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BERICHT
Das heisse Gelenk: wie abklären?
Bei der Abklärung entzündlich veränderter Gelenke ist differenziert vorzugehen. Die Anamnese weist den Weg; Labor, Gelenkpunktat und Bildgebung verhelfen zur genauen Diagnose. Diese Prinzipien erläuterte der Rheumatologe PD Dr. med. Thomas Stoll, Kantonsspital Schaffhausen, anhand von Fallbeispielen an einem lebendig gestalteten Workshop während des Jahreskongresses der FMP am 5. Juni in Zürich.
HALID BAS
Fall 1 Der 55-jährige Mann berichtet von Knieschmerzen und einer Schwellung des linken Knies seit zwei Tagen. Die Beschwerden haben ständig zugenommen. Bei der Untersuchung ist das linke Knie geschwollen und es ist ein Erguss festzustellen. Das Gelenk ist nicht gerötet, aber überwärmt mit Bewegungs- und Endphasenschmerzen.
«Man soll dort suchen, wo etwas ist», erklärte Thomas Stoll. In diesem Fall bedeutet das, eine Kniepunktion vorzunehmen. Sie ergibt in der Gelenkflüssigkeit 66 900 Zellen/µl; die Differenzierung zeigt 98 Prozent Neutrophile. Bei der vorliegenden Monoarthritis lässt sich eine recht umfangreiche Differenzialdiagnose anführen (Tabelle 1). Angesichts eines möglichen, innert kurzer Zeit auftretenden Knorpelschadens ist der Ausschluss einer septischen Arthritis eminent wichtig, betonte der Rheumatologe. Während 200 bis 300 Zellen/µl als Normwert gelten, sieht man bei aktivierten Arthrosen 3000 bis 5000 Zellen/µl, bei > 50 000 Zellen/µl liegt in 47 Prozent, bei > 100 000 Zellen/µl in 77 Prozent eine septische Arthritis vor. Einerseits kann aus dem Punktat ein Direktabstrich mit Gram-Färbung erstellt
werden, daneben soll auch eine Kultur angelegt werden. Für die Mikrobiologie des Punktats sind immer Blutkulturflaschen zu verwenden, da so die Ausbeute um 30 Prozent höher ausfällt, wie Thomas Stoll erläuterte.
«Bei klinisch eindeutigem Kniegelenkerguss soll immer
punktiert werden.»
Im vorliegenden Fall liessen sich im Punktat unter dem Mikroskop mit Phasenkontrast rechteckige doppelbrechende Kristalle, zum Teil intrazellulär gelegen, nachweisen, womit die Ursache des Geschehens geklärt war. Der Nachweis von Kristallen lediglich in der Synovialflüssigkeit (und nicht auch innerhalb von Zellen) ist teilweise ohne Krankheitswert, wie Thomas Stoll präzisierte. Hier handelte es sich um eine Kalzium-Pyrophosphat-Arthropathie, die mit verschiedenen Krankheitsbildern einher gehen kann: ■ in 35 Prozent: Kristallarthritis (Pseu-
dogicht an Knie, Handgelenk, «Zeitlupengicht») ■ in 55 Prozent: Arthropathie (z.T. auch mit Attacken) ■ in 5 Prozent: polyarthritisches Befallsmuster, wobei ein wellenförmiger Verlauf typisch ist
PD Dr. med. Thomas Stoll
■ in < 5 Prozent: destruierende Arthropathie (z.B. Milwaukee-Schulter).
In der Diskussion betonte der Rheumatologe, dass bei klinisch eindeutigem Erguss (tanzende Patella) immer punktiert werden soll. Therapeutisch setzt man Eis und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) ein. Hier erhielt der Patient zweimal 75 mg Indometacin retard (Indocid® oder Generika) sowie zweimal 25 mg bei Bedarf zusätzlich. 20 bis 25 mg Prednison mit Dosissenkung um 5 mg alle zwei Tage trägt zur Symptomlinderung bei. In schweren Fällen kommt auch immer noch Colchicin infrage, das aber nicht zu hoch dosiert werden darf, was eine zuverlässige Kooperation des Patienten voraussetzt. Dass Indometacin besser wirken soll als Diclofenac (Voltaren® oder Generika), lässt sich durch Evidenz nicht stützen. «Die Erfahrung deutet aber darauf hin, dass Indometacin wahrscheinlich besser wirkt», bemerkte Stoll.
Fall 2 Der 28-jährige Patient hat seit zwei Tagen eine Handgelenksynovitis und Teno-
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DAS HEISSE GELENK: WIE ABKLÄREN?
Tabelle 1: Differenzialdiagnose der Mono- und Oligoarthritis
■ aktivierte Arthrose ■ Kristallarthropathie ■ rheumatoide Arthritis ■ peripherer Gelenkbefall bei seronegativer
Spondarthropathie ■ Kollagenose, Vaskulitis ■ infektassoziierte Arthritis
(viral, bakteriell) ■ seltener: Sarkoidose, paraneoplastisch,
metabolische/endokrine Arthropathien
synovitis. Bei der Inspektion fällt im Bereich der Handflächen ein Exanthem mit einzelnen hämorrhagischen Effloreszenzen auf. Die Synovialflüssigkeit enthält 24 000 Zellen/µl. Im Ausstrich sind gramnegative Diplokokken intrazellulär zu sehen. Bei hämorrhagischen Effloreszenzen und Arthritis ist immer an Gono- (oder Pneumo-)kokken zu denken. Hier handelte es sich um eine Gonokokkenarthritis, die meist bei jüngeren Erwachsenen ohne vorbestehende Gelenkerkrankung auftritt. Die Symptomatik kann von Polyarthralgien bis zu Polyarthritiden reichen, oft liegt auch eine Tenosynovitis im Handbereich vor. Die Kultur aus der punktierten Gelenkflüssigkeit ist in 25 Prozent positiv, wobei spezielle Medien eingesetzt werden müssen. Eine Erregeridentifikation gelingt besser mittels PCR. Blutkulturen sind in einem Viertel der Fälle positiv. Das infektiöse Geschehen spricht gut auf Antibiotika an (Ceftriaxon [Rocephin® oder Generikum]), eine gleichzeitige Behandlung von Chlamydien kann mit einmal 1 g Azithromycin (Zithromax®) oder mit zweimal 100 mg pro Tag Doxycyclin für 14 Tage erfolgen. An die Partnerbehandlung muss gedacht werden.
Fall 3 Das 16-jährige Mädchen hatte vor einem Jahr eine Fingerschwellung beidseits und vor fünf Monaten eine Schwellung des oberen Sprunggelenks (OSG) rechts. Vor
drei Monaten litt sie an einer schmerzhaften Knieschwellung rechts. Damals waren IgG und IgM auf Borrelia burgdorferi positiv gewesen und sie erhielt eine Behandlung mit 2 g Ceftriaxon täglich i.v. während drei Wochen. Jetzt wird sie wegen erneuter schmerzhafter Knieschwellung, diesmal beidseits, zum Spezialisten überwiesen. Im Gelenkpunktat ist die PCR auf Borrelia burgdorferi positiv.
Die Initialbehandlung war eigentlich ausreichend gewesen. Zu diskutieren ist eine Ceftriaxonresistenz, die bei einigen Prozent der Fälle vorkommt. Dann ist ein Therapie mit täglich 200 mg Doxycyclin (Vibramycin® oder Generika) für 30 Tage möglich. Borrelienarthritiden können aber sehr langwierig verlaufen, wobei neben der infektiösen auch eine reaktive Komponente vor-
Tabelle 2: Klassifikationskriterien für die rheumatoide Arthritis
1. Morgensteifigkeit ≥ 1 Stunde 2. Befall von ≥ 3 Gelenkregionen: PIP, MCP,
Handgelenk, Ellbogen, Knie, Sprunggelenk, MTP (links oder rechts) 3. Arthritis im Bereich der Hand 4. symmetrischer arthritischer Befall 5. Rheumaknoten 6. positiver Rheumafaktor 7. Erosionen
Klassifikationskriterien (Tabelle 2) genügt. Die Klassifikationskriterien dienen in erster Linie der Abgrenzung von anderen rheumatologischen Erkrankungen. «Therapeutisch ist auch heute
«Bei Verdacht auf eine bakterielle Arthritis ist die notfallmässige Zuweisung ins Spital indiziert, damit dort eine geeignete Evaluation und rasche Therapie erfolgen können.»
liegt. «Es braucht also Geduld», mahnte Thomas Stoll. Die PCR aus dem Gelenkpunktat sollte bei erfolgreicher Behandlung nach zwei bis drei Monaten negativ sein: «So lange sollte man warten, es hat keinen Sinn zu früh zu repunktieren.»
Fall 4 Bei der 37-jährigen Frau ist seit 25 Jahren eine Raynaud-Symptomatik bekannt. Seit zwei Monaten hat sie Gelenkschwellungen und -schmerzen im Bereich beider Hände und Füsse. Sie berichtet von einer Morgensteifigkeit, die jeweils gegen vier Stunden anhält. Bei der Untersuchung zeigt sich eine symmetrische Synovitis an MCP-, PIP- und MTP-Gelenken. Die BSR beträgt 28 mm/h, CCP-Antikörper sind positiv.
Obwohl bei Polyarthritis eine breit gefächerte Differenzialdiagnose (analog derjenigen in Tabelle 1) infrage kommt, ist hier die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis nahe liegend, die auch den
Methotrexat das Mittel der ersten Wahl», sagte Thomas Stoll.
Take-Home-Message
Als wichtige Engramme nannte der
Rheumatologe:
■ Eine Arthritis muss immer einer dif-
ferenzierten Abklärung aufgrund von
Anamnese und Klinik mittels Labor,
Gelenkpunktat und Bildgebung zu-
geführt werden.
■ Bei Verdacht auf eine bakterielle Ar-
thritis ist die notfallmässige (!) Zu-
weisung ins Spital indiziert, damit
dort eine Evaluation mittels Gelenk-
punktat, Blutkultur und so weiter er-
folgen und die allenfalls indizierte
Therapie mit Antibiotika und Ge-
lenkspülung rasch begonnen werden
kann.
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Halid Bas
Interessenlage: Die Berichterstattung erfolgt industrieunabhängig.
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