Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Liposuktion bringt metabolisch nichts
THE NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
Fettbäuchigen Menschen
kann chirurgisch durch Ab-
saugen des subkutanen Fetts
geholfen werden – aber
offenbar ist das Resultat nur
kosmetisch.
Übergewicht, insbesondere Stammfettsucht, geht mit metabolischen Komplikationen einher, die die Betroffenen nachhaltig gefährden. Von den gegen Übergewicht gerichteten gängigen Therapien – Diät, körperliche Betätigung, Pharmakotherapie, bis hin zu chirurgischen Eingriffen am Verdauungstrakt – ist bekannt, dass sie die metabolischen Auswirkungen zu reduzieren vermögen, aber auch, dass sie langfristige Verhaltensänderungen erfordern, die die Betroffenen oft genug nicht zu leisten im Stande sind. Mit der Liposuktion lassen sich in kurzer Zeit grosse subkutane Fettmassen relativ einfach entfernen. Aber werden damit auch die metabolischen Folgen der Fettsucht beseitigt? Eine Studie an einer kleinen Zahl von Patientinnen wollte dies mit einigem Aufwand prüfen.
Methodik Die Autoren untersuchten 8 Frauen mit abdominaler Fettsucht und mässiger Insulinresistenz (mittleres Alter 42 ± 3 Jahre) sowie 7 Frauen mit abdominaler Fettsucht, Typ-2-Diabetes und schwerer Insulinre-
sistenz (mittleres Alter 52 ± 1 Jahre). Die Diabetikerinnen standen unter medikamentöser Kombinationsbehandlung mit verschiedenen oralen Antidiabetika. Alle Patientinnen hatten während der vorangegangenen sechs Monate ein stabiles Körpergewicht gehabt und waren körperlich sehr wenig aktiv gewesen. Sie galten daher als Kandidatinnen für eine Fettabsaugung. Mittels standardisierter Untersuchungsmethoden wurden die Insulinsensitivität von Leber, Skelettmuskel und Fettgewebe sowie eine Reihe von Entzündungsmediatoren und andere Risikofaktoren vor und nach der Liposuktion bestimmt. Der Body-Mass-Index der Frauen mit normaler Glukosetoleranz betrug 35,1 ± 2,4, derjenige der Diabetikerinnen 39,9 ± 5,6.
Resultate Die Liposuktion (vornehmlich der Bauchdecke, aber auch an Armen und Oberschenkeln) reduzierte das subkutane abdominale Fettgewebe bei den nichtdiabetischen Patientinnen um 44 Prozent, bei den Diabetikerinnen um 28 Prozent. Die Frauen mit normaler Glukosetoleranz verloren durch den Eingriff 9,1 ± 3,7 kg Fett (18 ± 3% des Gesamtfetts, p = 0,002), die Typ-2-Diabetikerinnen 10,5 ± 3,3 kg (19 ± 2% des Gesamtfetts, p < 0,001). Die Fettentfernung beeinflusste jedoch die Insulinsensitivität von Leber, Muskel und Fettgewebe nicht signifikant, hatte ebenso wenig einen signifikanten Einfluss auf die Plasmakonzentrationen von C-reaktivem Protein, Interleukin-6, Tumornekrosefaktor-alpha und Adiponectin und veränderte auch die untersuchten koronaren Risikofaktoren (Blutdruck, Plasmaglukose, Insulin- und Lipoproteinspiegel) in beiden Patientinnengruppen nicht in signifikantem Ausmass.
Merk-
sätze
q Das Absaugen grosser Mengen von subkutanem abdominalem Fett hat keinen signifikanten Einfluss auf die mit Fettleibigkeit assoziierten metabolischen Störungen.
q Zur Besserung der Stoffwechsellage und drohender kardiovaskulärer Komplikationen scheint kein Weg um eine negative Energiebilanz herumzuführen.
Diskussion «Unsere Daten zeigen, dass die Absaugung von grossen Mengen subkutanen abdominalen Fettgewebes zu einer beträchtlichen Abnahme von Körpergewicht, Bauchumfang und Plasma-LeptinKonzentrationen führte, aber keinen signifikanten Einfluss auf die Insulinsensitivität von Skelettmuskel, Leber oder im Fettgewebe hatte; zusätzlich hatte sie auch keinen signifikanten Einfluss auf andere Risikofaktoren für koronare Herzkrankheit», fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Die bei ihren Patientinnen durch die Liposuktion erzielte Fettabnahme entspreche derjenigen, die bei optimalen Verhaltens- und pharmakologischen Therapien erreicht werde. Unter diesen Behandlungsformen sei dann eine ausgeprägte Verbesserung bei den metabolischen Störungen der Fettsucht mit Beeinflussung von Insulinsensitivität, Blutdruck, Lipidspiegeln und Entzündungsmarkern zu erwarten. Diese
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Liposuktion bringt metabolisch nichts
sei bei ihren Patientinnen überraschenderweise ausgeblieben.
Das falsche Fett abgesaugt?
In einem begleitenden Kommentar in derselben Ausgabe des «New England Journal of Medicine» erinnert David E. Kelley an die Prinzipien der Thermodynamik: Eine positive Energiebilanz verursacht Gewichtszunahme, und zum Gewichtsverlust kommt es, wenn der Energieverbrauch die Energiezufuhr übersteigt. Die Ergebnisse klinischer Studien bieten gute Evidenz, dass ein mässiger Gewichtsverlust zusammen mit gesteigerter körperlicher Aktivität die Wahrscheinlichkeit der Progression von gestörter Glukosetoleranz zum Typ-2-Diabetes verringert. Zwar sollte der Langzeitnutzen des Gewichtsverlusts noch besser erforscht werden, aber die positiven Effekte bei Patienten mit Typ-2Diabetes und anderen mit Fettsucht assoziierten Störungen stützen die medizinischen Vorstellungen, dass die Gewichtsabnahme bei übergewichtigen und fettleibigen Menschen deren Gesundheitszustand bessert. Es gibt Hinweise, dass ein substanzieller Anteil des metabolischen Nutzens der Gewichtsabnahme direkt mit der negativen
Energiebilanz zusammenhängt. So bessert sich eine Hyperglykämie während kalorischer Restriktion sehr rasch, noch bevor viel Gewicht verloren ging. Auch unter Abmagerungskuren, die zu einem Verlust von 15 Prozent des Körpergewichts führen, erfolgt die Hälfte der Verbesserungen bei der Insulinresistenz und Blutzuckerkontrolle schon in der ersten Woche mit negativer Energiebilanz. Ähnliche Beobachtungen wurden auch bei Hypertonie gemacht: Ein guter Teil der Blutdruckabnahme stellt sich unter negativer Energiebilanz schon recht rasch ein. In der Liposuktionsstudie kam es zwar zu einem grossen Verlust an Fettgewebe, aber die Energiebilanz wurde dadurch nicht beeinflusst. Vielleicht hätte eine gleichzeitig wenigstens geringfügig negative Energiebilanz bei der Insulinresistenz ein anderes Ergebnis gebracht? Auch eine andere Frage muss man stellen: Wurde das «richtige» Fett abgesaugt? Die Liposuktion richtete sich gegen das subkutane abdominale Fettgewebe. Zwar nicht alle, aber viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass das viszerale Fett enger mit der Insulinresistenz korreliert. Warum dies so ist, bleibt noch unklar. Denkbar ist eine Freisetzung von Fettsäuren direkt in den portalen Kreislauf. Fett-
gewebe hat aber neben der Speicherfunk-
tion auch endokrine Funktionen, wie eine
lange Liste von Substanzen (Leptin, Adi-
ponectin, Resistin, viele Zytokine) doku-
mentiert, die von Adipozyten synthetisiert
wird. Das Absaugen von subkutanem Fett
hat hier kaum Einfluss, man müsste sich
also der Entfernung von viszeralem Fett
zuwenden.
q
Samuel Klein (Center for Human Nutrition, Washington University School of Medicine, St. Louis/USA) et al.: Absence of an effect of liposuction on insulin action and risk factors for coronary heart disease. New Engl. J. Med. 2004; 350: 2549–2557. David E. Kelley (Obesity and Nutrition Research Center, University of Pittsburgh Medical Center, Pittsburgh/USA): Thermodynamics, liposuction, and metabolism. New Engl. J. Med. 2004; 350: 2542– 2544.
Halid Bas
Interessenlage: Die Studie wurde mit öffentlichen Geldern der National Institutes of Health unterstützt.
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