Transkript
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Rosenbergstrasse 115
Und immer noch warten wir auf die Schweinegrippe.
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Ferienzeit. Zeit, mal wieder das eine oder andere Buch ganz zu lesen und nicht bloss quer, bloss um zu wissen, was drin gestanden hätte, wenn man es ganz gelesen hätte. Juli Zehs «Corpus Delicti» ist ein Science-Fiction-Roman. Allerdings sind die Anfänge dieser Fiktion längst in unserer alltäglichen Gesellschaft erkennbar. Mia Holl, die Protagonistin des Romans, lebt in einer von (fast) allen akzeptierten, da dem individuellen wie dem gesellschaftlichen Wohl verpflichteten Gesundheitsdiktatur. Es gibt keine Krankheiten mehr; Gesunderhaltung ist verordnet, Verstösse dagegen werden streng geahndet. Mia Holl steht vor Gericht, weil sie den Anforderungen der Gesellschaft an persönliche Hygiene, Fitness, Gesundheitsvorsorge und innere Ausgeglichenheit nicht mehr nachkommt. Das einzig zulässige Getränk ist heisses Wasser, allenfalls mit Zitronenspritzern drin. Rauchen, Alkohol – längst verboten. Dagegen wehrt sich die Gruppe R.A.K.: Recht auf Krankheit. Verlorene Rebellen in einem allgemein akzeptierten System. Wer erfahren möchte, wie die Welt seiner Kinder dereinst aussehen könnte, wenn wir dem Terror der Gesundheitsfanatiker nicht heute Einhalt gebieten, sollte «Corpus Delicti» lesen.
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Juli Zeh hat übrigens 2008 beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepass eingereicht, mit der Begründung, die obligatorische Erfassung von Fingerabdrücken in Reisepässen sei keine wirksame Massnahme der Sicherheitspolitik, sondern als «sinnloser Grundrechtseingriff» ein «grundsätzliches Problem in einer freiheitlichen Gesellschaft». Bislang habe noch kein Politiker erklären können, wie er einen Terroranschlag verhindern solle, da in keinem der bisher durchgeführten oder geplanten Attentate gefälschte Pässe eine Rolle gespielt hätten. Genützt hats nichts – auch nicht in der
Schweiz übrigens. In der Politik ist es längst normal geworden, Massnahmen anzuordnen, deren Nutzen nicht belegt ist. Tempobeschränkungen wegen erhöhter Ozonkonzentrationen, Kaminfeuerverbote, Hundegesetze mit Rassenlisten, Praxiseröffnungsverbote für Ärzte, Rauchverbote in Restaurants und so weiter und so fort lassen grüssen.
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In der Medizin kennen wir zumindest den Begriff der Evidence Based Medicine (EBM), auch wenn er in der Praxis nicht immer taugt. Als theoretische Basis für unser Handeln ist er aber wertvoll. Die Politik kennt den Begriff leider nicht. EBP: Evidenzbasierte Politik – das wären dann Gesetze und Vorschriften, die nachgewiesenermassen dem gesteckten Ziel dienlich sind. Die heute auf allen politischen Ebenen übliche Methode von «trial and error» ist zwar auch ganz lustig, aber auf Dauer sehr teuer. Die Gesundheitspolitik ist voll von solchen Versuchen: Das KVG als Ganzes gehört dazu, Praxiseröffnungsstopp,
die Revision der Analysenliste, Qualitätssicherungsvorschriften, DRG – alles Versuche, der Kostenentwicklung Herr zu werden. Obschon allen klar ist oder sein müsste, dass alle diese Massnahmen an der Praxis scheitern, die da heisst: Wir werden mehr, wir werden älter, wir werden dank medizinischer Fortschritte älter und wir wollen, dass alle von allen Fortschritten profitieren.
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Auf unserem neuen Bundesrat und Chef des Gesundheitsdepartements ruhen die Hoffnungen, dass er die Irrtümer erkennt und korrigiert. Die FMH hat Herrn Burkhalter als neuen Partner freundlich willkommen geheissen und ihm eine Palette von zu lösenden Problemen präsentiert: Managed Care, Risikoausgleich, DRG, Ärzte-Zulassungsstopp, Weiterbildungsfinanzierung. Leider, leider nicht auf der Prioritätenliste: die Selbstdispensation. Warum eigentlich nicht?
Richard Altorfer
Corpus Delicti
Juli Zeh: Corpus Delicti. Ein Prozess. Roman. 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. Schöffling & Co., D-60329 Frankfurt am Main. ISBN: 978-3-89561-434-7. Preis: Fr. 35.90.
Jung, attraktiv, begabt und unabhängig: Das ist Mia Holl, eine Frau von dreissig Jahren, die sich vor einem Schwurgericht verantworten muss. Zur Last gelegt wird ihr ein Zuviel an Liebe (zu ihrem Bruder), ein Zuviel an Verstand (sie denkt naturwissenschaftlich) und ein Übermass an geistiger Unabhängigkeit. In einer Gesellschaft, in der die Sorge um den Körper alle geistigen Werte verdrängt hat, reicht diese Innenausstattung aus, um als gefährliches Subjekt eingestuft zu werden. Mia Holl will beweisen, dass ihr Bruder, verurteilt wegen einer angeblichen Vergewaltigung, unschuldig ist. Sie gerät also in Stellung gegen das System, hier «Methode» genannt, auch aus Liebe zu ihrem Bruder, der sich das Leben nahm. Juli Zeh entwirft in «Corpus Delicti» das spannende Science-Fiction-Szenario einer Gesundheitsdiktatur irgendwann im 21. Jahrhundert. Sie zeichnet ein System, das alle und alles kontrolliert. Gesundheit ist zur höchsten Bürgerpflicht geworden. Die «Methode» verlangt ein festes Sportpensum ebenso wie die Abgabe von Schlaf- und Ernährungsberichten. Buchstäblich über jeden Schritt seiner Bürger ist dieser Staat informiert.
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