Transkript
FORTBILDUNG
Prävention, Diagnose und Primärtherapie bei Brustkrebs
Eine Bestandesaufnahme des heutigen Managements
Auch beim Mammakarzinom sind viele Aspekte —
Präventionsmöglichkeiten, apparative Diagnostik und
Modalitäten der chirurgischen und radiologischen
Primärbehandlung — dank laufend neuer Forschungs-
ergebnisse im Fluss.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
In den letzten beiden Dekaden haben durch Brustkrebs verursachte Todesfälle in den westlichen Ländern um mehr als 25 Prozent abgenommen. Dies dürfte an den substanziellen Verbesserungen im Management der gefürchteten Erkrankung liegen. Aus demografischen Gründen, möglicherweise aber auch wegen Umweltursachen und wegen des breiter eingesetzten Screenings, hat die registrierte Inzidenz des Mammakarzinoms in den letzten drei Jahrzehnten hingegen zugenommen. In ihrer zweiteiligen Übersicht im «British Medical Journal» konzentrieren sich Nicholas C. Turner und Alison L. Jones zunächst auf wichtige Gesichtspunkte der Primärprävention, der Diagnostik und der Behandlung in frühen Stadien.
Welche Brustkrebsrisikofaktoren sind vermeidbar? Dank eines besseren Verständnisses der Ursachen von Brustkrebs sind einige Risikofaktoren hervorgetreten, die beeinflussbar sind. Dazu gehören die Vermeidung der postmenopausalen Adipositas, Förderung des körperlichen Trainings, Verminderung des Alkoholkonsums und die Ermunterung zum Stillen. Keine schlüssige Evidenz gibt es hingegen für Risiken, die von bestimmten Nahrungskomponenten ausgehen sollen, beispielsweise von Milchprodukten oder Fett. In dieselbe Richtung zeigen auch randomisierte Interventionsstudien in der Sekundärprävention nach Therapie eines frühen Mammakarzinoms, in denen die Einschränkung der alltäglichen Fettzufuhr keinen Einfluss auf Rezidive hatte. Eine längerfristige Exposition mit exogenem Östrogen ist inzwischen als Risikofaktor bei postmenopausalen Frauen anerkannt. Gleich zwei Studien – die Women’s Health Initiative (WHI) und die Million Women Study – bestätigten, dass die Zufuhr von kombinierten Östrogen-Progestagen-Präparaten
das Brustkrebsrisiko verdoppelte während die alleinige Östrogenzufuhr als Hormonersatztherapie eine Zunahme um 30 Prozent erkennen liess. Eine Abnahme der Brustkrebsinzidenz in den USA nach der Medienkampagne wegen dieser Studien ist als Bestätigung interpretiert worden. Ein interessantes Forschungsgebiet, in dem jetzt auch grosse Kohortenstudien laufen, beschäftigt sich mit der Interaktion bestimmter genetischer Konstellation mit Umweltrisiken.
Können Medikamente Brustkrebs verhindern? Nachdem klar geworden ist, dass die kumulative Östrogenexposition die Brustkrebsentstehung massgeblich beeinflusst, liefen bei besonderen Hochrisikogruppen, zum Beispiel bei Frauen mit hoher familiärer Belastung für diese Krebsart, Präventionsstudien mit selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (SERM), zunächst mit Tamoxifen (Nolvadex® oder Generika),
Merksätze
■ Die Mortalität des Brustkrebses sinkt in den Ländern der westlichen Welt, die Krankheit ist aber immer noch eine wichtige Todesursache, da die Inzidenz hoch bleibt und noch zunimmt.
■ Einige Risikofaktoren sind beeinflussbar, beispielsweise die kombinierte Hormonersatztherapie sowie gewisse Lifestylefaktoren.
■ Tamoxifen oder Raloxifen während 5 Jahren kann bei Hochrisikopatientinnen ein Drittel der Mammakarzinome verhindern, es gibt aber keine Evidenz für eine Reduktion der Brustkrebstodesfälle.
■ Bei Frauen mit hohem Brustkrebsrisiko ist die Magnetresonanztomografie signifikant sensitiver als die Mammografie.
■ Chirurgische Fortschritte wie die Sentinel-Lymphknotenbiopsie und onkoplastische Verfahren sind in der Lage, die behandlungsassoziierte Morbidität zu verringern.
■ Die adjuvante Bestrahlungsbehandlung kann heute bei vergleichbarer Wirksamkeit und ähnlichen Nebenwirkungen über kürzere Zeiträume verabreicht werden.
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später mit Raloxifen (Evista®). Die Tamoxifenstudien dokumentierten eine Reduktion des Risikos der Entwicklung invasiver Mammakarzinome um 38 Prozent nach drei- bis achtjähriger Einnahme. Ob dies auch für Frauen ohne Risikofaktoren zutreffen würde, bleibt unklar. Eine randomisierte Studie mit Raloxifen bei fast 20 000 postmenopausalen Frauen bestätigte einen vergleichbaren präventiven Effekt. Diese hormonellen Studien vermochten jedoch weder eine Verbesserung der brustkrebsspezifischen noch der Gesamtmortalität zu dokumentieren, wobei sie für den Nachweis eines geringgradigen Einflusses nicht die nötige statistische Power besassen. Dies dürfte daran liegen, dass mit SERM nur die weniger aggressiven östrogenrezeptorpositiven Mammakarzinome verhindert werden, von denen viele nach Diagnosestellung und Therapie geheilt werden können. In den USA sind SERM zur Brustkrebsprävention zugelassen, nicht jedoch in Europa. Zurzeit läuft eine grosse Präventionsstudie (IBIS II) mit dem Aromatasehemmer Anastrazol® (Arimidex®).
Gibt es eine Evidenz für die Prävention bei Hochrisikopatientinnen? Frauen mit Mutationen in den Genen BRCA1 und BRCA2 haben ein Lebenszeitrisiko für Brustkrebs von bis zu 80 Prozent. Inzwischen sind mehrere weitere prädisponierende Gene identifiziert worden. Ein ebenfalls substanziell erhöhtes Brustkrebsrisiko haben Frauen, die wegen eines Hodgkin-Lymphoms im frühen Adoleszenz- oder Erwachsenenalter eine Thoraxbestrahlung erhalten haben. Noch ist nicht klar, welche präventiven Strategien bei Frauen mit hoher genetischer Belastung zur Brustkrebsverhütung eingesetzt werden sollen. In den Tamoxifenstudien waren zu wenige Frauen mit dieser Konstellation vertreten, um sinnvolle Schlussfolgerungen zu ziehen. Für Raloxifen gibt es keine entsprechenden Daten. Die beidseitige Ovarektomie konnte nach Berichten bis zu 85 Prozent der Ovarial- und 50 Prozent der Mammakarzinome verhindern. Eine beidseitige präventive Mastektomie verringert das Brustkrebsrisiko um 90 Prozent (aber nicht um 100%, da nach dem Eingriff Drüsengewebe zurückbleibt). Eine Studie aus neun Ländern konnte unlängst Beobachtungen an über 2600 Frauen mit BRCA1- und BRCA2Mutationen nach einem medianen Follow-up von 3,9 Jahren nach genetischer Testung melden. 57 Prozent der Frauen hatten eine prophylaktische Oophorektomie erhalten, 18 Prozent eine risikovermindernde Mastektomie vornehmen lassen, und 9 Prozent hatten sich für eine hormonelle Chemoprävention ohne Mastektomie entschieden. Knapp die Hälfte der Frauen hatte keine aktive Präventionsstrategie befolgt und verliess sich allein auf das radiologische Screening.
Wie nützlich ist die Mammografie? Die britischen Autoren stellen zu diesem umstrittenen Thema lapidar fest, dass kein Konsens herrscht. Sie zitieren die berühmt-berüchtigte Cochrane-Übersicht von Gotzsche und Nielsen, nach der das Mammografiescreening das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, um etwa 15 Prozent vermindert bei
einer gleichzeitigen Ausweitung der Zahl der Diagnosen um 30 Prozent. Daraus liess sich errechnen, dass etwa 2000 Frauen während zehn Jahren gescreent werden müssen, um einen einzigen Brustkrebstodesfall zu verhindern, und dass gleichzeitig 10 Frauen während dieses Zeitraums eine Brustkrebsdiagnose erhalten, bei denen der Tumor klinisch okkult geblieben und nie diagnostiziert worden wäre. Die Cochrane-Review ist von verschiedener Seite heftig kritisiert worden, unter anderem mit dem Hinweis auf eine Mortalitätsreduktion durch das Mammografiescreening von bis zu 35 Prozent.
Ist die Magnetresonanz ein Fortschritt gegenüber der Mammografie? Bisherige Studien belegen, dass die kontrastverstärkte Magnetresonanzbildgebung (MRI) bei Frauen mit bekanntem hohem Risiko hinsichtlich der Erkennung invasiver Mammakarzinome deutlich sensitiver ist als die herkömmliche radiologische Mammografie. Eine britische Studie fand eine Sensitivität der jährlichen Mammografie von 40 Prozent, verglichen mit 77 Prozent für MRI und 94 Prozent für die Kombination beider Untersuchungsmethoden. Bedenken erregt hat hingegen die geringere Spezifität des MRI (83% MRI allein, 77% MRI plus Mammografie, 93% für die Mammografie). MRI ist im Vergleich zur Mammografie mit 92 Prozent versus 56 Prozent auch sensitiver bei der Erkennung nicht invasiver Tumoren (duktales Carcinoma in situ). In Grossbritannien fasst man jährliche MRI bei Hochrisikopatientinnen ab 30 Jahre ins Auge, kämpft aber noch mit den höheren Kosten. Hinderlich ist auch, dass es bis heute keine Daten für den Einfluss des MRI auf die Mortalität gibt.
Welche Fortschritte hat die Chirurgie bei Brustkrebs gemacht? Die Diagnose des Mammakarzinoms erfolgt heute dreifach im Rahmen eines multidisziplinären Managements (klinisch, radiologisch, pathologisch mittels Biopsie). In ausgewählten Fällen kann ein MRI helfen, bei lobulärer invasiver Erkrankung die Ausdehnung besser abzuschätzen. Für die prognostische Information und als Wegleitung der weiteren Therapie zur lokalen Kontrolle der Erkrankung ist die Sentinel-Lymphknotenbiopsie heute als Standard akzeptiert, wie die Autoren bekräftigen. Für die Entscheidung zur vollen Lymphknotenausräumung der Axilla können intraoperativ verschiedene Schnellverfahren eingesetzt werden. Die Sentinel-Lymphknotenbiopsie gilt als sicher, mit einer Rate falschnegativer Resultate von weniger als 10 Prozent, reduzierter Morbidität des betroffenen Arms und kürzerer Hospitalisationsdauer. Zurzeit wird die vollständige Lymphknotenausräumung im Vergleich zur Radiotherapie bei positiver Sentinel-Lymphknotenbiopsie erforscht. Ausserdem besteht noch Unsicherheit über das korrekte Management von Mikrometastasen (< 2 mm) oder isolierter Tumorzellen in der Biopsie, die für sich allein die Prognose nicht ändern. In kleinen Serien sind auch endoskopische Verfahren zur Entfernung axillärer Lymphknoten sowie zur Mastektomie
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erprobt worden. Diese haben auf eine geringere Morbidität hingewiesen. Noch sind solche Eingriffe Studien und spezialisierten Zentren vorbehalten. Bei der Untersuchung von Sekretion aus der Brustwarze kann heute ebenfalls die Endoskopie zum Einsatz kommen. Ebenfalls im Rahmen der Forschung werden minimalinvasive Techniken (Radiofrequenzablation, Laser-, Kryotherapie) bei kleinen (<3 cm) Brusttumoren erprobt. Einige Fortschritte hat die onkoplastische Chirurgie zu verzeichnen, indem die kosmetischen Ergebnisse nach Mastektomie durch bessere Implantate und Wiederaufbautechniken günstiger ausfallen. Eine unmittelbare Rekonstruktion ist oft möglich, obwohl viele Zentren ein zweizeitiges Vorgehen befürworten, wenn eine adjuvante Radiotherapie notwendig ist.
Verbesserungen bei der adjuvanten Radiotherapie Nach brusterhaltender Chirurgie benötigen alle Frauen eine lokale Bestrahlung, welche die Rate von Lokalrezidiven von 26 auf 7 Prozent senken kann. Heute kann der Schutzeffekt mit gegenüber früher verkürzter Dauer der Bestrahlungsphase erzielt werden, was für die Patientinnen angenehmer und auch kostengünstiger ist.
Eine Metaanalyse randomisierter Studien hat ergeben, dass
eine Bestrahlung nach Mastektomie bei vier oder mehr posi-
tiven axillären Lymphknoten das Überleben verlängert. Aller-
dings basiert die Untersuchung auf älteren Studien, und das
Risiko von Lokalrezidiven ist heute dank besserer Chirurgie
und systemischer adjuvanter Therapie deutlich geringer
geworden, was eine Neubeurteilung anhand laufender rando-
misierter Studien erforderlich macht.
Die derzeitige Forschung beschäftigt sich mit den Möglich-
keiten einer partiellen Brustbestrahlung nach grosszügiger
Lokalresektion, etwa durch intraoperative Radiotherapie oder
Brachytherapie. Noch gibt es hierzu aber vergleichsweise
wenig Evidenz.
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Nicholas C. Turner, Alison L. Jones: Management of breast cancer — part I. BMJ 2008; 337: 107—110. doi:10.1136/bmj.a421.
Interessenkonflikte: A.L. Jones deklariert Beratungs- und Vortragsentschädigungen der Firmen AstraZeneca, Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline, Roche und Sanofi-Aventis.
Halid Bas
Der zweite Teil dieser Übersicht erscheint im nächsten Heft.
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