Transkript
FORUM
Die HPV-Story
Rolf Nägeli
Im Herbst 2007 wurde ich erstmals an eine Fortbildung eingeladen, auf der ein neuer Impfstoff gegen das HPV-Virus vorgestellt wurde. Erdrückend positive Studien bleiben mir noch in lebhafter Erinnerung, wenn nur der Preis nicht wäre … 720 Franken allein für den Impfstoff der 3 Dosen, dazu die Konsultation mit Beratung. Schon war der Druck der Öffentlichkeit zu spüren wurde die Impfung doch bereits an prominenter Stelle in den Medien und am Fernsehen vorgestellt. Als Schularzt überschlagen sich bei mir die Zahlen: 40 Mädchen in einem Jahrgang, das macht 28 400 Franken nur für den Impfstoff. Das sprengt ja jede Kostenneutralitätsrechnung, ich sehe den Taxpunkt schon auf 55 Rappen! Doch dann nimmt sich die Politik der Sache an. Das BAG, die SDK und die Leistungserbringer verhandeln mit der Firma. Die Impfung wird deutlich billiger, muss aber in einem kantonalen Impfprogramm umgesetzt werden. Einmal sickern Zahlen durch, das BAG denkt an 500 bis 600 Franken pro Impfserie, wir warten ab. Plötzlich sind sie da, die Unterlagen. In einem dicken Couvert vom Gesundheitsdepartement sind alle Erklärungen, Anweisungen, Formulare, aufgeteilt nach Schularzt- und Praxisimpfprogramm, verpackt. Ein beträchtlicher administrativer Aufwand wird uns minutiös vorgeschrieben. 159 Franken pro Impfung wurde festgelegt, davon 143.30 Franken für den Einkauf des Impfstoffs. Der Rest ist, man höre und staune, für den Arzt. Im Rahmen der schulärztlichen Reihenimpfungen lässt sich das vertreten, nicht aber in der Praxis! Niemand von uns wurde gefragt, weder die Organisationen der Hausärzte noch die kantonalen Ärztegesellschaften. Wir werden aufgefordert, uns auf einer Liste einzutragen, um an diesem Programm teilnehmen zu können. Mit diesem Schritt verpflichten wir uns, alle
Bedingungen in Bezug auf Bestell- und Lieferkonditionen, auf Dokumentation und Abrechnung zu akzeptieren. Ebenfalls inbegriffen ist die Entschädigung für die medizinische Leistung, Material sowie Information und Beratung. Für all diese Leistungen sind gerade noch 15.60 Franken vorgesehen. Das kann doch nicht sein, das entspricht der Entschädigung für 5 Minuten Sprechstunde. Wie sollen wir so den Ansprüchen unserer Patientinnen und unseren eigenen gerecht werden? Der Widerstand beginnt sich zu regen, die Köpfe beginnen zu rauchen. Einmal mehr hat man sich über unsere Köpfe hinweggesetzt und unsere Arbeit und unsere Qualitätsansprüche mit Füssen getreten. Doch, was tun? Wie können wir das kommunizieren? Die kantonale Gesellschaft distanziert sich von diesem Preisdiktat, die SGAM zieht nach und empfiehlt ihren Mitgliedern, sich nicht zu diesen Bedingungen an der Impfaktion in den Praxen zu beteiligen. Der mediale Aufschrei ist gewaltig! Die Zeitungen schreiben von Impfstreik, von Boykott, von unethischem Verhalten, von Geldgier. Radio und Fernsehen tun es ihnen gleich. Es kam, wie es kommen musste. Jeder schreibt das, was er will, die wenigsten kennen die Fakten, Sätze werden aus dem Zusammenhang gerissen, Schlagzeilen aufgemotzt mit Worten, die wir nie gesagt haben. Die eigene Standesorganisation FMH fällt uns unsanft in den Rücken. Man ist beleidigt, weil nicht über das Vorgehen informiert, weil wir das Gespräch nicht gesucht haben. Die Informationen werden immer widersprüchlicher, plötzlich heisst es vonseiten der FMH, die Beratung und zusätzlicher Aufwand dürften doch separat nach Aufwand verrechnet werden. Die Kantone bestreiten das vehement. Was ist nun wahr? Wurden unsere Standesvertreter über den Tisch gezogen? Haben sie ein Abkommen akzeptiert, welches sie so gar nicht wollten?
Oder haben sie recht? War alles ein Sturm im Wasserglas, ausgelöst durch Fehlinformationen, zu grossem Imageschaden auf unserer Seite? Was hätten wir für Gründe, uns zu wehren, wenn wir für den Aufwand gerecht entschädigt werden? Ist das so schwer zu verstehen, wenn wir unsere Kosten gedeckt haben wollen und dazu einen kleinen Verdienst? Zum Vergleich: Eine Verfügung des Strassenverkehrsamtes oder einer anderen Amtsstelle mit einem personalisierten Serienbrief kostet 50 Franken. Vielleicht hat diese Protestaktion doch etwas ausgelöst, vielleicht ist es das letzte Mal, dass versucht wird, etwas über die Köpfe der Hausärzte hinweg zu bestimmen. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass man uns gering achtet, uns nicht einmal anfragt wegen einer Aufgabe, die wir zu bewältigen haben und auch noch verantworten müssen. ■
Dr. med. Rolf Nägeli Delegierter SGAM-Vorstand
Erstveröffentlichung in «OSGAM Information» Nr. 85, Oktober 2008. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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FORUM
Ausverkauf der Hausarztmedizin
Alex Steinacher
Wenn nun aber der Bundesrat und das
BAG trotz besseren Wissens stur am Rad
Seien wir ehrlich: Noch nie war die Dis- weiterdrehen, das Praxislabor de facto
krepanz zwischen Worten und Taten abschaffen sowie uns die Möglichkeit
grösser! Vor dem Hintergrund der der- nehmen, den tiefen TPW durch die Medi-
zeitigen Ereignisse werden alle Lippen- kamentenverkäufe quer zu subventio-
bekenntnisse der letzten Jahre nun als nieren, dann kann dies nur mit grenzen-
plumpe Lügen enttarnt, Hinhaltetaktik loser Dummheit und Ignoranz erklärt
und Täuschungsmanöver. Vor gerade werden …
einmal Jahren musste der Bevölkerung … oder aber es steckt in schönfärberi-
und den Politikern aufgezeigt werden, schen Worten verpacktes Kalkül dahin-
dass nicht eine «Plethora» an Ärzten ter. Dann ergibt plötzlich alles einen Sinn,
passt wieder zusammen und wird
Wer sich so verhält, verfolgt nur ein Ziel: Er will die Hausarztmedizin ausbluten lassen!
logisch. Wer sich so verhält, verfolgt nur ein Ziel: Er will die Hausarztmedizin ausbluten lassen! So
effizient, so zielgerichtet haben
oder zumindest an Grundversorgern das eidgenössische Politik und Bundesbehör-
Problem ist, sondern das Gegenteil. In- den schon lange kein Ziel mehr verfolgt.
zwischen hat in den meisten Köpfen eine Schnell ersetzt durch vermeintlich bil-
gedankliche Kehrtwende um 180 Grad lige, aber leider medizinisch und mit
stattgefunden, und der Hausärzteman- unseren Sozialwerken unerfahrene Euro-
gel wird als Tatsache akzeptiert. Immer- docs oder noch besser durch in Blitzkur-
hin sind in diesem Punkt sogar Ins- sen weitergebildete Health Nurses soll
titutionen wie Santésuisse oder Obsan sie werden, die Hausarztmedizin, und
mit uns einig. Die Politiker werden in- aus der Asche des alten soll ein neues,
zwischen auch nicht müde zu beteuern, günstigeres System entstehen. (Dass
wie wichtig wir Hausärzte für eine funk- diese weitergebildeten Nurses nicht zu
tionierende und kostengünstige Grund- einem Stundenlohn arbeiten werden, der
versorgung sind. Und man lobt uns uns derzeit real noch bleibt, hat bis jetzt
wegen der in den letzten Jahren gegen- wohl auch noch niemand gemerkt …)
über anderen Sparten unterdurchschnitt- Wem es wirklich ums Sparen ginge, hätte
lichen Kostensteigerung. Bravo, gut ge- allerdings den Hebel wohl eher dort an-
macht!
gesetzt, wo derzeit die grössten Kosten
Man hat ja bisher auch kräftig auf unse- entstehen und wo die stärksten Kosten-
rem Rücken gespart, und wir selbst ha- steigerungen zu verzeichnen sind. Der
ben brav unseren Obolus zur Dämpfung hätte Parallelimporte auch bei den Medi-
der Kostensteigerung beigetragen und kamenten zugelassen, hätte Massnahmen
uns immer redlich an alle vertraglichen ergriffen, um die Mengenausweitung in
Abmachungen und Vereinbarungen den Spitalambulatorien zu reduzieren.
gehalten, was nicht von allen u¨brigen Dort werden viele Leistungen erbracht,
Playern im System behauptet werden die mit teilweise deutlich tieferem TPW
kann. Das Ganze geht so weit, dass alle auch in der freien Praxis möglich sind.
diese Massnahmen zu einem derartigen Man hätte Mittel und Wege gesucht, die
Attraktivitätseinbruch unseres Berufs Kostensteigerung in der ambulanten
geführt haben, dass kaum noch ein Stu- Betreuung zu reduzieren.
dienabgänger Hausarzt werden will. Der- Aufgrund der gegenwärtigen Machtver-
zeit sind es gemäss aktuellen Umfragen hältnisse sind all dies aber spartechni-
10 Prozent, benötigt wu¨rden aber sche Sperrzonen. Lieber wird an der
50 Prozent.
Labormedizin herumgeschraubt, die mit
3 Prozent lediglich einen minimalen Anteil an den Gesundheitskosten ausmacht und das Sparpotenzial entsprechend gering ist (was uns Folgekosten in einem Vielfachen der eingesparten Summe quasi als Bumerang bescheren wird). In dieser Situation haben wir nun zwei Optionen: Entweder wir akzeptieren das Aussterben des Hausarztberufs und lassen das System mit lautem Getöse gegen die Wand krachen. (Kurz vorher springen wir natu¨rlich ab und suchen unser Heil in gewinnbringenderen Sparten wie Case Management oder bieten uns nach dem Crash als «Gesundheitsexperten» zu guten Beraterhonoraren an, um das darniederliegende System anschliessend wiederaufzubauen oder wir gehen nach Afrika, wo man noch zupackende Generalisten braucht und auch dankbar dafu¨r ist.)
Spartechnische Sperrzonen aufgrund der Machtverhältnisse
Oder: Wir kämpfen weiter fu¨r eine kos-
teneffiziente medizinische Grundversor-
gung. Ob hier unsere bisherige Haltung
als verlässlicher Vertrags- und Verhand-
lungspartner ausreichen wird, wage ich
zu bezweifeln. Wohin dieser Weg in den
letzten 30 Jahren (wohlgemerkt trotz
unermu¨dlichen Einsatzes von hellen
Köpfen und engagierten Standespoliti-
kern) geführt hat, sehen wir jetzt unge-
schminkt vor uns. Wir werden womöglich
ungewöhnliche Wege beschreiten müs-
sen, und es wird auch die Mitarbeit
der Kollegen brauchen, die sich eigent-
lich vorgenommen haben, die Zeit bis
zur Pensionierung noch möglichst ruhig
und unbehelligt von Standespolitik aus-
zusitzen.
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Dr. med. Alex Steinacher Ressort Medien
Erstveröffentlichung in «OSGAM Information» Nr. 85, Oktober 2008. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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