Transkript
Editorial
Das Plazebo ist immer noch ein etwas unheimlicher Dauergast im medizinischen Betrieb, anwesend und doch nicht ganz (be)greifbar – ja, selbst ohne materielle Substanz trägt es einen substanziellen Beitrag zur Heilung bei. Seit K.H. Beecher 1955 die Wirkungen des «powerful placebo» umfassend dokumentierte, wird das Phanömen bestaunt und anerkannt, zu hohen Ehren ist es nicht gelangt. Ihm haftet ein Odium von Täuschung und Selbsttäuschung an. Nicht umsonst ist sein inszenierter Gegenspieler das Verum in Gestalt des modernen Arzneimittels. In Wahrheit bezeichnet das Plazebo eine eigenständige Kraft, die aus den Gefühlen und den Erwartungen des Patienten entspringt. Inzwischen haben Neurowissenschaftler plausibel gemacht,
der Gabe des Plazebos, einmal nachdem die Probanden die Pille geschluckt hatten. Ihnen wurde gesagt, dass es sich bei der Tablette um ein neuartiges Schmerzmittel handle, das die FDA gerade zugelassen habe, weil die Wirkung schneller einsetze. Aber damit nicht genug: Einer Gruppe erklärte man in einer Broschüre, dass
Teuer ist besser
dass Plazebos an denselben Rezeptoren und über dieselben Mechanismen wirken können wie Medikamente. Allein die Erwartung moduliert also die Aktivität des Gehirns oder auch des Immunsystems. Das hat uns jüngst eine Arbeitsgruppe um Dan Ariely am Massachusetts Institute of Technology (MIT) wieder vor Augen geführt. Die Forscher griffen die Erfahrung auf, dass Menschen offenbar davon ausgehen, dass ein höherer Preis auch eine höhere Qualität bedeute. Das kennen wir auch in der Therapie: Manche Patienten glauben zu bemerken, dass ihr Medikament irgendwie nicht mehr so gut wirke, seit der Doktor auf ein «billiges» Generikum umstellte. Mit Plazebos lassen sich ähnliche Effekte erzielen. Die amerikanischen Wissenschaftler stellten mit freiwilligen Probanden folgendes Experiment an: Die Teilnehmer bekamen in Fünf-Volt-Intervallen immer stärkere Stromschläge am Handgelenk verabreicht, bis der Schmerz unerträglich wurde und der Versuch abgebrochen werden musste. Jeder Stromschlag wurde zweimal gesetzt – einmal vor
das Schmerzmittel 2,50 Dollar pro Stück kosten würden. In der Broschüre, die an die anderen Teilnehmer verteilt wurde, hiess es, die neuen Tabletten seien auf 10 Cent reduziert worden. Und das machte sich bemerkbar: Während 85 Prozent der Teilnehmer, die das angeblich teurere Medikament bekamen, von nachlassenden Schmerzen berichteten, waren es in der Gruppe mit den vermeintlich preiswerteren Pillen nur 60 Prozent. Ärzte sollten die Erwartungen ihrer Patienten deshalb gezielt beeinflussen und «ihren Enthusiasmus für bestimmte Medikamente als Teil der Behandlung sehen - da liegt grosses Potenzial für eine effektivere Therapie», schlussfolgern die Forscher (JAMA 2008; 299: 1016). Vor etwa 60 Jahren verstieg sich P. Platt in einem «Lancet»-Artikel zu der zynischen Bemerkung, dass sich die Häufigkeit der Anwendung von Plazebos umgekehrt zur Summe der Intelligenz von Arzt und Patient verhalte. Dem kann getrost widersprochen werden.
Uwe Beise
ARS MEDICI 6 ■ 2008 217