Transkript
Editorial
Der mündige Patient ist eine prima Erfindung unserer Tage. Vorbei die Zeiten, in denen er sein Schicksal ganz in die Hände des Arztes legte. Der aufgeklärte Bürger ist zum ultimativen Kompetenzzentrum in eigener Sache geworden. Er ist es, der im Idealfall nach fairer und objektiver Beratung seine «informierte Entscheidung» trifft. Das Arrangement ist gut gemeint und ebenso schwer gemacht, nicht nur, aber besonders wenn es um die Krebsfrüherkennung geht. Deren Nutzen fällt – wählt man den unverstellten Datenblick – nicht selten geringer aus als manche uns (und sich) glauben machen wollen. Aber genau darum geht
Frauen, die sich für das Mammografie-Screening entscheiden, empfinden es nicht als besonders leidvoll, sich wegen eines verdächtigen unklaren Befundes einer Nachuntersuchung beziehungsweise einer Gewebeentnahme unterziehen zu müssen. Eigentliche Sorgen bereitet ihnen, dass
Falscher Alarm
es ja. Wir alle wollen (oder können) nicht mit freiem Auge auf die nackten und kaum je für sich selbst sprechenden Zahlen schauen und entscheiden. Wir haben immer ein emotionales Verhältnis zu den Fakten. Und unsere Erfahrungen, Hoffnungen, Ängste und Wünsche spielen mit hinein. Nehmen wir ein Beispiel: Nur wenige Frauen, welche die 50 erreicht haben, dürften das Pro und Kontra eines Mammografie-Screenings bei maximaler Ausschöpfung ihres Verstands abwägen, bevor sie sich zur Teilnahme anmelden oder eben zu Hause bleiben. Und was bedeuten denn auch die Fakten: dass weniger als jede 100. Frau in diesem Alter ein Mammakarzinom hat, dass bei regelmässiger Teilnahme am Screening 1 von 2000 Frauen weniger an einem Brustkrebs sterben wird, dass die Gesamtsterblichkeit jedoch nicht beeinflusst wird? Und was bedeutet die Erfahrung, dass allzu oft falscher Krebsalarm gegeben wird und dann belastende Folgeabklärungen erforderlich werden? Letzteres offenbar wenig. Eine Studie hat Erstaunliches zutage gefördert:
viele Brustkrebse trotz des Screenings nicht erkannt werden. Denn in der Tat täuscht die Mammografie eine Sicherheit vor, die sie nicht hat – wenn man sich täuschen lässt. Wie eine gerade im «JAMA» publizierte Studie (siehe S. 452) zeigt, bleiben bis zu 50 Prozent der Tumore mit der Mammografie unentdeckt. Gerade bei dichtem Brustgewebe ist die Sensitivität der Mammografie schlecht, der Vorhersagewert der Untersuchungsmethode gering. Die Ausbeute lässt sich allerdings steigern. Wird die Brust zusätzlich auch mit Ultraschall untersucht, bleibt «nur» jeder vierte bis fünfte Tumor unentdeckt. Allerdings um den Preis einer starken Zunahme falschpositiver Befunde. Bis auf Weiteres dürfte also die Mammografie der Screening-Standard bleiben, hier oder da ergänzt durch eine Sonografie oder das vermutlich bessere MRI. Die Entscheidung, am Screening teilzunehmen oder nicht, wird aber jede Frau weiterhin selbst treffen müssen.
Uwe Beise
ARS MEDICI 11 ■ 2008 449