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Anstrengungsinduzierte Bronchospasmen
Diagnostik und Therapie
POSTGRADUATE MEDICINE
Anstrengungsinduzierte Bronchospasmen kommen bei Spitzenathleten, aber auch bei Freizeitsportlern vor, werden aber nicht selten verkannt. Obwohl körperliche Belastung zur Exazerbation eines chronischen Asthma bronchiale führen kann, sollten anstrengungsinduzierte Bronchospasmen nicht mit der entzündlichen Atemwegserkrankung verwechselt werden, meinen die Pneumologen Christian Hermansen und Jeffrey Kirchner in einem Übersichtsartikel in «Postgraduate Medicine».
Anstrengungsinduzierte Bronchospasmen sind definiert als eine vorübergehende Atemwegsobstruktion bei starker körperlicher Belastung. In den USA geht man da-
von aus, dass 12 bis 15 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Chronische Asthmatiker haben zu 70 bis 90 Prozent auch eine Anstrengungskomponente, unter Patienten mit allergischem Asthma sind es etwa 40 Prozent. Allerdings haben 5 bis 10 Prozent Bronchospasmen ohne begleitende Atemwegserkrankung. 17 Prozent der amerikanischen Olympioniken wurde es bei den Winterspielen im Jahr 1998 gestattet, Medikamente gegen Bronchospasmen einzunehmen. Die Inzidenz anstrengungsinduzierter Bronchospasmen soll in der amerikanischen Armee 7 Prozent betragen, wie eine Untersuchung zeigt, ohne dass die körperliche Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt war. Studien bei Spitzensportlern scheinen zu bestätigen, dass diese Störung durchaus gut kontrollierbar ist und Höchstleistungen möglich sind.
Pathophysiologie
Die Ursache anstrengungsinduzierter Bronchospasmen wird weiterhin kontrovers diskutiert. Es gibt zwei sich widersprechende Hypothesen: Die Osmosetheorie geht davon aus, dass der Bronchospasmus durch Dehydratation verursacht wird. Die eingeatmete Luft wird bekanntlich befeuchtet, wodurch es zu einem Wasserverlust im Bronchialbaum kommt. Durch die Verdunstung entsteht eine gewisse Hyperosmolarität. Durch Mechanismen, die noch nicht gut aufgeklärt werden konnten, sollen Dehydratation und Hyperosmolarität die Freisetzung von Zytokinen und die Degranulation von Mastzellen hervorrufen. Kurzatmigkeit und Bronchospasmus sind die Folge. Die Thermalhypothese sieht Veränderungen der bronchialen Temperatur und assoziierte vaskuläre Veränderungen als
Merk-
sätze
q Es gibt unterschiedliche Auffassungen zur Ursache und Therapie anstrengungsinduzierter Bronchospasmen.
q Die Störung kann in der Praxis diagnostiziert und vom Hausarzt behandelt werden.
q Therapeutisch kommen die Vermeidung von Auslösern und vor allem die prophylaktische Therapie mit inhalativen Betaagonisten in Frage. Zweitlinienmedikamente sind die Mastzellstabilisatoren.
Ursache für den Bronchialspasmus an. Die eingeatmete Luft ist normalerweise kälter als jene im Bronchialbaum. Wenn die Atmungsfrequenz steigt, sinkt die Atemwegstemperatur graduell. Zudem erhöht sich bei Anstrengung die Durchblutung im Gefässbett der Lunge, um einen adäquaten Gasaustausch zu gewährleisten. Der Einstrom von warmem Blut führt zu einer Hyperämie und Hyperthermie. Aus dem gesteigerten Blutfluss resultiert ein Atemwegsödem, was mit einer Verengung des Luftraums und den entsprechenden pulmonalen Symptomen einhergeht. Die für Asthma typischen Merkmale wie Schleimproduktion und Entzündung konnten bei anstrengungsinduzierten Bronchospasmen nicht spezifisch nachgewiesen werden. Allerdings liegen nur wenige Untersuchungen vor, und letztlich ist der Unterschied zum Asthma nicht eindeutig aufgeklärt.
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Anstrengungsinduzierte Bronchospasmen
Welche Anstrengung ist gefährlich?
Nicht alle Sportarten sind gleichermassen risikobehaftet. Marathon und Basketball, Fussball und Eishockey bedeuten eine hohe aerobe Belastung. Sie haben das höchste «asthmogene» Potenzial. Das niedrigste ist bei Golf und beim Gewichtheben anzusetzen. Dazwischen liegen Wassersportarten, wobei hier das Chlor einen zusätzlichen irritierenden Faktor ausmacht. Grundsätzlich kann aber jede körperliche Aktivität bei Disponierten einen Bronchospasmus auslösen. Mit der Umstellung der Trainingsmethoden lassen sich, wie ein Cochrane Review gezeigt hat, kaum nennenswerte Verbesserungen bei den Betroffenen erzielen.
Verlauf, Symptomatologie und Auslöser
Die anstrengungsinduzierten Bronchospasmen laufen typischerweise in drei Phasen ab. In der ersten erleidet der Betroffene den schwersten Bronchospasmus. Die Sympome beginnen fünf bis zehn Minuten nach der Anstrengung und dauern eine halbe bis eine Stunde an. Wenn die Symptome ein gewisses Mass nicht überschreiten, können sie sich ohne Therapie nach einer Ruhephase spontan zurückbilden. Die zweite Phase, die Refraktärphase, umfasst das Intervall, wo kein oder nur ein geringer Bronchospasmus auftritt. Sie beginnt etwa 30 Minuten bis vier Stunden nach Aufnahme der körperlichen Belastung und ist Folge der Adrenalin- und Noradrenalinfreisetzung. Diese Substanzen wirken lokal als Bronchodilatatoren. Die Abschwächung der Mastzellaktivität hat eine verringerte Bronchokonstriktion zur Folge. Ungefähr 50 Prozent der Patienten erfahren eine refraktäre Periode und können sich dabei so weit erholen, dass sie ihre Aktivitäten fortsetzen können. Die finale Phase weist ähnliche Symptome wie die Initialphase auf, verläuft aber weniger schwer. Die Symptome legen sich nach zwölf bis 16 Stunden. Anstrengungsinduzierte Bronchospasmen
äussern sich je nach Patient ganz unterschiedlich. Manche klagen über konkrete, andere eher über vage Beschwerden. Kinder haben oft Brustschmerzen. Erwachsene weisen öfter eine pfeifende Atmung oder Dyspnoe auf. Die tatsächliche funktionelle Einschränkung ist für die Diagnose und die Therapie wichtig. Die Unfähigkeit, mit Gleichaltrigen mitzuhalten, ist bei Kindern und Jugendlichen ein wichtiger anamnestischer Hinweis. Bronchospasmen kennen viele Auslöser, die sich manchmal schlecht unter Kontrolle bringen lassen. Kalte, trockene Luft gehört klassischerweise dazu. Aber auch bei viralen Infekten können sich die Symptome verschlimmern. Weil oft eine allergische Rhinitis vorliegt, kann auch Pollenflug sein Übriges beitragen. Andere Irritanzien, wie Autoabgase und Chlor, sind ebenfalls zu bedenken. Zigarettenrauch ist besonders schädlich, weshalb allen Betroffenen dringend geraten werden soll, vom Glimmstengel zu lassen.
Diagnostik
Anstrengungsinduzierte Bronchospasmen werden klinisch diagnostiziert, weshalb eine genaue Anamnese nowendig ist. Die Diagnose wird bestätigt durch Peak-FlowMessung beziehungsweise Spirometrie. Der Patient soll unter Belastung (Laufband) 85 bis 95 Prozent der maximalen Herzfrequenz erreichen. Peak-Flow-Messung und Spirometrie sollten vor und nach der Belastung erfolgen. 48 Stunden dürfen die Patienten keine Antihistaminika oder Bronchidilatatoren einnehmen. Ein Abfall des Peak-Flow um 15 Prozent ist diagnostisch wegweisend. Eine Umkehrung nach Bronchodilatator-Gabe bestätigt die Diagnose. Ein leichterer, aber etwas unpräziser Weg ist die Selbstmessung durch den Patienten vor und nach Anstrengung. Die empirische Behandlung mit einem Bronchodilatator kann auch einer kosteneffektiven Diagnose dienen. Differenzialdiagnostisch sind verschiedene Krankheitsbilder zu beachten. So können etwa Stimmbanddysfunktionen ein pfeifendes Atemgeräusch verursachen und zu Engegefühl beim Atmen führen. Patien-
ten mit Refluxkrankheit können kurzatmig sein durch die Mikroaspiration von Mageninhalt. Auch an Panikattacken, zumeist in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum bevorstehenden Wettkampf, ist zu denken. Die körperliche Untersuchung kann Zeichen einer allergischen Rhinitis erkennen lassen. Atemgeräusche bei der Lungenauskultation können unter Umständen auf ein chronisches Asthma hindeuten.
Abgrenzung zum Asthma
Kontrovers wird bislang die Frage diskutiert, ob Menschen mit anstrengungsinduziertem Bronchospasmus eigentlich an Asthma leiden (mit Anstrengungskomponente). Die jüngste Literatur ist widersprüchlich. Viele Autoren benutzen noch den Ausdruck «Anstrengungsasthma», was aber nach Auffassung der Autoren überholt ist. Denn ein Asthma habe immer eine entzündliche Basis, dies sei bei reinen anstrengungsinduzierten Spasmen nicht der Fall. Diese Patienten weisen auch eine normale Lungenfunktion in Ruhe auf und haben in Ruhe nie Beschwerden.
Therapie
Nach einem allgemein anerkannten Therapieprinzip soll zunächst ein sehr kurz wirkender Bronchodilatator (Betaagonist) eingesetzt werden, und erst wenn diese Behandlung fehlschlägt, kommen länger wirkende Substanzen zum Zug. Zwei bis vier Hübe eine Viertelstunde vor der Belastung reichen für vier Stunden aus. Die Nebenwirkungen wie Palpitationen, Tachykardie und Tremor sind zumeist nur geringfügig ausgeprägt. Werden die Betaagonisten oft und über lange Zeit eingesetzt, lässt ihre Wirkung nach. Als Zweitlinienmedikamente kommen Mastzellstabilisatoren in Betracht, wie etwa Nedocromil (Tilade®) oder Cromoglycin (Intal®). Patienten nehmen die Medikamente 15 bis 60 Minuten vor dem Sport ein. Die Wirkung hält etwa vier Stunden an. Ein kürzlich erschienener Cochrane Review zeigt, dass Nedocromil bei «Anstrengungsasthma» das FEV1 um
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Anstrengungsinduzierte Bronchospasmen
16 Prozent senkt und die Dauer der Sympome auf unter zehn Minuten herabsetzt. Länger wirkende Betaagonisten sind eine weitere Option. Salmeterol (Serevent®) bietet einen Schutz für etwa zwölf Stunden und muss eine halbe Stunde vor der körperlichen Betätigung inhaliert werden. Bei Langzeitanwendung scheint sich die Wirkung zu verkürzen. Antihistaminika können bei gleichzeitiger allergischer Komponente sinnvoll sein, wie etwa Cetirizin (Zyrtec®). Wenn die
Symptome refraktär sind, sollte an ein
chronisches Ashma bronchiale mit zu-
grunde liegender Entzündung gedacht
werden. Regelmässig eingesetzte Steroide
können die Anstrengungskomponente
um mehr als 50 Prozent lindern. Auch
Leukotrienantagonisten sind von Nutzen,
wie etwa Montelukast (Singulair®) und
Zafirlukast (Accolate®). Das FEV1 wird un-
ter diesen Medikamenten um 10 Prozent
verbessert, die Wirkung hält über bis zu
24 Stunden an.
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Christian L. Hermansen, Jeffrey T. Kirchner: Identifying exercise-induced bronchospasm. Postgraduate Medicine 2004; 115: 15–25.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
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