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Titel
Sex oder Crime?
Untertitel
-
Lead
Man hat sie nicht selten in der Hausarztpraxis, diese Opfer von Gewalt, welche unter dem Deckmantel der Sexualität daherkommt. Furchtbar, dass etwas so Schönes wie Sex als Waffe zur Demütigung missbraucht wird. Das, was eigentlich für Innigkeit, Lust, Verschmelzung und neues Leben steht, wird zur Zerstörungsaktivität eines anderen pervertiert. Das ist inakzeptabel für Menschen, die an Liebe glauben und gerne Sex haben. Die Palette der Scheusslichkeiten ist gross.
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Rubriken — ARSENICUM
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13723
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arsenicum

M an hat sie nicht selten in der Hausarztpraxis, diese Opfer von Gewalt, welche unter dem Deckmantel der Sexualität daherkommt. Furchtbar, dass etwas so Schönes wie Sex als Waffe zur Demütigung missbraucht wird. Das, was eigentlich für Innigkeit, Lust, Verschmelzung und neues Leben steht, wird zur Zerstörungsaktivität eines anderen pervertiert. Das ist inakzeptabel für Menschen, die an Liebe glauben und gerne Sex haben. Die Palette der Scheusslichkeiten ist gross. In der gesamten Geschichte der Menschheit bis zum heutigen Tag. Von Einzeltaten bis hin zu den von Militärbefehlshabern befohlenen Massenvergewaltigungen, die gezielt als Kriegsmittel eingesetzt wurden. Die, die nicht erigieren konnten, nahmen das Bajonett oder den Gewehrlauf als Penisersatz. Ganz unmissverständlich sei hier gesagt: Menschen, von denen man befürchten muss, dass sie zu solchen Kriegsverbrechen fähig sein könnten, gehören nicht in Führungsjobs einer Defensivarmee eines demokratischfreiheitlichen Landes. Parallelen zu lebenden Personen und tatsächlichen Begebenheiten sind von der Verfasserin ausdrücklich erwünscht. Nebenkriegsschauplätze interessieren mich nicht. Ob hier eine politische Partei den Sack schlägt und den Esel meint (ich bitte den Vergleich zu entschuldigen, aber es ist halt eine Redewendung) und wer wann wie warum gelogen oder weggehört hat, ist mir egal. Weniger egal ist mir, ob es Kontrollmechanismen gibt, damit so etwas nicht passiert. Völlig egal ist mir, ob hier Kommunikations-GAU passiert sind. Diese entlarven nämlich. Man lügt sein Volk nicht ungestraft an. Hätte ein geschickter Kommunikationsberater Bundesrätin Kopp dazu gebracht, mit folgenden Worten vor die Kamera zu treten: «Klar habe ich Hans W. angerufen! Sofort, als ich erfahren habe, dass mein geliebter, naiver Mann mit windigen Typen in Verbindung gebracht werden könnte! Ja, es war falsch, es war ein Amtsgeheimnisbruch. Aber das ist mir leider erst nachher eingefallen!», wäre sie Nationalheldin. Hätte er Bill Clinton zur Aussage gecoacht: «Ja, wir hatten Sex, und es war wunderbar. Monica, danke! Hillary – verzeih deinem dich nach wie vor liebenden Mann!», wäre Bills Frau jetzt

Präsidentschaftskandidatin. Ausserdem: Wie kommuniziert man mutmassliches Stalking? Muss man da die Hosen runterlassen? Ob der Persönlichkeitsschutz im Falle der besagten Musikerin nichtschweizerischer Herkunft beachtet wurde, ist mir nicht egal. Doch nach all dem, was sie erlebt haben muss, kann das tiefe Mitgefühl, welches jetzt Tausende für sie empfinden, auch hilfreich sein. Falls der seinerzeit Angeschuldigte die ihm damals zur Last gelegten Delikte tatsächlich begangen haben sollte – wobei selbstverständlich für ihn nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt – dann tut es ihr vielleicht gut, dass der in diesem Fall als Täter zu Bezeichnende die Verantwortung für seine Taten übernehmen müsste. Was ging in der Anzeigestellerin vor? Ist es eine psychoterrorisierte Ausländerin mit Zivilcourage, die es wagte, den hohen Militär anzuzeigen, der sich sicher war, dass ihn gewisse Jungs decken (bitte richtig verstehen!)? Hochinteressant fände ich, warum die Staatsanwältin – ja, es war eine Frau! – diese Sache nicht weiter verfolgte. Wurde von oben Druck ausgeübt, oder war es vorauseilender Gehorsam? Und wer ist der Indiskrethiker, der die Dokumente zur Presse schmuggelte? Eine(r) bei Polizei/Staatsanwaltschaft, der/die nicht hinnehmen wollte, dass Macht vor Recht ging? Ihm und der Journalistin Boss (und den Leute hinter ihr) gilt meine Hochachtung. Sie deckten den Skandal bedächtig und fair auf. Von links nach rechts, durch alle Bevölkerungsschichten hindurch, unabhängig von Ethnie, Alter und Gender, waren sich die meisten Menschen einig, dass gewisse Vorwürfe keineswegs Privatsache sind und in gewissen Positionen nicht nur Fachkompetenz, sondern auch Charakter unabdingbar ist. Die Schweiz ist wieder sauberer. Wer wirklich eine weisse Weste hat – aber nur der –, kann den Bluthunden der Boulevardpresse drohen. P.S. Zwei meiner Patientinnen haben jetzt Mut gefasst, ihre Peiniger anzuzeigen. Danke, Frau Boss! Thanks, Frau Ex!

Sex oder Crime?

686 ARS MEDICI 16 ■ 2008