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Titel
Alt, aber aktiv
Untertitel
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Lead
Kurt Tucholsky spottete bereits 1925: «Alter ist kein Einwand, nein. Aber auch keine Entschuldigung. Wir haben doch nun genug alte Leute in der Politik, muss es auf dem Theater auch noch sein? Es scheint so.» Leider. Wenn die Nutrisse im TV über ihr Haarfärbemittel plaudert, denk ich an mich und wünsche mir was Jüngeres auf den Bildschirm. Doch dass Terence Hill und Bud Spencer jetzt ein Comeback geben, finde ich ermutigend. In so schönen blauen Augen wie denen des siebzigjährigen halbsächsischen Venezianers sieht sogar ein Arcus lipoides gut aus.
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Rubriken — ARSENICUM
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13546
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Alt, aber aktiv

arsenicum
Kurt Tucholsky spottete bereits 1925: «Alter ist kein Einwand, nein. Aber auch keine Entschuldigung. Wir haben doch nun genug alte Leute in der Politik, muss es auf dem Theater auch noch sein? Es scheint so.» Leider. Wenn die Nutrisse im TV über ihr Haarfärbemittel plaudert, denk ich an mich und wünsche mir was Jüngeres auf den Bildschirm. Doch dass Terence Hill und Bud Spencer jetzt ein Comeback geben, finde ich ermutigend. In so schönen blauen Augen wie denen des siebzigjährigen halbsächsischen Venezianers sieht sogar ein Arcus lipoides gut aus. Etwas mehr Sorge machen mir die Metacarpalia seines Bud(dy), des neapolitanischen Juristen, der immerhin auf die 80 zugeht. Wenn der im neuen Film immer noch den berühmten Schlag mit der flachen Hand ausführt, könnte das das Halleluja für die Mittelhand bedeuten. Aber vermutlich zieht er sich lieber eine Fraktur beim Verhauen eines Filmbösewichts zu als beim Ausgleiten auf einem realen Pflegeheim-Parkett. Und immerhin hat er schon den «Plattfuss» gut verkraftet. Kurz – nichts gegen die beiden Action-Oldies, die nach den Spaghetti-Western jetzt das Geronto-Genre erfinden. Wobei sie in guter Gesellschaft sind: Sylvester Stallone nähert sich mit 62 auch dem Pensionierungsalter und zeigte kürzlich, was Anabolika so können. Matula verschleisst mit 65 Jahren inzwischen den vierten Anwalt, anstatt in den Ruhestand zu gehen. Selbst im Osten gibts nichts Neues: der 56-jährige Sammo Hung wirbelt trotz Übergewicht über die Filmsets. Klaus-Jürgen Wussow verwirklichte sich erst mit 66 Jahren seinen Lebenstraum, Arzt zu werden – zumindest im TV. Marianne Koch schon mit 50 – in der Realität. Die Grandes dames wie AnneMarie Blanc, Stefanie Glaser und Annemarie Düringer sind beliebter denn je. Sie sind Vorbilder, die ich meinen Patienten und Patientinnen vorhalte. Und es wirkt! Der neunundsechzigjährige Herr Hugentobler*, ehemaliger Vorturner des TCS, Spezialdisziplin Reck, stemmt nach zwanzigjähriger Sportabstinenz wieder Hanteln, seitdem er Hulk Hogan gesehen hat. Im Fitness-Center hat er zudem eine sympathische Endfünzigerin kennen gelernt … Und auf einmal ist seine Idée fixe, dass er trotz normaler Ergometrie eine Herzkrankheit haben könne, nicht mehr aktuell.

Früher kam er mindestens einmal pro Monat mit Herzstolpern, -rasen, -jagen oder –klopfen. Jetzt ordert er nur noch telefonisch das Viagra-Rezept. Frau Inäbnit* wurde von den «Herbstzeitlosen» inspiriert und erinnerte sich daran, dass sie einmal eine begeisterte Handarbeiterin war. Bevor vier Kinder, Mann und Hausbau sie in Beschlag nahmen, liebte sie es, zu knüpfen, weben, stricken, sticken, häkeln und sogar zu klöppeln. Schüchtern hat sie im Wolle-, Bastel- und Mercerieladen unseres Städtchens gefragt, ob man dort eine gratis arbeitende Alte brauchen könne. Inzwischen ist sie zu 60 Prozent angestellt, und ihre Abendkurse «Norwegermuster» und «Aranstricken» müssen doppelt angeboten werden, weil sie derartig ausgebucht sind. Die Polyarthrose ihrer Hände ist seither auch kein Thema mehr. Nichts freut mich mehr, als wenn meine Patienten ihr Hobby «Zum-Hausarzt-gehen-undjammern» zugunsten einer anderen Tätigkeit aufgeben. Manchmal bin ich da schon ein wenig zu forsch, wenn ich ihnen wärmstens den Besuch von Volkshochschul- und Clubschulen empfehle. Zu Recht protestierte kürzlich Frau Gerber*. Zeitlebens sei sie sprachunbegabt und -uninteressiert gewesen, sie sei ein reiner Zahlenmensch und sähe nicht ein, warum ich ihr ständig Sprachkurse und Scrabble-Clubs anriete. Daraufhin wechselte ich das Thema, aber nicht die Zielrichtung. Bis sie sich im Computerkurs einschrieb. Und zur Meisterin im Crosshatching und Scanning von Sudokus wurde. «Einfach grossartig, was die Pro-Senectute-Bibliothek in Zürich bietet!» trompetete Herr Stucki* auf dem Praxisflur. «Das war ein guter Tipp von Ihnen, Herr Doktor!» Ich lächelte eitel. Bis er fortfuhr: «Nun, Sie werden dort regelmässig sein, Sie sind ja schliesslich auch in dem Alter. Wir Alten müssen schauen, dass wir nicht ganz verkalken, nicht wahr?» Die MPA kicherten. Und unser frecher Lehrling legte mir in der Pause statt des üblichen Petit-beurre eine Calgon Expressball Tab auf die Untertasse meines Kaffees …
* Namen von der Redaktion geändert

270 ARS MEDICI 7 ■ 2008