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BERICHT
HIV: Die Behandlung bleibt Erfolg versprechend
Retroviruskonferenz 2008 zeigt: Es kommen noch wirksamere Therapien gegen HIV nach
Anders als bei den Antibiotika, die gegen hochresistente Keime weitgehend versagen, rücken gegen HIV immer wieder neue Substanzen nach, die das Virus in Schach zu halten vermögen. Das wurde kürzlich auf der Retroviruskonferenz CROI 08 in Boston deutlich.
THOMAS FERBER
Mittlerweile haben sich Kivexa® (ein Kombinationspräparat mit den NRTI Abacavir/Ziagen®, 600 mg, und Lamivudin/Epivir®, 300 mg) und Truvada® (ein Kombinationspräparat mit den NRTI Tenofovir DF/Viread®, 300 mg, und Emtricitabin/Emtriva®, 200 mg) als Behandlungsrückgrat etabliert. Beide Kombipräparate, die bezüglich Wirksamkeit identisch sind, sollen bei Behandlungsnaiven mit einem Proteasehemmer (PI) oder einem nicht nukleosidischen Reversetranskriptasehemmer (NNRTI) kombiniert werden. In der Studie HEAT, die am CROI mit den 48-Wochen-Daten vorgestellt wurde, wurden sie mit Lopinavir/Ritonavir kombiniert. Nach 48 Wochen erreichten 68 vs. 67 Prozent der Patienten (ABC/3TC vs. TDF/ FTC) eine Viruslast von unter 50 Kopien pro ml Plasma. Die mittlere CD4-Antwort fiel zugunsten von ABC/3TC aus: Die Patienten vermochten die Zellzahl auf 429 Zellen pro ml Blut zu steigern, bei TDF/FTC waren es 370 Zellen. Therapieversager entwickelten unter Truvada doppelt so
häufig Mutationen mit M184V wie unter Kivexa (14 vs. 7 Fälle). Bekanntlich muss bei drohendem Therapieversagen ein Wechsel der Behandlung erfolgen, bevor die CD4-Werte wieder tief sind und bevor die Viruslast in astronomische Höhen anschwillt. Es hat sich bewährt, bei Versagen der bisherigen klassischen Substanzen, sei es infolge von Nebenwirkungen, Wirkungsverlust oder metabolischen Veränderungen, gleich mindestens zwei Substanzgruppen zu ersetzen.
Integrasehemmer und CCR-5Inhibitoren Als Alternative kommen beispielsweise Integrasehemmer wie Raltegravir und CCR-5-Inhibitoren wie Maraviroc zum Zug. Raltegravir wurde in den USA Anfang Oktober 2007 und in der EU gegen Ende 2007 zugelassen zur Behandlung von Patienten mit vorgängigem Therapieversagen. In der Schweiz ist die Substanz derzeit lediglich im «compassionate use» zugänglich. Maraviroc wurde in den USA Anfang August 2007, in der EU Ende September 2007 zugelassen, in der Schweiz ist es unter dem Handelsnamen Celsentri® seit Ende Januar zur
Behandlung zugelassen (bei vorbehandelten erwachsenen Patienten, bei denen ausschliesslich CCR5-trope HIV-1 nachgewiesen wurden). Es ist seit Anfang Februar kassenpflichtig. Die hohe Wirksamkeit von Raltegravir und Maraviroc, die schon in früheren Untersuchungen belegt werden konnte, wurde auch mit den aktuellen Studien am CROI 08 dokumentiert: Von BENCHMARK 1 und 2, in denen der Integrasehemmer Raltegravir bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion eingesetzt wird, wurden in Boston die 48Wochen-Ergebnisse präsentiert: Zusammen mit einer bewährten Basistherapie erreichten 89 Prozent der Behandelten in den beiden Studien (n = 462) nach 48 Wochen eine Viruslast von weniger als 50 Kopien HIV-RNA pro ml Plasma. Ob die leicht erhöhte Karzinominzidenz Zufall ist oder einem realen Risiko entspricht, wird sich mit der Zeit weisen, wenn mehr Patientendaten verfügbar sind. Neue 48-Wochen-Daten wurden auch in den Studien MOTIVATE-1 und -2 (n = 1049) mit dem CCR-5-Inhibitor Maraviroc gezeigt: Sehr gut schnitten Patienten ab, die bei Behandlungsbeginn noch Werte von über 350 CD4 pro ml Blut hatten. Bei ihnen waren 71 bis 73 Prozent unter der Nachweisbarkeitsgrenze von 50 Kopien HIV-RNA pro ml Plasma. Bei Patienten mit ursprünglichen Viruslasten unter 100 000 Kopien lagen die Werte bei 58 bis 59 Prozent, bei höheren Viruslasten nur noch bei 32 bis 35 Prozent. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass ein verspäteter Behandlungsbeginn oder ein aufgeschobener Therapiewechsel die Behandlungsaussichten schmälern, und zwar unabhängig
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von der gewählten Therapie. Maraviroc ist gemäss einem Poster mindestens so lipidneutral wie Efavirenz. Es beeinflusst die Lipidprofile nicht negativ und scheint eine reduzierte Ratio von totalem Cholesterin zu HDL aufzuweisen.
Neue Proteasehemmer: Darunavir® und Tipranavir® Darunavir (Prezista®) ist in den USA seit Mitte 2006 zugelassen und in der Schweiz seit Januar 2007 kassenpflichtig. In der Studie ARTEMIS erzielten nach 48 Wochen Behandlung 84 Prozent der Patienten mit Darunavir/Ritonavir (DRV®) eine Viruslast von unter 50 Kopien im Vergleich zu 78 Prozent der Patienten mit Lopinavir plus Ritonavir (LPV®). Am CROI 08 wurde nun eine Phase-III-Auswertung von ARTEMIS bei behandlungsnaiven Patienten (first-line) vorgestellt, welche die einmal tägliche Gabe untersuchte (DRV® 800/100 mg, n = 689). Hierbei wurden auch pharmakokinetische Daten wie Talspiegel sowie Fläche unter der Kurve bestimmt. Es zeigte sich, dass auch diese Dosierung hochwirksam war und DRV® 800/100 mg nach 48 Wochen ein günstiges Nebenwirkungsprofil aufwies. Je nach Fläche unter der Kurve lagen die Responseraten (Anzahl HIVRNA unter 50 pro ml Plasma) bei 89,7 bis 94,6 Prozent. Vergleichbare Resultate wurden bei den Talspiegeln gemessen (91,1–96,1%). Sie lagen bei allen Patienten ständig über den EC50Werten von 55 ng/ml für Wildtypviren.
Auch die Studie TITAN, durchgeführt bei nicht mit Darunavir vorbehandelten Patienten, zeigte eine Überlegenheit von DRV® gegenüber LPV®. Verglichen mit DRV® wiesen mehr als doppelt so viele Patienten unter LPV® ein «virologisches Versagen» auf. Hierbei nahm bei den virologischen Versagern unter LPV® auch die Wirksamkeit gegenüber anderen PI in höherem Masse ab als unter den Versagern mit DRV®. Daraus schliessen die Studienautoren, dass DRV® besser bei der Verhütung von Resistenzentwicklungen abschneidet als PI. Nicht mehr ganz so neu ist Tipranavir (Aptivus®), das in der Schweiz schon seit Anfang 2006 kassenpflichtig ist. Am CROI 08 wurden die kombinierten 48-Wochen-Ergebnisse von RESIST 1 und 2 bei mehrfach vorbehandelten Patienten vorgestellt: Tipranavir plus Ritonavir (TPV®) wurde jeweils gegenüber einer Reihe von anderen mit Ritonavir verstärkten PI verglichen (Lopinavir, Saquinavir, Amprenavir, Indinavir). Hierbei erwies sich TPV® plus Basistherapie gegenüber allen PI als überlegen. Am besten schnitt noch LPV® ab. So lagen die Viruslasten bei LPV® nach 48 Wochen in 16,8 Prozent unter 400 Kopien und in 11,5 Prozent unter 50 Kopien. Die besseren Ergebnisse von TPV® waren unabhängig von den Ausgangswerten von CD4 oder der Viruslast. Allerdings schnitten Patienten mit höheren CD4-Werten und geringerer Viruslast erwartungsgemäss besser ab.
Neue NNRTI
Bei den neuen NNRTI wie beispiels-
weise TMC-125 (Etravrin) sticht hervor,
dass es nicht bereits nach einer einzel-
nen Mutation zu Kreuzresistenzen und
Behandlungsversagen mit der ganzen
Therapieklasse kommt. Es sind mehrere
Mutationen erforderlich, und es resul-
tiert höchstens ein vermindertes virales
Ansprechen. Die Daten der DUET-Stu-
dien vom CROI 08 belegen, dass ehe-
mals gegen NNRTI resistente Viren nun
mit Erfolg mit neuen NNRTI wie
TMC125 behandelt werden können: In
DUET1 lag die Viruslast bei 60 Prozent
der Patienten unter der Nachweisbar-
keitsgrenze von 50 Kopien. Bei DUET2
waren es 61 Prozent (Plazebo 39 bzw.
41%). 90 bis 94 Prozent derjenigen, die
diese Ergebnisse schon nach 24 Wo-
chen aufwiesen, konnten diese über
48 Wochen hinaus aufrechterhalten.
Für Aufmerksamkeit sorgte eine Studie
vom NNRTI UK-453,061, die in die
gleiche Richtung weist: In-vitro-Daten
legen nahe, dass UK-453,061 gegen HIV
unterschiedlichen Ursprungs aktiv ist,
auch gegen solche, die eine Resistenz
gegenüber NNRTI haben.
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Dr. med. Thomas Ferber Neustadt 40
8200 Schaffhausen Tel. 052-620 34 04 E-Mail: thomasferber@mail.ru
Interessenkonflikte: Reise und Unterkunft wuden von GSK und Pfizer übernommen.
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