Transkript
INTERVIEW
«Wir haben gelernt, unsere Schmerzpatienten besser zu behandeln»
Ein Gespräch mit Urs Keller, Gewinner des IHAMB-Preises 2008
Sandoz hat in Kooperation mit dem Institut für Hausarztmedizin Basel (IHAMB) dieses Jahr erstmals den IHAMB- Forschungspreis der Sandoz verliehen. Die mit insgesamt 10 000 Franken dotierte Auszeichnung prämiert die drei besten Arbeiten aus den Bereichen hausärztliche Praxistätigkeit und Qualitätsmanagement, aber auch aus Lehre, Forschung, Managed Care oder Gesundheitspolitik. Für die Arbeit «Gemeinsam gegen Schmerz — Verbesserung der Schmerzbehandlung bei PizolCare» hat der Allgemeinmediziner Urs Keller aus Wangs — gemeinsam mit Barbara Schneiter-Rusconi und Nicola Lenherr — den ersten Preis gewonnen. Wir sprachen mit Urs Keller über das Ärztenetzwerk PizolCare und das preisgekrönte Projekt.
ten Kollegen aus. PizolCare ist letztlich von unten, von der Basis aus entstanden. Wir haben alle Ärzte des Ärztevereins eingeladen mitzumachen, und 85 Prozent haben sich uns sofort angeschlossen und eine Betriebsgesellschaft gegründet. Bald haben wir begonnen, Hausarztmodellverträge abzuschliessen. Parallel dazu haben wir unter anderem auch die Zertifizierung vorangetrieben, bei der nach anfänglichem Zögern letztlich die grosse Mehrheit mitmachte.
ARS MEDICI: Wie würden Sie Ihre Philosophie beschreiben? Keller: Wir sind der Überzeugung, dass wir eine gute Qualität der Patientenversorgung zu anständigen Preisen für Leistungserbringer und Versicherte gewährleisten müssen. Unser Motto: zufriedene Patienten/innen für zufriedene ÄrztInnen. Weil wir von einer integrierten Versorgung überzeugt sind, waren wir eines der ersten Netzwerke, das auch Spezialisten und Spitalkaderärzte eingebunden hat. Man kann eben als Grundversorger nicht allein Versorgung und Kosten steuern. Sehr früh haben wir in unsere Projekte auch Spitex-Vereine, MPA und Physiotherapeuten miteinbezogen. Zudem wurden Qualitätszirkel eingerichtet. Klar, dass es am Anfang auch Skepsis gab, «wieder eine Sitzung mehr», mag der eine oder andere gedacht haben, aber am Ende haben sich die Aktivitäten als sehr hilfreich erwiesen.
ARS MEDICI: Herr Keller, bevor wir auf Ihr Projekt zu sprechen kommen, ein paar Worte zu PizolCare. Wie kam es zur Gründung dieses Ärztenetzwerks? Keller: Die Gründung von PizolCare geht auf das Jahr 2000 zurück. Damals herrschte eine grosse Unzufriedenheit unter den Ärzten in der Region Werdenberg-Sarganserland. Wir haben uns über die Schikanen der Versicherungen, aber auch über das Verhalten der Politiker geärgert. Wir hatten das Gefühl, nur als Kostenverursacher betrachtet zu werden, manch einem wurden Wirtschaftlichkeitsverfahren angehängt. Da haben wir uns entschlossen, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen.
ARS MEDICI: Ging die Initiative auf einige wenige Ärzte zurück? Keller: Nein, das unterscheidet uns von vielen anderen Ärztenetzwerken. Die Initiative ging nicht von ein paar engagier-
ARS MEDICI: Sie sprechen von einer grossen Zahl von Ärzten, die in ihrem Netzwerk mitmachen. Eine Minderheit ist aber offenbar nicht eingetreten. Welche Vorbehalte haben diese Kollegen bewogen, das Angebot abzulehnen? Keller: Das hat meist grundsätzliche Gründe. Manche Kollegen lehnen prinzipiell eine Budgetmitverantwortung ab oder sehen die Krankenkassen grundsätzlich als Gegner des Arztes an, mit denen man nicht verhandelt. Auch «vorauseilender Gehorsam» wurde uns schon vorgeworfen.
ARS MEDICI: Sie haben den Preis für Ihre Aktivitäten zur besseren Versorgung von Schmerzpatienten erhalten. Wie entstand das Projekt, was war der Ausgangspunkt? Keller: Unser Hauptanliegen war, die integrierte Versorgung unserer Schmerzpatienten zu verbessern, und dies in Zusammenarbeit mit dem Spital und den spitalexternen Diensten. Zunächst ging es aber darum herauszufinden, wie die Schmerzbehandlung in unserer Region überhaupt erfolgt und
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INTERVIEW
ARS MEDICI: Wie haben Sie die Verbesserungsvorschläge umgesetzt? Keller: Auf der Basis der Empfehlungen haben wir dann Fortbildungen mit den Spitex-Vereinen durchgeführt, wir haben die MPA geschult sowie ein Tool zur Symptomerfassung eingeführt und die Patienten wurden angehalten, ein Medikamentenprotokoll zu führen. Unter uns Ärzten haben wir uns in Qualitätszirkeln mit der Thematik beschäftigt und interne Richtlinien zur Behandlung von Schmerzpatienten entwickelt.
«Die Akzeptanz der Opioidbehandlung ist grösser geworden.»
Dr. med Urs Keller (li.) mit der PizolCare-Spitex-Koordinatorin Barbara Schneiter-Rusconi
wie es um die Zufriedenheit der Patienten bestellt ist. Mit der Schweizer Krebsliga fanden wir einen geeigneten Partner. Die Krebsliga war daran interessiert, ein Befragungstool, das bereits schon länger an Kliniken angewandt wird, im ambulanten Bereich auszuprobieren. Dazu wurde der Befragungsbogen entsprechend angepasst. Einbezogen in das Projekt wurden Spitex-Organisationen und Physiotherapieinstitute. Die Krebsliga stellte im Jahr 2004 zwei Psychologinnen ab, die an bestimmten Wochentagen in unserer Region strukturierte Interviews mit Schmerzpatienten durchführten. Nach der Befragung wurden die Fragebogen von der Krebsliga ausgewertet und man gab uns Empfehlungen, wo wir uns verbessern könnten. Zudem haben wir zusammen mit der Spitex und unserer Spitalregion ein Projekt zur Verbesserung der Schmerzerfassung mithilfe der visuell-analogen Skala realisiert. Dies führte dazu, dass diese Tools vermehrt von Hausärzten und Spitex-Vereinen genutzt werden, um die Befindlichkeit der Schmerzpatienten zu objektivieren.
ARS MEDICI: Wie sind die Schmerzpatienten charakterisiert? Keller: Es handelte sich um Patienten mit starken Schmerzen, oft Rückenschmerzen, aber auch Krebsschmerzen, die in der Regel einer Opioidtherapie bedurften.
ARS MEDICI: Haben all diese Aktivitäten die Patientenversorgung tatsächlich verbessert? Keller: Ja, das bestätigt eine zweite Befragung, die im vergangenen Jahr durchgeführt wurde. Es zeigte sich, dass die Patienten nun zufriedener waren und die Behandlung sich den Guidelines der Schmerzexperten angenähert hatte. Aber auch anhand von Fallvignetten konnten wir zeigen, dass wir etwas gelernt haben, dass wir heute beispielsweise Schmerzen eher mit einem Opioidpflaster behandeln, den Medikamentencocktail richtig einsetzen und stufengerecht behandeln. Insgesamt ist die Akzpetanz der Opioidbehandlung viel grösser geworden und die Patienten sind öfter nach dem geforderten Basis-Bolus-Prinzip mit Analgetika versorgt worden.
ARS MEDICI: Ist das Projekt jetzt abgeschlossen? Keller: Wir sind trotz der Verbesserungen noch nicht zufrieden. Wir haben noch zu wenig Patienten, bei denen die visuell- analoge Skala eingesetzt wird. Auch die medikamentöse Therapie muss noch weiter verbessert werden. Wir machen weiterhin Fortbildungen bei den Spitex-Vereinen und kümmern uns im Qualitätszirkel weiter um das Thema. Es wäre sinnvoll, in ein paar Jahren eine weitere Befragung durchzuführen.
ARS MEDICI: Sie haben ein Preisgeld von 6000 Franken
erhalten. Was haben Sie mit dem Preisgeld gemacht?
Keller: Im Moment haben wir es noch nicht, aber es wird
sicher kommen (lacht). Einen Teil werden wir dazu nutzen,
um die bereits entstandenen Projektkosten zu decken, einen
anderen Teil investieren wir in die Weiterentwicklung unseres
Projekts. Und schliesslich wollen wir alle, die mitgemacht
haben, zu einem kleinen Abendessen einladen.
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ARS MEDICI: Herr Keller, wir danken Ihnen für das Gespräch.
ARS MEDICI: Handelte es sich um eine repräsentative Befragung? Keller: Nein, repräsentativ war die Befragung nicht, aber sie erlaubte uns dennoch, einen guten Eindruck über die Situation zu gewinnen.
Das Gespräch führte Uwe Beise.
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