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Titel
Hybriden-Hybris
Untertitel
-
Lead
Die Herstellung eines zytoplasmatischen Hybridembryos sei erstmals publiziert worden. In sorgfältig gewählten Worten teilte uns dies der Nachrichtensprecher mit. Nun, möglicherweise wurden schon seit längerer Zeit an einigen Orten der Welt entkernte tierische Eizellen mit menschlichen Zellkernen fusioniert. Streng geheim, weil lästige Ethiker und pingelige Juristen das sonst untersagen könnten. Vielleicht sind es auch entmenschte Zellen mit tierischen Kernen? Wer weiss. Glaube ich meinem ältesten Sohn, dann leben schon viele dieser Chimären unter uns, die er als Halbaffen, Humangorillas und Weibszicken bezeichnet.
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Rubriken — ARSENICUM
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arsenicum
Die Herstellung eines zytoplasmatischen Hybridembryos sei erstmals publiziert worden. In sorgfältig gewählten Worten teilte uns dies der Nachrichtensprecher mit. Nun, möglicherweise wurden schon seit längerer Zeit an einigen Orten der Welt entkernte tierische Eizellen mit menschlichen Zellkernen fusioniert. Streng geheim, weil lästige Ethiker und pingelige Juristen das sonst untersagen könnten. Vielleicht sind es auch entmenschte Zellen mit tierischen Kernen? Wer weiss. Glaube ich meinem ältesten Sohn, dann leben schon viele dieser Chimären unter uns, die er als Halbaffen, Humangorillas und Weibszicken bezeichnet. Von der «Ziege» leitet sich der Name der mythologischen Chimäre ab. Sie und ihre Geschwister Hydra, Zerberus und Sphinx bedrohten Mensch und Tier. Bedroht, so wird wieder mal aufgeschrieen, sei jetzt das Abendland durch die Forschung an Hybridembryos. Oder um es globlisierend zu sagen, das Universum. Aber braucht es dafür denn Chimären beziehungsweise die Hybris von entfesselten Forschern? Schon total ungeklonte Menschen mit modernen Waffen reichen doch dazu völlig aus … Mein siebenjähriger Göttibub glaubt gar nicht, dass geklont wurde. Ins Ei einer Kuh könne man kein menschliches Erbgut einschleusen, weil Kühe gar keine Eier legen, sondern Milch gäben. Gut, dass das Kind noch nicht weiss, welchen Eiertanz man täglich mit irgendwelchen Kühen, mit faulen und Weicheiern vollzieht. Und dass es Arbeitgeber gibt, die an die Existenz der eierlegenden Wollmilchsau glauben. Da ich Forschern alles zutraue, bin ich sicher, dass es den Kuhmenschen/die Menschenkuh bald gibt. Nun, es könnte Vorteile bieten – zum Beispiel ein leckeres Fünf-Gang-Gourmet-Menü stundenlang wiederzukäuen. Nach dem Tod könnten einen die Hinterbliebenen auf dem Grill braten. Beim Leichenschmaus im wahrsten Sinn müssten nur Beilagen und Getränke bezahlt werden und es spart Bestattungskosten. Im täglichen Grundversorgerleben ist man zudem ein Arztochse, der wie alle Mittelständler gemolken wird ... Gelegentlich werden auch Medizinstiere in der Arena vor Publikum niedergemetzelt. Nun, als Allgemeinpraktiker gehe ich die Chimärenfrage pragmatisch an. Vielleicht nehme ich einen Veterinär als Praxispartner, um eine optimale Behandlung von Herr Minotaurus und Frau

Sphinx zu garantieren. Interdisziplinäres Arbeiten erweitert den Horizont. Das Wartezimmer passen wir architektonisch an. Gute Lüftung – denn vermutlich böckelt der Patient Pan. Videoüberwachung – falls Pan die jungen weiblichen Wartenden sexuell belästigt, was – ausser bei Nixen – rechtliche Probleme schaffen könnte. Kentauren müssten – zusammen mit den Pegasussen und Buraqi, die mein tierärztlicher Kompagnon behandeln würde – vor der Praxis auf unseren Parkplätzen warten und durch den Hintereingang hineintraben. Während ich bei dem Kentaur oder der Sphinx die Anamnese aufnehme, kann der Veterinär ihnen die Hufe beziehungsweise Krallen untersuchen. Für Harpyien und Sirenen könnte man eine Sitzstange auf der Veranda montieren. Sind sie an der Reihe, müsste ich nur das Fenster zum Sprechzimmer öffnen, damit sie hineinfliegen können. Für Kynokephaloi ohne Beisshemmung herrscht Maulkorbzwang und man muss sicherstellen, dass Medusen gut schliessende Kopfbedeckungen tragen und niemanden anschauen. Kurz, unsere Praxis wird im Sinne der Diversity auch für unsere geklonten Mitbürger offen stehen. So neu sind sie doch eigentlich nicht. Völker der ganzen Welt glauben seit Langem an sie. Im antiken Griechenland beschrieb man viele solcher Wesen, von verhältnismässig simpel gebauten Skiapoden und Zyklopen bis hin zu Hekatoncheiren. In Ländern mit germanischkeltischen Traditionen wimmelt es auch heute noch von Skvadern und Fomoraigs – zumindest in den Gehirnen vieler Einwohner. Moderne Basler nutzen Basilisk und Vogel Gryff als Tourismusattraktion. Bayern lieben ihren Wolpertinger. In den USA benehmen sich Jackalopes besser als Jackasses. Der Garuda ziert in Asien heute noch Amtssiegel. Und indische Kaufleute vertrauen auf Ganesha und Hanuman. Franz Hohler verrät leider nicht, was Blindeli und Totemügerli wirklich sind. Vielleicht das Gleiche wie Werwölfe und Yetis. Vielleicht sinds Schimären: gedankliche Trugbilder, die der Wirklichkeit täuschend ähnlich sind. Vorerst kaufe ich mir ein Hybridauto. Das kann ich auch für Hausbesuche für Hybridpatienten benutzen.

Hybriden-Hybris

310 ARS MEDICI 8 ■ 2008