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Dyspepsie – Reizmagensyndrom
Abklärung und therapeutisches Vorgehen
BETTINA RIECKEN, HANS-PETER ALLGAIER
Die Dyspepsie ist ein häufiges Beschwerdebild in der hausärztlichen Praxis. Etwa 25 Prozent der Allgemeinbevölkerung leiden irgendwann im Lauf ihres Lebens an dyspeptischen Symptomen. Alle Altersgruppen sind betroffen, Frauen etwas häufiger als Männer. Der Begriff umfasst ein breites Spektrum an Beschwerden des oberen Gastrointestinaltrakts (OGITrakt). Hierzu zählen meist unspezifische Symptome wie Oberbauchschmerzen, Sodbrennen, Übelkeit und Völlegefühl.
Nur bei etwa der Hälfte der Patienten findet sich im Rahmen der Diagnostik ein organisches Korrelat für die genannten Be-
schwerden. Die andere Hälfte weist keine strukturellen Veränderungen auf (funktionelle Dyspepsie). In der Praxis ist es anhand der berichteten Symptome oft schwierig, Patienten mit funktioneller Dyspepsie von solchen mit organischen Veränderungen des OGI-Trakts abzugrenzen. Die wichtige Aufgabe der Differenzierung zwischen beiden Patientengruppen und die Entscheidung zu einer weiterführenden Diagnostik liegt in den meisten Fällen beim Hausarzt. Kürzlich herausgegebene Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) geben hierbei eine Entscheidungshilfe (1). Als Dyspepsie werden auf den Oberbauch bezogene Symptome beschrieben, welche isoliert oder in Kombination auftreten können (Tabelle 1). Definitionsgemäss liegt eine Dyspepsie dann vor, wenn die genannten Symptome innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr für mindestens drei Monate bestanden haben (2, 3). Die in der Vergangenheit oft vorgenommene Kategorisierung der Patienten in Untergruppen anhand ihrer führenden Symptomatik (reflux-, dysmotilitäts-, ulkustypische Dyspepsie) hat sich als nicht sinnvoll erwiesen, da keine gute Korrelation zwischen den berichteten Beschwerden und möglichen zugrunde liegenden Krankheitsentitäten besteht. Lediglich bei Patienten mit isoliertem Sodbrennen und saurem Aufstossen (refluxtypische Dyspepsie) liegt in den meisten Fällen eine Refluxkrankheit mit vermehrter Säureexposition der unteren Speiseröhre vor. Die wesentlichen organischen Erkrankungen, welche dyspeptischen Beschwerden zugrunde liegen, sind Ulzera des Magens oder Duodenums (15–25% [Abbildung 2]), Refluxösophagitiden (25% [Abbildung 3]) und Malignome (1–2% [Abbildung 4]).
«Die Bauchmassage besteht aus abwechselnden Streichungen, Erschütterungen, Kneten und Walken des Bauches. Dieselbe gelangt bei Störungen in den Verdauungsorganen, bei Magen- und Darmleiden mit bestem Erfolg zur Anwendung und dient im Übrigen zur Kräftigung der Bauchmuskulatur» (aus: F.E. Bilz, «Das neue Naturheilverfahren», 1897).
Andere Ursachen, wie zum Beispiel eine anikterisch verlaufende Hepatitis oder eine chronische Pankreatitis, sind weniger häufig. Bei etwa 50 Prozent der Patienten mit Dyspepsie findet sich allerdings im Rahmen einer weiterführenden Diagnostik inklusive Routinelabor und Endoskopie
Tabelle 1:
Oberbauchbeschwerden, welche isoliert oder in
Kombination bei der Dyspepsie vorkommen
q Oberbauchschmerzen
q frühzeitiges Sättigungs-/Völlegefühl
q Meteorismus/Aufstossen
q Sodbrennen
q Übelkeit
q Erbrechen
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Dyspepsie – Reizmagensyndrom
Merk-
sätze
men Versorgung des OGI-Trakts auf (Motilitätsstörungen, Störungen der viszeralen Nozizeption, autonome Neuropathie mit Gastroparese bei Diabetes mellitus).
q Der Begriff Dyspepsie beschreibt auf den Oberbauch bezogene, meist unspezifische Symptome unterschiedlicher Genese.
q Etwa 25 Prozent der Allgemeinbevölkerung leiden im Lauf ihres Lebens an dyspeptischen Beschwerden.
q Die häufigsten organischen Ursachen der Dyspepsie sind Magen- oder Duodenalulzera, Refluxösophagitiden und Malignome. Bei etwa jedem zweiten Patienten mit Dyspepsie findet sich kein strukturelles Korrelat für die Beschwerden.
q Die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie hat den höchsten diagnostischen Stellenwert bei der Abklärung einer Dyspepsie.
q Eine sofortige Endoskopie zum Ausschluss organischer Veränderungen ist bei dyspeptischen Patienten erforderlich, wenn diese älter als 45 Jahre sind, die Beschwerden nach der Therapie bestehen bleiben, NSAR eingenommen werden oder Alarmsymptome vorliegen.
q Eine organische Dyspepsie erfordert eine kausale Therapie. Die Behandlung einer funktionellen Dyspepsie ist oft schwierig, Basistherapeutika mit gesicherter Wirksamkeit sind Protonenpumpenhemmer, H2-Antagonisten und Prokinetika.
q Die Eradikation von H. pylori kann bei funktioneller Dyspepsie nicht empfohlen werden.
keine fassbare organische Ursache für die angegebenen Symptome. Ein Teil dieser Patienten weist Störungen der autono-
Diagnostische Massnahmen
Die Endoskopie des OGI-Trakts ist nach der klinischen Untersuchung das diagnostische Verfahren mit dem höchsten Stellenwert bei der Abklärung einer Dyspepsie. Sie ist – nicht zuletzt durch die Option einer Histologiegewinnung – der Röntgenkontrastdarstellung des OGI-Trakts deutlich überlegen und hat sie daher weit gehend abgelöst. In der Praxis müssen zunächst anhand einer detaillierten Anamnese das Beschwerdebild charakterisiert, Vorerkrankungen und Voroperationen erfasst, sowie eine Medikamentenanamnese erhoben werden. Zusätzlich sollte nach Alarmsymptomen (Tabelle 2) gefragt werden, welche in Verbindung mit dyspeptischen Beschwerden eine sofortige endoskopische Abklärung zum Ausschluss organischer Veränderungen erfordern. Bei über 45-Jährigen sowie bei Patienten, die nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) einnehmen, sollte unabhängig davon, ob Alarmsymptome vorhanden sind, unmittelbar eine Endoskopie durchgeführt werden. Auch wenn die Beschwerden nach Einleitung einer Therapie persistieren, ist eine endoskopische Abklärung unabhängig vom Alter spätestens nach vier Wochen erforderlich. Bei jüngeren Patienten ohne Alarmsymptome und ohne Einnahme von NSAR sind drei Optionen möglich: q endoskopische Abklärung mit Ge-
websentnahme inkl. Diagnostik auf Helicobacter pylori (H.p.) q symptomorientierte probatorische Therapie für maximal vier Wochen q Durchführung eines nichtinvasiven Tests auf H.p. (empfohlen wird der 13C-Harnstoff-Atemtest). Alle drei Vorgehensweisen gelten als akzeptabel. Eine sofortige Endoskopie erscheint im direkten Vergleich mit einer probatorischen Therapie allerdings kosteneffektiver (5). Die nichtinvasive Dia-
Abbildung 1: Helicobacter-pylori-assoziierte Gastritis mit flächig-streifigen Rötungen der Antrumschleimhaut. Bei dyspeptischen Patienten mit diesem endoskopischen Bild kann eine Eradikationstherapie versucht werden, diese führt jedoch trotz erfolgreicher Keimelimination oftmals nicht zu einer dauerhaften Beschwerdefreiheit.
gnostik auf H. pylori ist nur dann sinnvoll, wenn bei positivem Ergebnis auch eine Eradikationstherapie angeschlossen wird. Weitere Untersuchungen sind bei jüngeren Patienten mit Dyspepsie ohne Alarmsymptome, die nach Therapie beschwerdefrei sind, nicht erforderlich. Ältere Patienten, Therapieversager sowie Personen mit Alarmsymptomen müssen einer weiteren Diagnostik zugeführt wer-
Tabelle 2:
Alarmsymptome, die in Verbindung mit Dyspepsie eine unmittelbare endoskopische Abklä-
rung erfordern
q Gewichtsverlust > 3 kg in 6 Monaten
q Dysphagie
q rezidivierendes Erbrechen
q Anämie
q Bluterbrechen/Teerstuhl
q Fieber
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Tabelle 3:
Erforderliche Laboruntersuchungen im Rahmen
einer weiterführenden Abklärung der Dyspepsie
q Kleines Blutbild
q BSG
q Transaminasen
q Gamma-GT
q Kreatinin
q Lipase
q Haemoccult
Tabelle 4:
Therapieoptionen mit gesicherter Wirksamkeit bei funktioneller
Dyspepsie
q Protonenpumpenhemmer/ H2-Antagonisten
q Prokinetika (Metoclopramid/Domperidon)
q Antidepressiva
q Psychosomatik
den. Diese beinhaltet in erster Linie ein Sonogramm des Abdomens sowie Laboruntersuchungen (Tabelle 3). In ausgewählten Fällen können bei unauffälliger ÖGD weitere apparative Untersuchungen sinnvoll sein. So kann bei refluxtypischen Beschwerden ohne makroskopisch fassbare Läsionen eine 24-Stunden-pH-Metrie die Diagnose einer Refluxkrankheit im Stadium 0 sichern. Die Ösophagus-Manometrie kann bei krampfartigen Retrosternalschmerzen, Dysphagie und häufigem Erbrechen seltenere Erkrankungen (z.B. «Nussknackerösophagus», Achalasie) eingrenzen. Hier hat auch die Röntgenkontrastdarstellung des OGI-Trakts nach wie vor ihren Stellenwert. Durch den H2-Laktose-Atemtest kann bei ausgeprägtem Meteorismus und gleichzeitigen Reizdarmsymptomen eine Lakto-
seintoleranz diagnostiziert werden. Bei Patienten über 50 Jahren sollte bei negativer Endoskopie des OGI-Trakts eine Koloskopie zum Ausschluss eines Kolonkarzinoms angeschlossen werden, insbesondere wenn gleichzeitig Alarmsymptome vorliegen (eine Massnahme, die ab diesem Alter ohnehin als Vorsorgeuntersuchung indiziert ist).
Therapieformen
Bei einer organischen Dyspepsie mit strukturellen Läsionen ist eine kausale Therapie notwendig. Eine Refluxösophagitis (auch im Stadium 0) erfordert eine Therapie mit Protonenpumpenhemmern und Prokinetika, ein Magen- oder Duodenalulkus die Eradikation von H. pylori und ein Malignom eine stadienadaptierte Tumortherapie. Die Behandlung einer funktionellen Dyspepsie ist oft schwierig, da das angegebene Beschwerdebild schlecht mit dem Therapieerfolg korreliert. Deshalb ist meist eine probatorische Therapie notwendig. Problematisch ist auch die Therapiedauer, denn keines der eingesetzten Therapeutika garantiert, dass die Symptome dauerhaft verschwinden. Häufig treten sie wieder auf. Ein grosser Teil der Patienten mit funktioneller Dyspepsie spricht ebenfalls auf eine Therapie mit Protonenpumpenhemmern, H2-Antagonisten und Prokinetika an. Insbesondere Personen mit refluxtypischen Beschwerden, aber ohne nachweisbare Refluxkrankheit, profitieren von einer Behandlung mit säuresupprimierenden Substanzen, wobei Protonenpumpenhemmer den H2-Antagonisten überlegen sind. Trizyklische Antidepressiva, Dimeticon, sowie das pflanzliche Mischpräparat Berogast® (in der Schweiz nicht im Handel) waren in den wenigen vorliegenden randomisierten Studien Plazebopräparaten ebenfalls überlegen. Eine H.-pylori-Eradikationstherapie führt nur bei einer geringen Anzahl (5–10%) der Patienten mit funktioneller Dyspepsie zu einem Therapieerfolg und ist daher – nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen – nicht empfehlenswert. Antazida sind
Abbildung 2: Tiefes Ulcus ventriculi im Bereich der Angulusfalte. Hier ist eine Diagnostik auf Helicobacter pylori zwingend notwendig. Bei positivem Befund muss eine Eradikationstherapie angeschlossen werden. In jedem Fall ist nach vier bis sechs Wochen eine endoskopische Kontrolle mit Biopsieentnahme aus der Ulkusnarbe zum Ausschluss eines Malignoms notwendig. Beim Ulcus duodeni hingegen ist eine solche Kontrolluntersuchung nicht erforderlich.
Abbildung 3: Schwere Refluxösophagitis mit zirkulär konfluierenden, flachen Ulzerationen, teilweise mit Fibrinbelag (Stadium III). Eine konsequente Therapie mit Protonenpumpenhemmern und Prokinetika kann diese Läsionen zur Abheilung bringen.
unwirksam. Zahlreiche andere Substanzen wurden bei Patienten mit funktionel-
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Abbildung 4: Kleines exulzerierendes Plattenepithelkarzinom des mittleren Ösophagus, eine eher seltene Ursache einer organischen Dyspepsie.
ler Dyspepsie eingesetzt. So fehlen gesicherte Daten hinsichtlich der Wirksamkeit für Sucralfat, Spasmolytika, Erythromycin, Opioid-Rezeptor-Agonisten, Prostaglandinund Somatostatin-Analoga und Nitrate.
Nicht zuletzt darf bei der funktionellen
Dyspepsie eine psychosomatische Kom-
ponente nicht ausser Acht gelassen wer-
den. In diesem Zusammenhang sind der
Ausschluss einer organischen Erkrankung
und die Aufklärung über die Gutartigkeit
der Störung oftmals von grosser thera-
peutischer Bedeutung. Tabelle 4 fasst ge-
sicherte Therapieoptionen der funktionel-
len Dyspepsie kurz zusammen.
q
Literatur: 1. Malfertheiner P., Holtmann G., Peitz U. et al. (2001): Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten zur Behandlung der Dyspepsie. Z Gastroenterol 39: 937–956. 2. Holtmann G. (2001): Therapie der funktionellen Dyspepsie (Reizmagensyndrom). Internist 42: 1261–1269. 3. Talley N.J., Stanghellini V., Heading R.C. et al. (1999): Functional gastroduodenal disorders. Gut 45 Suppl. II: 37–42. 4. McQuaid K. (1998): Dyspepsia. In: Feldman M., Scharschmidt B.F., Sleisenger M.H. (Hrsg.): Gastrointestinal and Liver
Diseases. 6. Aufl. W.B. Saunders Comp. Philadelphia, Pennsylvania. 5. Bytzer P., Hansen J.M., Schaffalitzky de Muckadell O.B. (1994): Empirical H2blocker therapy or prompt endoscopy in management of dyspepsia. Lancet 343: 811–816.
Dr. med. Bettina Riecken PD Dr. med. Hans-Peter Allgaier
Universitätsklinikum Abteilung Innere Medizin II Gastroenterologie, Hepatologie und
Endokrinologie Hugstetterstr. 55 D-79106 Freiburg im Breisgau
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 8/2002. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
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