Transkript
Schwerpunkt
Es bewegt sich etwas in der Therapie übergewichtiger Kinder
Adipöse und übergewichtige
Robert Sempach, Nathalie Farpour-Lambert, Marcus Townend, Josef Laimbacher
Kinder und Jugendliche können durch einen multiprofessionellen Behandlungsansatz erfolgreich behandelt werden (2, 5), vorausgesetzt, sie weisen eine hohe Motivation und Bereitschaft zur Verhaltensänderung auf und erhalten eine adäquate Unterstützung von den Eltern und involvierten Fachpersonen. Je besser die Kommunikation und Kooperation innerhalb der Familie und zwischen den einzelnen Fachleuten spielt, desto erfolgreicher und nachhaltiger sind letztlich die Interventionen (3, 7, 9).
D er Schweizerische Fachverein Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AKJ) setzt sich seit seiner Gründung für die Professionalisierung von Therapieprogrammen ein und unterstützt die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung der Fachpersonen aus den Bereichen Medizin, Ernährung, Bewegung, Psychologie und Agogik (8).
Entstehungshintergrund des Fachvereins
Bereits in den Neunzigerjahren entstand ein loser Zusammenschluss und Austausch zwischen den einzelnen Anbietern von Therapieprogrammen für übergewichtige und adipöse Kinder in der Schweiz. Vor allem Fachpersonen aus Basel, Zürich und St. Gallen tauschten ihre Erfahrungen in der Adipositastherapie und ihre Informationen aus internationalen Meetings aus. Mit der Zeit schlossen sich Fachpersonen aus anderen Regionen der Schweiz dem Netzwerk an, und es entstanden vereinzelt neue Therapieprogramme. Nach zehn Jahren zeigte sich, dass die Arbeitsgruppe eine adäquate Organisations- und Rechtsform benötigte, um die anstehenden Aufgaben bewältigen zu können. Im Herbst 2002 wurde von VertreterInnen der damals aktiven Therapieprogramme der Schweizerische Fachverein Adipositas im Kindesund Jugendalter (AKJ) in Zürich gegründet und noch im selben Jahr in St. Gallen die erste Jahrestagung durchgeführt. Bereits an der ersten Mitgliederversammlung wurden die ersten Qualitätsstandards für multiprofessionelle Therapieprogramme verabschiedet. Die Protokolle der Mitgliederversammlun-
gen sind auf der Homepage (10) veröffentlicht und geben Einblick in die wichtigsten Themen der Vereinsgeschichte. Seither werden in regelmässigen Abständen Weiterbildungsveranstaltungen durchgeführt, die ebenfalls im Internet dokumentiert sind. Die gleichwertige Partnerschaft der einzelnen Fachdisziplinen und die multiprofessionelle Zusammenarbeit waren und sind ein zentrales Anliegen des Fachvereins. Gegenwärtig zählt der Fachverein rund 150 Mitglieder aus den Bereichen Ernährung, Bewegung, Medizin und Psychologie. Ausser der Adipositastherapie hat der Fachverein im Laufe der letzten Jahre sein Tätigkeitsfeld auch auf die Prävention von Übergewicht ausgedehnt, wie dies von verschiedenen Fachpersonen auch immer wieder gefordert wird (4, 6). So erhielt der Fachverein im letzten Jahr von der Gesundheitsförderung Schweiz den Auftrag, ein Interventionsmodul zur Vorbeugung von Adipositas im Kindesund Jugendalter zu entwickeln.
Zielsetzungen und Strategien des Fachvereins
Der Fachverein setzt sich für den Aufbau und die Entwicklung professioneller Hilfsangebote für adipöse Kinder und Jugendliche ein und unterstützt präventive Massnahmen und Projekte zur Verhinderung des Übergewichts, insbesondere durch a) Unterstützung des Aufbaus multipro-
fessioneller Gruppenprogramme in allen Regionen der Schweiz b) Entwicklung von Qualitätsstandards für multiprofessionelle Therapiepro-
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gramme und deren Überprüfung im Rahmen der nationalen Zertifizierungskommission c) Förderung des Austauschs fachlichmethodischer Kenntnisse und Erfahrungen unter den bestehenden Programmen sowie Organisation und Durchführung von Fort- und Weiterbildungen d) Förderung der Prävention von Übergewicht und Adipositas sowie der Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen einzelnen Professionen und Organisationen e) Unterstützung und/oder Durchführung wissenschaftlicher Studien und Publikationen zum Thema Adipositastherapie und -prävention bei Kindern und Jugendlichen.
Aktuelle Finanzierungssituation der Adipositastherapie
Mehrere Jahre hat die von der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) eingesetzte Arbeitsgruppe «Adipositas», in der sich auch VertreterInnen des AKJ engagierten, an einem nationalen Konsens über die Voraussetzungen und Bedingungen der Adipositastherapie bei Kindern und Jugendlichen gearbeitet und Leitlinien und Empfehlungen publiziert (1, 7). Ein Antrag zur Finanzierung von Therapieprogrammen an die eidgenössische Leistungskommission wurde Mitte 2007 grundsätzlich gutgeheissen. In der per 1. Januar 2008 gültigen Krankenpflege-Leistungsverordnung steht nun neben dem Titel «ambulante multiprofessionelle Therapieprogramme für übergewichtige und adipöse Kinder und Jugendliche» ein schlichtes Ja. Trotz Erleichterung über den erreichten Meilenstein sollten die Bedingungen und die vorläufige Frist vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2012 nicht übersehen werden. In der Verordnung wird darauf hingewiesen, welche Anforderungen die Programme zu erfüllen haben: Einhaltung der publizierten Empfehlungen, Zertifizierung durch eine Kommission aus Delegierten der SGP/AKJ und die Verpflichtung zur Teilnahme an einer einheitlichen nationalen Evaluation. Erst ein wissenschaftlich gesicherter Nach-
weis der Wirksamkeit dieser Therapieprogramme wird ihre definitive Aufnahme in den Leistungskatalog der Grundversicherung bewirken. Bisher gibt es bekanntlich noch nicht genügend Studien, die die Nachhaltigkeit von Therapieprogrammen bei adipösen Kindern und Jugendlichen belegen, ausserdem fehlen wissenschaftlich gesicherte Kenntnisse über Risikofaktoren und Prädiktoren (5, 6). Alle aktuellen Dokumente und Unterlagen zur Leistungsverordnung, Zertifizierung und der geplanten Evaluationsstudie der Therapieprogramme finden sich auf der Homepage des Fachvereins (10).
Die Geschäftsstelle des Fachvereins
Seit Januar 2006 führt der Fachverein eine eigene Geschäftsstelle mit einem aktuellen Stellenetat von 130 Prozent, aufgeteilt auf drei Personen. Der AKJ verfolgt die Vision, kontinuierlich ein multiprofessionelles Kompetenzzentrum aufzubauen und die multiprofessionelle Zusammenarbeit exemplarisch auch in der Geschäftsstelle umzusetzen.
Der Fachverein ist bestrebt, bestehendes fachliches und konzeptionelles Wissen für den Aufbau neuer Therapie- und Präventionsprogramme in allen Regionen der Schweiz zur Verfügung zu stellen. Jedes Jahr werden im Frühjahr und im Herbst Weiterbildungsveranstaltungen durchgeführt.
Zukunftsperspektiven des Fachvereins (AKJ) und Mitgliedschaft
Zukünftig will der Fachverein die Zusammenarbeit und den Austausch mit Fachpersonen aus der Romandie und dem Tessin verstärken. Der AKJ versteht sich als lernende Organisation, die nicht nur zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen, sondern ebenso über sprachlich-kulturelle Grenzen hinweg ein innovatives und kreatives Lernen fördern will. Um einen kreativen Lernprozess geht es letztlich auch in den einzelnen Therapieprogrammen. Mitglieder können alle Personen werden, die über eine anerkannte Grundausbildung in einer der vier Hauptdisziplinen (Bewegung, Ernährung, Medizin, Psychologie/Psychotherapie) verfügen und professionelle beziehungsweise
Übersicht über weitere (im Zertifizierungsprozess befindliche) Programme:
Programmname Abrakadabra Adikids adwin club minu Contrepoids D-Club Castelmont Eq’kilo Food4Teens happy kids KIG-Together kiloados knapp minuzo now or never OKAPI optimahl PESOVIA Shake Sportsmile TRAP WIM
Start 2008 01/08 03/08 05/08 05/08 01/08 04/08 01/08 03/08 01/09 04/08 01/08 03/08 03/08 09/08 05/08 01/09 03/08 05/08 01/08 09/08 08/08
Durchführungsort Solothurn Zug Winterthur Zürich Genf Basel La Chaux-de-Fonds Wohlen Zürich St. Gallen Vevey Knonauer Amt Zürcher Oberland Wilen (Sarnen) Olten Aarau Tessin Schaffhausen Schweiz Zürich Bern
Kontakt KJPD Tel. 032-627 84 00 041-766 61 54 www.adwin.ch www.minuweb 022-382 45 93 061-271 91 55 www.fops.ch www.food4teens-wohlen.ch brigitte.ganz@bigawellfit.ch www.kispi-sg.ch 021-923 53 33 044-761 8085 www.minuzo.ch now-or-never@bluewin.ch www.okapi-olten.ch info@optiMal.ch 091-825 52 52 www.sh-ake.ch www.sportsmile.ch 044-466 24 02 Corinne-Spahr@bluewin.ch
Weitere Auskünfte unter www.akj-ch.ch
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multiprofessionelle Hilfsangebote in der Adipositastherapie oder Übergewichtsprävention unterstützen oder sich daran beteiligen. Angesichts der hohen Prävalenz und Inzidenz übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher ist eine stärkere Vertretung von Fachleuten aus der Pädiatrie, Adoleszentenmedizin und Allgemeinmedizin im Fachverein AKJ besonders wünschenswert. Die Einzelmitgliedschaft beträgt 100 Franken, die Kollektivmitgliedschaft für multiprofessionelle Teams 300 (bis 5 Personen) beziehungsweise 500 Franken (bis 10 Personen).
Korrespondenzadresse: Dr. phil. Robert Sempach Präsident Schweizer Fachverein Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AKJ) MGB Direktion Kultur und Soziales Josefstrasse 214 8005 Zürich Tel 044-277 25 23 E-Mail: robert.sempach@mgb.ch Internet: www.akj-ch.ch
Kontakt: Sekretariat akj Gubelhangstrasse 6, 8050 Zurich Tel. 044-251 54 45, Fax 044-251 54 44 E-Mail: info@akj-ch.ch, Internet: www.akj-ch.ch
Literatur 1. l'Allemand D, Farpour-Lambert NJ, Laimbacher J, Definition, diagnostisches Vorgehen und Therapie-Indikationen bei Übergewicht im Kindes- und Jugendalter. Paediatrica 2006; 17 (6): 14–18. 2. Chinn S, Definitions of childhood obesity: current practice. Europ J of Clin Nutrition 2006; 66: 1189–1194. 3. Epstein LH, Roemmich JN, Raynor HA, Behavioral therapy in the treatment of pediatric obesity. Pediatr Clin North Am 2001; 48 (4): 981–993. 4. Farpour-Lambert, NJ, l'Allemand, D, Sempach, R, Laimbacher J, Marchand L, Beghetti M, Thérapie de l’obésité de l’enfant et de l’adolescent: Importance de l’activité physique. Schweiz Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie 2007; 55 (2): 88–91.
5. Kalavainen MP, Korppi MO, Nuutinen OM, Clinical efficacy of group-based treatment for childhood obesity compared with routinely given individual counselling. Int J Obesity 2007; 31: 1500–1508. 6. Katzmarzyk PT, Tremblay A, Perusse L, Despres JP, Bouchard C, The utility of the international child and adolescent overweight guidelines for predicting coronary heart disease risk factors. J Clin Epidemiol 2003; 56: 456–462. 7. Sempach R, Farpour-Lambert NJ, l'Allemand D, Laimbacher J, Therapie des adipösen Kindes und Jugendlichen: Vorschläge für multiprofessionelle Therapieprogramme. Paediatrica 2007; 18 (2): 33–39. 8. Sempach R, Schweizerischer Fachverein Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AKJ). Paediatrica 2007; 18 (2): 78. 9. Wabitsch M, Kunze D, Leitlinie Adipositas im Kindes- und Jugendalter. In: Leitlinien Kinder- und Jugendmedizin DGKJ (ed. von Schnakenburg E); 2006, pp. 1–36. Urban & Fischer, München. 10. www.akj-ch.ch
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