Transkript
STUDIE REFERIERT
Intensive Statintherapie
Wie wirksam und wie sicher ist eine hoch dosierte Behandlung?
Hinsichtlich der nicht kardialen Mortalität ergab sich kein Unterschied in Abhängigkeit von der Statindosis. Auch die Gesamtmortalität wurde bei KHK-Patienten nicht nennenswert beeinflusst.
Merksätze
Statine gehören heute zu den
Standardmedikamenten bei Patien-
ten mit koronarer Herzkrankheit
(KHK). In den letzten Jahren hat
sich der Eindruck verstärkt, dass
eine besonders intensive Therapie
mit hohen Dosen dieser Substan-
zen den Therapieerfolg weiter
verstärkt. Kanadische Mediziner
haben die einschlägigen Studien
anhand einer Metaanalyse auf
diese Frage hin ausgewertet.
CMAJ
Statine sollen hauptsächlich über eine Senkung des LDL-Cholesterins wirken, die erzielte Reduktion des kardiovaskulären Risikos ist allerdings unabhängig davon, wie hoch der LDL-Ausgangswert bei einem Patienten ist. Das wirft die Frage auf, ob der unstrittige Nutzen der Statine überhaupt in erster Linie über die Beeinflussung der Cholesterinwerte zustande kommt. Davon gleichwohl sind die allermeisten Experten überzeugt. Es hat sich in den letzten Jahren dabei gezeigt, dass eine besonders aggressive Statintherapie einen noch grösseren therapeutischen Benefit verspricht. Aus diesem Grund wurden zwischenzeitlich in den amerikanischen und kanadischen
Richtlinien zur sekundären Prävention der KHK die LDL-Zielwerte gesenkt, und zwar auf 2,0 mmol/l. Hingegen ist man in Europa noch beim alten Zielwert von 2,5 mmol/l verblieben – ein Zeichen dafür, dass sowohl Nutzen als auch mögliche Risiken der intensivierten Statintherapie also noch etwas unterschiedlich eingeschätzt werden. Grund genug für eine Arbeitsgruppe von der Universität of Alba, Edmonton, der Frage in einem systematischen Review nachzugehen. Die kanadischen Mediziner bezogen sieben randomisierte und kontrollierte Studien mit fast 30 000 Patienten in ihre Analyse ein. In diesen Untersuchungen wurden Statine unterschiedlicher Dosierungen getestet, mithin eine intensive gegen eine «normale» Statintherapie verglichen. Ausgeschlossen wurden allerdings Studien, in denen sehr geringe Statindosen verwendet wurden, wie sie heute in der Praxis keine Rolle mehr spielen. Zu welchen Ergebnissen kamen die Autoren: Die Metaanalyse bestätigte zunächst, dass eine intensivere Therapie das LDL-Cholesterin stärker senkt – im Vergleich mit der weniger intensiven Behandlung machte die Differenz durchschnittlich 0,72 mmol/l aus. Dies ging (bei KHK-Patienten) aber auch mit einer Abnahme der Myokardinfarktrate einher, und zwar um absolut 1,4 Prozent (relativ um 17%). Die Schlaganfallrate fiel um 0,5 Prozent geringer aus, was einer relativen Risikoreduktion von 18 Prozent entspricht. Diesem Zusatznutzen stehen etwas häufigere Therapieabbruchraten gegenüber (+2,5% absolut). Geringfügig höher lagen im Durchschnit auch die Aminotransferaseeerte (+1%) und das Auftreten einer Myopathie (+0,5%).
■ Eine intensive Statintherapie ist im Allgemeinen sicher und gut verträglich.
■ Der Nutzen ist verglichen mit einer weniger intensiven Statintherapie etwas höher hinsichtlich der sekundären Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall bei Patienten mit bekannter KHK — und zwar unabhängig vom bestehenden LDL-Cholesterinausgangswert.
■ Die Studie liefert keine neuen Erkenntnisse zur Frage des optimalen LDL-Zielwerts.
■ Ob auch Patienten mit arteriosklerotischen Risikofaktoren, aber ohne KHK von einer intensiven Statintherapie besonders profitieren, ist unklar.
Nicht gültig für Kombinationstherapien Nach Auffassung der Autoren sprechen ihre Resultate zwar für eine intensivere Statinmonotherapie, aber nicht unbedingt für eine kombinierte Therapie. Nach Auskunft der Autoren haben Kombinationstherapien, die nicht selten für eine Einstellung auf sehr niedrige LDLWerte erforderlich sind, ein potenziell höheres Nebenwirkungspotenzial. Es reiche nicht aus, die Wirksamkeit der Kombinationstherapie in Kurzzeitstudien mit LDL-Zielwerten demonstriert zu haben. «Grosse Studien werden benötigt, die klinische Wirksamkeit und Sicherheit garantieren.» Die Autoren legen Wert auf die Feststellung, dass die Anlage ihrer Studie keine Aussagen über den optimalen LDL-Zielwert zuliessen. Jedenfalls hatten weniger als die Hälfte der Patienten einen LDLCholesterinwert von unter 2,00 mmol/l. «Die Daten sprechen aber für eine intensive Statintherapie insbesondere bei
ARS MEDICI 19 ■ 2008 875
STUDIE REFERIERT
Patienten mit akutem Koronarsyndrom», schreiben die Autoren. Unklar ist bislang, ob auch Patienten ohne eine KHK, aber mit multiplen Arteriosklerose-Risikofaktoren von einer intensiven Statintherapie profitieren. Die Autoren verweisen auf zwei kleine Studien bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie. Hier konnte durch hohe Statindosen ein günstiger Einfluss auf die Intima/Media-Dicke in den Karotiden ermittelt werden; allerdings waren klinische Ereignisse im Studienzeitraum so selten, dass sich weitreichende Schlussfolgerungen allein aus den Ergebnissen mit dem Surrogatparameter nicht ableiten lassen. Nicht ganz klar ist auch, ob Frauen so sehr profitieren wie Männer. Tatsächlich wurden für die meisten Studien überwiegend weisse Männer rekrutiert. Einzelnen Studien, in denen der Wirksamkeitsnachweis bei Frauen fehlschlug, steht eine Metaanalyse entgegen, die positiv ausfiel. Nicht abschliessend
geklärt ist zudem die Frage, ob die Wirksamkeit über Menschen aller Ethnien hinweg gleich zu veranschlagen ist. Die Autoren favorisieren folgende Ansicht: «Die Annahme scheint plausibel zu sein, dass Bevölkerungen mit höherem Koronarrisiko, etwa in Südasien, den grössten Nutzen aus der intensiven Therapie ziehen.»
Kein Abbild der realen klinischen Welt? Obwohl die intensive Statintherapie sich als «gut verträglich und relativ sicher» erwies, sei es wahrscheinlich, dass Nebenwirkungen in der Praxis häufiger zu beobachten seien als in den klinischen Studien, meinen die kanadischen Mediziner. Dafür geben sie verschiedene Gründe an: Zum einen seien die in Studien teilnehmenden Patienten jünger gewesen als ein Normalkollektiv in der Praxis, zudem seien sie wesentlich besser kontrolliert worden, als dies unter
Alltagsbedingungen üblich sei. Nicht
ausser Acht gelassen werden dürfe der
Umstand, dass mehr als die Hälfte der
gescreenten Patienten wegen Komor-
biditäten von der Studienteilnahme aus-
geschlossen wurden. Ausschlusskrite-
rien seien beispielsweise hohes Alter,
Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz und
Alkoholabusus. Ins Auge fällt schliess-
lich, dass in zwei Drittel der Studien
Patienten erst in die Untersuchung ein-
geschlossen wurden, nachdem sie eine
Run-in-Periode ohne Komplikationen
überstanden hatten.
■
Kiranbir Josan et al.: The efficacy and safety of intensive statin therapy: a meta-analysis of randomized trials. CMAJ 2008; 178 (5): 576—584.
Interessenlage: Einer der drei Autoren gibt an, für eine frühere Studie finanzielle Unterstützung von Pfizer und der Heart and Stroke Foundation in Kanada erhalten zu haben. Die anderen beiden Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.
Uwe Beise
876 ARS MEDICI 19 ■ 2008