich eine Geschichte erzählen. Nach der Tsunamikatastrophe wurde ich von einer Schweizer Zeitung zu den psychischen Auswirkungen auf die betroffenen Kinder interviewt und notfallmässig am Silvestertag zu einem Fototermin aufgeboten, damit das Interview in der Neujahrsausgabe gedruckt werden konnte. Die Zeitung erschien mit schwarzer Titelseite, übersät mit unzähligen weissen Kreuzen und randvoll mit erschütternden Berichten. Mein Interview suchte ich jedoch vergeblich. Gemäss der Redaktion war es «zu positiv» – passte nicht in die Ausgabe. Hohe Selbstheilungstendenz und positiver Einfluss entwicklungspsychologischer Faktoren scheinen publizistisch uninteressant zu sein! Genauso wie Überlegungen zu ethnokulturellen Unterschieden und eine kritische Haltung zu Interventionen durch westliche Spezialisten in der Fremde. Letzteres passt schon gar nicht zur modernen Berichterstattung. Achten Sie einmal auf die stereotype Meldung «Die Opfer mussten von Psychologen betreut werden!» – Wussten Sie, dass der Gebrauch von Wörtern wie «Trauma» oder «Stress» in britischen Zeitungen im vergangenen Jahrzehnt um das Zehn- bis Zwanzigfache zunahm?
bedürfnis der Öffentlichkeit. Es ist eine Kernaufgabe der freien Presse, dieses Bedürfnis abzudecken. Dazu würde aber auch ein gesundes Mass an Selbstkritik gehören. Denn selbst Berichte der Massenmedien können traumatisieren! Hierzu gibt es gute Studien. Wieso habe ich aber noch nie über diese Tatsache in der Laienpresse gelesen? Wird Presse- gar etwa mit Narrenfreiheit verwechselt?
Dr. med. Stefan Vetter Ärztlicher Leiter
Fachzentrum für Katastrophen- und Wehrpsychiatrie Birchstrasse 3 8057 Zürich
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Psychiatrie & Neurologie 1•2008