Transkript
FORTBILDUNG
Das rote Augenlid
Welche Ursachen gibt es, welche Therapien sind angezeigt?
Das Spektrum an Diagnosen bei einem geröteten und geschwollenen Augenlid ist breit. Es reicht von der gutartigen selbstlimitierenden Erkrankung bis hin zu einer lebensbedrohlichen Entzündung. Eine Autorengruppe um Art Papier hat die wichtigsten Differenzialdiagnosen im «American Family Physician» zusammengefasst.
Merksätze
■ Die Abklärung eines geschwollenen roten Augenlids gelingt mehrheitlich durch Anamnese und genaue Befunderhebung.
■ Die häufigsten Diagnosen sind Kontaktdermatitis, atopische Dermatitis und Blepharitis.
■ Gefährlich ist die Orbitaphlegmone, die ein rasches Eingreifen und eine Klinikeinweisung erforderlich macht. Häufiger ist aber die weniger bedrohliche Lidphlegmone.
AMERICAN FAMILY PHYSICIAN
Kontaktdermatitis Die Kontaktdermatitis ist der häufigste Grund für eine Augenlidentzündung. Die Haut des Augenlids ist sehr dünn und reagiert auch deshalb sehr vulnerabel auf irritierende oder allergische Substanzen, denen sie zudem oft ausgesetzt ist, weil sie über die Finger leicht dorthin gelangen. Eine Kontaktdermatitis kann am Augenlid beginnen, um sich von dort auszubreiten, zuweilen bleibt sie aber auf das Lid beschränkt. Man unterscheidet die irritative von der allergischen Kontaktdermatitis. Beide Formen lassen sich klinisch nicht immer sicher unterscheiden, allerdings äussert sich die irritative Kontaktdermatitis stärker mit Brennen und Stechen, während bei der allergischen Form der Juckreiz öfter im Vordergrund steht. Die allergische Form wird durch eine Typ-IV-Immunreaktion hervorgerufen, bei der irritativen Form wirken Substanzen direkt toxisch auf das Lid. Meist sind die Auslöser dann Produkte, die auf die Haare, Nägel oder im Gesicht aufgetragen werden und nicht unbedingt auf das Lid selbst. Erythem, Ödem oder Bläschen finden sich im Akutstadium, Schuppungen können noch nach Wochen erkennbar sein. Um Allergene ausfindig zu machen, ist eine sorgfältige Anamnese zwingend erforderlich: Fragen nach Hobbys, Beruf und
Anwendung von Kosmetika geben oft die entscheidenden Hinweise. Anders als bei der irritativen Kontaktdermatitis ist eine Beteiligung von Händen und Gesicht keine Seltenheit. Wenn der Auslöser anamnestisch nicht zu ermitteln ist, sollte der Patient an einen Allergologen überwiesen werden, der mit einem Patch-Test für Aufklärung sorgt. Die Behandlung besteht zunächst in der Vermeidung der allergenen oder toxischen Substanz. Der Patient sollte eine Liste mit den üblichen Allergenen erhalten und darin eingewiesen werden, angewendete Produkte daraufhin genau anzusehen. Die akute Liderkrankung kann zweimal täglich mit einem leichten topischen Steroid behandelt werden – dies über etwa fünf bis zehn Tage. Die Langzeitanwendung am Augenlid kann zu Hautatrophie führen, ja sogar Glaukom und Katarakt hervorrufen. Deshalb ist es wichtig, die geringst mögliche Dosis einzusetzen und dies so kurz wie möglich. Obwohl Reaktionen vom verzögerten Typ der allergischen Kontaktdermatitis nicht mit einer Histaminauschüttung der Mastzellen einhergehen, können orale Antihistaminika helfen, den Juckreiz zu lindern. Patienten mit irritativer Kontaktdermatitis erhalten zur Linderung kühle Kompressen und anschliessend ein Emolliens. Steroide scheinen hier, zumindest einer Studie zufolge, unwirksam zu sein. In der Praxis werden sie aber dennoch oft verwendet, weil die Unterscheidung zur allergischen Form manchmal schwierig ist.
300 ARS MEDICI 7 ■ 2008
FORTBILDUNG
Atopische Dermatitis Bei etwa 15 Prozent der Neurodermitiker ist das Augenlid betroffen. Die atopische Dermatitis kann sich mit Juckreiz, Ödem, Erythem, Lichenifikation, Fissuren oder feiner Schuppung präsentieren. Im Gegensatz zur allergischen Dermatitis fallen Ödem und Schwellung geringer aus, Lichenifikation und Schuppung dominieren. Normalerweise fällt die Unterscheidung aber nicht so schwer, da der typische Befall anderer Hautpartien (bei älteren Kindern und Erwachsenen an den Beugeseiten der Extremitäten) und die Familienanamnese den Weg weisen. Eine atopische Dermatitis kann aber durch eine Infektion oder Kontaktdermatitis kompliziert werden, was die Diagnose dann erschwert. Daran muss man denken, wenn eine gut eingestellte atopische Dermatitis neu und akut am Auge aufflammt. Die Behandlung besteht in oralen Antihistaminika und niedrig dosierten, kurzzeitig applizierten Steroiden. Die topischen Immunmodulatoren Tacrolimus (Protopic®) und Pimecrolimus (Elidel®) können in refraktären Fällen versucht werden.
Blepharitis Die Blepharitis ist eine recht häufige chronische Entzündung der Lidränder, die oft in Kombination mit anderen Erkrankungen wie Rosazea, seborrhoischer Dermatitis und Keratoconjunctivitis sicca auftritt. Die genaue Ursache ist unbekannt. Bei Blepharitis anterior liegt oft eine Staphylokokkeninfektion oder Seborrhö vor, bei Blepharitis posterior eine Dysfunktion der Meibom-Drüsen. Die Patienten haben gerötete und leicht geschwollene Augenlidränder mit einer weichen gelblichen Schuppung. Oft besteht gleichzeitig eine Bindehautentzündung. Manche Patienten empfinden Juckeiz und Brennen. Ein Abstrich (mit Kultur) kann bei Patienten indiziert sein, die wiederholt unter Blepharistis leiden oder die nicht auf die Therapie ansprechen. In seltenen Fällen ist eine Biopsie zum Ausschluss eines Karzinoms notwendig. Die Behandlung besteht in Augenlidhygiene: Warme Kompressen werden empfohlen, gefolgt von einer sanften Massage. Bei Patienten mit einer durch Staphylokokken verusachten Blepharitis kann für mindestens eine Woche ein topisches Antibiotikum zur Nacht appliziert werden. Auf diese Weise lässt sich der Heilungsprozess etwas beschleunigen. Orale Tetrazykline können bei Infektion der Meibom-Drüsen verschrieben werden. Auch die kurzzeitige Applikation eines Steroids wird gelegentlich praktiziert. In hartnäckigen Fällen sollte der Patient zum Augenarzt überwiesen werden.
Lid- und Orbitaphlegmone Die Orbitaphlegmone ist eine gefährliche Infektion im Bereich der Orbita posterior. Meist entsteht sie als fortgeleitete Entzündung aus den Nebenhöhlen, insbesondere Stirnhöhle und Siebbeinzellen. Bei Säuglingen können auch Zahnkeimentzündungen der Ausgangspunkt sein, in sehr seltenen Fällen auch ein Hordeolum. Die Patienten, mehrheitlich sind es übrigens Kinder, fühlen sich sehr krank und fiebrig, das Augenlid ist
geschwollen, der Bulbus tritt hervor (Exophthalmus) und ist in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Eine Überweisung zum Augenarzt ist dringend erforderlich, da eine Sinus-cavernosusThrombose oder eine Meningitis als Komplikation drohen. Ist der Entzündungsprozess vor dem Septum orbitale lokalisiert, handelt es sich um eine präseptale Lidphlegmone, die deutlich häufiger vorkommt. Motilitätsstörungen und Chemosis kommen hier nicht vor. Differenzialdiagnostisch muss bei Kindern auch an das allerdings sehr seltene Rhabdomyosarkom gedacht werden. Die Therapie einer leichten Lidphlegmone besteht in der Gabe eines oralen Breitbandantibiotikums (z.B. Amoxicillin/Clavulansäure) und einer engmaschige Überwachung. Bei Kleinkindern kann manchmal eine Hospitalisation zur intravenösen Antibiotikabehandlung erforderlich sein.
Andere Erkrankungen Ebenfalls ein rotes und geschwollenes Augenlid kann die Rosazea hervorrufen – eine chronische Hauterkrankung, die vor allem Erwachsene im vierten und fünften Lebensjahrzehnt betrifft. Erythem und Teleangiektasien sind die Symptome. Obwohl üblicherweise das ganze Gesicht betroffen ist, kann eine Rosazea auch einmal am Lid beginnen – akneiform und mit periorbitalem Ödem sowie mit Erythem und Teleangiektasien am Lidrand. Das Augenlid ist zudem verdickt. Die Therapie besteht aus Lidhygiene, systemischer Gabe von Tetrazyklinen und topischem Metronidazol. Patienten mit schwerer Rosazea können eine Hornhautvaskularisation erleiden und sollten sich beim Augenarzt vorstellen. Relativ häufig ist das Hordeolum, bei dem es sich um eine akute Entzündung der Liddrüse(n) handelt, die durch Staphylokokken verursacht wird. Das Hordeulum tritt typischerweise einseitig auf. Meist erkennt man ein schmerzhaftes Knötchen mit einem zentralen Eiterpunkt. Das Hordeulum externum liegt am äusseren Lidrand, das Hordeulum internum ist erst nach Ektropionieren sichtbar. Oft besteht eine Begleitkonjunktivitis. Unter Anwendung einer antibiotischen Salbe und warmen Kompressen heilt das Hordeolum rasch ab. Vom Hordeolum abzugrenzen ist das Chalazion, eine sterile Entzündung der Meibom-Drüse, die nicht druckdolent ist und relativ langsam entsteht. Es muss mitunter vom Augenarzt inzidiert werden. Eine weitere Differenzialdiagnose ist der Herpes simplex. Dieser unterscheidet sich von anderen Erkrankungen aber durch das gruppierte Auftreten von Bläschen. Nur wenn diese nicht (mehr) klar erkennbar sind, kann die Diagnose erschwert sein. ■
Art Papier et al.: Differential diagnosis of the swollen red eylid. Am Fam Physician 2007; 76: 1815–1824.
Interessenkonflikte: keine
Uwe Beise
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