Transkript
STUDIE REFERIERT
Herpes genitalis auch bei hochdosierter antiviraler Behandlung übertragbar
HSV-DNA. Als primärer Endpunkt der Studie wurde der innerpersonelle Vergleich der Ausscheidungsrate in jeder Studiengruppe definiert.
Aus drei Cross-over-Studien geht hervor, dass bei einer Reaktivierung des Herpes-simplex-Virustyp-2 trotz hoch dosierter antiviraler Behandlung eine sexuelle Übertragung nicht unterbunden werden kann.
LANCET
Die Infektion mit dem Herpes-simplexVirus (HSV-2) ist eine globale Epidemie und erhöht signifikant das Risiko für die Infektion mit HIV-1. Trotz der weitverbreiteten Anwendung antiviraler Substanzen während der letzten beiden Jahrzehnte haben sich Prävalenzen und Komplikationen des HSV-2 nur wenig verändert. Die tägliche antivirale Therapie reduziert genitale Läsionen und unterdrückt die Virenausscheidung. Eine Behandlung mit Valaciclovir reduziert das Risiko der sexuellen Übertragung jedoch nur um 48 Prozent. Zudem vermindert Aciclovir bei HSVseropositiven Personen nicht wirksam das Risiko der HIV-Übertragung. Eine umfangreiche Analyse von Genitalsekreten zeigt, dass HSV-Ausscheidungsepisoden dreimal häufiger vorkommen als angenommen. Etwa 50 Prozent der Reaktivierungen dauern weniger als 12 Stunden und werden vermutlich vom mukosalen Immunsystem beseitigt. Aus Studien mit einmaliger Anwendung antiviraler Medikamente ging hervor, dass antivirale Medikamente lang andauernde Episoden
Merksätze
❖ Bei Herpes-simplex-Virustyp-2 kommt es häufig zu subklinischen Reaktivierungen.
❖ In dieser Zeit kann eine sexuelle Übertragung auch mit hoch dosierter antiviraler Behandlung nicht verhindert werden.
an HSV-Reaktivierungen (mit hoher Kopienzahl) reduzieren. Ob antivirale Medikamente auch kurzzeitige Reaktivierungen unterdrücken, ist nicht bekannt. Ein Fehlschlag könnte darauf hindeuten, dass antivirale Medikamente nicht so wirksam sind wie bisher angenommen. Eine amerikanische Arbeitsgruppe untersuchte in 3 Crossover-Studien, ob eine Standarddosis oder eine hoch dosierte antivirale Therapie die Häufigkeit kurzer subklinischer Episoden reduzieren kann (1).
Methoden In die Studien wurden an der University of Washington Virology Research Clinic (USA) im Zeitraum von November 2006 bis Juli 2010 HSV-2-positive, HIV-negative Patienten eingeschlossen. Die Autoren führten drei verschiedene – aber sich ergänzende – offene Crossover-Studien durch, in denen folgende Regime verglichen wurden: ❖ keine Medikation versus Aciclovir
(Zovirax® und Generika) 400 mg zweimal täglich (Standard-Aciclovir) ❖ Valaciclovir (Valtrex® und Generika) 500 mg täglich (Standard-Valaciclovir) versus Aciclovir 800 mg täglich (Hochdosis-Aciclovir) ❖ Standard-Valaciclovir versus Valaciclovir 1g dreimal täglich (HochdosisValaciclovir).
In Studie 1 wurden Patienten mit symptomatischem und asymptomatischen Herpes genitalis eingeschlossen. In den Studien 2 und 3 mussten die Teilnehmer mindestens 4 klinische Episoden an HSV-2 im vergangenen Jahr oder einen primären labordokumentierten HSV-2 in den vergangenen 6 Monaten aufweisen. Die Studien dauerten jeweils 4 bis 7 Wochen und wurden durch eine Auswaschphase voneinander getrennt. Nach der Auswaschphase wechselten die Patienten in eine andere Studienmedikation (Cross-over). Die Patienten sammelten viermal täglich Genitaltupfer für den quantitativen Nachweis der
Ergebnisse Von 113 randomisierten Personen konnten 90 bezüglich des primären Endpunkts analysiert werden. Die Patienten sammelten insgesamt 23 605 Tupfer, von denen 1272 (5,4%) HSV-2positiv waren. Die Häufigkeit der Virenausscheidung war in der Gruppe ohne Medikation (18,1% der Tupfer) signifikant höher als in der Standard-Aciclovir-Gruppe (1,2% der Tupfer). Hochdosis-Aciclovir war mit einer weniger häufigen Virenausscheidung verbunden (4,2%) als Standard-Valaciclovir (4,5%), und bei Hochdosis-Valaciclovir (3,3%) wurde eine weniger häufige Ausscheidung beobachtet als bei Standard-Valaciclovir (5,8%). Die Anzahl der Episoden pro Personenjahr unterschied sich nicht signifikant zwischen Standard-Valaciclovir (22,6) und Hochdosis-Aciclovir (20,2) und ebenso wenig zwischen Standard-Valaciclovir (14,9) und Hochdosis-Valaciclovir (16,5). Der Unterschied war lediglich zwischen keiner Medikation (28,7) und Standard-Aciclovir (10,0; p = 0,001) signifikant. Die mediane Dauer der Episoden erstreckte sich ohne Medikation über einen längeren Zeitraum als unter Standard-Aciclovir (13 vs. 7 Stunden) und bei Standard-Valaciclovir über einen längeren Zeitraum als bei HochdosisAciclovir (10 vs. 7 Stunden), unterschied sich aber nicht signifikant zwischen Standard-Valaciclovir und Hochdosis-Aciclovir (8 vs. 8 Stunden). Desgleichen war die Anzahl der nachgewiesenen Kopien (log10)/ml ohne Medikation höher als unter StandardAciclovir (3,3 vs. 2,9; p = 0,02) und höher unter Standard-Valaciclovir als unter Hochdosis-Valaciclovir (3,0 vs. 2,5; p = 0,001), während zwischen Standard-Valaciclovir und HochdosisAciclovir kein signifikanter Unterschied festgestellt wurde (2,7 vs. 2,8; p = 0,66). In allen Gruppen handelte es sich bei 80 Prozent der Episoden um subklinische Ereignisse. Ausser einer höheren Frequenz an Kopfschmerzen unter Hochdosis-Valaciclovir wurden alle Regime gut vertragen.
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STUDIE REFERIERT
Kurze Episoden an subklinischen HSV-2Reaktivierungen kamen somit häufig vor – auch unter hoch dosierter Therapie – und sind vermutlich für die weitere sexuelle Übertragung während der Behandlung verantwortlich. Zur Verhinderung der Übertragung sind daher zukünftig wirkungsvollere antivirale Therapien erforderlich.
Diskussion der Ergebnisse Die Ergebnisse legen nahe, dass die antivirale Therapie trotz der klinischen Wirksamkeit die zugrunde liegende Pathobiologie der häufigen subklinischen HSV-2-Reaktivierung nicht wesentlich verändert. Dass die Virenausschüttung mit Hochdosis-Valaciclovir nicht verhindert oder wenigstens in ihrer Häufigkeit reduziert werden konnte, weist nach Meinung der Autoren darauf hin, dass der maximale Nutzen zur Reduzierung der Virenausschüttung mit derzeit verfügbaren Medikamenten bereits erreicht ist. Das Ergebnis, dass Hochdosis-Valaciclovir die Kinetik der viralen Clearance beschleunigt, aber nicht die Expansion, stützt die Hypothese, dass antivirale
Medikamente die Freisetzung von Virionen in den Genitaltrakt nicht unterdrücken. Daher sind neue antivirale Medikamente mit höherer Wirksamkeit inklusive einer Immuntherapie in Form einer Impfung erforderlich.
Kommentar Philipe Van de Perre und Nicolas Nagot von der Universität Montpellier kommentierten die Ergebnisse in der gleichen Ausgabe der «Lancet» (2). Herpes simplex vom Virustyp 2 führt zu einer lebenslangen Infektion mit episodischer Reaktivierung. Trotz der antiviralen Medikation ist die Frage bislang unbeantwortet, weshalb die Übertragung der Viren durch diese Medikamente nicht verhindert werden kann. Das Ergebnis, dass die Behandlung eine Ansteckung bis anhin nicht vollständig unterbinden kann, sollte ihrer Meinung nach die Patienten zur Benutzung von Kondomen und zur Anwendung anderer sicherer Sexpraktiken veranlassen. Zudem stellt sich durch diese Ergebnisse erneut die Frage nach der Natur der Latenz und der Reaktivierung. Eine Virenreplikation
auf niedrigem Niveau erhöht signifi-
kant das Übertragungsrisiko und kann
nicht ohne Weiteres mit antiherpe-
tischen Medikamenten unterbunden
werden. Somit ist auch nach Ansicht
der Kommentatoren die Entwicklung
neuer Anti-Herpes-Medikamente wie
Helicase-Primase-Inhibitoren von Be-
deutung. Immuntherapeutische Stra-
tegien wie das therapeutische Impfen
befinden sich in präklinischer Erpro-
bung, die Entwicklung wird aber durch
fehlende adäquate Tiermodelle und
mangelndes Engagement der Pharma-
industrie und des öffentlichen Sektors
behindert.
❖
Petra Stölting
Quellen 1. Johnston Christine et al.: Standard dose and high-
dose daily antiviral therapy for short episodes of genital HSV-2 reactivation: three randomised, open-label, cross-over trials. Lancet 2012; 379: 641–646. 2. Van de Perre Philippe, Nagot Nicolas: Herpes simplex virus: a new area? Lancet 2012; 379: 598–599.
Interessenkonflikte: 4 der 10 Autoren arbeiten für verschiedene Pharmaunternehmen, auch für Hersteller von HSV-Medikamenten.
ECHO
Zu Beiträgen in ARS MEDICI 7/12, S. 310 und 335–337
«Alternative Methoden sind unwirksam» – ?
Ars Medici – ärztliche Kunst – in erster Linie wird erwartet: nicht schaden. Ich lese im Rahmen der Hormonersatztherapie:
Risiko: maligne Tumoren – sowie den Merksatz: alternative Methoden sind unwirksam. Was sage ich all meinen Patientin-
nen, die dank Akupunktur und natürlichen Präparaten keine Störungen mehr haben?
Im Arsenicum lese ich, dass Hausärzte aussterben. Weshalb – schaden sie vielleicht zu häufig? Kümmern sie sich wirklich
noch im Sinne von Hippokrates um ihre Patienten und Patientinnen? Oder sind sie damit beschäftigt, irgendwelche Privi-
legien zu verteidigen und sind zu stark mit der Pharmaindustrie liiert? Es sind auf verschiedensten Ebenen Entwicklungen
im Gang (sozial, politisch, religiös-philosophisch) und seit jeher sterben nicht anpassungsfähige oder besser nicht entwick-
lungsfähige Tiere aus.
Trotzdem: ich werde Ars Medici gerne weiterhin lesen.
❖
Dr. med. Christian Rais 6987 Caslano
E-Mail: ch.rais@ticino.com
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