Transkript
Chronische Kopfschmerzen bei Jugendlichen
Prävalenz, Klassifikation, Risikofaktoren
FORTBILDUNG
Chronische Kopfschmerzen sind ein belastendes Gesundheitsproblem für viele Erwachsene, aber auch für eine grosse Anzahl von Kindern und Jugendlichen. Der Identifizierung von Risikofaktoren sowie deren Modifizierung zur Prophylaxe kommt daher eine grosse Bedeutung zu.
Merksätze
■ Chronische Kopfschmerzen sind auch unter Jugendlichen weitverbreitet.
■ Einige Risikofaktoren für chronische Kopfschmerzen können modifiziert werden.
■ Analgetikamissbrauch hat sich als Risikofaktor für die Entwicklung von chronischen Kopfschmerzen bei Jugendlichen herausgestellt.
■ Die Kriterien zur Klassifizierung von migräneartigen Kopfschmerzen als Grundlage einer effektiven Therapie müssen weiter verfeinert werden.
NEUROLOGY
Primäre tägliche chronische Kopfschmerzen (englisch: chronic daily headaches, CDH) bei Erwachsenen haben sich in den vergangenen Jahren aufgrund ihrer Häufigkeit und der massiven Beeinträchtigungen, die sie mit sich bringen, als grosses öffentliches Gesundheitsproblem erwiesen. Nach der einfachsten Definition spricht man von chronischen Kopfschmerzen, wenn sie an 15 oder mehr Tagen im Monat auftreten. Entsprechend dieser Definition sind 4 Prozent der erwachsenen amerikanischen Bevölkerung davon betroffen. Zwei populationsbasierte Studien ergänzen die Datenlage zu chronischen Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen.
Kopfschmerzklassifikation
Die belastendsten Kopfschmerzarten resultieren aus Migräne. Man unterscheidet zwischen transformierter Migräne und chronischer Migräne. Nach Silberstein und Lipton wird die transformierte Migräne als primärer täglicher chronischer Kopfschmerz definiert, der mit vorangegangenen oder gegenwärtigen Migräneepisoden zusammenhängt. Eine bestimmte Anzahl an Kopfschmerzattacken innerhalb eines bestimmten Zeitraumes wird nicht als Kriterium erhoben.
Im Gegensatz dazu sind für die Diagnose «chronische Migräne» nach der Internationalen Kopfschmerz-Klassifikation (ICHD-2) der International Headache Society (IHS) Migränekopfschmerzen ohne Aura an mindestens 15 Tagen im Monat erforderlich. Dieser Definition entsprechen lediglich 6 Prozent der erwachsenen Patienten, die die Bedingungen einer transformierten Migräne erfüllen. Die eingeschränkte Anzahl ergibt sich hauptsächlich durch die eng gefassten Kriterien der Internationalen Kopfschmerz-Klassifikation. Neben Migränekopfschmerzen, die an weniger als 15 Tagen im Monat auftreten, werden auch Varianten mit Veränderungen des Schmerzes oder gemischte Kopfschmerzen durch die strenge Definition ausgeschlossen. Auch analgetikainduzierter Kopfschmerz kann nach den ICHD-2Kriterien nicht als chronische Migräne klassifiziert werden, es sei denn, die Beschwerden persistieren nach Absetzen der Medikamente.
Risikofaktoren
Jüngste Forschungen zu chronischen Kopfschmerzen bei Erwachsenen haben ergeben, dass zu den wichtigsten Risikofaktoren vorangegangene Migräneepisoden mit hoher Attackenfrequenz, Medikamentenmissbrauch, Adipositas, Koffeinkonsum, Stress und Kopfverletzungen gehören.
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FORTBILDUNG
Da einige dieser Faktoren beeinflussbar sind, wird angestrebt, der Entwicklung von chronischen Kopfschmerzen durch Modifikation der individuellen Risikofaktoren sowie einen möglichst frühzeitigen Therapiebeginn vorzubeugen. In diesem Zusammenhang sind vor allem auch Untersuchungen zur Prävalenz von chronischen Kopfschmerzen bei Jugendlichen und Erhebungen zu deren Risikofaktoren interessant.
Prävalenz bei Jugendlichen
Eine populationsbasierte Studie von Wang et al. präsentiert Daten zur Prävalenz von chronischen Kopfschmerzen bei 12- bis 14-jährigen Jugendlichen. Nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerz-Klassifikation litten lediglich 6,6 Prozent der Kopfschmerzpatienten an chronischer Migräne, während Spannungskopfschmerzen mit 65,6 Prozent am häufigsten auftraten. Bei 20 Prozent der jungen Kopfschmerzpatienten wurde Analgetikamissbrauch festgestellt. Die restriktiven Kriterien zur Klassifizierung der chronischen Migräne könnten dazu führen, dass die wahre Prävalenz der chronischen Migräne bei Jugendlichen unterschätzt wird. Wang et al. führten aus, dass 30 Prozent ihrer Patienten mit chronischen migräneartigen Kopfschmerzen die Kriterien für eine chronische Migräne nicht erfüllten, da sie nicht genügend dokumentierte Migränetage aufwiesen, wahrscheinlich jedoch den Kriterien der transformierten Migräne entsprächen.
Analgetikamissbrauch bei Jugendlichen
Dyb et. al untersuchten in ihrer Head-Hunt-Youth-Studie den
Einfluss von Schmerzmittelmissbrauch bei Jugendlichen auf
die Entstehung von primären chronischen Kopfschmerzen.
Mit umfangreichen Fragebögen erhoben sie Daten zu Kopf-
schmerzsymptomen und Schmerzmittelgebrauch von 5471 Ju-
gendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren. Die Auswertung
ergab, dass 28 der befragten Jugendlichen (0,7%) unter chro-
nischen Kopfschmerzen litten. Mehr als ein Drittel dieser Pa-
tienten (35,7%) gab an, täglich Schmerzmittel zu konsumieren.
Aufgrund ihrer Ergebnisse kamen Dyb et al. zum Schluss, dass
Analgetikamissbrauch einen Risikofaktor für die Entwicklung
chronischer Kopfschmerzen bei Jugendlichen darstellt. Sie
heben hervor, dass dieser Umstand häufig iatrogen ist und
daher potenziell vermieden werden kann.
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Petra Stölting
Literatur: Hershey Andrew D, Lipton Richard B: Adolescents get as well as they give – Population perspectives on chronic daily headaches; Neurology, 2006; 66; 160–161. Wang SJ, Fuh JL, Lu SR, Juang KD: Chronic daily headache in adolescents: prevalence, impact and medication overuse; Neurology; 2006; 66; 193–197. Dyb G, Holmen TL, Zwart JA: Analgesic overuse among adolescents with headache – the Head-HUNT-Youth Study; Neurology; 2006; 66; 198–201.
Interessenlage: Die Autoren Hershey und Lipton geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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