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Schwerpunkt
Bariatrische Chirurgie – eine Therapieoption bei adipösen Jugendlichen?
D ie Prävalenz übergewichtiger Kinder und Jugendlicher nimmt weltweit massiv zu. In Europa und in Nordamerika ist jedes fünfte Kind übergewichtig! Auch in der Schweiz hat in den letzten 20 Jahren der Anteil übergewichtiger Kinder stark zugenommen: Waren in den Achtzigerjahren 1,8 Prozent (3,1%) aller Knaben (Mädchen) im Alter von sechs bis zwölf Jahren übergewichtig, so waren es 2002 bereits 16,6 Prozent (19,1%) (1). Als Folge einer Überge-
sitas als ein BMI über der 97. Perzentile definiert. Aktuell werden in der Deutschschweiz meist die in Deutschland einheitlich verwendeten BMI-Perzentilenkurven von Kromeyer-Hauschild (2) verwendet. In der Folge werden die Begriffe Adipositas und Übergewicht deckungsgleich verwendet.
Herkömmliche Therapie der Adipositas
wichtigkeit treten verschiedene Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 etc.) gehäuft auf, was mit einer verminderten Lebenserwartung einhergeht. Somit kommt der Therapie der Adipositas, insbesondere bei Vorliegen von Folgekrankheiten, eine wichtige Bedeutung zu. Herkömmliche Therapien zeigen leider häufig einen bescheidenen Langzeiterfolg, weshalb adipöse Jugendliche in den letzten Jahren – vor allem in den USA – vermehrt bariatrischen Eingriffen unterzogen wurden. Nachfolgend sollen Methode, Erfolgsaussichten, Komplikationen und Indikationen der bariatrischen Chirurgie (Magenband oder Magenbypass) kurz diskutiert werden.
Von PD Dr. med. Daniel Konrad
Definition des Übergewichts
Übergewicht ist definiert als Abweichung vom Idealgewicht, die auf einer Zunahme an Fettmasse beruht. Zur Erfassung des Übergewichts wird in der Regel der Body-Mass-Index (BMI; Körpergewicht [in kg] dividiert durch die Körperlänge [in m] im Quadrat) bestimmt, der meist eine gute Annäherung an die tatsächliche Fettmasse darstellt, obwohl der BMI die gesamte Körpermasse und nicht
nur die Fettmasse allein repräsentiert. Im Erwachsenenalter wird Übergewicht als ein BMI über 25 kg/m2 und Adipositas als ein BMI über 30 kg/m2 definiert. Im Kindes- und Jugendalter ist die Definition nicht so einfach, da sich Kinder und Jugendliche im Wachstum befinden und der BMI mit zunehmendem Alter ansteigt. Entsprechende altersabhängige BMI-Normwerte (Perzentilenkurven) liegen vor. Übergewicht ist meist als ein BMI über der 90. Perzentile und Adipo-
Aufgrund der potenziell schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken der Adipositas sollte bei allen übergewichtigen Kindern und Jugendlichen eine Gewichtsreduktion angestrebt werden. Dies gelingt primär durch eine Reduktion der Kalorienzufuhr; für eine erfolgreiche langfristige Gewichtsreduktion scheint aber eine regelmässige körperliche Betätigung (mittels strukturierter Betreuung durch Sportclubs oder Sporttherapeuten) unerlässlich zu sein, da eine alleinige Kalorienreduktion meist nur zu einer kurzfristigen Gewichtsverminderung führt (3). Das Beiziehen einer professionellen Ernährungsberatung, die über ausgewiesene Erfahrung im Umgang mit Kindern und Jugendlichen verfügt, ist wichtig, und eine Beratung der Eltern sowie regelmässige Gewichtskontrollen durch den betreuenden Hausarzt/Kinderarzt sind anzustreben. Wenn immer möglich, sollten die übrigen Familienmitglieder in die Behandlung einbezogen werden (Änderung des Lebensstils); häufig ist eine psychologische Betreuung erforderlich. Leider sind die Langzeiterfolge – vor allem bei extremer Adipositas – selbst bei einem multidisziplinären Vorgehen sehr unterschiedlich und fallen häufig bescheiden aus. Vor allem in den USA werden auch verschiedene Medikamente eingesetzt, wie
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beispielsweise der Lipasehemmer Orlistat, Serotoninantagonisten (Sibutramin) oder Cannabinoid-Rezeptorhemmer (Rimonabant), die den Appetit reduzieren sollen. Der gewichtreduzierende Effekt dieser Medikamente ist aber gering, was zumindest teilweise auf schlechte Compliance wegen unangenehmer Nebenwirkungen zurückzuführen ist. Bei einer Therapie mit Appetitzüglern kommt es zudem oft zu einem Reboundphänomen nach Absetzen der Medikamente.
Bariatrische Chirurgie
Bisher wurden in der Schweiz bei adipösen Jugendlichen kaum bariatrische Eingriffe durchgeführt. Die meisten Fachgruppen lehnten bisher diese Therapieoption klar ab. In den USA hat jedoch die Zahl der durchgeführten bariatrischen Operationen bei Jugendlichen in den letzten Jahren drastisch zugenommen (4). Weltweit haben sich vor allem zwei Methoden der bariatrischen Chirurgie etabliert: das (adaptierbare) Magenband und der Magenbypass. Beide Operationen werden heute in der Regel laparoskopisch durchgeführt.
Methode Beim Magenband wird um den oberen Teil des Magens ein Band angebracht. Dadurch wird das Magenvolumen verkleinert und es kommt schon bei relativ geringer Nahrungsmenge zu einer Dehnung der Magenwand, was mit einem vermehrten Sättigungsgefühl einhergeht. Beim adaptierbaren Magenband kann der Durchmesser des Bandes über einen Porth von aussen variiert werden. Beim Magenbypass wird der obere Anteil des Magens abgetrennt. Dadurch wird ein kleines Magenreservoir analog zum Magenband geschaffen. Der distale Teil des Dünndarms (alimentärer Schenkel) wird vom proximalen Teil abgetrennt und mit dem Magenreservoir verbunden (Gastrojejunostomie). Der proximale Anteil (biliärer Schenkel) wird vom Magen abgetrennt, sein distales Ende wird Y-förmig mit dem alimentären Schenkel verbunden (Jejunojejunostomie). Der biliäre Schenkel fördert Verdauungsenzyme aus dem Pankreas und Gallensaft. Entspre-
chend kann erst nach Vereinigung von biliärem und alimentärem Schenkel die Nahrung vollständig aus dem Dünndarm absorbiert werden. Es gilt zu bedenken, dass der Magenbypass irreversibel ist.
Therapieerfolg Mehrere Studien konnten eine deutliche Gewichtsreduktion nach bariatrischem Eingriff beim erwachsenen Patienten belegen. Dabei scheint das Ausmass des Gewichtverlustes nach Magenbypass grösser zu sein als nach einem Magenband. Der maximale Gewichtsverlust wird innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Operation erreicht und bleibt anschliessend auf dem erreichten Niveau stabil (5). Vor allem bei massiv adipösen Patienten konnte die Langzeitmortalität der Adipositas durch den bariatrischen Eingriff signifikant gesenkt werden (6). Auch kommt es häufig zu einer Verbesserung der metabolischen Situation (Insulinresistenz, Typ-2-Diabetes, Dyslipidämie, etc.). Vor allem aus den USA liegen Studien über bariatrische Eingriffe bei älteren Jugendlichen vor. Bei der Mehrzahl dieser Patienten wurde ein Magenband eingesetzt. Auch im Adoleszentenalter konnte eine deutliche Gewichtsreduktion nach einem erfolgten Eingriff nachgewiesen werden, und zwar sowohl nach Magenband (7, 8) wie auch nach Magenbypass (9, 10). Je nach Studie wurde eine BMIAbnahme von bis zu 15 kg/m2 beschrieben. Ähnlich wie bei den Erwachsenen konnte nach Magenbypass auch eine Verbesserung der Insulinresistenz sowie der Dyslipidämie aufgezeigt werden (9). Sowohl die Fallzahlen wie auch die Langzeitverläufe sind aber in dieser Altersgruppe gering. Entsprechend ist eine abschliessende Beurteilung verfrüht, doch einiges scheint daraufhin hinzudeuten, dass sorgfältig ausgewählte sehr adipöse ältere Jugendliche, insbesondere wenn bereits Folgekrankheiten vorliegen, von einem bariatrischen Eingriff profitieren könnten.
Mechanismus des Gewichtsverlustes Sowohl beim Magenband wie auch beim Magenbypass kommt es aufgrund des kleinen Magenvolumens zu einer frühzeitigen Dehnung von Magen und Öso-
phagus, was zu einem vermehrten Sättigungsgefühl führt. Patienten werden angehalten, ihre Mahlzeiten klein zu halten, ansonsten kann es relativ schnell zu einer Ausweitung des Magenvolumens und somit zu einem Verlust des frühzeitigen Sättigungsgefühls kommen. Zumindest zu Beginn findet sich nach einem Magenbypass auch eine Malabsorption von Nahrungsmitteln, die aber im Verlauf rückläufig ist. Zusätzlich kommt es nach Magenbypass zu Veränderungen in den Konzentrationen verschiedener gastrointestinaler Peptide, die Appetit und Nahrungszufuhr modulieren. So findet sich beispielsweise ein Abfall in der Konzentration von Ghrelin, das die Nahrungsaufnahme steigert. Andererseits scheint die Konzentration der appetithemmenden Peptide PYY und GLP-1 (pancreatic-peptide YY, glucagon-like peptide 1) nach Bypass postprandial anzusteigen. Die erzielte Gewichtsreduktion beruht somit sowohl auf mechanischen als auch hormonellen Veränderungen (11).
Komplikationen Je nach Studie und in Abhängigkeit vom durchgeführten Eingriff treten in bis zu 40 Prozent aller bariatrischer Operationen im Adoleszentenalter Komplikationen auf. Die Komplikationsrate ist abhängig von der Erfahrung des Chirurgen. Nach Magenband kommt es am häufigsten zu einer Vergrösserung des Magenreservoirs. Daneben können Dislokationen, eine Magenerosion sowie Porth-Komplikationen auftreten. Nach Magenbypass scheint die Komplikationsrate höher zu sein. Insbesondere kommt es nach dieser Form der bariatrischen Chirurgie zu Mangelerscheinungen an verschiedenen Spurenelementen (Vitamine D, B1, B12, Eisen, etc.), die eine lebenslange Supplementierung erfordern. Auf eine gute Compliance muss unbedingt geachtet werden, da es sonst zu Osteoporose, Beriberi und anderen Mangelerscheinungen kommen kann (12).
Indikationen Bei welchen adipösen Jugendlichen ist allenfalls ein bariatrischer Eingriff indiziert? In den USA wurden folgende Indikationen vorgeschlagen (12): Ein
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bariatrischer Eingriff wird nur bei adipösen Jugendlichen mit einem BMI über 50 kg/m2 oder aber bei Jugendlichen mit einem BMI über 40 kg/m2 mit bereits vorhandenen adipositasbedingten Komplikationen empfohlen. Eine erfolglose konservative Gewichtsreduktion sollte vorgängig während mindestens sechs Monaten stattgefunden haben. Die Jugendlichen müssen die Pubertät abgeschlossen haben, adäquat urteilsfähig sein und eine genügende Compliance hinsichtlich diätetischer Massnahmen aufweisen. Ein multidisziplinäres Vorgehen ist zwingend sowohl in der Patientenevaluation wie auch in der Nachbetreuung der Patienten. Auszuschliessen sind dagegen Patienten mit nachgewiesener schlechter Compliance hinsichtlich früher getätigter Massnahmen im Rahmen der Adipositas, Jugendliche mit vorgängig ausgedehnter Bauchchirurgie, schweren Herzkrankheiten, belastenden psychiatrischen Auffälligkeiten (ADHD, Toxikomanie, Psychosen), schwierigen psychosozialen Verhältnissen oder mangelnder Unterstützung durch das familiäre Umfeld.
Zusammenfassung
Die Prävalenz übergewichtiger Kinder und Jugendlicher hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten weltweit massiv zugenommen. Bei einem Teil der Jugendlichen können schwerwiegende Folge-
krankheiten auftreten, die mit einer deutlich verminderten Lebenserwartung einhergehen. Erste Studien über bariatrische Eingriffe bei adipösen Jugendlichen zeigten eine signifikante BMI-Reduktion sowie eine Verbesserung der metabolischen Situation. Somit könnte die bariatrische Chirurgie bei sorgfältig ausgewählten, massiv adipösen älteren Jugendlichen durchaus eine Therapieoption darstellen, da der Langzeiterfolg herkömmlicher Therapieansätze, vor allem bei extremer Adipositas, auch bei einem multidisziplinären Vorgehen unterschiedlich und häufig bescheiden ausfällt.
Korrespondenz: PD Dr. med. Daniel Konrad, Ph.D. Oberarzt Abteilung Endokrinologie und Diabetologie Universitäts-Kinderkliniken Steinwiesstr. 75 8032 Zürich E-Mail: daniel.konrad@kispi.uzh.ch
Danksagung Herzlich möchte ich mich bei Prof. Dr. E. J. Schoenle und Dr. C. Rutishauser für ihre konstruktiven Anmerkungen zum Manuskript bedanken.
Literatur 1. Zimmermann MB, Gubeli C, Puntener C, Molinari L Overweight and obesity in 6–12 year old children in Switzerland. Swiss Med Wkly 2004; 134: 523–528. 2. Kromeyer-Hauschild K, Wabitsch M, Kunze D et al. Perzentile für den Body-Mass-Index für das Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschie-
dener deutscher Stichproben. Monatsschr Kinderheilk 2001; 149: 807–818. 3. Catenacci VA, Wyatt HR The role of physical activity in producing and maintaining weight loss. Nat Clin Pract Endocrinol Metab 2007; 3: 518–529. 4. Tsai WS, Inge TH, Burd RS Bariatric surgery in adolescents: recent national trends in use and inhospital outcome. Arch Pediatr Adolesc Med 2007; 161: 217–221. 5. Sjostrom L, Narbro K, Sjostrom CD et al. Effects of bariatric surgery on mortality in Swedish obese subjects. N Engl J Med 2007; 357: 741–752. 6. Adams TD, Gress RE, Smith SC et al. Long-term mortality after gastric bypass surgery. N Engl J Med 2007; 357: 753–761. 7. Angrisani L, Favretti F, Furbetta F et al. Obese teenagers treated by Lap-Band System: the Italian experience. Surgery 2005; 138: 877–881. 8. Fielding GA, Duncombe JE Laparoscopic adjustable gastric banding in severely obese adolescents. Surg Obes Relat Dis 2005; 1: 399–405; discussion 405–397. 9. Lawson ML, Kirk S, Mitchell T et al. One-year outcomes of Roux-en-Y gastric bypass for morbidly obese adolescents: a multicenter study from the Pediatric Bariatric Study Group. J Pediatr Surg 2006; 41: 137–143; discussion 137–143. 10. Sugerman HJ, Sugerman EL, DeMaria EJ et al. Bariatric surgery for severely obese adolescents. J Gastrointest Surg 2003; 7: 102–107; discussion 107–108. 11. Kral JG, Naslund E (2007) Surgical treatment of obesity. Nat Clin Pract Endocrinol Metab 2007; 3: 574–583. 12. Inge TH, Krebs NF, Garcia VF et al. (2004) Bariatric surgery for severely overweight adolescents: concerns and recommendations. Pediatrics 2004; 114: 217–223.
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