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EDITORIAL
Schon aus dem alten Ägypten sind Bilder von Menschen überliefert, die am Stock gehen. Das Hilfsmittel hat alle
Zeiten überlebt und wird heute in den meisten Guidelines zur Behandlung der Kniegelenkarthrose ausdrücklich empfohlen, bis anhin ohne ausreichende Evidenzbasis. Zumindest konnten die Autoren einer soeben publizierten randomisierten, kontrollierten Studie keine ältere, sauber vergleichende Untersuchung zum Gehen mit und ohne Stock in der Literatur finden. Sie randomisierten daher 64 übergewichtige Patienten mit radiologisch dokumentierter, schmerzhafter (VAS 3–7 bei einem Maximum von 10) Kniegelenkarthrose und deutlicher Behinderung in zwei Gruppen. Für alle wurden hölzerne Gehstöcke in T-Form sorgfältig so
sowie bei der zurückgelegten Strecke im Gehtest. Im Verlauf der Studie zeigten die am Stock gehenden Patienten während des 6-Minuten-Gehtests zunehmend bessere Werte für Schmerz, Energieverbrauch, CO2Produktion und metabolische Äquivalente im Vergleich zur Kontrollgruppe, und sie reduzierten ihren Verbrauch an nichtsteroidalen Entzündungshemmern deutlicher. Während des ersten Interventionsmonats hatten die neu am Stock gehenden Kniearthrosepatienten einen gesteigerten Energieverbrauch. Nach zwei Monaten war dieses Phänomen nicht mehr nachzuweisen, was als Gewöhnung an das Hilfsmittel und als Verbesserung der Gehmechanik interpretiert werden darf. Die Autoren fanden eine mittlere oder grosse Effektstärke für alle Parameter. Sie weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass – bedingt durch die kleine Patientenzahl – die Konfidenzintervalle bei einigen Messwerten auch null umfassten, also ein statistisch
Vom Gehen am Stock
angepasst, dass im Ellbogen beim Gebrauch eine Flexion zwischen 20° und 30° bestand. Die experimentelle Gruppe war gehalten, den Stock täglich zu benützen und darüber ein Tagebuch zu führen. In der Kontrollgruppe wurden die Gehstöcke «vom Studienleiter in einem Schrank eingeschlossen», die Teilnehmer durften keine Gehhilfe benützen und sollten ihre bisherigen Aktivitäten weiterführen. Primärer Studienendpunkt war der Schmerz, sekundäre Endpunkte bildeten Funktion (Lequesne, WOMAC), allgemeine Gesundheit (SF36) sowie der Energieverbrauch während eines 6-Minuten-Gehtests. Alle Parameter wurden eingangs sowie nach 30 und 60 Tagen bestimmt. Im Vergleich zur Kontrollgruppe erfuhren die Teilnehmer in der experimentellen Gruppe eine signifikante Verbesserung beim Schmerz, bei der Funktion, in gewissen schmerzbezogenen Domänen des allgemeinen Gesundheitsscores
nicht signifikantes Ergebnis bedeuten. Hauptnachteil der Studie ist zweifellos ihre kurze Dauer, denn die Kniegelenkarthrose begleitet die Patienten lebenslänglich, und so muss wissenschaftlich gesehen offenbleiben, ob das Gehen am Stock zu anhaltendem, möglicherweise zunehmendem Nutzen führen kann: Ausgangsmaterial für weitere schöne Studien zur Überbrückung der Kluft zwischen Empirie und Evidenz.
Halid Bas
A Jones et al.: Impact of cane use on pain, function, general health and energy expenditure during gait in patients with knee osteoarthritis: a randomised controlled trial. Ann Rheum Dis 2012; 71: 172–179. doi:10.1136/ard.2010.140178
ARS MEDICI 4 ■ 2012
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