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BERICHT
Adhäsionen — unterschätztes Problem in der gynäkologischen Abdominalchirurgie
Strategien zur Prävention
Adhäsionen (bindegewebige Verwachsungen an Bauchorganen) sind die häufigste Komplikation nach gynäkologischen Unterbauchoperationen. Die Häufigkeit ihres Auftretens sowie ihre Folgen wurden lange unterschätzt. Neuere epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass 90 Prozent aller Patientinnen Adhäsionen entwickeln.
RICHARD ALTORFER
Adhäsionen führen bei einem signifikanten Anteil von Patientinnen zu Frühund Langzeitkomplikationen wie akuten Darmverschlüssen, Infertilität (15–20% aller Frauen mit Fertilitätsstörungen) und chronischen Unterbauchschmerzen. Sie erschweren nachfolgende operative Eingriffe im Bauchbereich und sind dadurch verantwortlich für einen Anstieg der Morbidität (10- bis 25-prozentiges Risiko einer versehentlichen Verletzung des Darms bei folgenden Eingriffen) und der Mortalität (z.B. 10% bei adhäsionsbedingtem Darmverschluss). Sie sind damit ein wichtiger Kostenfaktor im Gesundheitssystem. Die grössten epidemiologischen Untersuchungen wurden durch die SCAR(Surgical and Clinical Adhesions Research)-Gruppe in Schottland durchgeführt, die Patienten über zehn Jahre nachverfolgte. Wie sie zeigten, musste bis zu einem Drittel der Patientinnen im Laufe von zehn Jahren nach einem abdominalchirurgischen Eingriff mindestens zweimal wegen Komplikationen durch Adhäsionen hospitalisiert werden. Besonders gefährdet waren Patientinnen nach Operationen an Kolon, Rektum, Tuben, Uterus und Ovarien.
Komplikationen oft Jahre nach der Operation Da sich die primär oft asymptomatischen Adhäsionen erst Jahre nach der Operation manifestieren und das Wissen über die Ursache noch unvollständig ist, war die Entwicklung von Vermeidungsstrategien bisher schwierig. Sicher ist, dass es durch die operative Verletzung des Peritoneums zu Entzündungs- und fehlgeleiteten Heilungsvorgängen kommt, die in bindegewebigen Verwachsungen resultieren. Das Ausmass der Adhäsionen kann sich im Lauf der Jahre ändern, grundsätzlich entstehen sie aber während der ersten drei bis fünf Tage nach der Operation. Die operative Lösung von Adhäsionen ist nur in 15 Prozent der Fälle dauerhaft erfolgreich, da dadurch erneut ein Reiz für Verwachsungen gesetzt wird. Und immerhin beträgt die Komplikationsrate bei der operativen Lösung 25 Prozent. Die Entwicklung von schonenden chirurgischen Verfahren wie laparoskopischen Techniken konnte das Auftreten von adhäsionsbedingten Komplikationen nicht reduzieren. In neuerer Zeit wurden jedoch mehrere Erfolg versprechende Substanzen zur intraoperativen Anwendung eingeführt. In der EU ist es zur Pflicht geworden, die Patientinnen im Rahmen der präopera-
15. Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft
für gynäkologische Endoskopie (ESGE)
tiven Aufklärung auch über die Risiken von adhäsionsbedingten Komplikationen zu informieren. Bereits jetzt stellt die akzidenzielle Verletzung von Organen und Geweben die häufigste Ursache von Verurteilungen in chirurgischen Kunstfehlerprozessen dar. Der erste Schritt zur Vermeidung von Adhäsionen ist ein gesteigertes Bewusstsein für die Problematik aufseiten der Operateure sowie die einheitliche Anwendung von Präventionsstrategien. Aus diesem Grund wurde auf dem 15. Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für gynäkologische Endoskopie (ESGE) eine Expertengruppe aus 35 Gynäkologen gebildet. Sie haben die folgenden Empfehlungen zur Vermeidung von Adhäsionen erarbeitet und als Konsensuspapier zusammengestellt.
Strategien zur Vermeidung von Adhäsionen Die Entwicklung von Strategien zur Prävention, insbesondere die Entwicklung von Substanzen mit einer guten klinischen Wirksamkeit, bietet heute jedem Chirurgen die Möglichkeit, der Entstehung von Adhäsionen aktiv entgegenzuwirken. Der Stellenwert einer sorgfältigen und möglichst atraumatischen chirurgischen Arbeitsweise ist bekannt; Letztere kann jedoch, wie die SCAR-Studie zeigte, die Entstehung von Adhäsionen nur beschränkt beeinflussen. Aus diesem Grund gilt es, ein besonderes Augenmerk
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auf die zusätzlichen pharmakologischen und physikalischen Möglichkeiten zu legen. Basierend auf Überlegungen zum Entstehungsmechanismus, wurden verschiedene Medikamente als Adhäsionsprophylaxe geprüft – darunter Antibiotika, nichtsteroidale Antiphlogistika, Steroide und Fibrinolytika. Leider konnte bei keiner dieser Strategien eine klinische Wirksamkeit bei ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Grund für den Misserfolg dürfte die mangelnde Durchdringung des schlecht durchbluteten Gewebes mit dem Wirkstoff sein. Bei Substanzen, die direkt lokal in den Bauchraum eingebracht werden, ist eine bestimmte Molekülgrösse notwendig, um eine zu schnelle Resorption aus dem Bauchraum und damit einen Wirkungsverlust zu verhindern.
Barrieremethoden klinisch wirksam Ganz anders sieht es mit den physikalischen (als Barriere wirkenden) Substanzen aus, deren besonderer Stellenwert in einer effektiven Trennung von Gewebeschichten in den kritischen ersten drei bis fünf postoperativen Tagen liegt. Hierbei unterscheidet man mechanische Barrieren direkt im OP-Gebiet (film- oder gelartig) von Flüssigkeitsbarrieren im gesamten Bauchraum. Filmbarrieren, für die eine klinische Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte (z.B. Interceed®, Seprafilm®), können wegen ihrer Konsistenz lediglich im Bereich der Bauchdecke und der darunter liegenden Gewebeschicht eingesetzt werden. Ein weiterer Nachteil ist das zum Teil vermehrte Auftreten von Undichtheiten der Anastomosen (1, 2). Für das Präparat Surgi Wrap® fehlen klinische Daten. Gelbarrieren wurden zur grossflächigeren Adhäsionsprophylaxe im Wundgebiet entwickelt, gegebenenfalls auch nach laparoskopischen Eingriffen. Hyalobarrier® beispielsweise ist in der klinischen Wirksamkeit vergleichbar mit Interceed® (2, 9). Nachteil bei gynäkologischen Eingriffen ist allerdings die erschwerte Handhabung aufgrund ihrer klebrigen Konsistenz. Eine grosse klinische Studie mit SprayGel® musste sogar
adept® — Gute Verträglichkeit und einfache Anwendung
■ Flüssig ■ 4% Icodextrin ■ Hydroflotation der Organe ■ Aktiv in der kritischen Zeit der
Adhäsionsbildung ■ Klinisch belegte Wirksamkeit ■ Sicherheit ■ Einfache Handhabung ■ Laparoskopisch einsetzbar ■ Reduktion adhäsionsbedingter Risiken
wegen mangelnder Überlegenheit frühzeitig abgebrochen werden. Allen mechanischen Barrieren im OPGebiet ist gemeinsam, dass sie lediglich an Stellen aufgebracht werden (können), die als besonders gefährdet für die Entstehung von Adhäsionen gelten. Da jedoch Reize für die Ausbildung von Adhäsionen auch ausserhalb des eigentlichen OP-Gebietes gesetzt werden (z.B. durch Mangeldurchblutung, Hitze, Austrocknung, Manipulation und Keimbesiedlung), erscheint der Einsatz von Flüssigkeitsbarrieren im gesamten Bauchraum vorteilhaft. Durch das Einbringen einer grösseren Menge an Flüssigkeit (1–1,5 l) am Ende der OP in den Bauchraum können diejenigen Membranen voneinander getrennt werden, die sonst miteinander verkleben (4–6). Bei optimaler Molekülstruktur der einzelnen Komponenten verbleibt die Substanz im Idealfall in der kritischen Phase nach der Operation Tage bis Wochen im Bauchraum, bevor sie langsam resorbiert wird (7).
Im Bereich Adhäsionsprophylaxe klinisch evaluiert Eine Substanz mit gesicherter Wirkung, aber ohne die beschriebenen Nachteile, ist Icodextrin (adept®). Adept ist in Europa für die Anwendung bei offener und bei laparoskopischer Bauchchirurgie zugelassen. Das Präparat ist einfach und zuverlässig in der Handhabung und kann als Spüllösung während der kompletten Operationsdauer eingesetzt wer-
den. Die klinische Wirksamkeit wurde in der grössten und einzigen doppelblinden Studie für diese Indikation in den USA eindeutig nachgewiesen (8). Weitere Daten konnten aus der ARIEL-Datenbasis (A European patient registry) mit 4620 Patienten gewonnen werden (9). ■
Richard Altorfer
Interessenlage: Dieser Beitrag entstand auf Anregung, aber ohne finanzielle Unterstützung der Firma Baxter AG, Volketswil, anhand von Informationen und Vorträgen anlässlich des 15. Jahreskongresses der Europäischen Gesellschaft für gynäkologische Endoskopie (ESGE). Auf die Ausgestaltung des Texts nahm die Firma keinen Einfluss.
Quellen: 1. Beck DE, et al.: A prospective, randomized, multicenter, con-
trolled study of the safety of Seprafilm adhesion barrier in abdominopelvic surgery of the intestine. Dis Colon Rectum 2003; 46: 1310—1319. 2. Fazio VW, et al.: Reduction in adhesive small-bowel obstruction by Seprafilm® adhesions barrier after intestinal resection. Dis Colon Rectum 2006; 49: 1—11. 3. Pados G, et al.: Laparoscopic application of Interceed (TC7). Hum Reprod 1992; 7: 1141—1143. Carta G, et al.: Postoperative adhesion prevention in gynaecologic surgery with hyaluronic acid. Clin Exp Obstet Gynecol 2004; 31: 39—41. 4. Pellicano M, et al.: Effectiveness of autocrosslinked hyaluronic acid gel alter laparoscopic myomectomy in infertile patients: a prospective, randomized, controlled study. Fertil Steril 2003; 80: 441—444. 5. Mais V, et al.: Reduction of postoperative adhesions with an auto-crosslinked hyaluronan gel in gynaecological laparoscopic surgery: a blinded, controlled, randomized, multicentre study. Hum Reprod 2006; 21: 1248—1254. 6. Pellicano M, et al.: Reproductive outcome after autocrosslinked hyaluronic acid gel application in infertile patients who underwent laparoscopic myomectomy. Fertil Steril 2005; 83: 498—500. 7. Acunzo G, et al.: Effectiveness of auto-cross-linked hyaluronic acid gel in the prevention of intrauterine adhesions after hysteroscopic adhesiolysis: a prospective randomized, controlled study. Hum Reprod 2003; 18: 1918—1921. 8. De Iaco PA, et al.: Hyaluronan derivative gel (Hyalobarrier® gel) in intrauterine adhesion (IUA) prevention after operative hysteroscopy. Ellipse 2003; 19: 3—6. 9. Guida M, et al.: Effectiveness of auto-cross-linked hyaluronic acid gel in the prevention of intrauterine adhesions after hysterosocopic surgery: a prospective, randomized, controlled study. Hum Reprod 2004; 19: 1461—1464.
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