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FORTBILDUNG
Kardiologie und Phytotherapie?
Die Behandlung von Herzerkrankungen hat mit dem technischen Fortschritt in der Medizin enorme Änderungen erfahren. Bildgebende Verfahren mit Darstellung der Herzkranzgefässe oder der Pumpleistung des Herzens sind heutzutage zur Routine geworden. Die Implantation eines Schrittmachers kommt bei Rhythmusstörungen immer öfter zur Anwendung. Die Patienten werden dadurch aber auch übersensibilisiert und kommen bereits mit leichten Herzbeschwerden zum Hausarzt. Hier bietet die Phytotherapie immer noch sehr gute Alternativen. Bei leichten Rhythmusstörungen ist Crataegus (Weissdorn) eine kostengünstige und auch vom Patienten meistens gut akzeptierte Alternative zu den mit zahlreichen Nebenwirkungen behafteten Antiarrhythmika der Schulmedizin. Crataegus ist eines der ganz wenigen Medikamente mit einer positiv inotropen Wirkung. Im Gegensatz zu den anderen Arrhythmika stärkt es zusätzlich die Herzleistung. Crataegus kann deshalb nicht nur bei Rhythmusstörungen, sondern auch mit gutem Erfolg bei Herzinsuffizienz als zusätzliche Medikation zurVerbesserung der Herzleistung verwendet werden. Dies konnte in einer Cochrane-Review 2009 mit 14 Doppelblindstudien bei chronischer Herzinsuffizienz belegt werden. Auch Leonurus cardiacum (Echtes Herzgespann) kann bei nervösen Herzstörungen eingesetzt werden. Eine positive Wirkung auf Herzmuskelfasern und auf die Uteruskontraktion (cave: Schwangerschaft) wurde nachgewiesen. Allerdings fehlen bis heute gute Studien am Menschen. Bei Ammi visnaga (Bischofskraut) konnte zwar eine eindeutige antianginöse Wirkung auf das Herz nachgewiesen werden. Trotzdem sollte es wegen der zahl-
reichen Nebenwirkungen nur noch in niedriger Dosis und in Kombination mit anderen Heilpflanzen als Tee oder in homöopathischen Potenzen verwendet werden. Die Kommission E bewertete Ammi visnaga wegen der Nebenwirkungen 1994 negativ. Die Zitronenmelisse (Melissa officinalis) wird ebenfalls zur Beruhigung von Herzbeschwerden verwendet. Allerdings wird sie dann meistens in Kombinationspräparaten als beruhigendes Element eingesetzt. Die Forte-Phytotherapeutika Atropa belladonna und Digitalis purpurea werden vor allem in homöopathischen Kombinationen verwendet. Zu stark ist ihre direkte Wirkung und zu eng die therapeutische Bandbreite. Die wichtigste Anwendung der Phytopräparate bei Herzbeschwerden bleibt aber die individuelle Kombination verschiedener herzwirksamer, aber auch beruhigender Heilpflanzen, die auf den einzelnen Patienten zugeschnitten ausgesucht und verordnet werden können. In der individuellen Behandlung ist der Phytotherapeut der Schulmedizin weit voraus. Diese diskutiert neuerdings ebenfalls über individuell angepasste, massgeschneiderte Pillen.
Dr. med. Valerio Rosinus Hausarzt in Zürich SMGP-Gründungsmitglied
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LABOR
3/2012