Transkript
BERICHT
Bei welchen Patienten nach Virushepatitis suchen?
Praktisch wichtige Fragen zur Entdeckung von Virushepatitiden und zu ihren Folgen
Hinweise aus der Anamnese, erhöhte Transaminasewerte, erkannte Risikokonstellationen, aber auch Zufallsbefunde führen zur Entdeckung von Virushepatitiden. In welchen praktischen Situationen man aufmerksam sein soll, erklärte Dr. Beat Helbling, Leitender Arzt Gastroenterologie und Hepatologie, Stadtspital Waid, Zürich, am «Tag der Leber 2008» in Zürich.
Dr. Beat Helbling, Zürich
HALID BAS
Anamnese: die richtigen Fragen «Nur wer sucht, der findet», sagte Dr. Beat Helbling im Hinblick auf die Wichtigkeit der Anamnese beim Erkennen derjenigen Patienten, die eine Infektion mit Hepatitisviren durchgemacht haben. Neben anamnestischen Hinweisen können auch erhöhte Transaminasen oder Befunde im Rahmen eines Zufallsscreenings, etwa bei einer Blutspende, einen gezielten Verdacht wecken.
Im Hinblick auf Hepatitis-B-(HBV)- oder Hepatitis-C-Viren (HCV) können Geburtsort, Transfusionen vor dem September 1991 sowie medizinische Eingriffe in der Vorgeschichte wichtige Hinweise liefern. Für die Hepatitis B spielen Länder und Weltgegenden mit bekannter hoher Prävalenz (> 8%) angesichts der Migration eine Rolle: ■ Afrika (subsaharisch) ■ Asien (insbesondere China,
Zentralasien, Südostasien) ■ Amazonasgebiet ■ Grönland, Kanada, Alaska (Inuit).
Für das Mittelmeergebiet wird eine Hepatitis-B-Prävalenz zwischen 1,1 und 5 Prozent angegeben, in Rumänien ist sie deutlich höher (> 5%), in der Schweiz vergleichsweise sehr gering (≤ 0,2%). «In der Schweiz rechnen wir mit ungefähr 20 000 Infizierten», präzisierte Beat Helbling.
«In der Schweiz rechnen
wir mit ungefähr
20 000 HBV- und
70 000 HCV-Infizierten.»
Epidemiologisch etwas anders gelagert ist das Vorkommen der Hepatitis C. Besonders hohe Prävalenzraten (> 10%) sind bekannt für Ägypten und die Mongolei. Ebenfalls häufig (> 2,5%) kommt diese Hepatitisform in Rumänien sowie China, Südostasien, weiten Teilen des subsaharischen Afrika und in Brasilien vor. In der Schweiz ist von etwa 70 000 Hepatitis-C-Infizierten auszugehen. Ein besonderes Risiko für eine iatrogene Infektion mit dem HCV bestand für
Individuen, die Bluttransfusionen vor 1992 erhielten, vor zirka 1992 transplantiert wurden oder als Hämophile vor 1987 Gerinnungsfaktorpräparate erhielten. Operationen (durchaus auch nur kleine Eingriffe) sind eine anamnestische Belastung in Ländern mit hoher Prävalenz sowie bei unsicheren hygienischen Verhältnissen, die keineswegs bloss in Drittweltländern vorkommen, wie Beat Helbling mit Hinweis auf Skandale in Spanien oder im US-amerikanischen Las Vegas erinnerte.
«Tag der Leber»
Der «Tag der Leber» ist eine Fortbildung, die jedes Jahr von der Schweizerischen Vereinigung für das Studium der Leber (SASL) durchgeführt wird. In diesem Jahr wurde die Veranstaltung von PD Dr. Beat Müllhaupt, Leitender Arzt Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich, und Dr. Beat Helbling, Leitender Arzt Gastroenterologie, Stadtspital Waid, Zürich, zusammen mit den Hausärzten aus Zürich organisiert.
ARS MEDICI 18 ■ 2008 813
BERICHT
Was können uns die Transaminasen verraten? Sehr stark erhöhte Transaminasen werden im Krankenhaus relativ oft gefunden, beruhen dann jedoch in den allermeisten Fällen nicht auf einer Hepatitisvirusinfektion, sondern auf gefährdenden Situationen wie hepatischer Ischämie, pankreatobiliärer Erkrankung, Toxinen oder Medikamenten. Eine leichte Transaminasenerhöhung wird bei 1 bis 17 Prozent der Zufallsbestimmungen gefunden, ist also recht häufig. Als Hinweis auf eine virale Genese kann eine stärkere Erhöhung der ALT gegenüber der AST gewertet werden. Bei HCV-Infektion sind die Transaminasen mal leicht erhöht, mal aber auch normal, die Einzelbestimmung hilft also nicht weiter. «Der Virusantikörpernachweis ist einfacher und billiger, Alkohol als Ursache der Transaminasenerhöhung kann immer nur eine Ausschlussdiagnose sein», mahnte Beat Helbling zudem. Zur Unterscheidung der verschiedenen Zustände nach Kontakt mit dem HBV ist die Aufstellung in der Abbildung hilfreich. Wenn der HBV-Nachweis positiv ist, ist auch nach Hepatitis D zu suchen.
Liegen Risikosituationen vor? Zu den Risikosituationen für HBV-Infektionen gehören nach vielen Studien Drogenkonsum, Nadelstichverletzungen, ferner auch neue Partner, was sich in der sorgfältigen Anamnese bei akut an Hepatitis B Erkrankten gar nicht so selten eruieren lässt. Anamnestisch wichtig sind auch Gefängnisaufenthalte oder Piercings. Die Schweizer HCV-Kohortenstudie hat präzise Hinweise auf die Gefährdung einer Infektion mit dem HCV gegeben: ■ i.v. Drogen (57%) ■ invasive Medizin (35%) ■ Transfusionen (23%) ■ HCV-pos. Partner (13%) ■ Nadelstichverletzung (10%) ■ berufliche Exposition (7,6%) ■ HCV-pos. Mitbewohner (5%) ■ unbekannt (9,5%).
Welches die Gefahr einer HCV-Serokonversion nach Nadelstichverletzung ist,
hat eine Untersuchung aus der Schweiz gezeigt: Hier waren drei Monate nach einem derartigen Vorfall von 217 Personen deren 4 HCV-positiv, also 1,8 Prozent. Dies mag relativ gering erscheinen, aber Handschuhe zu tragen lohnt sich. Heute umfasst die Empfehlung zur Hepatitis-B-Impfung Medizinalpersonen, Sozialarbeiter, Polizei, Gefängnispersonal, Leberkranke, Immunsupprimierte, Neugeborene HbsAg-positiver Mütter sowie Situationen mit sexuellem Partnerwechsel. «Das bedeutet eigentlich, dass man zur Verhinderung der HBV-
«Alkohol als Ursache der Transaminasenerhöhung kann immer nur eine Ausschlussdiagnose sein.»
Übertragung heute alle impfen soll», kommentierte Beat Helbling. Wie aussichtsreich die Hepatitis-B-Impfung ist, dokumentiert der Rückgang der Ansteckungen zwischen 1999 und 2002, also vor und nach der Einführung der systematischen Impfung bei Jugendlichen in der Schweiz, um eindrückliche 84 Prozent.
Virusscreening bei der richtigen Gelegenheit Natürlich lassen sich Fälle von Hepatitisvirusinfektion auch durch Screening eruieren. Der Hbs-Antigentest ist schon seit langem verfügbar, die HCV-Antikörperbestimmung seit 1991, sie hat aber
ein diagnostisches Fenster von 70 Tagen. Demgegenüber ist das diagnostische Fenster beim HCV-PCR-Test nur 30 Tage lang. Eine gute Screeninggelegenheit ist die HBV- und HCV-Serologie während der Schwangerschaft (meist in der 28. SSW). Sie ermöglicht, dem Neugeborenen Schutz bei HBV-Infektion zu bieten. Demgegenüber hat die HCV-Infektion der Mutter meist keine Konsequenzen für das Kind. Ist ein positives Serologieresultat aus der Schwangerschaft bekannt, muss nach der Geburt eine Therapie für die Mutter evaluiert werden. Heute ist die Kontrolle der Hepatitis-BImpfung für Medizinalpersonen vorgeschrieben. «Liegt der HBV-Titer bei der Kontrolle einmalig über 100, reicht dies», erklärte Beat Helbling, «Impf-Non-Responder müssen aber unbedingt auf Hbs-Antigen getestet werden, da sie Träger sein können.» Eine gute Gelegenheit zur Aufdeckung einer Infektion anhand erhöhter Transaminasewerte bietet auch die Beratung zur Reisevorbereitung. Hier ist auch Gelegenheit, die kombinierte Hepatitis-Aund -B-Impfung zu empfehlen.
Welche Konsequenzen hat die Virushepatitis-Suche? Aus seiner Sicht als Leberspezialist skizzierte Beat Helbling für die Praxis folgende Vorgehensweisen: ■ Hepatitis A und B negativ:
Impfung dringend empfohlen ■ Hbs-Antigen positiv:
Therapie evaluieren ■ Hepatitis-C-Antikörper positiv: HCV-
RNA-Test durchführen und Genotyp bestimmen, dann Therapie evaluieren
Abbildung: Verdacht auf Virushepatitis B – was die Serologie Abbildung: verrät
HbsAg Anti-Hbs Anti-Hbc HBV-DNA
Impfung
– + – –
Status nach Hepatitis B
– + + –
Chronische Hepatitis B
+ – + +
814 ARS MEDICI 18 ■ 2008
BERICHT
Eine dokumentierte Hbs-Antigen-positive HBV-Infektion sollte als Konsequenz die Therapie und Prävention haben. Als medikamentöse Behandlung wird pegyliertes Interferon (PegIntron®, Pegasys®) für 48 Wochen eingesetzt. Ausserdem
«Mehr Patienten als
Sie denken haben eine
Virushepatitis!»
kommen auch Nukleosid- beziehungsweise Nukleotidanaloga (Lamivudin [Zeffix®], Telbivudin [Sebivo®], Adefovir [Hepsera®], Entecavir [Baraclude®], Tenofovir [Viread®]) für unbestimmte Dauer zum Einsatz. Der Therapieentscheid muss immer individuell gefällt werden. Auch wenn keine Therapie erfolgt, muss die Überwachung sichergestellt sein. Grosse präventive Bedeutung hat die Impfung der Umgebung. Die Heilungschancen bei HCV-Infektion richten sich nach dem Genotyp des Virus. Für die günstigen Genotypen 2 und 3 sind sie mit rund 80 Prozent nach einer 24-wöchigen Kombinationsbe-
handlung mit pegyliertem Interferon plus Ribavirin (Copegus®, Rebetol®) gut, bei den ungünstigen Genotypen 1 und 4 betragen sie hingegen auch nach einer notwendigen längeren Dauer dieser Kombinationsbehandlung von 48 Wochen nur 50 bis 60 Prozent.
Wer von meinen Patienten könnte eine Virushepatitis haben? Wo die Probleme noch unverändert liegen, zeigt die Statistik der neu gemeldeten Virusnachweise von Juni 2007 bis Juni diesen Jahres: ■ 1622 Fälle von HCV ■ 1243 Fälle von HBV ■ 762 Fälle von HIV ■ 128 Fälle von HAV.
Damit ist auch klar, dass die Hepatitis A in der Schweiz nahezu als Rarität gelten kann. «Mehr Patienten als Sie denken haben eine Virushepatitis», mahnte Beat Helbling und schloss mit drei Aufforderungen an die anwesenden Hausärztinnen und Hausärzte: «Entdecken Sie die Infektion vor Symptomen!», «Veranlassen
Sie die Therapie vor dem Schaden!» und
«Suchen Sie die Hepatitis B und C!».
In der anschliessenden Diskussion prä-
zisierte der Leberspezialist, dass nicht
jede Hepatitis B oder C behandelt wer-
den muss und kann. Die individuelle Si-
tuation erfordert immer ein Abwägen
(Drogen-/Alkoholprobleme, Komorbidi-
täten, Patientenpersönlichkeit etc.). Bei
einer neu gestellten Diagnose einer He-
patitis B ist auch immer nach dem Impf-
status beim Partner zu fragen. Lässt sich
nach der ersten Hepatitis-B-Impfung
kein ausreichender Titer nachweisen,
kann man es bei solchen Impfversagern
noch ein zweites Mal mit der doppelten
Dosis versuchen. Von praktischer Bedeu-
tung ist auch die Feststellung, dass bei
chronischen Trägern von HBV oder HCV
bei Einhaltung der Hygienevorschriften
keine Virusübertragung droht, weshalb
in der Schweiz für sie auch kein Berufs-
verbot gilt, anders als beispielsweise in
Grossbritannien, wo solche Individuen
nicht Medizin studieren dürfen.
■
Interessenlage: Diese Berichterstattung erfolgt industrieunabhängig.
Halid Bas
816 ARS MEDICI 18 ■ 2008