Metainformationen


Titel
La-li-le – tut Diminutiv denn weh?
Untertitel
-
Lead
Mütterchen Russland liebt Diminutive. Desgleichen Bella Italia: Dort wird der Antonio zum Toni, Tonino, Antonello, Antonico oder Totò. Doch ein Hyperkoristikum kann als Pejorativum empfunden werden. Treffen sich führende Politiker, darf man das nicht «Welt-Gipfeli» nennen. Selbst wenn die Resultate mager sind. «Fränkli» darf der Ausländer nicht in den Mund, aber gern aus dem Portemonnaie nehmen. Nur der Schweizer Milliardär selbst darf in falscher Bescheidenheit murmeln, er habe ein paar «Fränkli im Kässeli».
Datum
Autoren
-
Rubrik
Rubriken — ARSENICUM
Schlagworte
-
Artikel-ID
13488
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/13488
Download

Transkript


La-li-le – tut Diminutiv denn weh?

arsenicum
Mütterchen Russland liebt Diminutive. Desgleichen Bella Italia: Dort wird der Antonio zum Toni, Tonino, Antonello, Antonico oder Totò. Doch ein Hyperkoristikum kann als Pejorativum empfunden werden. Treffen sich führende Politiker, darf man das nicht «Welt-Gipfeli» nennen. Selbst wenn die Resultate mager sind. «Fränkli» darf der Ausländer nicht in den Mund, aber gern aus dem Portemonnaie nehmen. Nur der Schweizer Milliardär selbst darf in falscher Bescheidenheit murmeln, er habe ein paar «Fränkli im Kässeli». Dass Les Welsch Mühe mit dem schweizerdeutschen Diminutiv haben, inspirierte schon Jean Villard, der besser unter seinem Künstlernamen «Gilles» bekannt ist. In seinem Klassiker aus dem Jahr 1949, dem Chanson «Le Männerchor de Steffisburg», spottet er mit seinem Duo-Partner Albert Urfer über «Les Vögeli, les Spätzeli et même les Wienerlis, les Mädeli, les Vreneli ...». Was aber brabbelte Bundespräsident Couchepin? Werden wir je wissen, ob es Mengele, Moishele oder Mörgele war? Soll gar vertuscht werden, dass er «Merde alors!» zischte? Um welches Männli oder Nämeli es sich handelte, wie dämli das Wörtli auch war – die Verkleinerungsform wurde gross aufgebauscht. Bei Putzigem – ausser Schöfli – haut die SVP auf den Putz. Doch der Walliser Rechtsanwalt sollte wissen, dass jedes Wort gegen ihn verwendet werden kann. Nationalrat Prof. Dr. phil. I, DHL Christoph Mörgeli hört genau hin – selbst wenn er gar nicht anwesend ist. Schliesslich interessiert sich der museale Schlatter seit altersher für lapsus linguae, ist er doch der Autor des Standardwerks «Der Zürcher, der das Stammeln vom Stottern unterschied». Der arglose Hausarzt hingegen ist sich nie so ganz sicher, ob es Ausrutscher, Erinnerungslücken, Unaufmerksamkeiten, Fehlleistungen oder richtig echte Freudsche Versprecher sind, die einem selbst und anderen passieren. Vorsichtshalber nimmt er nichts übel. Selbst jungen Menschen unterlaufen Verhörer, Versprecher und Verschreiber. So auch meiner neuen MPA, die mit unserem Praxis-Handy ins Sprechzimmer stürmte, weil mich ein Chirurg aus der «Klinik Hirschland» unbedingt sofort sprechen müsse. Kichernd nahm ich das Telefon und sinnierte, dass die Klinik Hirslanden tatsächlich etwas von einem geschützten Gehege an sich hat, wo verwöhnte Zwölfender röhrend ihre Geweihe aneinanderschlagen. Namen versteht man oft nicht richtig, und das Gegenüber korrigiert einen dann je nach Temperament mehr oder minder heftig. Warum sich die Frau Bleifuss empörte, als ich sie am Telefon Dreifuss nannte, ist mir nicht klar. Ich persönlich würde lieber mit einer

alt Bundesrätin verwechselt, als dass mein Name Assoziationen mit Autorasern erweckt. Hingegen verstehe ich gut, dass die Telefonistin Frau Bernasconi ihren Namen nicht zum «Berlusconi» verballhornt haben will – da würde auch ich zum Nörgeli mutieren. Rufe ich jemanden in Basel an und melde mich mit meinem typisch Innerschweizer Namen, dann fragen die Rheinknie-Bewohner sofort in ihrem gspässigen Dialekt nach: «Wie isch dr wäääääächt Naaame?» Ja, der werte Name, den sollten wir doch wertschätzen. Oder uns notfalls umnennen. Wie die diplomierten Pflegefachpersonen auf der Cardiac Care Unit, kurz CCU, die sich aus Corporate-Identity-Gründen eigentlich mit «Sssi ssi juu» melden sollten. Doch da ihre potenziellen Kunden dann koronar noch gefährdeter sein könnten, tönt noch immer das vertraute «Herzstation, was können wir für Sie tun?» aus dem Hörer. Was wiederum beim Ssi-Ai-Mänätscher des Spitals die Kranzarterien zur Kontraktion bringt. Wo er doch so hart chrampft, um ein «brand» aufzubauen (wobei ich hiermit nicht eine Feuersbrust meine, sondern – um es mal auf Neudeutsch zu sagen – ein Label). Gute Marken muss man nicht einhämmern, sie setzen sich ganz von alleine durch. So kann sich unser Kollege Erhard am Telefon ruhig mit seinem Nachnamen «Taverna!» melden, ohne dass der Anrufer einen Tisch reservieren will. Denn «Erhard Taverna» ist Le Chef von geistigen Leckerbissen. Insbesondere am Telefon sind fremdländische Namen akustische Stolpersteine. Doch meine MPA sind globale Meisterinnen. Souverän schreiben sie «Mainwaring» in die Agenda, wenn in australischem Cockney jemand, der sich «Mennering» nennt, einen Termin will. Man sollte meinen, dass sie des Malayalams genauso gut wie des Tamils und des Singhalesischen mächtig seien, wenn sie mir erklären, dass man am Namen unseres freundlichen Diabetikers sofort merkt, dass der Mann weder den Demalagattara, noch den Kattappattankuti angehört. Fernmündlich erkennen sie, ob es sich um einen der 277 Schweizer Schaettis/Schättis handelt, oder ob es ein Chetty aus Schottland oder Sri Lanka ist. Welchem Clan Herr Berisha oder Frau Gashi angehört, ist ihnen genauso geläufig wie der feine Unterschied zwischen den 419 Altofern, deren Heimatort nicht dem der 8 Altdorfern entspricht. Doch eine derartige Hellhörigkeit darf man dem frankophonen Couchepin nicht abverlangen. Wenn er das Müesli vom Mysli unterscheiden kann und in Zukunft Me- und Mö-Wörter meidet, sind wir zufrieden. So richtig beleidigend war aber eigentlich das schwäbische Suffix -le am Namensende: Hält Couchepin den besagten Herrn etwa für einen Schwob?

126 ARS MEDICI 4 ■ 2008