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Titel
Phytother Hypertoniebehandlung
Untertitel
Fallberichte aus einer Hausarztpraxis
Lead
Der vorliegende Bericht um- fasst drei Fallberichte aus einer Hausarztpraxis, die zeigen, wie Hypertonie auch phytotherapeutisch mit Erfolg behandelt werden kann. Der Fall 3 zeigt indes deutlich, dass auch pflanzliche Anwen- dungen Nebenwirkungen aufweisen können.
Datum
Autoren
-
Rubrik
MEDIZIN — Ars Medici thema Phytotherapie 3/2012
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Artikel-ID
1360
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PRAXIS
Phytotherapeutische Hypertoniebehandlung
Fallberichte aus einer Hausarztpraxis

Der vorliegende Bericht um-
fasst drei Fallberichte aus
einer Hausarztpraxis, die zei-
gen, wie Hypertonie auch
phytotherapeutisch mit Erfolg
behandelt werden kann. Der
Fall 3 zeigt indes deutlich,
dass auch pflanzliche Anwen-
dungen Nebenwirkungen auf-
weisen können.
Peter Frey
Arzneipflanzen mit antihypertensivem Potenzial
Literaturquellen und Erfahrungsberichte aus Hausarztpraxen nennen verschiedene Arzneipflanzen, die sich für eine Hypertonietherapie eignen. Nachfolgend eine Liste solcher Arzneipflanzen:
Indische Schlangenwurz (Rauwolfia serpentina) Rauwolfia ist ein «Forte-Therapeutikum» mit enger therapeutischer Breite, das genau dosiert werden muss, zum Beispiel Rauwolfiae radicis tinctura mit 2–3 mg/ml Gesamtalkaloiden. Bei einer Tageshöchstdosis von 6 mg Rauwolfia-Gesamtalkaloiden (= entsprechen 0,6 mg Reserpin) ergibt sich eine maximale Tagesmenge von 60 Tropfen, verteilt auf 2 bis 3 Einnahmen. Damit werden die Reserpinnebenwirkungen aber bereits häufiger spürbar. Mit 25 bis 30

Prozent der Tagesmaximaldosis, kombiniert mit zum Beispiel Crataegus oder Lespedeza, sind noch keine dosisabhängigen Nebenwirkungen zu erwarten. In der Schweiz ist kein Rauwolfia-Fertigpräparat im Handel.
Mistel (Viscum album) Die Schulmedizin spricht der Mistel eine blutdrucksenkende Wirkung ab, positiv mongrafiert ist nur die tumorpalliative und die gegen degenerativ entzündliche Gelenkserkrankungen gerichtete Wirkung. Volksmedizinisch wird die Mistel aber trotzdem zur Senkung des erhöhten Blutdruckes verwendet.
Knoblauch (Allium sativum) Die Resultate der bestehenden Studien geben keine eindeutige Antwort zur blutdrucksenkenden Wirkung von Knoblauch. Aber auch hier bejaht die Volksmedizin eine entsprechende Wirksamkeit.
Olivenbaum (Olea europaea) Auch Extrakte aus Olivenbaumblättern haben keine evidenzbasierte Wirkung, sind aber ein fester Bestandteil von entsprechenden antihypertensiven Phytotherapiemischungen.
Weissdorn (Crataegus species) Blätter, Blüten und Früchte aus verschiedenen Arten der Gattung Crataegus werden sehr oft als Adjuvans in Tinkturenmischungen zur Behandlung von Hypertonie eingesetzt. Klinische Studien geben Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit (vgl. Artikel in diesem Heft, S. 528 ff.).
Herzgespann (Leonurus cardiaca) Herzgespann wirkt auf das nervöse Herz entspannend und wird wie Weissdorn in Tinkturenmischungen verwendet.

Buschklee (Lespedeza capitata) Eine Arbeit aus dem Jahr 1992 weist in vitro eine Hemmwirkung auf die Aktivität des ACE nach. Daher kann auch der Buschklee entsprechend verwendet werden.
Drei Fallberichte aus der Hausarztpraxis
Fall 1: Frau Z. M., geboren 1941 Familiär belastet mit Hypertonie, Stroke und Sudden Death. Selber seit 1995 unter 20–40 mg Propranolol wegen BorderlineHypertonie sowie unter Simvastatin 10–20 mg wegen Cholesterinwerten bis 9,6 mmol/l. Anfang 1999 BD-Werte ansteigend auf 157/100–102 (Selbstmessung) mit Begleitkopfschmerzen, weshalb die Patientin zusätzlich 20 mg Furosemid bekam. Bei mir im Sommer 1999 Umstellung auf Perindopril 2 mg und Atorvastatin 10 mg. Anfang 2000 BD-Werte im Schnitt um 144/87, Cholesterin 4,66. Mitte 2001 morgendlicher Schwindel und zeitweise starke, stechende okzipitale Kopfschmerzen bei BDWerten bis 162/101. Patientin will aber die Perindoprildosis nicht erhöhen. Im Januar 2003 akuter Myokardinfarkt und NotfallBypassoperation des Ehemanns. Prompt Schlaflosigkeit, Herzklopfen und BD-Entgleisung bis zu 173/114. Besserung mit zusätzlich 12,5 mg Chlortalidon plus 15 mg Oxazepam zum Schlafen. Nach einem Monat erneut morgendlicher Schwindel und abendliche Kopfschmerzen entsprechend einer auch in der Selbstmessung ausgesprochen labil schwankenden Hypertonie bis 188/102. In dieser Situation Wechsel auf eine Tinkturenmischung aus Olea, Crataegus, Viscum, Melissa und Rauwolfia aa 2 x 30 Tropfen. Bald Dosisreduktion wegen Schwarzwerdens vor den Augen auf 2 x 20 Tropfen (entsprechend nur 2 x 0,4 mg Rauwolfia-Ge-

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PRAXIS

samtalkaloiden!), worunter die Patientin sich seither wohl fühlt und nur noch gelegentlich Herzklopfen spürt. Eine Umstellung von Oxazepam auf Baldriandragees klappte hingegen nicht. In der 24-h-BDMessung durch den Kardiologen zeigte die Patientin im August 2003 tagsüber Werte um 131/78, Puls 73, nachts 133/74, Puls 63.
Fall 2: Herr Z. P., geboren 1944 Bruder Hypertoniker. Patient selbst bekam 1997 vorübergehend 6 Monate lang Blutdrucktabletten. 2000 anlässlich einer floriden Sigmadivertikulitis BD-Werte bis zu 155/110. Im Oktober 2001 meldet sich der Patient beunruhigt wegen abendlichen schnellen Herzklopfens mit BD-Werten bis zu 158/100. Er wünscht eine alternative BDTherapie (seine Partnerin behandelt ihren Morbus Crohn erfolgreich antroposophisch). Er bekommt eine 40,0-Rauwolfia/60,0-Crataegus-Mischung und nimmt davon 2 x 15 Tropfen ein, das heisst 2 x 0,6 mg Rauwolfia-Alkaloide pro Tag. Diese Mischung bewährt sich hinsichtlich Verträglichkeit (keine NW) und Wirksamkeit bestens bis heute. Anlässlich einer Nachkontrolle im August 2003 – einen Monat nach Operation einer Sigmadivertikulitis perforata – ist der BD bei 121/90 eingestellt.
Fall 3: Herr S. P., geboren 1946 Mutter Hypertonie, Bruder KHK mit 42 Jahren. Seit Ende der Achtzigerjahre Grenz-

werthypertonie. Ende 1990 in der Praxis 135/99, beim Blutspenden diastolisch bis 110 gemessen. Ende 1992 Praxismessung bei 148/104, 1997 depressive Entwicklung mit Insomnie und Suizidgedanken, BD 145/90, Besserung mit Sertralin und Zolpidem. Ende 1999 erneute depressive Episode, gut ansprechend auf Hypericumextrakt 2 x 300 mg. Wegen BD-Werten bis 174/108 nun aber kardiologisches Konsil, das eine konzentrische LV-Hypertrophie ohne Myokardischämiezeichen ergibt. Wegen persönlicher Medikamentenaversion versucht der Patient zunächst via Hypnose, ab August 2000 schliesslich mit Valsartan 80 mg, später plus 12,5 mg HCTZ, den BD zu senken. Ende 2001 24-h-BD-Messung unter Valsartan/HCTZ mit ungenügenden Werten: Tagesmittel 143/95, 66 Prozent der Werte systolisch > 140, 72 Prozent der Werte diastolisch > 90, Nachtmittel 134/82. In dieser Situation (Praxismessung 161/97) verlangt der Patient – statt konventionell aufzustocken – eine BD-Phytotherapie, da sich bei der Partnerin Rauwolfia und Passiflora bewährt hätten. Mit 30,0 Rauwolfia, 20,0 Crataegus, 20,0 Viscum und 20,0 Olea fol. (45-0-30 Tropfen, entsprechend 1,4 und 0,9 mg Rauwolfia-Gesamtalkaloiden pro Tag) sind die Werte auch zu Hause generell besser als mit den Tabletten. Drei Monate später ist die Praxismessung im Mittel bei 146/92, der Patient aber nicht zufrieden. Er vergisst oft die Abenddosis, hat schlaflose

Nächte bei allzu später Tropfeneinnahme und verspürt eine ungenügende BD-Kontrolle mit Druck und Schwindel im Kopf, Schleiersehen und ungutem Gefühl bei Stress und Ärger im Geschäft. Die Tropfen seien nicht das Wahre. Ab August 2002 nimmt der Patient Valsartan 160 mg plus 25 mg HCTZ zu sich. Der zuletzt im August 2003 gemessene Praxisdruck betrug 154/102. An diesem Fall 3 zeigt sich deutlich, wie Rauwolfia bei Patienten mit depressiver Verstimmung sich ungünstig auf das emotionale Befinden auswirken kann, trotz nachweisbar gutem therapeutischem Effekt, sogar mit Überlegenheit gegenüber einer modernen Kombination von AT-Antagonisten und Thiaziddiuretikum. Die diesbezügliche Kontraindikation scheint also zu Recht zu bestehen.

Schlussfolgerungen

Mangels praktisch erhältlicher Fertigarz-

neimittel ist eine Blutdruckbehandlung

auf Pflanzenbasis in der Schweiz momen-

tan nur mit Tinkturen möglich. Diese sind

in der praktischen Anwendungsbeobach-

tung durchaus wirksam und verträglich,

werden aber – da zu umständlich bei der

Einnahme – nicht bei allen Patienten ak-

zeptiert.

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PHYTOTHERAPIE

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