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VERNETZT
Auswahlverfahren einer neuen medizinischen Praxisassistentin
Die Rekrutierung einer neuen medizinischen Praxisassistentin (MPA) erfordert Sachkenntnis, Fingerspitzengefühl und Zeit. In Grosspraxen übernimmt diese Aufgabe nicht selten eine leitende MPA mit ihrem Team und entlastet damit die ärztliche Leitung von dieser Arbeit. Das Ergebnis ist ein gut qualifiziertes, harmonisches und selbstbewusstes MPA-Team mit niedriger Fluktuation.
Simone Ryf, leitende MPA und Mitglied der Geschäftsleitung in der Praxis Bubenberg in Bern berichtet über ihre Vorgehensweise bei der Besetzung einer neuen MPA-Stelle: Ich habe das Glück, einer medizinischen Praxisassistentin (MPA) eine sehr attraktive Stelle anbieten zu können: Ein angenehmes Arbeitsklima in einem jungen, dynamischen, selbstverwaltenden Team von neun MPA und zwei Lernenden in einer zentral gelegenen interdisziplinären Grosspraxis mit 30 Mitarbeitenden. Hinzu kommen eine zeitgemässe Entlöhnung, fünf Wochen Ferien, flexible Arbeitszeiten, kein Sonntagsdienst, Überzeitkompensation sowie fünf Tage bezahlte Weiterbildung pro Jahr.
Das Inserat Schon bei der Erstellung des Inserats habe ich klare Vorstellungen von der neuen Arbeitskraft: Suche ich eine erfahrene Mitarbeiterin, welche eine langjährige MPA ersetzen muss? Möchte ich einer jungen Frau eine Chance geben, ihre Berufserfahrung an einem abwechslungsreichen Arbeitsort zu vertiefen? Welche charakterlichen Eigenschaften sollte sie haben, damit sie unser Team gut ergänzt?
In unserer Praxis ist die MPA nicht einem einzelnen Arzt zugeteilt, sondern einem bestimmten Tätigkeitsfeld, das jeden Tag wechselt. Das heisst, sie rotiert täglich von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz: Röntgen, Labor, Empfang und so weiter wechseln sich ab. Jede MPA muss eine komplette Allrounderin sein. Es ist uns deshalb ein grosses Anliegen bei der Auswahl einer neuen Kollegin, dass sie in jedem Arbeitsbereich flexibel eingesetzt werden kann. Wir erwarten zudem ein überdurchschnittliches Engagement, Teamfähigkeit, Offenheit für neue Versorgungsformen sowie eine patienten- und qualitätsbewusste Einstellung. Ich konnte mich während den letzten drei Jahren nicht über zu wenige Bewerbungen beklagen, nein, eher das Gegenteil war der Fall! Sobald ich das Inserat übers Internet freigab, konnte ich mich über 40 bis 50 Bewerbungen freuen! Um aus den zahlreichen Bewerbungen die gewünschte Kandidatin ausfindig zu machen, lohnt sich ein sorgfältiges Auswahlverfahren, welches auch eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Die erste und zweite Sichtung Bei der ersten Sichtung suche ich diejenigen Bewerbungen heraus, welche die
Muss-Anforderungen einer Allrounderin erfüllen. Natürlich achte ich auch auf das äussere Erscheinungsbild. Das heisst, ein sauberes, übersichtliches, fehlerfreies Bewerbungsdossier mit der richtigen Anschrift ist für mich eine Voraussetzung, dass ich mich vertieft damit auseinandersetze. Meistens bleiben danach noch zwei Drittel der Bewerbungen übrig, die diese zwei Mindestanforderungen erfüllen. Die zweite Sichtung beinhaltet eine intensivere Auseinandersetzung mit den Unterlagen. Ich versuche herauszufinden, ob die Bewerberin die beruflichen und charakterlichen Anforderungen erfüllen kann. Dabei erstelle ich eine schriftliche Informationsbilanz zur Kandidatin.
Das Telefoninterview Die Informationsbilanz ist beim Telefoninterview sehr hilfreich, wo allenfalls offene Punkte und Unklarheiten zum Beispiel betreffend Zeitpunkt des Stellenantritts, schon geklärt werden.
Das Vorstellungsgespräch Vier bis sechs Kandidatinnen lade ich schlussendlich zu einem Vorstellungsgespräch ein. Zu diesem Zeitpunkt informiere ich das MPA-Team über die qualifizierten Bewerberinnen. Ich begrüsse die Kandidatin am Empfang der Praxis und bestreite mit ihr zuerst einen Praxisrundgang. Somit hat sie schon einen Eindruck vom Betrieb gewonnen, und die Gesprächsatmosphäre wird automatisch aufgelockert. Im Interview gehe ich namentlich folgende Punkte durch: ■ Ich kläre nochmals die jetzige Ar-
beitssituation, die Motivation zum Stellenwechsel und was die Bewerberin speziell an unserem Inserat angesprochen hat.
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■ Ich informiere noch genauer über den Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen.
■ Kann sich die Kandidatin immer noch vorstellen, in einem so grossen Team zu arbeiten? Welches sind die Vor- und Nachteile?
■ Ich kläre ab, ob genügend Erfahrungen in den technischen Fertigkeiten wie Labor, Röntgen, EKG und so weiter vorhanden sind.
■ Welche Stärken und Schwächen hat die Bewerberin? Was bereitet ihr Freude am Beruf? Hat sie spezielle Ziele, Ambitionen oder Wunschfunktionen?
■ Besprechung des Arbeitspensums und der Arbeitszeiten, Datum des Stellenantritts, Lohn, und so weiter.
Nach diesem ausführlichen Einzelgespräch gebe ich den hinzukommenden MPA die Gelegenheit, einen ersten Eindruck von der Bewerberin zu erhalten, indem sie gegenseitig Fragen stellen können. Später setze ich mich nochmals zur Kandidatin, bespreche die noch offenen Fragen oder Unklarheiten und informiere über den weiteren Verlauf. Im Team entscheiden wir dann, welche zwei oder drei Kandidatinnen für einen Schnuppertag infrage kommen.
Fachhochschule Praxismanagement?
Wer organisiert in Ihrer Praxis den Handwerker und lässt einen Kostenvoranschlag machen, wenn etwas repariert werden muss? Kann Ihre MPA mitreden, wenn Sie ein neues EKG oder einen neuen Laborapparat evaluieren, da sie ja schliesslich tagtäglich damit arbeitet? Oder darf sie auch mitentscheiden, wenn für Ihre Praxis eine zusätzliche Arbeitskraft gesucht wird? Haben Sie als Praxisarzt Spass an Stellenausschreibungen, Personalgesprächen und Zielvereinbarungen? Wäre es nicht toll, wenn Ihre MPA, die ja den Laden bestens kennt, neben dem Mahn- und Rechnungswesen auch noch gleich die Buchhaltung erledigen könnte?
In der Einzelpraxis dürfte das alles kein Thema sein. Die Gruppenpraxis stellt aber zahlreiche organisatorische Herausforderungen, die zeitliche und personelle Ressourcen mit entsprechendem Know-how erfordern. Die Planung der Sprechzimmerbelegung und Arbeitszeiten, der Praxisauftritt nach aussen von der Wartezimmergestaltung über den Arztstempel bis zu den Drucksachen und Praxisschildern, die regelmässige Wartung der Praxisapparaturen, die Einarbeitung neuer Mitarbeitender in die Praxis-EDV sind nur einige Aufgaben von vielen, für die es in Grosspraxen Verantwortliche braucht. Nicht selten fehlt uns Ärztinnen und Ärzten dieses Wissen oder wir haben weder Zeit noch Interesse, uns diese Managementkenntnisse anzueignen.
Die aktuelle Ausbildung zur medizinischen Praxisassistentin mag zwar den Anforderungen für den alltäglichen Praxisablauf mit Sprechstundenplanung, Empfang, Labor, Röntgen und Berichtswesen genügen. Es fehlt aber an geeigneten Ausbildungen für überdurchschnittlich engagierte, begabte und intelligente MPA, die anspruchsvollere organisatorische Aufgaben in Gruppenpraxen übernehmen können. Die Ausbildung zur MPA ist zurzeit ein Stumpengleis ohne konkrete Möglichkeiten zum beruflichen Aufstieg. Dies macht den Beruf unattraktiv.
Gut möglich, dass es an der Zeit ist, an die Schaffung einer Fachhochschule Praxismanagement zu denken, wo MPA oder Pflegefachleute zu Praxismanagerinnen ausgebildet werden, die uns all das abnehmen können, was uns von unserem «Kerngeschäft», der Medizin, abhält.
Dr. med. Adrian Wirthner M.H.A, Facharzt FMH Allgemeine Medizin Leiter Praxis Bubenberg, Bubenbergplatz 11, 3011 Bern E-Mail: adrian.wirthner@praxis-bubenberg.ch
Der Schnuppertag Beim Schnuppertag erhält die Bewerberin einen Einblick in den täglichen Praxisablauf. Sie lernt ihre zukünftigen Arbeitskolleginnen kennen und wird auch schon in gewisse Arbeitsprozesse mit einbezogen. Dieser Tag ist für uns jeweils sehr aufschlussreich und erleichtert uns die definitive Wahl.
Die Entscheidung Letztlich wird der Entscheid mit einer offenen Wahl durch alle MPA mit Mehrheitsentscheid gefällt. Bei Stimmengleichheit habe ich als Verantwortliche den Stichentscheid. Danach werden die Praxisleitung und das Team über die getroffene Auswahl, den Zeitpunkt des
Stellenantritts und das Arbeitspensum
informiert. Unser Entscheid wird jeweils
vorbehaltlos akzeptiert.
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Simone Ryf Leitende MPA Praxis Bubenberg
Bubenbergplatz 11, 3011 Bern E-Mail: simone.ryf@praxis-bubenberg.ch
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