Transkript
FORTBILDUNG
Management der Hypothyreose bei Erwachsenen
Sollten wir auch die subklinische Hypothyreose behandeln?
Die Hypothyreose ist eine sehr häufige endokrinolo-
gische Störung, deren Management als relativ einfach
und für die meisten Patientinnen und Patienten als
in der Grundversorgung durchführbar gilt.
BMJ
Ganz so einfach liegen die Dinge jedoch trotzdem nicht, zumindest fanden Studien aus Grossbritannien, dass zwischen 40 und 48 Prozent der Betroffenen entweder über- oder untertherapiert waren, wie die Autoren dieser Übersicht im «British Medical Journal» schreiben (1). Auch ist bekannt, dass sich ein kleinerer, aber bedeutsamer Teil der Patienten mit Hypothyreose auch unter Substitution nicht gesund fühlen.
Welches sind häufige Ursachen? Als Verursacher einer Schilddrüsenunterfunktion kommt eine ganze Reihe von Störungen infrage. Am häufigsten ist sie Folge einer Autoimmunthyreoiditis, die mit einer Hashimoto-Struma oder mit einer Schilddrüsenatrophie einhergehen kann. Auch ärztliche Massnahmen wie die chirurgische oder die Radiojodablation der Schilddrüse bei Hyperthyreose oder Karzinom führen zu einer nicht unwesentlichen Gruppe mit endokrinologischem Defizit. Schon deutlich seltener ist eine Hypothyreose Folge einer medikamentösen Behandlung (z.B. Amiodaron, Lithium, Interferone, Sunitinib oder Rifampicin) und damit potenziell reversibel oder sekundär bei hypophysärer oder hypothalamischer Erkrankung.
Worüber klagen Patienten mit Hypothyreose? Die Autoimmunthyreoiditis führt im Allgemeinen zu einem langsamen Versagen der Hormonproduktion, sodass sich auch die Symptome kaum merklich langsam über Jahre entwickeln. Die Zeichen, die auf ein solches Geschehen hinweisen, sind sehr vielfältig, von Kälteintoleranz oder Obstipation über chronische Müdigkeit und leichte Vergesslichkeit bis hin zu schweren Einschränkungen des Bewusstseins (Kasten «Wie sich eine Hypothyreose klinisch äussern kann»). Heute sieht man in industrialisierten Ländern kaum mehr schwere fortgeschrittene Hypothyreosen.
Wie diagnostiziert man eine Hypothyreose? Die Diagnose einer primären Hypothyreose wird durch einen Anstieg des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) im Serum über die Obergrenze des Referenzbereichs bestätigt. Erwachsene mit symptomatischer Hypothyreose haben oft TSHKonzentrationen über 10 mE/l, zusammen mit einer Reduktion der Serumspiegel von freiem oder Gesamt-Thyroxin. Manche Erwachsene mit weniger stark ausgeprägter Hypothyreose weisen aber auch nur leicht erhöhte TSH-Werte (typischerweise zwischen 5 und 10 mE/l) auf, gepaart mit einem Thyroxinspiegel innerhalb des Referenzbereichs. Dies wird oft als subklinische Hypothyreose bezeichnet und kann bei vielen Patienten einen Zustand mit kompensierter oder nur geringfügiger Schilddrüseninsuffizienz darstellen. Bei den TSH-Spiegeln gibt es eine etwa 30-prozentige Schwankung im Tagesverlauf mit einem Minimum um zirka 14 Uhr und Wiederanstieg während der Nachtzeit. Diese Variabilität ist auch bei leichter Hypothyreose erhalten und kann zu einem fluktuierenden Eindruck des Krankheitsgeschehens führen. Bei der Interpretation der Laborwerte sind auch Unterschiede zwischen verschiedenen TSH-Bestimmungs-Methoden und deren unterschiedliche Referenzbereiche zu berücksichtigen. Selbst bei schwerer
Merksätze
■ Bei Erwachsenen mit neu diagnostizierter Hypothyreose unter 60 Jahren und ohne ischämische Herzerkrankung ist der Beginn der Substitution mit der vollen Erhaltungsdosis sicher und effizient.
■ Die Levothyroxinsubstitutionsdosis steht in Beziehung zur Körpermasse. Für die meisten Erwachsenen ist eine Dosis von 1,6 μg pro kg Körpergewicht adäquat. Dies entspricht etwa 100 μg täglich für Frauen und 125 μg täglich für Männer.
■ Bei älteren Personen oder bei Patienten mit ischämischer Herzerkrankung soll die Substitution mit einer kleinen Anfangsdosis begonnen und schrittweise aufwärtstitriert werden.
■ Derzeitige Evidenz spricht nicht für einen klinischen Vorteil, wenn Levothyroxin zusätzlich mit Trijodothyronin (Liothyronin) kombiniert wird.
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FORTBILDUNG
Kasten 1: Wie sich eine Hypothyreose klinisch Kasten 1: äussern kann
■ Erschöpfung
■ trockene, dünne, blasse Haut
■ Somnolenz
■ Augensäcke
■ verlangsamte Kognition ■ Bradykardie
■ Kälteintoleranz
■ verlangsamte Sehnenreflexe
■ Obstipation
■ Vergröberung der Gesichtszüge
■ Depression
■ Pleura-, Perikarderguss
■ Gewichtszunahme
■ Aszites
■ Wadensteifigkeit
■ nicht eindrückbare Unter■ schenkelödeme (Myxödem)
■ Menstruationsstörungen ■ Hyponatriämie
■ Karpaltunnelsyndrom ■ Hörschwierigkeiten
■ Hypercholesterinämie
■ Bewussteinstrübung ■ («Myxödem-Koma»)
Hypothyreose sind die Serum-Trijodthyronin (T3-)Konzentrationen oft normal und ihre Bestimmung in dieser Situation daher nicht hilfreich. Hat die Hypothyreose eine autoimmune Ursache, lassen sich bei über 90 Prozent zirkulierende Antikörper gegen Thyreoidea-Peroxidase (anti-TPO) und bei 70 Prozent gegen Thyreoglobin (anti-TG) nachweisen.
Wer soll wegen Hypothyreose behandelt werden? Die Abbildung gibt einen pragmatischen Algorithmus zum Management bei primärer Hypothyreose bei Erwachsenen ausserhalb der Schwangerschaft. Dieser stellt auf die gemessene Konzentration des Serum-TSH ab. Klinisch lassen sich drei Konstellationen charakterisieren, die ein etwas unterschiedliches Vorgehen erfordern. Symptomatische Hypothyreose mit TSH > 10 mE/l: Symptomatische Patienten mit eindeutig erhöhter TSH-Konzentration sollen behandelt werden. Da eine Substitutionstherapie in aller Regel lebenslang erfolgen muss, ist es sinnvoll, die TSH-Erhöhung in einer zweiten Bestimmung zu bestätigen. Erwachsene mit symptomatischer Hypothyreose fühlen sich gewöhnlich unter Therapie besser. Ausserdem kann eine Substitutionsbehandlung die hypothyreosebedingte Dyslipidämie rückgängig
Erhöhte TSH-Spiegel
TSH > 10mE/l mit oder ohne tiefes Serum-fT4
TSH 5–10 mE/l mit oder ohne tiefes Serum-fT4
TSH 5–10 mE/l mit normalem Serum-fT4
Hypothyreosesymptome?
Ja Nein
3–6 Monate Versuch mit Levothyroxin
anti-TPO bestimmen
Symptombesserung?
positiv
negativ
Ja
lebenslange Therapie mit Levothyroxin
Nein
andere Diagnose erwägen
TSH-Spiegel jährlich überprüfen
TSH-Spiegel alle 3 Jahre überprüfen
TSH = Thyreoidea-stimulierendes Hormon, fT4 = freies Thyroxin, anti-TPO = Antikörper gegen Thyreoidea-Peroxidase
Abbildung: Algorithmus für das pragmatische Management der primären Hypothyreose bei Erwachsenen (ausserhalb einer Schwangerschaft)
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FORTBILDUNG
Kasten 2: Was man Patienten mit neu diagnostiKasten 2: zierter Hypothyreose sagen sollte
■ Das Schilddrüsenhormon (Levothyroxin) hat im Blut eine Halbwertszeit von 7 Tagen. Das heisst, dass es 1 Woche oder länger dauern wird, bis Sie sich besser fühlen. Umgekehrt bedeutet dies auch, dass kein merklicher Effekt entsteht, wenn einmal eine Einnahme vergessen geht.
■ Wenn Sie unter Muskelschwäche, Steifigkeit oder Gedächtnisschwierigkeiten leiden, kann es bis zur Besserung bis zu 6 Monaten dauern.
■ Levothyroxin soll zur bestmöglichen Aufnahme auf ganz leeren Magen genommen werden.
■ Die Behandlung muss gewöhnlich lebenslang erfolgen, und während dieser Zeit sind nur kleine Änderungen in der Dosierung erforderlich, die sich nach jährlichen Blutkontrollen (Bestimmung des schilddrüsenstimulierenden Hormons TSH) richten.
Kasten 3: Tipps für den Nichtspezialisten
■ Nach biochemischer Korrektur der Hypothyreose kann es mehrere Monate dauern, bis die Symptome verschwinden.
■ Wenn nach adäquaten Dosen von Levothyroxin der TSH-Spiegel konstant erhöht bleibt, muss eine schlechte Compliance, eine Interferenz mit anderen Medikamenten oder eine Malabsorption (z.B. unerkannte Zöliakie) vermutet werden.
■ Bei Patienten unter Levothyroxinsubstitution ist jedesmal, wenn ein neues Medikament verschrieben wird, die Frage zu stellen, ob dies die Absorption oder Wirkung von Levothyroxin beeinflussen kann. Häufige Problemverursacher sind Eisenund Kalziumsalze.
■ Für das Monitoring der Levothyroxinsubstitution ist bei den meisten Hypothyreosepatienten die alleinige TSH-Bestimmung adäquat (Ausnahmen: Hypophysen- oder hypothalamische Störungen).
■ Eine Überweisung zum Spezialisten ist zu erwägen, wenn die Symptome sich nicht bessern oder verschlechtern, wenn der TSH-Spiegel trotz maximaler Levothyroxindosierung konstant erhöht bleibt oder wenn Komorbiditäten oder Komplikationen vorliegen (z.B. aktive und instabile Koronarerkrankung, Schwangerschaft).
machen und damit das vaskuläre Risiko günstig beeinflussen. Ausser bei medikamentös induzierter Schilddrüsenunterfunktion oder in der Erholungsphase einer Thyreoiditis (z.B. post partum oder bei schmerzhafter subakuter Thyreoiditis) besteht kaum eine Chance auf eine spontane Erholung der endokrinen Organfunktion.
Subklinische Hypothyreose (TSH 5–10 mE/l, freies Serumthyroxin im Normbereich): Eine Levothyroxinbehandlung für diese Patientengruppe bleibt kontrovers. Einige dieser Patienten haben leichte Hypothyreosezeichen. Eine Beobachtungsstudie über 20 Jahre hat gezeigt, dass ein kleines Risiko der Progression zur eindeutigen, symptomatischen Hypothyreose besteht, das mit der Höhe des TSH-Spiegels und dem Vorhandensein von anti-TPO korreliert. Ein weiterer Beitrag aus dem «British Medical Journal» (2) diskutiert die unsichere Datenlage in diesem Bereich (Kasten «Subklinische Hypothyreose: Wo liegen die Unsicherheiten?»). Heutige Evidenz stützt hingegen die Auffassung, dass eine subklinische Hypothyreose bei über 85-Jährigen mit Langlebigkeit assoziiert ist. Für die Praxis empfiehlt es sich, die TSH-Konzentration innerhalb von drei Monaten erneut zu bestimmen, zusammen mit der Suche nach anti-TPO. Damit lässt sich ein abnormer TSHSpiegel bestätigen und die Geschwindigkeit der Abnahme der Schilddrüsenfunktion abschätzen. Ein vorübergehender, leichter TSH-Anstieg kann in der Erholungsphase nach Erkrankungen vorkommen, die nicht die Schilddrüse betreffen. Haben Patienten mit einer Hypothyreose vereinbare Symptome und besteht die TSH-Erhöhung fort, lässt sich ein therapeutischer Versuch mit Levothyroxin während drei bis sechs Monaten rechtfertigen. Erfährt der Patient eine Symptombesserung, was bei einem Drittel bis der Hälfte dieser Fälle zu beobachten ist, erscheint eine Fortsetzung der Substitution vernünftig. Bei Patienten mit leichter TSH-Erhöhung und positivem antiTPO-Nachweis beträgt das Risiko der Progression zur offenen Hypothyreose weniger als 5 Prozent pro Jahr. Eine jährliche Überprüfung der Schilddrüsenfunktion ist daher ausreichend. Fehlen anti-TPO, ist dieses Risiko mit rund 2 Prozent pro Jahr noch geringer, weshalb eine Überprüfung nur alle drei Jahre empfohlen wird (Abbildung). Wichtige Ausnahmen von dieser Vorgehensweise sind Frauen während der Schwangerschaft oder mit Konzeptionswunsch. Hier soll auch eine leichte Hypothyreose immer behandelt werden. Symptome der Hypothyreose bei normalen TSH-Spiegeln: Eine normale TSH-Konzentration schliesst eine primäre Hypothyreose an sich aus, es kann aber eine sekundäre Schilddrüsenunterfunktion hypophysärer oder hypothalamischer Ursache vorliegen. Diese ist praktisch immer mit anderen endokrinen Defiziten verbunden, beispielsweise mit tiefen Gonadotropinspiegeln und assoziierter Amenorrhö, Galaktorrhö oder erektiler Dysfunktion. Da auch eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz vorliegen kann, sollte vor einer Levothyroxinsubstitution immer eine vollständige Abklärung der Hypophysenfunktion erfolgen. Eine kleine, aber sorgfältige Studie hat ergeben, dass Individuen mit Hypothyreosesymptomen, aber normalen TSH-Serum-Werten mit Levothyroxin keine Besserung erfahren.
Wie soll die Hypothyreose behandelt werden? Levothyroxin (Eltroxin®, Euthyrox®, Tirosint®) ist die Therapie der Wahl bei Hypothyreose. Oft wird eine Anfangsdosis von
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MANAGEMENT DER HYPOTHYREOSE BEI ERWACHSENEN
Kasten 4: Subklinische Hypothyreose: Wo liegen Kasten 4: die Unsicherheiten?
Die subklinische Hypothyreose ist eine Labordefinition und bezeichnet eine erhöhte Konzentration von TSH bei normaler Konzentration von freiem Thyroxin ohne Vorliegen der spezifischen Symptome einer Schilddrüsendysfunktion. Neuere systematische Reviews und Kohortenstudien dokumentieren bei Menschen mit subklinischer Hypothyreose und TSH-Spiegeln > 10 mE/l einen signifikanten Anstieg an koronaren Herzkrankheiten (KHK) und kardial bedingter Mortalität, aber keine Differenz bei der Gesamtsterblichkeit. Unsicher bleiben auch die Auswirkungen der Substitutionstherapie in dieser Gruppe: Zwar haben zwei systematische Reviews gezeigt, dass es unter Behandlung zu einer Abnahme des Gesamtcholesterins und des LDL-Cholesterins kommt, ob dies eine Abnahme der KHK oder der Mortalität bewirkt, ist jedoch nicht erforscht. Auch für weitere Auswirkungen einer Substitutionstherapie ist die Datenlage sehr durchzogen: Einerseits ist über eine Zunahme von Angst bei fehlender Besserung der Lebensqualität berichtet worden, andererseits gibt es begrenzte Hinweise für eine Symptombesserung, zum Beispiel hinsichtlich der chronischen Müdigkeit, aber ohne bessere Messwerte für die Lebensqualität. Neuropsychologische Tests ergaben zudem keine Differenz zwischen subklinisch hypothyreoten und euthyreoten Männern.
Jährlich 2 bis 4 Prozent der Patienten mit subklinischer Hypothyreose entwickeln eine symptomatische Schilddrüsenunterfunktion. Ob dies durch eine frühzeitige Therapie beeinflusst werden kann, ist nicht erforscht.
Die Substitutionstherapie bietet auch Risiken. So kann sie zu einer Hyperthyreose führen, und unter der Therapie kann die Knochenmineraldichte abnehmen. Sehr tiefe TSH-Spiegel gehen mit einem höheren Risiko für Vorhofflimmern einher.
Eine Konsensuskonferenz kam 2004 zum Schluss, dass aufgrund der vorliegenden Evidenz ein allgemeines Screening auf und eine Therapie der subklinischen Hypothyreose nicht erfolgen sollte. Dies kann als Richtschnur für die Praxis dienen. Patienten sollten also nicht routinemässig auf eine subklinische Hypothyreose untersucht werden, da bei ihnen der Endpunkt der Therapie unsicher bliebe. Liegen aber bei leicht erhöhter TSH-Konzentration vage Symptome wie Müdigkeit oder depressive Verstimmung vor, lässt sich ein kurzer Therapieversuch vertreten, wenn die Therapieziele gut kommuniziert werden. Wird die zuvor definierte Besserung der Symptome nicht erreicht, ist der Versuch abzubrechen. Als Versuchsdauer werden drei bis sechs Monate empfohlen, obwohl sich dies nicht auf Richtlinien abstützt.
schaftlich ist. Daher sollte bei den meisten Patienten gleich mit einer vollen Substitutionsdosis begonnen werden. Ausnahmen sind Patienten ab 60 Jahren und solche mit einer ischämischen Herzkrankheit. Der Levothyroxinbedarf hängt von der fettfreien Körpermasse ab, eine Tagesdosis von 1,6 µg/kg führt die meisten Patienten zur Euthyreose. Bei Frauen mit einem durchschnittlichen Gewicht von 60 kg entspricht dies 100 µg pro Tag, bei Männern mit 75 kg sind es 150 µg täglich. Für einen Therapieversuch bei subklinischer Hypothyreose empfiehlt sich eine Anfangsdosis nahe der vollen Tagesdosis (75 oder 100 µg/Tag), da nur so ein Ansprechen leichter Symptome auf die Therapie zurückgeführt werden kann. Monitoring der Levothyroxinsubstitution: Auch für die Therapieüberwachung ist der TSH-Spiegel ausschlaggebend (ausser bei sek. Hypothyreose). Da bei länger anhaltender Hypothyreose der TSH-sezernierende Hypophysenanteil hypertrophiert ist, braucht es selbst unter der vollen Substitutionsdosis häufig drei bis sechs Monate bis zur Normalisierung des TSH-Spiegels. Acht bis zwölf Wochen nach Beginn der Levothyroxingabe sollte eine erste Kontrolle von TSH und freiem Thyroxin mit allfälliger Dosisanpassung erfolgen. Bei stabilen Verhältnissen reicht eine jährliche TSH-Bestimmung zur Therapieüberwachung aus. Es gibt aber Situationen, die erfahrungsgemäss Dosisanpassungen nötig machen, so Schwangerschaft, allenfalls auch Östrogeneinnahme sowie grosse Veränderungen beim Körpergewicht. Zudem werden mit zunehmendem Alter geringere Levothyroxindosen notwendig, da die fettfreie Körpermasse abnimmt. Zielkonzentration für TSH: Ziel der Levothyroxinbehandlung ist, dass sich der Patient besser fühlt. Die Dosis sollte so gewählt sein, dass der TSH-Spiegel in der unteren Hälfte des Referenzbereichs, zwischen 0,4 und 2,5 mE/l, zu liegen kommt. Fühlt sich der Patient aber mit einem TSH in der oberen Hälfte des Normbereichs völlig wohl, braucht nichts geändert zu werden. Halten Müdigkeit, Schläfrigkeit, subtile kognitive Probleme wie Vergesslichkeit aber an, ist eine Dosisanhebung (z.B. um 25 µg pro Tag oder an alternierenden Tagen) vernünftig. Eine nichtrandomisierte Studie hatte ergeben, dass eine Aufwärtstitration (sogar bis zur völligen TSH-Suppression) mit besserem subjektivem Befinden assoziiert war, eine neuere randomisierte Studie hat dies jedoch nicht bestätigt. Eine völlige TSH-Unterdrückung (< 0,1 mE/l) sollte vermieden werden. Bei jüngeren Individuen ist eine hohe, nahezu TSHsupprimierende Dosis akzeptabel, wenn nur so subjektives Wohlbefinden zu erzielen ist. Bei über 60-Jährigen hingegen sollte ein tiefes TSH Anlass zu einer Dosisreduktion sein. Eine Metaanalyse hat ergeben, dass in dieser Altersgruppe sehr tiefe TSH-Spiegel mit einem erhöhten Osteoporoserisiko einhergehen. Ausserdem ist bei tiefen TSH-Konzentrationen ein dreimal höheres Risiko für Vorhofflimmern zu beobachten. 25 bis 50 µg pro Tag empfohlen mit anschliessender Aufwärtstitration. Die Autoren führen jedoch eine randomisierte Studie an, die gezeigt hat, dass dieses Vorgehen bei den meisten Patienten nicht notwendig und wahrscheinlich auch unwirt- Welches sind die Probleme bei der Levothyroxinsubsitution? Abnorme TSH-Spiegel persistieren: Hier könnte ein Complianceproblem vorliegen. Wird das Levothyroxin nur am Tag des ARS MEDICI 22 ■ 2008 995 FORTBILDUNG Praxisbesuchs für die Laborbestimmung eingenommen, sind die TSH-Spiegel ständig erhöht, aber die freien Thyroxinkonzentrationen normal oder erhöht. Patienten sollten zu Beginn der Levothyroxintherapie eingehendere Informationen erhalten (Kasten «Was man Patienten mit neu diagnostizierter Hypothyreose sagen sollte»), und notfalls sind diese Hinweise zu wiederholen. Ausser bei ischämischen Herzleiden oder Vorhofflimmern ist es auch sicher, wenn der Patienten nach dem Vergessen der Tagesdosis am nächsten Tag die doppelte Dosis einnimmt. Weniger häufig handelt es sich um eine Medikamenteneinwirkung, beispielsweise eine Absorptionsbehinderung durch Kalzium-, Eisen-, Aluminiumsalze oder Colestyramin beziehungsweise durch eine erhöhte Levothyroxinclearance unter Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbiton oder Rifampicin. Bei anhaltend erhöhte TSH-Konzentration lohnt es sich, eine Zöliakie auszuschliessen. Auch eine autoimmune Gastritis wird zusammen mit einer Autoimmunthyreoiditis häufiger gesehen. Patient fühlt sich nicht gut trotz kontrollierter TSH-Spiegel: Hier sind auch andere Diagnosen in Betracht zu ziehen, da leichte Schilddrüsenabnormitäten häufig sind, die eigentliche Ursache der Symptome mit einer Substitution aber möglicherweise nicht behandelt wird. Fühlt sich ein Patienten mit Hypothyreosesymptomen unter Levothyroxin ganz eindeutig schlechter, muss man an einen Morbus Addison denken. Andere Differenzialdiagnosen sind weitere Autoimmunerkrankungen (perniziöse Anämie) oder ein Schlafapnoesyndrom. Liegt das TSH über 1,5 mE/l, kann auch eine leichte Dosissteigerung (z.B. um 12,5 µg/Tag) versucht werden. Bei der Feintitration zum Erreichen des bestmöglichen Befindens empfiehlt es sich nach der Erfahrung der Autoren, bei einem einmal gewählten Präparat zu bleiben, da subtile Unterschiede in der Levothy- roxinformulierung mit der Veränderung der Symptome interfe- rieren können. Kardiale Situation: Individuen mit länger anhaltender Hypo- thyreose haben oft eine Bradykardie, und diese kann eine sub- stanzielle Koronarerkrankung maskieren. Deshalb sollte die Levothyroxinsubstitution bei über 60-Jährigen oder bei be- kannten Herzproblemen behutsam erfolgen. Besondere Vor- sicht ist geboten bei sehr hohen TSH-Spiegeln (> 50 mE/l).
In kardial schwierigen Situationen sollte die Anfangsdosis
12,5 oder 25 µg pro Tag betragen und nur alle drei bis sechs
Wochen angehoben werden, mahnen die Autoren.
Schwangerschaft: Eine mütterliche Hypothyreose ist mit
ungünstigen geburtshilflichen Verläufen und langfristigen
Entwicklungsstörungen des Kindes assoziiert, weshalb sich
immer die Überweisung zum Spezialisten empfiehlt.
Kombinierte Substitutionstherapie: Verschiedene Studien
haben untersucht, ob bei primärer Hypothyreose eine Kombi-
nation von Levothyroxin mit Trijodothyroxin (Liothyroxin,
Präparat Novothyral®) hilfreich ist. Eine neuere prospektive
Studie sowie eine Metaanalyse von elf randomisierten Studien
konnten aber keine offensichtlichen Vorteile belegen. Offenbar
kann die verfügbare Kombination der beiden Hormone die Ver-
hältnisse in der menschlichen Schilddrüse mit ihren relativen
Mengenverhältnissen und Freisetzungsmodalitäten nicht bes-
ser abbilden.
■
Bijay Vaidya, Simon H.S. Pearce: Management of hypothyroidism in adults. Brit med J 2008; 337: 284—289. doi:10.1136/bmj.a801. Cung B. Pham, Allen F. Shaughnessy: Should we treat subclinical hypothyroidism? Brit med J 2008; 337: 290—291. BMJ 2008; doi:10.1136/bmj.a834.
Interessenlage: Die Autoren beider Artikel deklarieren keine Interessenkonflikte.
Halid Bas
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