Transkript
STUDIE REFERIERT
Medikamente
nierten klinischen Endpunkt das beste oder das wirksamste zu sein. Primäre
bei generalisierter Angststörung
Endpunkte der Untersuchung waren das Ansprechen (Verbesserung von min-
destens 50 Prozent auf der Hamilton-
Angst-Skala [HAM-A] im Vergleich zu
den Ausgangswerten), die Remission
(HAM-A-Score ≤ 7) und die Verträg-
In einem bayesschen Netzwerk- (SSRI) oder Pregabalin für das pharma- lichkeit (Studienabbruch aufgrund un-
vergleich von Medikamenten zur Behandlung der generalisierten Angststörung schnitt Fluoxetin be-
kologische Management der generalisierten Angststörung empfohlen. Überarbeitete Richtlinien des National Institute for Health and Clinical Excellence
erwünschter Ereignisse). In frequentistischen Sekundäranalysen wurden anschliessend anhand von Modellen mit zufälligen Effekten die in Grossbritan-
züglich des Ansprechens und der (NICE) mit dieser Empfehlung wurden nien zugelassenen Medikamente unter-
Remission am besten ab. Unter den in der Schweiz dafür zugelassenen Medikamenten erwies sich Duloxe-
im Januar 2011 veröffentlicht. Die Wirksamkeit verschiedener psychotroper Substanzen zur Behandlung der generalisierten Angststörung wurde be-
einander bezüglich der Studienendpunkte verglichen. Beide Analysen basierten auf einem Medikamentennetzwerk (Abbildung 1), in dem die
tin als das wirksamste bezüglich reits in vielen systematischen Reviews direkte Evidenz aus Head-to-Head-
des Ansprechens und Escitalopram im Hinblick auf eine Remission.
und Metaanalysen untersucht, der Vergleich erfolgte jedoch meist innerhalb einer Substanzklasse, beispielsweise der
Studien (Vergleich aktiver Medikamente) mit der indirekten Evidenz aus Medikamentenvergleichen mit Plazebo
Benzodiazepine.
kombiniert werden konnte.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
In einem systematischen Re-
view mit Metaanalyse ver-
Die generalisierte Angststörung ist eine chronische oder rezidivierende Erkrankung, charakterisiert durch ständige
glichen David Baldwin (Professor für Psychiatrie an der Universität Southampton)
Monopräparate zur Therapie der generalisierten Angststörung
zermürbende Sorgen, eine permanente Anspannung und einen hohen Leidensdruck. Ängste gehören zu den häufigs-
und seine Arbeitsgruppe nun die Wirksamkeit und Verträglichkeit aller verfügba-
❖ Duloxetin* (Cymbalta®) ❖ Escitalopram* (Cipralex®)
ten mentalen Störungen, und die gene- ren Medikamente zur Be- ❖ Fluoxetin (Fluctine® und Generika)
ralisierte Angststörung ist die häufigste handlung der generalisierten ❖ Lorazepam (Temesta® und Generika)
Angsterkrankung in der Primärver- Angststörung untereinander. ❖ Paroxetin* (Deroxat® und Generika)
sorgung. Das Ausmass der damit ver- Ergänzend evaluierten sie in ❖ Pregabalin* (Lyrica®)
bundenen Beeinträchtigung ist mit der Beeinträchtigung durch physische Erkrankungen wie Arthritis, Asthma oder Diabetes mellitus vergleichbar.
Subanalysen die in Grossbritannien (und in der Schweiz) zur Behandlung der generalisierten Angststörung zu-
❖ Sertralin (Zoloft® und Generika) ❖ Tiagabin (Gabitril®) ❖ Venlafaxin* (Efexor® und Generika)
In aktuellen Richtlinien werden oft selek- gelassenen Medikamente tive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer Duloxetin, Escitalopram,
* In der Schweiz für die Indikation generalisierte Angststörung zugelassen.
Paroxetin, Pregabalin und
Venlafaxin. Für ihre Unter-
suchung wählten die Autoren doppel- Ergebnisse
blinde, plazebokontrollierte, rando- Im Rahmen der Literaturrecherche wur-
Merksätze
misierte Studien sowie systematische den zunächst 3249 potenziell relevante Reviews und Metaanalysen randomi- Publikationen identifiziert. Davon erfüll-
sierter kontrollierter Studien aus dem ten 46 die Einschlusskriterien, und 27 Stu-
❖ Die generalisierte Angststörung ist die
Zeitraum von Januar 1980 bis Februar dien enthielten ausreichend geeignete
häufigste Angsterkrankung in der Primär-
2009 aus, in denen Patienten ab 18 Jah- Daten für die Metaanalyse. In der Netz-
versorgung.
ren eine medikamentöse Behandlung werkanalyse wurden Duloxetin (5 Stu-
❖ SSRI gelten als Medikamente der ersten Wahl.
ihrer generalisierten Angststörung erhalten hatten.
dien), Escitalopram (5 Studien), Fluoxetin (1 Studie), Lorazepam (2 Studien), Paroxetin (5 Studien), Pregabalin (5 Stu-
❖ Von den in der Schweiz dafür zugelassenen
Studiendesign und Endpunkte
dien), Sertralin (3 Studien, Tiagabin
Medikamenten sind Duloxetin und Escitalo-
Mithilfe einer bayesschen Probabilitäts- (2 Studien) und Venlafaxin (8 Studien)
pram die wirksamsten im Hinblick auf An-
Metaanalyse wurden in einer Primär- miteinander verglichen (Abbildung 1).
sprechen und Remission.
analyse zunächst alle Medikamente Nur 6 Untersuchungen waren Head-to-
bezüglich ihrer Wahrscheinlichkeit ein- Head- Studien, in allen anderen wurde
geordnet, im Hinblick auf einen defi- ein Vergleich mit Plazebo vorgenommen.
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STUDIE REFERIERT
Venlafaxin Tiagabin
Placebo
Escitalopram Duloxetin
Sertralin Pregabalin
Fluoxetin Lorazepam
Paroxetin
Abbildung 1: Netzwerkvergleich zwischen allen Medikamenten. Je dicker die Linie, desto höher die Anzahl der direkten Vergleichsstudien (nach Baldwin D., Woods R. et al., BMJ 2011).
In der primären probabilistischen Metaanalyse erreichte Fluoxetin den ersten Platz bezüglich des Ansprechens und der Remission (Wahrscheinlichkeiten von 62,9 und 60,6%). Im Hinblick auf die Verträglichkeit belegte Sertralin mit einer Wahrscheinlichkeit von 49,3 Prozent den ersten Rang, während sich Lorazepam auf dem letzten Rang befand und mit den höchsten Abbruchraten in den Studien verbunden war (Abbildung 2, Tabelle). In den frequentistischen Subanalysen zu den in Grossbritannien zugelassenen Substanzen belegte Duloxetin den ersten Platz (Platz 3 im Gesamtranking) bezüglich des Ansprechens, obwohl es nur eine Wahrscheinlichkeit von 2,7 Pro-
Prozentuale Wahrscheinlichkeit, bezüglich des Endpunkts
den ersten Rang einzunehmen
80
Ansprechen
Remission
Abbruch aufgrund unerwünschter Wirkungen
60
40
20
0
EscitDaluloopxreatimn (5) PLVroPeeFrSaTlngiareluazaroatofbegxrxaapaealetxliabitiiiinnnnnmn((((((((5583)2215)))))))
Abbildung 2: Probabilistische Analyse: Prozentuale Wahrscheinlichkeit, bezüglich des Endpunkts den ersten Rang einzunehmen. In Klammern: Anzahl der untersuchten Studien (nach Baldwin D., Woods R. et al., BMJ 2011).
Tabelle:
Ranking der Medikamente bezüglich der Studienendpunkte entsprechend der primären Probabilitätsanalyse
Ranking
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Ansprechen
Fluoxetin Lorazepam Duloxetin
Sertralin Paroxetin Pregabalin Venlafaxin Escitalopram Tiagabin
Remission
Fluoxetin Escitalopram
Venlafaxin Paroxetin Sertralin Duloxetin Tiagabin Nicht verfügbar* Nicht verfügbar
Studienabbruch
Sertralin Pregabalin Fluoxetin Paroxetin Tiagabin Venlafaxin Escitalopram Duloxetin Lorazepam
* Dieser Endpunkt wurde nicht in allen Studien untersucht.
zent aufwies, das wirksamste Medikament zu sein. Escitalopram zeigte im Hinblick auf die Remission (26,7%) die höchste Wahrscheinlichkeit einer Wirksamkeit (Platz 2 im Gesamtranking). Im Hinblick auf die Verträglichkeit (7,7%) belegte Pregabalin den ersten Rang (Platz 2 im Gesamtranking) und Duloxetin den letzten Rang (Platz 8 im Gesamtranking) (Abbildung 2, Tabelle). In den sekundären Subanalysen zum Ansprechen und zur Remission erwiesen sich alle in Grossbritannien zugelassenen Medikamente als überlegen im Vergleich zu Plazebo. Beim Vergleich der Medikamente untereinander bezüglich des Ansprechens wurden nur wenige signifikante Unterschiede beobachtet. Im Hinblick auf die Verträglichkeit war Plazebo allen aktiven Wirkstoffen überlegen.
Diskussion Bezüglich des Ansprechens und der Remission wurden in den Sekundäranalysen nur wenige signifikante Unterschiede zwischen den Medikamenten beobachtet. Dies ist nach Ansicht der Autoren möglicherweise darauf zurückzuführen, dass viele Studien darauf ausgelegt sind, eine Überlegenheit gegenüber Plazebo oder eine NichtUnterlegenheit gegenüber einer anderen Substanz nachzuweisen. Da die primäre Probabilitätsanalyse jedoch nicht auf signifikanten Ergebnissen beruht, konnte dennoch ein Ranking bezüglich der Wirksamkeit im Hinblick auf die Studienendpunkte vorgenommen werden. Als eine Schwäche ihrer Untersuchung werten die Autoren, dass alle eingeschlossenen Studien von den Herstellern gesponsert wurden und es somit zu einer Verzerrung der Ergebnisse gekommen sein könnte, was allerdings auf alle untersuchten Substanzen zutrifft. Als weitere Unzulänglichkeit erachten sie, dass nur eine Studie als Evidenzbasis für das günstige Ranking zu Fluoxetin vorhanden war und somit ebenfalls ein Publikationsbias vorliegen könnte.
Interpretation der Daten Die Ergebnisse der primären Metaanalyse weisen darauf hin, dass selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer die wirksamste Option zur Behandlung der generalisierten Angststörung sind.
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Dieses Ergebnis ist konsistent mit älteren und aktuellen NICE-Richtlinien, in denen SSRI als Medikamente der ersten Wahl zur Langzeitbehandlung der generalisierten Angststörung empfohlen werden. In der bayesschen Netzwerkanalyse war Fluoxetin zwar das wirksamste Medikament bezüglich der Remission, die begrenzte Evidenz, auf der die Analyse basierte, lässt jedoch an der Robustheit dieses Ergebnisses zweifeln. Zudem wird in der Europäischen Union die Zulassung zur Behandlung der generalisierten Angststörung nur vergeben, wenn sowohl die kurzfristige als auch die langfristige Wirksamkeit eines Medikaments nachgewiesen werden kann. Bislang wurde jedoch weder für Fluoxetin noch für Sertralin eine Wirksamkeit der Rückfallprävention nachgewiesen.
Die Evidenzbasis für die Metaanalyse war insgesamt begrenzt, da nur in wenigen Studien Medikamente direkt miteinander verglichen wurden. Ausserdem konnten nur die ersten 6 bis 8 Behandlungswochen evaluiert werden, bei der generalisierten Angststörung ist jedoch eine Langzeitbehandlung erforderlich.
Fazit Während die frequentistische Analyse aufgrund der relativ kleinen Anzahl von direkten Vergleichsstudien nicht vollständig schlüssig war, ergab die nicht auf Signifikanz beruhende Probabilitätsanalyse, dass Fluoxetin bezüglich des Ansprechens sowie der Remission und Sertralin im Hinblick auf die Verträglichkeit vermutlich Vorteile gegenüber den anderen Medikamenten aufweisen. Unter den in Grossbritan-
nien zugelassenen Medikamenten
könnten Duloxetin, Escitalopram und
Pregabalin mit Vorteilen gegenüber
Venlafaxin und Paroxetin verbunden
sein.
❖
Petra Stölting
Baldwin David, Woods Robert et al.: Efficacy of drug treatments for generalised anxiety disorder: systematic review and meta-analysis, BMJ 2011; 342: d1199 doi:10.1136/bmj.d1199.
Interessenkonflikte: Die Studie wurde von Lundbeck gesponsert. Lundbeck nahm Einfluss auf Studienkonzept und Studiendesign, aber nicht auf Durchführung und Publikation. Drei der vier Autoren haben Gelder von Lundbeck erhalten.
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