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BERICHT
Nicht motorische Symptome und Neuroprotektion im Fokus
Aktuelle Neuigkeiten zur Parkinson-Krankheit
Eine medikamentöse Therapie, die nicht nur die Symptome lindert, sondern auch den Krankheitsverlauf modifiziert, steht für Parkinson-Patienten zuoberst auf der Wunschliste. Wird Neuroprotektion bei der Parkinson-Krankheit bald Realität werden? Das idiopathische ParkinsonSyndrom ist weit mehr als eine rein motorische Bewegungskrankheit.
13th International Congress of Parkinson’s Disease and Movement Disorders, organi-
siert von der Movement Disorder Society (MDS), 7. bis 11. Juni 2009 in Paris
Nicht motorische Symptome kommen nicht nur zusammen mit klassi-
schen Symptomen auftreten können,
schen motorischen Parkinson-Symptomen vor, sondern können bereits
gehören eine Abnahme des Geruchssinns (Hyposmie), REM-Schlaf-Verhal-
in der prämotorischen Phase vorhanden sein, also mehrere Jahre bevor
tensstörungen, Obstipation und Depression. In einer bevölkerungsbasierten,
die Parkinson-Krankheit diagnostiziert wird.
prospektiven, epidemiologischen Studie
wiesen Personen mit einem niedrigen
Geruchsidentifikations-Score ein erhöh-
tes Risiko auf, im Lauf der nächsten vier
ALFRED LIENHARD
Symptome sehr häufig vorkommen und Jahre an Parkinson zu erkranken (3).
die Lebensqualität stark beeinträchti- Eine wirksame Behandlung von Hyp-
Auch zahlreiche nicht motorische Sym- gen, haben bisher nur wenige klinische und Anosmie ist nicht bekannt (2).
ptome (Tabelle) gehören als integrale Studien speziell bei Parkinson-Patienten REM-Schlaf-Verhaltensstörungen sind
Bestandteile zum komplexen idiopathi- die Wirksamkeit und Sicherheit von wiederholte Episoden mit plötzlichen,
schen Parkinson-Syndrom. Die Behand- Medikamenten zur Behandlung dieser sehr heftigen Körperbewegungen wäh-
lung beschränke sich deshalb heute
nicht mehr darauf, durch eine dopaminerge Ersatztherapie die Bewegungsstörungen zu korrigieren, die durch den
«Vorläufig ist es noch nicht möglich, die ParkinsonDiagnose zuverlässig zu stellen, bevor sich die klassi-
Dopaminmangel im Striatum verursacht werden, sagte Professor Werner Poewe,
schen motorischen Zeichen bemerkbar machen.»
Universität Innsbruck, Österreich.
In fortgeschrittenen Krankheitsstadien Symptome getestet. Für die ärztliche rend REM-Schlafphasen, oft begleitet
treten nicht motorische Probleme immer Praxis hat eine Arbeitsgruppe der The- von Träumen, in denen sich die Betrof-
häufiger auf. Eine Langzeitstudie fand rapiekommission der Schweizerischen fenen gegen Bedrohungen oder Angriffe
nach einem Follow-up von 15 Jahren bei Neurologischen Gesellschaft Behand- wehren. Solche Verhaltensstörungen
mehr als 80 Prozent der Patienten ko- lungsvorschläge bei nicht motorischen kommen bei mindestens 30 Prozent der
gnitive Beeinträchtigungen, bei 48 Pro- Störungen zusammengestellt (2).
Parkinson-Patienten vor. Die Störungen
zent Demenz, bei je 50 Prozent Halluzi-
beginnen in 20 Prozent der Fälle bereits
nose oder Depression und bei 35 bis 40 Nicht motorische Parkinson-
mehrere Jahre bevor das Parkinson-
Prozent symptomatische orthostatische Frühsymptome
Syndrom diagnostiziert wird (3). REM-
Hypotension oder Urininkontinenz (1). Zu den nicht motorischen Symptomen, Schlaf-Verhaltensstörungen können mit
Obschon nicht motorische Parkinson- die bereits vor den üblichen motori- Benzodiazepinen (vorzugsweise Clona-
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NICHT MOTORISCHE SYMPTOME UND NEUROPROTEKTION IM FOKUS
Tabelle: Nicht motorische Parkinson-Symptome
■ Neuropsychiatrische Störungen Depression, Angststörung, Psychose, Halluzinationen, Demenz, Apathie
■ Schlafstörungen REM-Schlaf-Verhaltensstörung, Restless-legs-Syndrom (RLS), Periodic Limb Movements in Sleep (PLMS); zahlreiche weitere Ursachen für gestörten Schlaf: z.B. Akinesie oder Tremor nachts, Halluzinationen, Miktionsstörungen
■ Autonome Dysfunktionen Obstipation, orthostatische Hypotension, neurogene Blasenstörungen, erektile Dysfunktion
■ Sensorische Störungen Hyposmie (Abnahme des Geruchssinns), Schmerzen
(nach Werner Poewe [1])
depressiven Symptome wurde das BeckDepressions-Inventar (BDI Version 1A) verwendet. Die BDI-Gesamtpunktzahl betrug zu Beginn der Studie in der Pramipexolgruppe (144 Patienten) 18,7 und in der Plazebogruppe (152 Patienten) 19,5. Im Verlauf der Studie wurde in der Pramipexolgruppe eine signifikant stärkere Abnahme (5,9 vs. 4,0 Punkte, p = 0,01) festgestellt. Die Ansprechrate (Reduktion der Punktzahl um mindestens 50%) betrug in der Pramipexolgruppe 27,3 Prozent und in der Plazebogruppe 18,4 Prozent (p = 0,05).
zepam (Rivotril®) behandelt werden (2). Beim individuellen Patienten, der keine motorischen Parkinson-Symptome aufweist, ist derzeit noch keine Aussage möglich, ob eine vorhandene Hyposmie oder eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung als prämotorisches ParkinsonSymptom zu werten ist. Vorläufig ist es also noch nicht möglich, die Parkinson-Diagnose zuverlässig zu stellen, bevor sich die klassischen motorischen Zeichen bemerkbar machen (3). Eine grosse, bevölkerungsbasierte, prospektive, epidemiologische Studie machte deutlich, dass Obstipation zu den möglichen prämotorischen Parkinson-Symptomen zu zählen ist. Ältere Männer mit weniger als einem Stuhlgang pro Tag wiesen im Vergleich zu Männern mit einer oder mehreren Stuhlentleerungen pro Tag ein 2,7-fach erhöhtes ParkinsonErkrankungs-Risiko auf (3). Nach Diagnosestellung kommt Obstipation sehr häufig vor (bis 80% der ParkinsonPatienten). Zur Behandlung wird empfohlen: genügend Flüssigkeitszufuhr, ballastreiche Nahrung, möglichst viel Bewegung, nötigenfalls Stuhlweichmacher (2). Parkinson-Patienten leiden häufig an Depressionen. Eine systematische Review verfügbarer Studien fand für Major Depressive Disorder eine Prävalenz von durchschnittlich 17 Prozent, für Minor Depression von 22 Prozent und für Dysthymie von 13 Prozent (3). Depressionen können sich unter dopaminerger Behandlung bessern, meist ist aber zu-
sätzlich ein Antidepressivum erforderlich (2). Depressionen können schon vor der Parkinson-Diagnose auftreten, gehäuft in einem Zeitraum von drei bis sechs Jahren vor der Diagnose. Allerdings fehlen noch prospektive Studien, die klar zeigen könnten, dass Depressionen zu den prämotorischen Frühmanifestationen der Parkinson-Krankheit gehören (3).
Dopaminagonist bessert Depressionen Bei Parkinson-Patienten stehen Depressionen möglicherweise in einem Zusammenhang mit dopaminergen Funktionsstörungen. In einer grossen, randomisierten, prospektiven, plazebokontrollierten Doppelblindstudie konnte jetzt mit dem nicht ergolinen Dopamin-
MAO-B-Hemmer beeinflusst die Progression früher nicht motorischer Symptome Die Progression nicht motorischer Symptome konnte im Rahmen der ADAGIOStudie bei Patienten, die sich noch in einem sehr frühen Stadium der Parkinson-Krankheit befanden, durch den selektiven, irreversiblen MAO-B-Hemmer Rasagilin (Azilect®, 1-mal 1 mg täglich) signifikant beeinflusst werden (5). Um die nicht motorischen Aspekte der Erfahrungen im täglichen Leben zu messen, wurde der neue erste Teil (nonmotor aspects of experiences of daily living = nM-EDL) der MDS-UPDRS-Skala in Entwurfform verwendet (Movement Disorder Society-sponsered revision of the Unified Parkinson’s Disease Rating Scale [6]). An der Studie beteiligten sich 1176 bisher unbehandelte Patienten mit Parkinson-Krankheit im Frühsta-
«Bis anhin erfüllt noch kein einziges Medikament die sehr strengen Kriterien eines neuroprotektiven Mittels.»
agonisten Pramipexol (Sifrol®) eine signifikante Reduktion depressiver Symptome bei Parkinson-Patienten erreicht werden. Die Studienresultate wurden am MDS-Kongress 2009 in Posterform präsentiert (4). 296 Patienten, deren motorische Parkinson-Symptome stabil und ohne Einsatz von Dopaminagonisten optimal behandelt waren, erhielten während zwölf Wochen entweder Pramipexol (3-mal täglich 0,125 bis 1 mg) oder Plazebo. Zur Quantifizierung der
dium, bei denen die Diagnose kurz zuvor gestellt worden war. In der Plazebogruppe verschlechterte sich das Punktetotal innerhalb von 36 Wochen signifikant stärker als in der Behandlungsgruppe mit Rasagilin 1 mg täglich. Zusätzlich zur bereits etablierten Wirksamkeit bei der Behandlung motorischer Symptome zeigte die Studie für die Rasagilinmonotherapie nun auch einen Nutzen bei nicht motorischen Parkinson-Symptomen (5).
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BERICHT
Wann wird die ParkinsonNeuroprotektion Realität? Höchstwahrscheinlich werde Neuroprotektion dereinst Realität werden, doch wann es so weit sein wird, wagte Professor Cristina Sampaio, Universität Lissabon, nicht vorauszusagen. Neuroprotektion bedeutet, dass der Zelltod verhindert wird oder absterbende Nervenzellen gerettet werden. Von einem neuroprotektiven Medikament, welches das Absterben von Dopaminzellen blockiert, ist eine Verlangsamung der Parkinson-Krankheits-Progression zu erwarten, also eine Modifikation des Krankheitsverlaufs. In den letzten 20 Jahren wurden enorme Forschungsmittel eingesetzt, um verlaufsmodifizierende Therapien zu finden. Bis anhin erfüllt aber noch kein einziges Medikament die strengen Kriterien eines neuroprotektiven Mittels. Fehlende Wirksamkeit, falsche Dosierung, zu später Einsatz im Krankheitsverlauf, zu heterogene Populationen sind einige der Gründe für den Misserfolg bisheriger Studien. Kürzlich analysierte eine Arbeit 15 publizierte randomisierte Doppelblindstudien, in denen bei 4087 Personen 13 verschiedene Medikamente bezüglich der neuroprotektiven Wirkung mit Plazebo verglichen wurden (7). Erstaunlicher-
weise wurden die Resultate immerhin in 6 Studien als positiv hinsichtlich neuroprotektiver Effekte beurteilt, in 3 Studien als zweifelhaft, in 3 Studien als negativ, in 2 als «nicht wirkungslos» und in 1 Pilotstudie als nicht beurteilbar. Gegenüber der verfügbaren, gut wirksamen symptomatischen Parkinson-Behandlung erscheint jedoch die Effektstärke in den positiven Studien als zu gering, so die Expertin. Die Autoren der Analyse stiessen überdies auf 3 randomisierte Studien, die nicht veröffentlicht wurden – offenbar weil sie zu negativen Resultaten geführt hatten (7). Mit einem innovativen Studiendesign konnte kürzlich gezeigt werden, dass der selektive, irreversible MAO-B-Hemmer Rasagilin krankheitsverzögernd wirkt. An der bereits erwähnten umfangreichen, randomisierten, prospektiven Doppelblindstudie ADAGIO beteiligten sich in 14 Ländern 1176 bisher unbehandelte Patienten im Frühstadium der Parkinson-Krankheit. Die Behandlung mit Rasagilin (täglich 1 mg oder 2 mg) setzte entweder früh oder verzögert (nach 36 Wochen Plazebobehandlung) ein. Die gesamte Studiendauer betrug 72 Wochen. Resultate der Studie wurden am MDSKongress in Posterform präsentiert (8).
Im Vergleich zur verzögert einsetzenden
Therapie erreichte die Frühtherapie mit
täglich 1 mg Rasagilin eine signifikante
Verlangsamung der Symptomprogres-
sion. Die erreichte Bremsung der klini-
schen Progression der Parkinson-Krank-
heit spricht dafür, dass das Medikament
zusätzlich zur bereits bekannten sym-
ptomatischen Wirkung auch einen
krankheitsmodifizierenden Effekt er-
zielt. Als mögliche Erklärungen für die-
sen Effekt kommen die Neuroprotektion
sowie die Verstärkung kompensatori-
scher Mechanismen in Betracht.
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Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Poewe W. Neurology 2009; 72 (Suppl 2): S6–73. 2. Arbeitsgruppe der Therapiekommission der Schweizerischen
Neurologischen Gesellschaft (SNG). Schweiz Arch Neurol Psychiatr. 2008; 159: 429–435. 3. Tolosa E et al. Neurology 2009; 72 (Suppl 2): S12–S20. 4. Barone P et al. Movement Disorders 2009; 24 (Suppl. 1): S347 (Abstract Mo-248). 5. Poewe W et al. Movement Disorders 2009; 24 (Suppl. 1): S272 (Abstract We-184). 6. Goetz CG et al. Movement Disorders 2008; 23: 2129–2170. 7. Hart RG et al. Movement Disorders 2009; 24: 647–654. 8. Rascol O et al. Movement Disorders 2009; 24 (Suppl. 1): S275 (Abstract We-191).
Interessendeklaration: Diese Berichterstattung erfolgt industrieunabhängig.
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