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Impfnebenwirkungen – was gilt es zu beachten?
Alle Impfstoffe können Nebenwir- Von Dr. med. Jan Bonhoeffer1, Prof. Dr. med. Ulrich Heininger1 kungen verursachen. Impfungen sind kontrollierte «Infektionen», und damit sind grundsätzlich auch unerwünschte Wirkungen zu erwarten. Zum Glück sind die meisten unerwünschten Wirkungen transient und harmlos, und die meisten ernsteren Verdachtsfälle stellen sich als Pseudonebenwirkungen heraus. Dennoch: Die Furcht vor möglichen Impfnebenwirkungen und die irrationale Opposition gegen Impfungen nehmen zu.
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Risikowahrnehmung abhängig vom Erfolg des Impfprogramms
Grundsätzlich ist die Toleranz von Impfnebenwirkungen wesentlich niedriger als diejenige von Medikamenten, denn dem Risiko einer Nebenwirkung steht im einen Fall ein gesundes Individuum mit möglicher zukünftiger Erkrankung und im anderen Fall ein gegenwärtig kranker Patient gegenüber. Auch führen erfolgreiche Impfprogramme zum deutlichen Rückgang der Krankheiten, gegen die sich die jeweiligen Impfungen richten. Nach einigen Jahrzehnten haben nur noch wenige die impfpräventable Er-
krankung oder deren Komplikationen gesehen. Die subjektive Risikowahrnehmung verlagert sich dann angesichts der augenscheinlich inexistenten Erkrankung auf die Sicherheit der verabreichten
Quellen zuverlässiger Informationen zur Impfstoffsicherheit
Qualitativ hochstehende Informationen in einer Zeit zu erhalten, in der Meinungen vorherrschen, kann eine echte Herausforderung sein. Empfohlene Quellen, die das Ziel haben, wissenschaftlich bestausgewiesene Informationen zur Verfügung zu stellen, sind in Tabelle 3 aufgeführt.
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Tabelle 1:
Unerwünschte Ereignisse, bei denen die Hypothese eines kausalen Zusammenhangs mit Impfungen nicht nachgewiesen ist
Studien derselben Gruppe) ist mangelhaft (typischerweise inadäquate oder fehlende Kontrollgruppen).
Unerwünschtes Ereignis Atopie Autismus Morbus Crohn chronische Arthritis
Verdächtigte Impfung(en) mehrere Masern-Mumps-Röteln Masern-Mumps-Röteln Röteln
Die Ergebnisse der Studie werden der Öffentlichkeit unkritisch und zu früh mitgeteilt.
Die mögliche Assoziation
Diabetes mellitus Typ 1
Haemophilus influenzae
der Erkrankung mit einer
Typ B, Hepatitis B
Impfung findet Resonanz
Invagination Enzephalopathie
Ethyl-Quecksilber-Toxizität (Thiomersal) Guillain-Barré-Syndrom Makrophagen-Myofasziitis multiple Sklerose Squalentoxizität plötzlicher unerwarteter Todesfall
Rotavirus Pertussis, Masern und andere mehrere
Influenza, Meningokokken Aluminum als Adjuvans Hepatitis B Influenza, Anthrax mehrere
bei Patienten, die an dieser Erkrankung leiden und verständlicherweise ein Bedürfnis nach einem Erklärungsmodell für ihre Krankheit haben.
Der mögliche Schaden derjenigen, die durch den Impfstoff geschützt werden
könnten, wird unter-
schätzt.
Impfstoffe. Wenn nun ein Verdacht auf Die Resultate der «Indexstudie» sind
eine ernste Nebenwirkung öffentlich ge- von anderen wissenschaftlichen Grup-
äussert wird, führt dies zum Vertrauens- pen nicht reproduzierbar.
verlust in den betroffenen Impfstoff, zum Der Wiederaufbau des Vertrauens in
Rückgang der Durchimpfungsrate und der Bevölkerung ist ein langwieriger
damit zur erneuten Zunahme der Er- Prozess, der sich oft über viele Jahre
krankungshäufigkeit oder sogar zu einem erstreckt, insofern nicht ein Ausbruch
Ausbruch. Die derzeitige Masernepide- der impfpräventablen Erkrankung und/
mie in der Schweiz ist das Ergebnis sol- oder deren schwerwiegende Folgen
cher Risikoeinschätzungen.
dazu führen, dass deren Existenz wie-
Der Erfolg eines Impfprogramms hängt der in das Bewusstsein der Bevölke-
also wesentlich vom Vertrauen der Be- rung gelangt.
völkerung in die Impfungen ab. Das Ver-
trauen hängt eng mit der Risikowahrneh- Meldungen helfen, mögliche Neben-
mung zusammen, die wiederum abhängig wirkungen frühzeitig zu erkennen
ist von der Qualität der verfügbaren In- Die Basis zuverlässiger wissenschaft-
formationen. Da Verdachtsfälle zur Ver- licher Daten ist die Meldung der Ver-
änderung von Impfempfehlungen oder dachtsfälle von Impfstoffnebenwirkun-
sogar zum Rückzug des Impfstoffs vom gen. Gemeldete Ereignisse müssen
Markt führen können, müssen Informa- zeitlich innerhalb von einer bis acht Wo-
tionen zur Sicherheit von Impfstoffen chen nach einer Impfung stattgefunden
wissenschaftlich bestens ausgewiesen haben und sind in der Regel der Haupt-
sein. Das ist jedoch oft nicht der Fall. Be- anlass für einen Arztbesuch, wobei ein-
denken an der Sicherheit von Impfstof- deutige andere Ursachen nicht eruiert
fen folgen einem wiederkehrenden Mu- werden können. Hier wird es sich also
ster: vor allem um ausgeprägte Lokalreaktio-
Die vermutete Nebenwirkung ist meist nen, hohes Fieber, allergische Erschei-
eine häufige Erscheinung, deren Prä- nungen, systemische immunologische
valenz zunimmt oder deren Ursache Erkrankungen und deutlich abnorme La-
unbekannt ist.
borbefunde handeln. Schwerwiegende
Die vermeintliche Nebenwirkung wird oder bis anhin nicht bekannte Ereignisse
in einer ersten Arbeit beschrieben nach einer Impfung und vermutete Pro-
(häufig Einzelfälle oder Fallserien), die duktemängel sind meldepflichtig.
Methodik dieser Studie (und weiterer Schwerwiegend sind Ereignisse, die zu
Spitaleinweisungen führen, bleibende Schäden verursachen, lebensbedrohlich sind oder zum Tod führen. Die beiden letztgenannten Fälle sind unverzüglich zu melden. Meldeformulare sind unter www.swissmedic.ch erhältlich. Eingehende Meldungen werden in einer Datenbank gesammelt. Neben Routineanalysen führt eine Häufung von Ereignissen, die als Signal erfasst wird, meist umgehend zu einer ausgedehnten und detaillierten Untersuchung der Meldungen. Je schwerer dabei die Art der Ereignisse ist, umso kleiner ist die Anzahl von Meldungen, die zu einem Signal führt. Wenn das Signal bestätigt wird, führt dies zu weiteren Studien (z.B. Fallkontrollstudien, selbstkontrollierte Fallserien oder Kohortenstudien), die versuchen, die durch das Meldesystem generierte Hypothese zu überprüfen. Zusätzlich zu diesen epidemiologischen Studien erfolgen gegebenenfalls auch Untersuchungen, die einen möglichen Pathomechanismus zu zeigen versuchen. Wenn die Hypothese als hinreichend gesichert gilt, kommt es zu entsprechenden Empfehlungen. Der rasche Rückzug des in der Schweiz kurzzeitig zur Verfügung stehenden intranasalen Influenzaimpfstoffs ist ein gutes Beispiel dafür, dass das System zur Erkennung und Evaluation möglicher Impfnebenwirkungen gut etabliert und effektiv ist (1).
Eine Nebenwirkung ist mehr als ein unerwünschtes Ereignis nach einer Impfung Das Fehlen eines klaren Verständnisses davon, was eine Impfstoffnebenwirkung ist, ist häufig der Ursprung weitverbreiteter Fehlwahrnehmungen. Unerwünschte Ereignisse nach Impfungen stehen definitionsgemäss in zeitlichem Zusammenhang mit der Verabreichung eines Impfstoffs, sind aber nicht notwendigerweise auf die Impfung zurückzuführen. Obwohl ein zeitlicher Zusammenhang eine notwendige Bedingung ist, so ist er doch unzureichend, um einen kausalen Zusammenhang zu etablieren. Auch ein zeitlich und biologisch plausibler Zusammenhang ist nicht hinreichend, um einen kausalen Zusammenhang zu beweisen. Ganz im Gegenteil, eine unterstellte biologische Plausibilität war
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in der Vergangenheit oft irreführend und hat auf diese Art und Weise zu einer komplexeren Variante des Post-hocergo-propter-hoc-Trugschlusses geführt. Der Begriff Nebenwirkung sollte nur dann verwendet werden, wenn tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen dem unerwünschten Ereignis und einer Impfung etabliert worden ist. Dies sollte anhand der für Impfstoffe relevanten allgemeinen Kriterien der Kausalität erfolgen: Stärke der Assoziation, Folgerichtigkeit durch Reproduzierbarkeit, Spezifität der Beobachtung, zeitliches Auftreten nach der Exposition sowie die biologische Plausibilität des Mechanismus (2, 3).
Unerwünschte Ereignisse nach Impfungen
Tabelle 1 gibt einen Überblick über unerwünschte Ereignisse, bei denen die Hypothese eines kausalen Zusammenhangs aufgrund heute verfügbarer wissenschaftlicher Evidenz nicht haltbar ist, und deren breite Publikation mehr Schaden angerichtet hat, als sie zu vermeiden versuchte. Tabelle 2 zeigt eine Reihe von unerwünschten Ereignissen, für die es hinreichende wissenschaftliche Evidenz gibt, um einen kausalen Zusammenhang mit Impfungen anzunehmen. Im Folgenden sollen häufige weitverbreitete Bedenken bezüglich echter und Pseudonebenwirkungen näher beleuchtet werden.
Atopie Die inzwischen bald 20 Jahre alte Hygienehypothese postuliert, dass natürliche Infektionen vor Atopie schützen, da es unter mikrobiellem Druck zu einer präferenziellen TH1-Antwort mit verminderter TH2Antwort komme. Behauptet wird auch, dass Impfungen den mikrobiellen Druck vermindern und dadurch eine Verlagerung der Immunantwort in Richtung TH2Antwort begünstigen, die theoretisch die Entwicklung von Allergien begünstigt. Dies scheint jedoch aus den folgenden Gründen nicht der Fall zu sein.
Die Änderung der Prävalenz von atopischen Erkrankungen ist unabhängig von Impfplanänderungen. Impfungen verhindern bis heute die meisten Infektionen in der Kindheit
Tabelle 2:
Unerwünschte Ereignisse, bei denen es Hinweise für einen kausalen Zusammenhang mit Impfungen gibt
Unerwünschtes Ereignis Anaphylaxie extensive Extremitätenschwellung
Invagination
Meningitis
okulo-respiratorisches Syndrom Muskellähmung
Verdächtigte Impfung Masern-Mumps-Röteln (Gelatine, Neomycin) Pertussis, azellulär (Auffrischung)
Rotavirus (rekomb. Rhesusstamm, zurückgezogen) Mumps (Urabe, Leningrad-Zagreb)
Influenza
orale Polioimpfung
Thrombozytopenie
Masern-Mumps-Röteln
Pathogenese Coombs Typ 1
unbekannt (Sens. von LangerhansZellen?) unbekannt
unbekannt (ungenügende Attenuierung?) unbekannt (Virionenaggregate?) Reversion von attenuiertem zu virulentem Stamm unbekannt (kreuzreaktive Antikörper?)
mit Influenza-, Rhino-, Rota-, Adenoviren nicht. Impfungen haben keinen Einfluss auf die gastrointestinale Kolonisation, die der treibende Faktor des Immunsystems im Säuglingsalter ist. Es besteht kein Unterschied in der IgEAntwort von Säuglingen, die mit stark Th2-stimulierenden Antigenen immunisiert wurden und denen, die mit schwachen Th2-Stimulatoren geimpft wurden. Atopiker und Nichtatopiker zeigen vor und nach der Impfung eine präferenzielle TH2-Stimulation. IgE-Antworten nach Impfung scheinen nicht zur vermehrten Bildung von IgE gegen häufige Umweltallergene zu führen. Eine finnische Studie hat bei über einer halben Million Kindern im finnischen MMR-Impfprogramm die Anamnese für Infekte der oberen Atemwege und Atopie erhoben. Dabei hat sich herausgestellt, dass ein linearer Zusammenhang zwischen der Prävalenz von Infekten der oberen Luftwege und Ekzemen besteht. Es wäre interessant, diese Koinzidenz in randomisierten Studien zu prüfen. Denn dies würde bedeuten, dass Kinder mit Atopie einen besonderen Impfungsbenefit hätten (4).
Enzephalopathie Die Entwicklung einer Enzephalopathie wurde immer wieder in Verbindung mit
Impfstoffen gebracht, insbesondere als Folge der Ganzzell-Pertussis- und der Masernvakzine. Eine neuere Fallkontrollstudie an 452 Fällen, von denen 57 geimpft waren, ist nun ein weiterer Bestandteil gegen die Evidenz eines kausalen Zusammenhangs. Die Odds Ratios für verschiedene Zeitfenster nach der Impfung waren stets kleiner als 1,2 mit weiten Konfidenzintervallen, die 1 einschlossen und P-Werte über 0,05 (5) ergaben. Der Hintergrund einer anderen neueren Studie ist die zunehmende Erkenntnis, dass die schwere myoklone Epilepsie ein infantiles Epilepsiesyndrom darstellt. Eine Assoziation mit Mutationen im SCN1A-Gen, das für eine Untereinheit eines neuronalen Natriumkanals kodiert, konnte in 11 von 14 Patienten mit Enzephalopathie nach einer Impfung gezeigt werden. Dies suggeriert eine genetisch determinierte epileptische Enzephalopathie, deren erste Manifestation entweder mit der vorangegangenen Impfung koinzidiert oder dadurch ausgelöst (getriggert) wurde (6).
Extensive Extremitätenschwellung Eine Schwellung an der Injektionsstelle (partial bzw. whole limb swelling), die bis an die angrenzenden Gelenke reicht, wurde vor allem im zeitlichen Zusammenhang mit der 4. und 5. Dosis einer azellulären Pertussisvakzine beob-
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achtet. Eine Dosisabhängigkeit konnte in einer grossen Studie an 20 000 Impflingen im Alter zwischen 15 und 27 Monaten gezeigt werden (7). Derartige Schwellungen wurden jedoch auch in anderen Altersgruppen und auch bei Diphtherie-Tetanus (DT, Td), Haemophilus Influenzae Typ B, Hepatitis B und MMR-Impfstoffen beobachtet. Als Pathomechanismus wurden eine Sensibilisierung von Langerhans-Zellen sowie subkutane Injektionen postuliert. Eine allgemeine Reduktion von Lokalreaktionen durch die Verwendung von langen Nadeln (25 mm) wurde in einer Studie an 696 Kindern gezeigt, die Diphtherie-Tetanus, Pertussis-Ganzkeim, Haemophilus Influenzae Typ B und eine Meningokokken-Serogruppe-C-Konjugatvakzine erhalten hatten (8). Da der Fokus der entzündlichen Reaktion im Rahmen der extensiven Extremitätenschwellung im subkutanen Gewebe um die Injektionsstelle liegt, erscheint es vor allem bei Auffrischimpfungen sinnvoll zu sein, auf eine tief intramuskuläre Injektion mit 25-mm-Kanülen zu achten.
Anaphylaxie Die Anaphylaxie ist mit einer Inzidenz von weniger als 1:1 Million Dosen eine bekannte, jedoch äusserst seltene Impfnebenwirkung. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung gibt es keine Evidenz für einen Zusammenhang zwischen einer Hühnereiproteinallergie und heutigen MMR-Impfstoffen. Die Viren dieser Impfstoffe werden nicht mehr auf Hühnereiern, sondern auf Zellkulturen von Hühnerembryonen gezüchtet. Deshalb ist das Vorhandensein einer Allergie auf Hühnereiproteine keine Kontraindikation oder ein Grund für eine verzögerte Impfung. Es wird vermutet, dass mögliche allergische Reaktionen auf einen der in MMR-Impfstoffen enthaltenen Zusatzstoffe (Gelatine, Neomycin) ursächlich an der Entstehung einer Anaphylaxie als Impfstoffnebenwirkung beteiligt sein könnte (9, 10). Die Empfehlung zur ambulanten MMR-Impfung von Kindern mit Hühnereiproteinallergie setzt sich zunehmend durch, da sie sich als sicher erwiesen hat und jeder Pädiater auf allergische Reaktionen auf irgendeine verabreichte Substanz – in-
Tabelle 3
Ausgewählte Quellen zuverlässiger Informationen über Impfstoffsicherheit
Organisation Infovac Paul-Ehrlich-Institut World Health Organization (WHO) Institute for Vaccine Safety: Johns Hopkins Centers for Disease Control and Prevention: USA The Brighton Collaboration
Webseite www.infovac.ch www.pei.de www.who.int/ immunization_safety www.vaccinesafety.edu www.cdc.gov www.brightoncollaboration.org
klusive Vakzine – reagieren können sollte (11, 12).
«Überforderung» des Immunsystems Die Kapazität des Immunsystems, auf gleichzeitige Stimuli zu reagieren, hängt von der allgemeinen «Fitness» des Immunsystems ab. Das Immunsystem von gesunden Impflingen hat die geschätzte Kapazität, mit zirka einer Milliarde Antigenen gleichzeitig umgehen zu können (13). Die Anzahl der Antigene, die dem Immunsystem im Rahmen von Impfungen angeboten werden, ist 1 000 000- bis 100 000 000-mal kleiner. Es wird geschätzt, dass Säuglinge mit etwa 10 000 theoretischen Vakzinen à 100 Antigenen à 10 Epitopen umgehen können (14). Kinder, die zum Zeitpunkt der Impfung an einer febrilen Erkrankung leiden, entwickeln mit Gesunden vergleichbare Immunantworten. Dies ist hinweisend dafür, dass Reaktionen auf verabreichte Antigene die Immunreaktionen nicht einschränken. Interferenzen zwischen einzelnen Antigenen sind natürlich möglich. Dies ist der Grund für die sorgfältige Prüfung während der Entwicklung von Kombinationsimpfstoffen und deren aufmerksame Überwachung nach der Zulassung. Es gibt auch keine soliden Hinweise dafür, dass Impfstoffe das Immunsystem schwächen oder anderweitig schädigen. Die Immunogenität von verfügbaren Kombinationsimpfstoffen ist generell nicht schlechter als die der einzelnen Komponenten. Einige Studien haben sogar einen protektiven Effekt gegen Infektionskrankheiten gezeigt, auf die der Impfstoff nicht abgezielt hat. In diesen Studien wurde postuliert, dass das gleichzeitige Anbieten von mehreren Antigenen das Immunsystem unspezifisch stimuliert und eher zu einer zusätzlichen
immunologischen «Fitness» als zu einer Kompromittierung führt (15). Hier besteht Bedarf für eine optimierte Kommunikation dieser Erkenntnisse durch Erbringer medizinischer Dienstleistungen (16, 17).
Unerwarteter plötzlicher Tod Eine Assoziation von plötzlichem Kindstod wurde bereits mit verschiedenen Impfstoffen vermutet und widerlegt. Es konnte sogar mehrfach ein generell vermindertes Risiko nach Impfungen gezeigt werden. Dies beruht vermutlich auf dem Schutz vor Infektionskrankheiten in den frühen Lebensjahren. Besonders alarmierend waren 5 Meldungen von plötzlichem Kindstod nach der Zulassung von hexavalenten Impfstoffen aus Deutschland an die Europäische Gesundheitsbehörde (EMEA). In zwei grossen Studien mit Daten aus einer Fallkontrollstudie und dem deutschen Meldesystem konnte der Verdacht auf ein erhöhtes Mortalitätsrisiko im ersten Lebensjahr jedoch nicht erhärtet werden (18). Das relative Risiko im deutschen Meldesystem betrug innerhalb eines beziehungsweise zweier Tage nach Gabe eines hexavalenten Impfstoffs, der im zweiten Lebensjahr verabreicht wurde, 31,3 (95%-Konvidenzintervall 3,8–113,1; 2 Fälle beobachtet; 0,06 Fälle erwartet) und 23,5 (95%-Konfidenzintervall 4,8–68,6; 3 Fälle beobachtet; 0,13 Fälle erwartet) (19). Dies wurde als Signal interpretiert, der entsprechende Impfstoff wurde allerdings wegen mangelnder Immunogenität der Hepatitiskomponente bereits vom Markt genommen. Im Zusammenhang mit der neu eingeführten Impfung gegen das humane Papillomavirus (HPV) gingen ebenfalls vereinzelte Meldungen über zeitlich assoziierte Todesfälle bei Jugendlichen
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beziehungsweise jungen Erwachsenen ein. Die zuständigen Behörden in den USA, in der Schweiz, Deutschland und Österreich haben die Meldungen über diese Todesfälle sorgfältig geprüft und fanden keine Hinweise für einen ursächlichen Zusammenhang.
Korrespondenzadresse: Dr. Jan Bonhoeffer Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Postfach, 4005 Basel
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