Transkript
STUDIE REFERIERT
Bremsen Betablocker das Fortschreiten der Koronarsklerose?
Intravaskuläre Ultraschallmessungen deuten darauf hin
Betablocker können bei Patienten
mit koronarer Herzkrankheit offen-
bar die Progression der Koronar-
sklerose bremsen. Das zeigen
zumindest intravaskuläre Ultra-
schallmessungen. Eine entspre-
chende Analyse wurde im vergan-
genen Jahr in den «Annals of
Internal Medicine» publiziert.
Betablocker gehören zu den Standardmedikamenten in der Sekundärprophylaxe des Herzinfarkts, sie senken die Zahl der plötzlichen Herztode und tragen dazu bei, die Mortalität des Herzinfarkts zu senken. Ihre Wirksamkeit leitet sich aus ihren Eigenschaften ab: Betablocker reduzieren den Sauerstoffbedarf des Herzens, sie verringern den Blutdruck, und sie senken den Sympathikotonus.
Atheromvolumen geht um 1,3 Prozent zurück Versuche an Tiermodellen haben darüber hinaus aber die Vermutung aufkommen lassen, Betablocker könnten auch das Fortschreiten der Koronarsklerose bremsen. Das allerdings gilt beim Menschen bislang nicht als bewiesen. Eine amerikanische Autorengruppe um Ilke Sipahi ist dieser Frage nun nachgegangen. Sie wählte dazu verschiedene Studien aus, in denen die Koronarsklerose mithilfe der intravaskulären Ultraschall-
messung bestimmt worden war. In die Studien REVERSAL, CAMELOT, ACTIVATE und ASTEROID waren jeweils Patienten eingeschlossen, bei denen eine Indikation für eine Koronarangiografie bestand, vor allem solche mit stabiler und instabiler Angina pectoris. Die meisten erhielten dabei Statine, ein Teil aber auch Betablocker. Bei der Auswertung der intravaskulären Ultraschallbilder zeigte sich nun, dass das Atheromvolumen in den Herzkranzgefässen bei Patienten, die auch Betablocker erhielten, um 2,4 Kubikmillimeter pro Jahr reduziert werden konnte. Das bedeutet einen Rückgang um 1,3 Prozent jährlich. Zwar sank das Atheromvolumen auch bei den zum Vergleich herangezogenen Patienten, die keinen Betablocker einnahmen, jedoch nur sehr geringfügig um 0,4 Kubikmillimeter. Allerdings handelt es sich bei der Ultraschallmessug um einen Surrogatparameter. Ob die gefundene Reduktion des Atheromvolumens letztlich klinisch relevant ist, könne mit dieser Studie noch nicht bewiesen werden, schreiben die Autoren. Sie sprechen lediglich von indirekten Hinweisen, die sich aus den Studien REVERSAL und PROVE-IT ergäben. In der ersten Studie zeigte sich, dass unter Atorvastatin das Atheromvolumen um 3,5 Kubikmillimeter zurückging, in der zweiten Studie fand man die Zahl der klinischen Ereignisse unter dem Statin um 16 Prozent verringert. Trotz der bestehenden Unsicherheiten halten es die Autoren für wahrscheinlich, dass Betablocker einen antiarteriosklerotischen Langzeiteffekt haben. Was bedeutet dies für den Stellenwert der Betablocker? Viele der Meilensteinstudien mit dieser Substanzklasse liegen
mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Auf ihnen basiert die Therapieindikation bei Myokardinfarkt und koronarer Herzkrankheit. Allerdings hat sich seither einiges verändert. Reperfusionsstrategien werden heute aggressiver und erfolgreicher eingesetzt, die Antikoagulation ist wirksamer geworden, und Statine haben sich in der Sekundärprävention etabliert. Deshalb, so die Autoren, könne man annehmen, dass die alten Studien an Relevanz eingebüsst hätten. So sei etwa bei einem Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt der Benefit von Betablockern verglichen mit den Möglichkeiten der modernen Reperfusionsstrategien eher gering zu veranschlagen. Die jetzigen Ergebnisse unterstützen nach Meinung der Autoren allerdings den Einsatz von Betablockern gerade wegen des mutmasslichen Effekts auf die weitere Arterioskleroseentwicklung. Die Autoren weisen zugleich darauf hin, dass Ultraschallmessungen an den Karotisarterien unter Betablockern ähnliche Ergebnisse geliefert hätten.
Merksätze
■ Betablocker können bei Patienten mit bestehender koronarer Herzkrankheit die Progression der Arteriosklerose verlangsamen.
■ Dieses Ergebnis wurde mit intravaskulären Ultraschallmessungen gewonnen. Ob die Veränderungen des Atheromvolumens tatsächlich zu weniger klinischen Ereignissen führen, ist noch unbekannt.
Allerdings hat es in der Vergangenheit auch anderslautende Resultate gegeben. Zwei kleinere angiografische Studien hatten ergeben, dass Betablocker womöglich einen ungünstigen Effekt auf die Arterioskleroseentwicklung haben könnten. In den Studien waren als Vergleichspräparate allerdings Nitrate und der Kalziumantagonist Nifedipin gewählt worden. Beide Substanzen oder Substanzklassen erweitern das Gefässlumen, weshalb es den Anschein hatte, Betablocker seien atherogen, schreiben
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STUDIE REFERIERT
die Autoren. Diese Studien seien aus diesem und anderen Gründen letztlich nicht aussagekräftig.
Wirkmechanismus noch nicht aufgeklärt Wie aber lässt sich der antiarteriosklerotische Effekt der Betablocker erklären? Eines scheint bislang gesichert: Eine hohe Herzfrequenz geht erfahrungsgemäss mit einer rascheren Arterioskleroseentwicklung einher, Betablocker wirken dem entgegen. Allerdings war der Effekt der Betablocker in der vorliegenden Studie auch zu beobachten, wenn die Ergebnisse um den Parameter Herzfrequenz bereinigt wurden. «Das legt den Schluss nahe, dass noch andere Faktoren eine Rolle spielen», schreiben die Autoren. Einschränkend weisen sie darauf hin, dass Betablocker einen ungünstigen Einfluss auf die Lipidwerte haben – sie senken das HDL-Cholesterin und erhöhen tendenziell die Trigylzeridwerte. Dies könnte den antiarteriosklerotischen Effekt dieser Substanzen abschwächen.
Akronyme
REVERSAL: Reversal of Atherosclerosis with Aggressive Lipid Lowering
CAMELOT IVUS: Comparison of Amlodipine versus Enalapril to Limit Occurrences of Thrombosis Intravascular Ultrasound
ACTIVATE: Acetyl-CoA: Cholesterol Acyltransferase Intravascular Atherosclerosis Treatment Evaluation
ASTEROID: A Study To Evaluate the Effect of Rosuvastatin On Intravascular Ultrasound-Derived Coronary Atheroma Burden
Ungeachtet dessen sehen die Autoren die Aussagekraft ihrer Ergebnisse dadurch limitiert, dass die Patienten nicht randomisiert wurden und andere Begleitthera-
pien die Ergebnisse beeinflusst haben
könnten. Da die meisten Patienten Sta-
tine erhielten, könne eine Wechselwir-
kung zwischen ihnen nicht ganz sicher
ausgeschlossen werden. Zudem weisen
die Autoren darauf hin, dass die Studie
gar keine Rückschlüsse über primärprä-
ventive Effekte etwa bei Hypertonikern
ohne KHK zulassen. Trotz dieser Be-
schränkungen kommen die Studienauto-
ren zu einem positiven Fazit: «Unsere
Analysen zeigen, dass Betablocker die
Progression der Koronarsklerose bei
KHK-Patienten verlangsamen. Dieser Be-
nefit ist evident bei gleichzeitiger Gabe
von Statinen.»
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Ilke Sipahi et al.: -blockers and progression of coronary atherosclerosis: pooled analysis of 4 intravascular ultrasonograhy trials. Ann Intern Med 2007; 147: 10—18.
Interessenkonflikte: Die Autoren geben vielfältige Verbindungen zur pharmazeutischen Industrie an, namentlich Pfizer, AstraZeneca, Takeda, Eli Lilly und Sanofi-Aventis.
Uwe Beise
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