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FORTBILDUNG
Pneumokokken-Konjugatimpfung und empirische antibiotische Therapie der akuten Otitis media
Das Keimspektrum der akuten Otitis media (AOM) ist in den letzten 50 Jahren relativ konstant geblieben. Aufgrund dieser Stabilität war das empirische Management der AOM eine weitverbreitete und effektive Massnahme. In letzter Zeit jedoch hat in den USA eine proportionale Verschiebung der bakteriellen Erreger der Otitis stattgefunden, die nun die empirische Therapie infrage stellt.
Merksätze
■ In den USA hat der Einsatz des siebenfach valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoffs bei der akuten Otitis media zu einer Abnahme der durch Streptococcus pneumoniae verursachten Fälle und zu einer Zunahme von Betalaktamase-positiven H. influenzae geführt.
■ Bei abnehmender Häufigkeit von resistenten S. pneumoniae ist in der empirischen antibiotischen Therapie den Betalaktamase-positiven H. influenzae Rechnung zu tragen.
AMERICAN JOURNAL OF MANAGED CARE
Die akute Otitis media (AOM) ist nicht nur eine der häufigsten Infektionen im Kindesalter, sondern auch die häufigste Indikation für eine ambulant verschriebene Antibiotikatherapie. Die Inzidenz hat sich in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Das typische Erkrankungsalter liegt zwischen 7 und 24 Monaten.
Mikrobiologie der Otitis vor und nach der Einführung von PCV-7
Die häufigsten bakteriellen Erreger der AOM, mit unterschiedlicher Häufigkeitsverteilung je nach Art der Infektion, sind: ■ Streptococcus pneumoniae ■ Haemophilus influenzae ■ Moraxella catarrhalis.
In den USA wurde im Jahre 2000 der siebenfach valente, konjugierte Pneumokokkenimpfstoff (PCV-7, in der Schweiz: Prevenar®) für Kleinkinder eingeführt. Er enthält Antigene gegen sieben Pneumokokkenserotypen (4, 6B, 9V, 14,18C, 19F und 23F), die am häufigsten für Infektionen bei Säuglingen und Kleinkindern verantwortlich sind. Die Häufigkeit von AOM nahm nach der Einführung der Impfung um rund 6 bis 9 Pro-
zent ab. Eher gewichtiger fiel jedoch der Rückgang rezidivierender Otitiden und otologischer chirurgischer Eingriffe aus. Die Einführung des PCV-7-Impfstoffs hat in den USA das Erregerspektrum verändert. Vor der Einführung des PCV-7-Impfstoffes waren die klinisch relevanten Erreger der unkomplizierten Otitis S. pneumoniae (42% der Fälle), H. influenzae (31%) und M. catarrhalis (16%). Die Erreger der rezidivierenden und chronischen Otitis media unterscheiden sich von denen der unkomplizierten Form: Studien aus den Achtzigerjahren haben gezeigt, dass in 53 Prozent der chronischen Fälle H. influenzae der Haupterreger war (gegenüber nur 19% für S. pneumoniae). Wie die Daten nun belegen, hat bei der chronischen Otitis eine Verschiebung des Keimspektrums zugunsten von S. pneumoniae als Haupterreger stattgefunden. Resistenzprobleme bei Pneumokokken haben in den letzten Dekaden weltweit rasch zugenommen. Als Ursache könnte eine zunehmende Penizillin-Resistenz in Frage kommen, wie sie in vielen Ländern beobachtet wurde.
Auswirkungen von PCV-7 auf das Erregerspektrum der AOM
Die Datenlage aus den Jahren 2000 bis 2003 über den Impfschutz von PCV-7 hat gezeigt, dass nur die drei- oder vierfache Impfung einen optimalen Schutz im ersten Lebensjahr gewähr-
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PNEUMOKOKKEN-KONJUGATIMPFUNG UND EMPIRISCHE ANTIBIOTISCHE THERAPIE DER AKUTEN OTITIS MEDIA
leistet. Wie bereits erwähnt, hatte PCV-7 eine deutliche Auswirkung auf das Erregerspektrum der AOM. Die Routineimpfung senkte die Zahl der invasiven Erkrankungen, die durch die im Impfstoff enthaltenen S.-pneumoniae-Serotypen verursacht wurden (60%), und hat zu einer Verschiebung hin zu durch H. influenzae und M. catarrhalis verursachten Krankheitsfällen geführt. Dies ist das Ergebnis zweier Studien aus dem Jahr 2004. Der gesamte Anteil der S. pneumoniae sank in beiden Studien von 48 auf 31 Prozent, hingegen stieg der gesamte Anteil der H. influenzae von 41 auf 56 Prozent in der einen Studie und von 38 auf 57 Prozent in der anderen Studie. Darüber hinaus wurde ein deutlicher Anstieg von Betalaktamase-bildenden H. influenzae beobachtet (von 47% auf 57%).
Konsequenzen für die antimikrobielle Therapie der AOM
Die Daten aus den USA belegen eine Veränderung der Serotypenepidemiologie nach Einführung des Impfstoffs. Zu den positiven Auswirkungen zählt ein Rückgang der penizillinresistenten Pneumokokkeninfektionen (bis zu 42%). Trotz dieser Verschiebung in der Mikrobiologie der Otitis stehen in der empirischen Behandlung weiterhin die drei oben genannten Haupterreger im Vordergrund, jedoch sollten der Wechsel in ihrer Häufigkeit sowie das Resistenzmuster bei der Wahl des Wirkstoffs berücksichtigt werden. Aminopenizilline: Seit langem gilt Amoxicillin in der Therapie der akuten Otitis als Mittel der ersten Wahl. Die Aminopenizil-
line erfassen neben Streptokokken auch H. influenzae, S. pneumoniae und Staphylococcus sp. (Tabelle). Zu beachten ist die örtlich unterschiedliche, teilweise hohe Resistenzrate. Resistent sind Betalaktamase-bildende Stämme von H. influenzae. Sollte die beobachtete Tendenz einer Zunahme der Betalaktamasebildenden Stämme jedoch weiter anhalten, muss der Einsatz von Amoxicillin als Mittel der ersten Wahl neu überdacht werden. Das Wirkspektrum von Amoxicillin kann durch Kombination mit einem Betalaktamasehemmer (Clavulansäure) gegen Betalaktamase-bildende Erreger, wie zum Beispiel H. influenzae, erweitert werden. Mit einer hohen Amoxicillin/Clavulanat-Dosis (90/6,4 mg/kg/Tag) wird eine Eradikation des Erregers in ungefähr 90 bis 94 Prozent erreicht. Cephalosporine: Von den zugelassenen Oralcephalosporinen besitzen Cefdinir (in der Schweiz nicht im Handel), Cefpodoxim und Cefuroxim die beste Aktivität gegen Betalaktamasepositive und -negative, gramnegative Erreger (H. influenzae und M. catarrhalis) sowie eine vernünftige Wirksamkeit gegen intermediär penizillinempfindliche S.-pneumoniae (Tabelle). Wenn eine orale Therapie nicht zuverlässig verabreicht werden kann, kann Ceftriaxon (Ceftriaxon Sandoz, Rocephin®) parenteral eingesetzt werden. Es zeigt eine gute Wirksamkeit gegen penizillinempfindliche und intermediäre S. pneumoniae-Isolate (99 Prozent) sowie auch eine hohe Aktivität (85%) gegen penizillinresistente S.-pneumoniae-Isolate. Betreffend H. influenzae zeigt Cetriaxon ebenfalls eine sehr hohe Aktivität. Makrolide: Erythromycin ist aufgrund steigender Resistenzraten bei Pneumokokken in der Therapie der AOM nicht mehr
Situation in der Schweiz
Eine im Bulletin des BAG im Jahr 2003 veröffentlichte Erhebung zu den invasiven und nichtinvasiven Pneumokokkeninfektionen zeigte für die Schweiz im Vergleich zu den USA ein etwas günstigeres Bild. Von Pneumokokkeninfektionen betroffen waren hauptsächlich unter 5- und über 65-Jährige. Der Anteil antibiotikaresistenter invasiver Isolate war weitgehend stabil, während sich bei den nichtinvasiven Isolaten der schon länger andauernde Trend zu verminderter Penizillin-Empfindlichkeit fortsetzte. Die potenzielle Abdeckung durch den siebenfach valenten Pneumokokkenimpfstoff betrug 75 Prozent der bei unter 2-Jährigen gefundenen invasiven und 64 Prozent der nichtinvasiven Serotypen. Bei den unter 2-Jährigen lagen die Anteile reduziert empfindlicher Pneumokokkenstämme tendeziell höher als in der Gesamtpopulation. In der Westschweiz gab es mehr resistente Pneumokokken als in der übrigen Schweiz. Nach Einschätzung der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) ist der siebenfach valente Pneumokokkenimpfstoff gut verträglich, auch bei Kindern unter zwei Jahren oder Kindern mit Immundefekt immunogen, erzeugt ein immunologisches Gedächtnis und verringert die Besiedlung des Nasopharynx mit den im Impfstoff enthaltenen Serotypen. Er kann gleichzeitig mit den im schweizerischen Impfplan empfohlenen
Basisimpfungen verabreicht werden, muss aber an einer anderen Stelle injiziert werden. Bei unter 2-Jährigen beträgt die Wirksamkeit bezogen auf die Impfserotypen etwa 95 Prozent für die Prävention invasiver Erkrankungen (Meningitiden, Bakteriämien) und etwa 50 Prozent für akute Mittelohrentzündungen. Die Wirksamkeit liegt bei etwa 70 Prozent für Lobärpneumonien und bei 20 bis 25 Prozent für radiologisch bestätigte Pneumonien jeglicher Ursache. Die EKIF ist der Ansicht, dass die Impfung bei Säuglingen und Kleinkindern zu den empfohlenen ergänzenden Vakzinationen gehört. Sie empfiehlt deshalb Ärzten, Eltern über diese Impfung umfassend zu informieren. Impfkritiker oder -skeptiker weisen jedoch darauf hin, dass invasive Pneumokokkeninfekte bei Kindern unter 16 Jahren mit der Zulassung des siebenfach valenten Impfstoffs nicht ab-, sondern möglicherweise eher zugenommen haben und halten die Ausweitung der Impfindikation von den Risikosäuglingen und -kleinkindern auf weitere Anteile der Geburtsjahrgänge für «einen Schritt ins Ungewisse» (z.B. Peter Klein auf www.impfo.ch/htm-dokumente/HiB-Pneumo-InzCH.htm).
H.B.
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FORTBILDUNG
Tabelle: Antibiotika bei akuter Otitis media
Wirkstoff
Indikation
Amoxicillin (Clamoxyl® u. Generika) Co-amoxiclav (Augmentin®, Clavamox® u. Generika) Cefixim (Cephoral®) Cefpodoxim (Orelox®, Podomexef®) Ceftibuten (Cedax®)
Cefuroxim (Zinacef®, Zinat® und Generika) Azithromycin (Zithromax®) Clarithromycin (Klacid®, Klaciped® und Generika) Erythromycin Co-trimoxazol
Streptococcus sp. (nur alpha- und beta-hämolysierende Stämme), S. pneumoniae, Staphylococcus sp., H. influenzae
Diese Kombination ist bei pädiatrischen Pat. in Regionen mit erhöhter Betalaktamasebildung von H. influenzae und M. catarrhalis erforderlich.
H. influenzae (Betalaktamase-positive und -negative Stämme), M. catharralis und S. pyogenes
S. pneumoniae, H. influenzae (einschliesslich Betalaktamase-produzierender Stämme), M. catarrhalis (einschliesslich Betalaktamase-produzierender Stämme), S. pyogenes
H. influenzae (einschliesslich Betalaktamase-produzierender Stämme), M. catarrhalis (einschliesslich Betalaktamase-produzierender Stämme), S. pyogenes. N.B.: Empirisch eingesetztes Ceftibuten war Vergleichswirkstoffen äquivalent, die Wirksamkeit gegen S. pneumoniae lag aber unter 23 Prozent.
S. pneumoniae, H. influenzae (Betalaktamase-produzierende Stämme), M. catarrhalis (Betalaktamase-produzierende Stämme), S. pyogenes
Bei Kindern ab 6 Monaten, H. influenzae, M. catharralis, S. pneumoniae
H. influenzae, M. catharralis, S. pneumoniae
Empfindliche Stämme von H. influenzae
Empfindliche Stämme von H. influenzae, S. pneumoniae. Ungenügende (Bactrim® und Generika) Datenlage zum Sicherheitsprofil bei wiederholter Therapie bei Kindern < 2 Jahren. Nicht zur Prophylaxe oder Dauermedikation geeignet.
geeignet. Studien haben gezeigt, dass gegen Erythromycin resistente Pneumokokken auch gegen Clarithromycin und Azithromycin resistent sind. Gemäss neueren US-amerikanischen Leitlinien sollten Makrolide nur noch bei schwerer Penizillin-Unverträglichkeit zum Einsatz kommen.
Quelle: Michael E. Pichichero, MD: Evolving Shifts in Otitis Media Pathogens: Relevance to a managed Care Organization. The American Journal of Managed Care, 2005, 11/6, sup.
Claudia Sarkady
Zukünftiges Management
Mit Zunahme der Impfrate mit PCV-7 unter der Bevölkerung
muss damit gerechnet werden, dass sich die Mikrobiologie der
AOM noch weiter verändert, was nach Einschätzung des Autors
direkte Konsequenzen auf die empirische antibiotische Thera-
pie der akuten Otitis haben wird.
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Interessenkonflikte werden in der Originalpublikation nicht deklariert.
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