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TAGUNGSBERICHT
Bei Gefässproblemen auch pflanzliche Präparate berücksichtigen
Phytotherapie zur Prophylaxe und Behandlung von Störungen der Mikrozirkulation
Eine Vielzahl synthetischer Medikamente bewirbt sich heute
komplexes Wirkgefüge aufweisen und
um Ärzte und Patienten mit dem Versprechen, gegen athero-
auf die Vielfalt der Abläufe im Rahmen einer gestörten Mikrozirkulation einwir-
sklerotische Prozesse an sich oder gegen die Gefäss- und Or-
ken, also von Haus aus zahlreiche Angriffspunkte haben (multi target drugs).
gankomplikationen diabetischer Stoffwechselentgleisungen
Experimentell untersuchte Drogen und Extrakte stammen aus der europäischen,
einen prophylaktischen oder therapeutischen Beitrag zu leis-
vor allem aber auch aus der chinesischen, japanischen und ayurvedischen
ten. Ist da auch Platz für Phytotherapeutika?
Medizin, die oft Kombinationen mit fünf und mehr pflanzlichen Drogen oder
Extrakten einsetzen. Aufgrund des um-
fangreichen Wirkstoffgefüges der Phyto-
und einen erhöhten Sympathikotonus therapeutika, so Saller, erscheint es als
HALID BAS
sowie eine verminderte Herz-Kreislauf- lohnenswert, auch solche erneut auf
Variabilität. Auch Hyperkoagulabilität, Wirkungen auf die Mikrozirkulation zu
Mikro- und makroangiopathische, zu- oxidativer Stress, chronische entzündli- untersuchen, die bisher in ihrer Anwen-
nächst funktionelle, später auch struktu- che Vorgänge in den Gefässwänden und dung auf ganz andere Indikationen be-
rell bedingte Beeinträchtigungen sind der atherosklerotische Umbau sind hier schränkt waren.
eine entscheidende Basis für die vielfäl- zu erwähnen.
Schon heute sind für Grünteeblätter
tigen und schwerwiegenden Komplika- Für eine grosse Anzahl von pflanzlichen (Theae viridis foliae, aus der Pflanze
tionen des Diabetes mellitus. «Auf die Drogen und Extrakten, so Saller, liess Camelia sinensis) antioxidative, anti-
Entstehung und die Progression dieser sich im Experiment zeigen, dass sie in thrombogene und antiinflammatorische
Veränderungen üben zahlreiche Faktoren solche Vorgänge eingreifen können. Dar- Effekte sowie eine günstige Beeinflus-
wesentliche Einflüsse aus», sagte Profes-
sor Reinhard Saller, Leiter des Instituts
für Naturheilkunde am Universitätsspi- «Vielstoffgemische haben ein komplexes Wirkgefüge
tal Zürich. Er erinnerte an Hyperglykämie, gestörte Insulinsekretion und
und wirken auf eine Vielfalt der Abläufe bei gestörter
Hyperinsulinämie, Insulinresistenz, Veränderungen der Blutfette wie erhöhte
Mikrozirkulation ein.»
«small dense» Low-Density-Lipoproteine
(LDL) und erniedrigte High-Density- aus lässt sich ableiten, dass diese Effekte sung der endothelialen Dysfunktion be-
Lipoproteine (HDL), Störungen der Endo- potenziell auch therapeutisch genutzt kannt, die bei koronarer Herzkrankheit
thelfunktion, Beeinträchtigung der NO- werden können.
sinnvoll sein können. Schwarz- und
abhängigen Vasodilatation, ferner auch Allerdings ist die wissenschaftliche Situa- Olongtees sind hingegen weniger gut
Störungen der kapillären Zirkulation tion bei den Phytotherapeutika insofern untersucht worden.
anders, als sie nicht aus Monosubstan- Auch für das Präparat Padma® 28 (bzw.
Bericht von der 22. Schweizerischen Tagung für Phytotherapie, 29. November
zen oder einfachen im Labor hergestellten Wirkstoffkombinationen bestehen, sondern einen genuinen Vielstoffcharak-
Padmed Circosan® auf der Spezialitätenliste) aus der tibetischen Medizin liegen zahlreiche Untersuchungen vor, die den
2007 in Baden (AG)
ter besitzen. Dies bedeutet aber gleich- Einsatz bei atherosklerotischen Gefäss-
zeitig, dass diese Vielstoffgemische ein prozessen stützen.
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BEI GEFÄSSPROBLEMEN AUCH PFLANZLICHE PRÄPARATE BERÜCKSICHTIGEN
Als Beispiel einer Arzneidroge, die über ihr etabliertes Indikationsgebiet hinaus eingesetzt werden kann, nannte Professor Saller dann Hypericum perforatum. Johanniskrautextrakte können nämlich als Adjuvans im Bereich des metabolischen Syndroms Verwendung finden. Ihre Interaktionen sind bekannt, ebenso aber dank ihrer stimmungsaufhellenden Wirkung auch ihr günstiger Einfluss auf das psychosoziales Umfeld und den Lebensstil. Schon ein bis zwei Tassen Johanniskrauttee, die noch keine antidepressive Wirkung entfalten, wirken beim metabolischen Syndrom dem erhöhten Sympathikotonus entgegen, haben einen günstigen Einfluss auf Mikrozirkulationsstörungen und endotheliale Dysfunktion, vermindern die Beeinträchtigung der NO-abhängigen Vasodilatation und bessern die gestörte Gefässpermeabilität. Untersuchungsergebnisse zur Lipid- oder Blutdrucksenkung lieferten hingegen inkonsistente Ergebnisse. Phytotherapeutika, so Professor Saller, wirken multimodal, sie haben damit einen systemischen Charakter, der in einem Gegensatz steht zur oft indikationsbezogenen Anwendung und einem im Fall diabetischer Stoffwechsel- und Gefässveränderungen viel zu «glukozentrischen» auf Blutzucker und HbA1c fixierten Ansatz. Patienten selbst hingegen operieren sehr oft mit einem systemischen Ansatz, wenn sie – mangels ärztlicher Empfehlung und Beratung aus eigenem Antrieb – pflanzliche Heilmittel nach ihren eigenen Vorstellungen und Überzeugungen einsetzen. «Für den Arzt werden Phytotherapeutika nicht die alleinige oder ausschliessliche Behandlung von Erkrankungen wie Diabetes mellitus bilden, sondern angemessen in vielschichtige Behandlungen, aber auch Präventionsansätze aufgenommen», schloss Professor Saller.
Mit Ginkgo gegen frühe Gefässveränderungen Ein konkretes Beispiel eines Phytotherapeutikums, das bei peripheren und zentralen Durchblutungsstörungen eingesetzt werden kann, besprach Professor Günter Siegel vom Institut für Physiologie der Charité in Berlin: den Ginkgobiloba-Extrakt EGb 761 (Tebokan®).
Aus Studien am Menschen ist eine ganze Reihe hämorheologischer Effekte unter EGb 761 bekannt: ■ Abnahme der Blutviskosität ■ Zunahme der Erythrozytendefor-
mierbarkeit ■ Zunahme des retinalen, kapillären
Blutflusses ■ Senkung der Fibrinogenkonzentra-
tion. Aus experimentellen Untersuchungen ergab sich ferner: ■ eine Steigerung der Cochleadurch-
blutung ■ eine Hemmung der LDL-Oxidation ■ eine endotheliale Zellprotektion
gegen freie Sauerstoffradikale.
Professor Siegel selbst konnte an einem experimentellen Modell, der «Nanoplaque»-Bildung, sehr frühe Stadien des atherosklerotischen Prozesses mit einer ellipsometrischen Technik direkt beobachten. Bei der Nanoplaque handelt es sich um einen Dreierkomplex aus dem isolierten endothelialen Lipoproteinrezeptor (einem Proteoglykan), LDL und Kalzium. Dieser ternäre Aggregationskomplex kann von Makrophagen aufgenommen werden, was auch den proinflammatorischen Aspekt früher atherosklerotischer Veränderungen begründet. Bei acht kardiovaskulären Hochrisikopatienten, die über zwei Monate zusätzlich zur konventionellen Standardtherapie mit Acetylsalicylsäure (ASS), Betablocker und ACE-Hemmer täglich zweimal 120 mg des Ginkgobiloba-Extrakts EGb 761 erhalten hatten, liess sich eine Reduktion der Nanoplaquebildung um 12 Prozent, der Nanoplaquegrösse um 24 Prozent, eine sehr deutliche Erhöhung der gefässerweiternden Substanz cAMP und cGMP, ferner eine Verminderung des Quotienten zwischen oxidiertem und nicht oxidiertem LDL sowie auch eine Abnahme von Lipoprotein(a) um 23 Prozent beobachten. «Ginkgo ist einer der besten Radikalenfänger», sagte Professor Siegel, und dies erklärt, weshalb die Oxidation von LDL stark eingedämmt wird. Diese experimentellen Ergebnisse stützen den Einsatz von Ginkgoextrakt in der Prophylaxe und Therapie von mikro-
und makroangiopathischen Veränderungen. Besondere Vorteile sind die im Vergleich zu Statinen anderen Wirkungsmechanismen und das praktische Fehlen von Nebenwirkungen. Auf eine Diskussionsfrage zur Kombination von Ginkgo mit anderen Therapeutika erwähnte Professor Siegel, dass diejenige mit Statinen durchaus möglich sei, während diejenige mit Marcoumar noch nicht ausdiskutiert sei und die gleichzeitige Verabreichung von ASS kein Problem darstelle.
«Ginkgo ist einer der besten Radikalenfänger»
Phytotherapie bei PAVK Die chronische periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) ist in zwei Dritteln der Fälle asymptomatisch, erinnerte Dr. med. Ernst Groechenig, Chefarzt Angiologie am Kantonsspital Aarau, und nur ein Drittel weist eine Claudiacatio intermittens auf. Die PAVK ist nie ein nur lokalisiertes Geschehen, sondern immer Ausdruck einer generalisierten Atherosklerose: «Der Herzinfarkt beginnt am Bein.» Etwa 70 Prozent der ClaudicatioPatienten zeigen eine Kombination der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit mit einer koronaren Herzkrankheit und/oder einer zerebralen Verschlusskrankheit. Auch Aneurysmen treten gehäuft auf. Deshalb empfehlen die Angiologen bei PAVK generell ein Staging der Atherosklerose. Diagnostisch sind Inspektion, Pulspalpation und Auskultation erste Schritte, danach folgt die Bestimmung des ABI (Ankle-Brachial-Index). Ein ABI < 0,9 spricht für eine PAVK und für ein hohes kardiovaskuläres Risiko. Bei stark verkalkten Gefässen kann der ABI aber auch irreführend normal ausfallen; dies ist bei Diabetikern häufig der Fall, wie Groechenig erwähnte. Die morphologische Diagnose erfolgt mit der Duplexsonografie, die auch die Therapieplanung erlaubt. Die Therapie richtet sich einerseits nach dem Schweregrad der PAVK (Stadieneinteilung in der Tabelle), andererseits nach dem morphologischen Befund. Eine
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TAGUNGSBERICHT
Tabelle: Stadieneinteilung der PAVK nach Fontaine (modifiziert n. Bolliger)
Stadium I klinische Beschwerdefreiheit bei nachgewiesenen atherosklerotischen Veränderungen bzw. Strömungshindernissen
Stadium II
belastungsabhängige Schmerzen in poststenotischen Muskelgruppen, die reversibel sind IIa: schmerzfreie Gehstrecke > 200 m IIb: schmerzfreie Gehstrecke < 200 m IIc: Läsion ohne Nachweis einer kritischen Durchblutungssituation
Stadium III Ruheschmerzen
Stadium IV Ruheschmerz mit Nekrosen oder Gangrän, hohe Durchblutung kritisch (poststenotischer Druck < 50 mmHg)
Aus- und Weiterbildung in Phytotherapie
Die Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP) hat die Förderung und die Ausbildung der Phytotherapie in den Medizinalberufen zum Ziel. Die dreijährige Ausbildung endet im Phytotherapie-Zertifikat SMGP, mit dem der Ausweis Phytotherapie der UNION (für Ärzte/ Ärztinnen) respektive der Fähigkeitsausweis FPH in Phytotherapie (für Apotheker/ApothekerInnen) beantragt werden kann. Details zur Aus- und Weiterbildung mit den Terminen und die entsprechenden Reglemente finden sich jederzeit aktuell auf www.smgp.ch.
konservative Basistherapie bildet in allen PAVK-Stadien die Grundlage. Sie umfasst Thrombozytenaggregationshemmer (ASS oder Clopidogrel [Plavix®]), ein Statin und einen ACE-Hemmer. Für das Stadium I empfahl Ernst Groechenig ausserdem ein Atherosklerosestaging (Bein, Herz, Gehirn, viszeral) und ein aktives Risikofaktorenmanagement. Im Stadium II sollte ergänzend ein Gehtraining hinzukommen, und die Möglichkeiten der Revaskularisation mittels perkutaner transluminaler Angioplastie (PTA) oder Gefässchirurgie sind auszu-
loten. Die PTA kann heute bis weit in die Peripherie durchgeführt werden, liefert proximal aber bessere Resultate. Irgendwann kommt es auch zum Wiederverschluss, der aber ohne Symptome verlaufen kann. Die Patienten versterben an anderen Ursachen. Im Stadium III muss eine Revaskularisation so rasch wie möglich erfolgen, ausserdem besteht hier eine Indikation für den gefässerweiternden Prostaglandinabkömmling Iloprost (Ilomedin®). Eine PAVK im Stadium IV ist immer ein angiologischer Notfall. Gibt es auch eine Indikation für Phytotherapeutika? Nach Einschätzung von
Ernst Groechenig liegen zum tibetanischen Arzneimittel Padma 28 interessante Daten in Form einer 2006 veröffentlichten Metaanalyse vor. Diese konnte sich auf die Originaldaten aller, meist älterer Studien stützen. Für die Neuauswertung wurden randomisierte, plazebokontrollierte Studien bei jeweils mindestens 30 Patienten mit PAVK Stadium II berücksichtigt, in denen die schmerzfreie und/oder maximale Gehstrecke standardisiert mittels Laufband gemessen worden war. Nach einer Nachbeobachtungszeit von 16 Wochen ergab sich in den fünf berücksichtigten Studien mit 272 Patienten eine signifikante, auch klinisch bedeutsame Verlängerung der Gehstrecke um mehr als 100 Meter bei 18,2 Prozent unter Padma 28 gegenüber 2,1 Prozent bei den Patienten der Plazebogruppe (p < 0,001). Das pflanzliche Arzneimittel war gut verträglich (selten [2,5%] Dyspepsie, in der Verumgruppe 1 Myokardinfarkt, in der Plazebogruppe 1
«Der Herzinfarkt beginnt am Bein.»
Zehenamputation wegen PAVK-Verschlechterung). Der Einsatz von Padma 28 kommt somit in Betracht, wenn eine Revaskularisation nicht indiziert ist, wie Ernst Groechenig sagte, zu Langzeitauswirkungen oder Einfluss auf die Prognose liegen jedoch keine Studien vor.
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Halid Bas
Interessenkonflikte: keine
BEKANNTMACHUNG
76. Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM)
21. bis 23. Mai 2008, Beaulieu Lausanne
Thema: Medizin und Gesellschaft
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. med. Anne-Françoise Allaz, Universitätsspital Genf, 24, rue Micheli-du-Crest, 1211 Genf Kongresssprachen: französisch, deutsch, englisch
Organisation: Dr. Schlegel Healthworld AG, Sennweidstrasse 46, 6312 Steinhausen, Tel. 041-748 76 00, Fax 041-748 76 11 E-Mail: h.fuchs@schlegelhealth.ch, Internet: www.congress-info.ch/sgim2008
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