Transkript
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Krebsvorsorge
Eine kritische Bestandsaufnahme, Teil 3: Das Zervixkarzinom
SERIE
CHRISTIAN WEYMAYR KLAUS KOCH
Der Nutzen der Krebsvor-
sorge scheint auf der Hand
zu liegen. Doch bei genauem
Hinsehen erweist sich, dass
die entsprechenden Früh-
erkennungsmassnahmen
einer kritischen Überprüfung
bedürfen. In den ersten bei-
den Teile ging es um die
Grundlagen und das Prostata-
karzinom. Dieser dritte Teil
diskutiert die Früherkennung
des Zervixkarzinoms.
Einleitung Die Früherkennnung von Vor- und Frühstufen des Gebärmutterhalstumors gilt als eine der grössten Erfolgsstorys in der Geschichte der Krebsbekämpfung. Zeitgleich mit der Einführung des Pap-Tests sank die Zervixkarzinom-Inzidenz und -Mortalität in allen europäischen Ländern (1). Nutzen und Notwendigkeit des Screenens auf Bevölkerungsebene stehen deshalb ausser Frage (2). Seit einigen Jahren haben die Inzidenz- und Mortalitätskurven ein Plateau
erreicht. Wie dieses Plateau zu überwinden ist, wird gegenwärtig heftig diskutiert. Die Vorschläge reichen von einer Verbesserung des gegenwärtigen Tests über eine Effizienzsteigerung des Screenens bis hin zur Einführung neuer Verfahren. Dass Gynäkologen, Laborärzte und -assistenten sowie Firmen und ihre Fürsprecher auch eigene Interessen verfolgen, erschwert eine objektive Bewertung der diskutierten Massnahmen. Beim «13. Internationalen Freiburger Tutorial für zervikale Neoplasie» vom 8. bis 10. Oktober diesen Jahres, bei dem die «Zukunft der gynäkologischen Krebsvorsorge» auf dem Programm stand, kam es zu einem mitunter emotional geführten Schlagabtausch der beteiligten Parteien (3). Der Gebärmutterhalskrebs eignet sich in mehrfacher Hinsicht hervorragend für die Vorsorge (2): Er entwickelt sich sehr langsam, die Zervix ist gut zugänglich, auffällige Zellen lassen sich einfach identifizieren, und Vor- und Frühstadien können relativ leicht und effektiv entfernt werden. In der Praxis ist die Vorsorge dennoch nicht frei von Problemen: Zum einen muss aufgrund der niedrigen Inzidenz in Europa für einen relativ geringen Nutzen ein hoher Aufwand betrieben werden. Zum anderen würde sich nur ein Bruchteil der Läsionen tatsächlich zu einem Tumor weiterentwickeln, sodass vielen Frauen Schaden durch psychische Belastungen, Fehlund Überdiagnosen sowie Übertherapien zugefügt wird. In der Schweiz ist die ZervixkarzinomVorsorge mit Pap-Abstrich vom 18. bis zum 69. Lebensjahr alle drei Jahre eine Leistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (4). War einer von zwei vorausgegangenen Befunden verdächtig oder gehört die Frau zu einer Risikogruppe, kann das Intervall verkürzt werden (5).
Krebsvorsorge
In einer lockeren Folge von Beiträgen richten unsere Autoren Klaus Koch und Christian Weymayr
einen kritischen Blick auf Nutzen und Schaden der
Krebs-Früherkennung. Die Serie wendet sich gleichermassen an Ärzte und Patienten.
80 Prozent der berechtigten Frauen nehmen die Vorsorge regelmässig oder gelegentlich wahr (6). Pro Jahr werden rund 1,2 Milllionen Pap-Tests umgesetzt. Dennoch identifiziert Felix Gurtner vom Bundesamt für Gesundheit Schwächen des Screenens: Die Zervixkarzinom-Vorsorge wird, anders als etwa die Mammakarzinom-Vorsorge, nicht in kontrollierten Programmen, sondern als so genanntes opportunistisches Screenen angeboten. Wie effektiv die Vorsorgemassnahmen sind, lässt sich deshalb nur schwer abschätzen. Klar ist jedoch, dass es sowohl deutliche Unter- wie auch Überversorgung gibt (6). Jede fünfte Frau geht gar nicht zur Vorsorge, dafür lässt sich jede zweite einmal pro Jahr untersuchen. Aus Sicht der Schweizerischen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie (SGGG) ist die Bezeichnung Überversorgung jedoch nicht angebracht. Die SGGG bezeichnet jährliche Abstriche als «ideal» (5). Derzeit diskutieren die Behörden in der Schweiz folgende Fragen: Soll die Krankenversicherung die Dünnschicht-Zytologie vergüten? Könnten möglicherweise im Rahmen der Neuregelung der Kostenbeteiligung auch die finanziellen Anreize
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Merk-
punkte
q Auch wenn Studien fehlen, die eine Senkung der Sterblichkeit durch die Zervixkarzinom-Vorsorge beweisen, wird der Nutzen des Pap-Abstrichs allgemein als sehr gross eingeschätzt.
q In Konkurrenz zum Pap-Test steht der HPV-Test zum Nachweis sexuell übertragbarer Papillomviren, die als Ursache des Zervixkarzinoms gelten. Durch eine Kombination beider Tests als Screeninginstrument würde die Sensitivität zwar steigen, aber gleichzeitig würden auch die Schäden durch Fehlalarme in einem solchen Mass zunehmen, dass bislang von einem Screenen auf HPV abgeraten wird.
q Durch die Korrektur des Nebeneinanders von Unter- und Überversorgung könnten Mittel für Promotion, Qualitätssicherung und Evaluation freigesetzt werden.
für die Teilnahme an der Krebsvorsorge verbessert werden? Die Frage nach einer Evaluation und Promotion als ersten Schritt in Richtung eines Screeningprogramms ist dagegen offen (6). Im Gegensatz zu diesen Defiziten auf der «Public Health»-Ebene kann nach Ansicht von Felix Gurtner dem Vorgehen zur Abklärung verdächtiger Befunde eine hohe Qualität bescheinigt werden. Unter Leitung von Siegfried Heinzl, Chefarzt der Frauenklinik am Kantonsspital Bruderholz und Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Kolposkopie und Zervixpathologie, hat die Arbeitsgruppe «Guideline Zervixabstrich» der SGGG eben ihre Richtlinien zur Abklärung überarbeitet (5). In den Zellen auffälliger Befunde lässt sich fast immer Erbgut von Papillomviren nachweisen. Diese sexuell übertragbaren Viren
werden deshalb als Voraussetzung für die Entstehung eines Karzinoms angesehen (7). Von über 100 heute identifizierten Papillomviren-Typen sind 18 als HochrisikoTypen identifiziert, die an einer Tumorentstehung beteiligt sein können (8). Zur Vorbeugung und Therapie des Gebärmutterhalstumors werden grosse Hoffnungen in die Impfung gegen Hochrisiko-Viren gesteckt. Momentan befinden sich einige Impfstoffe in klinischen Studien (9, 10). Da die Impfstoffe nur wenige Virentypen abdecken können, werden sie zwar weit gehend, aber keinesfalls vollständig vor einem Zervixkarzinom schützen. Immerhin könnte ein Impfstoff gegen die beiden häufigsten und gefährlichsten Typen HPV-16 und HPV-18 mehr als 95 Prozent der Todesfälle verhindern (11). Bis zur Marktreife des ersten Impfstoffs werden wohl noch einige Jahre vergehen. Sollten die Impfstoffe gut angenommen werden, und sollte zudem in den Folgejahren die Karzinominzidenz drastisch sinken, wird zu überlegen sein, ob der Aufwand für ein bevölkerungsweites Screenen dann noch zu rechtfertigen ist.
Diagnose
Etwa acht von zehn Zervixkarzinomen sind Plattenepithelkarzinome, die restlichen zwei meist Tumore des Drüsengewebes, so genannte Adenokarzinome. Je nach Ort des Auftretens (ob am Muttermund oder im Zervixkanal), nach Aussehen des Zellkerns, nach Verhornungsgrad und nach weiteren Merkmalen lassen sich etliche Typen unterscheiden, die dem Arzt Hinweise auf die Prognose geben. Auch das Entwicklungsstadium des Tumors und die genaue Lokalisation der Krebszellen im Körper dienen der Klassifizierung der Karzinome und damit der Wahl der Therapie. Vorstadien und frühe Karzinome bleiben von der Frau meist unbemerkt. Die Vorsorgeuntersuchung ist deshalb die einzige Möglichkeit, Vor- und Frühstadien zu erkennen. Zu Beginn des Krebswachstums sind die Symptome relativ unspezifisch: dünner, wässriger Ausfluss, leichte Kontaktblutung, starke Menstruationsblutung bis hin zur Dauerblutung. In fortgeschrit-
tenen Stadien kommt es dann auch zu Gewebeabgängen, Beckenschmerzen, Beschwerden beim Wasserlassen und Stuhlgang sowie Anschwellen des Unterleibs. Weckt der Pap-Test einen Verdacht auf eine leichtgradige Zellveränderung (LSIL), genügt nach Ansicht der SGGG eine Kontrolle nach sechs Monaten, da falsch-positive Befunde häufig sind und auch richtig erkannte Veränderungen in bis zu 70 Prozent von selbst wieder verschwinden. Die Guideline der SGGG stellt sich explizit gegen den Trend des «See and Treat»-Konzepts aus den USA, das vorsieht, jeden Verdacht gleich zu behandeln. Bleibt die Veränderung bestehen, oder werden höhergradige Veränderungen (HSIL) entdeckt, müssen die Zervix kolposkopisch begutachtet und der Befund histologisch abgeklärt werden. Je nach Schweregrad der Veränderung unterscheidet man eine leichte Dysplasie (CIN I), eine mässige Dysplasie (CIN II) und ein In-situ-Karzinom (CIN III). Im Zweifelsfall, wenn etwa ein invasives Karzinom nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, rät die Guideline zur Konisation: Dabei wird mit dem Skalpell, einer elektrischen Schlinge oder dem Laser ein 10 bis 20 mm hoher Gewebekegel aus der Zervix herausgesschnitten. Anhand der Gewebeprobe kann der Arzt gut abschätzen, wie schwer die Läsion wirklich ist, ob schon ein Karzinom vorliegt oder wie umfangreich operiert werden muss. Zur Abklärung eines verdächtigen Befundes wird häufig der Test auf Papillomviren empfohlen, da ein negatives Ergebnis die Möglichkeit eines Tumors praktisch ausschliesst. Die Guideline der SGGG empfiehlt den HPV-Test dagegen nur dann, wenn keine Kolposkopie zur Verfügung steht. Und weiter heisst es: «In der Schweiz ist es jedoch immer möglich, eine kompetente kolposkopische Abklärung zu erhalten.»
Therapie
Als Therapie der CIN-Stufen stehen zum einen Methoden zur Verfügung, die das verdächtige Gewebe zerstören. Da anschliessend der Grad der Veränderung
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nicht mehr beurteilt werden kann, sollten sie möglichst behutsam eingesetzt werden (5). Zum anderen kann der Arzt die Stellen auch herausschneiden oder die ganze Gebärmutter entfernen. Die Hysterektomie ist nach den Richtlinien der Deutschen Krebsgesellschaft erst dann gerechtfertigt, wenn bereits ein invasives Karzinom diagnostiziert wurde (12). Zwar zählt der Eingriff zu den Routineoperationen, doch schwere Komplikationen sind nicht auszuschliessen: So starb im Juli 2002 in Hamburg eine 51-jährige Frau, weil der Arzt bei der Operation die Beckenvene so schwer verletzte, dass die Blutung nicht mehr zu stillen war (13). Eine Strahlentherapie zur Behandlung der Vorstufen wird heute nicht mehr empfohlen. Ist zweifelsfrei ein Karzinom diagnostiziert, müssen für das weitere Vorgehen sowohl medizinische als auch persönliche Faktoren berücksichtigt werden (5): der Schweregrad der Läsion, ihre Lokalisation und Ausdehnung, das ärztliche und apparative Know-how, das Alter der Patientin, auffällige zusätzliche genitale Veränderungen, der Wunsch nach definitiver Kontrazeption, die Einstellung der Patientin zum Leiden und die Möglichkeit des Follow-up. Je weiter das Karzinom fortgeschritten ist, desto mehr Gewebe müssen entfernt werden: die Lymphknoten, die Eierstöcke (Ovarien) und Teile der Scheide. In noch weiteren Stadien setzen die Ärzte zusätzlich zur Operation Bestrahlung und Chemotherapie ein.
Neuerkrankungen und Todesfälle
In der Schweiz lag von 1996 bis 1998 die jährliche Neuerkrankungsrate mit 8,6 pro 100.000 Frauen etwa halb so hoch wie die durchschnittliche Rate in Europa (1, 14). Nur 2 Prozent aller Tumore bei Frauen sind in der Schweiz Gebärmutterhalskrebs. Die Mortalitätsrate lag mit 6,6 pro 100 000 dagegen etwas über dem Durchschnitt. Weltweit ist der Gebärmutterhalskrebs mit knapp 400 000 neuen Fällen jährlich der dritthäufigste Tumor der Frau nach Brustund Darmkrebs. Jeder zehnte Tumor einer Frau ist ein Zervixkarzinom. Auffällig sind
grosse regionale Unterschiede: So hat etwa Kolumbien eine 12-mal so hohe Zervixkarzinomrate wie Israel. Noch nicht erklärbar sind auch grosse ethnische Unterschiede (15): So hat eine US-Amerikanerin vietnamesischer Abstammung ein gut 7-mal so hohes Risiko, ein Zervixkarzinom zu entwickeln, wie eine US-Amerikanerin japanischer Herkunft. Vor allem in den Industrieländern sind Neuerkrankungen an Gebärmutterhalskrebs in den vergangenen 40 Jahren stark zurückgegangen. So ist in den USA die Häufigkeit in diesem Zeitraum auf ein Drittel gefallen. Seit Mitte der Achtzigerjahre allerdings steigen die Zahlen in den Industrieländern wieder leicht an. Im Vergleich mit anderen Tumorarten tritt der Gebärmutterhalskrebs vergleichsweise früh auf (16): So leidet unter den 26- bis 35-jährigen Krebspatientinnen jede fünfte an einem Zervixkarzinom, dagegen bei den über 65-Jährigen nur jede 50. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt ab 25 Jahren steil an und ist in der Gruppe der 36- bis 40-Jährigen und 41- bis 45-jährigen mit je knapp 30 neuen Fällen auf 100 000 Frauen am höchsten. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 54 Jahren. Von 10 erkrankten Frauen sterben 3 bis 4 innerhalb der nächsten fünf Jahre. Je
weiter der Tumor fortgeschritten ist, desto schlechter ist die Prognose. Eine an Gebärmutterhalskrebs erkrankte Frau lebt durchschnittlich neun Jahre weniger lang als die allgemeine Lebenserwartung vorsieht. Die Zahl der Todesopfer erreicht in der Altersgruppe um 50 Jahre ein Plateau und steigt dann weiter an. Der Gebärmutterhalskrebs ist also eine Krankheit, die auch relativ viele jüngere Frauen und Frauen in der Lebensmitte trifft. Gemessen am durchschnittlichen Sterbealter muss man jedoch auch den Gebärmutterhalskrebs – wie fast alle anderen Krebsarten – als Alterskrankheit bezeichnen. Ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Gebärmutterhalstumors ist eine Infektion mit humanen Papillomviren (15). Da HPVErreger sexuell übertragen werden, lässt sich als Faustregel ableiten, dass im Grund alles, was im weitesten Sinne mit Geschlechtsverkehr zu tun hat, das Risiko erhöht: ungeschützter und früher Sex, mangelnde Intimhygiene, viele Sexpartner und viele Geburten. Manche dieser Faktoren stehen direkt mit einer HPV-Infektion in Zusammenhang, andere scheinen auch unabhängig davon das Risiko zu erhöhen. Neben HPV werden auch andere sexuell übertragbare Keime, wie etwa Herpes simplex-Viren, HIV und Chlamydien, als
Neuerkrankte pro 100 000 Frauen 40 35 30 25 20 15 10 5 0
–30 –35 –40 –45 –50 –55 –60 –65 –70 –75 –80 –85 85+ Alter
Die Zahlen geben an, wie viele von 100 000 Frauen einer Altersgruppe pro Jahr an Gebärmutterhalskrebs erkranken (Daten von 1989 – 1998 aus dem Saarland).
Quelle: Arbeitsgemeinschaft bevölkerungsbezogener Krebsregister
Abbildung 1: Altersverteilung der Zervixkarzinom-Neuerkrankungen (16).
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Risikofaktoren diskutiert. Obwohl manche Ratgeber Kondome als Übertragungsschutz empfehlen (7), zeigen Studien, dass Kondome eher nicht vor einer Infektion mit HPV schützen, aber zu einem deutlich häufigeren Abklingen der Infektion und der Zellveränderungen führen (17). Darüber hinaus wurden Empfängnisverhütung mit der Pille (18), Nicht-Beschneidung des männlichen Sexpartners (19) und Rauchen (2) als Risikofaktoren identifiziert.
Früherkennung
Bislang gibt es unter den Tumoren der weiblichen Geschlechtsorgane nur für den Gebärmutterhalskrebs eine Früherkennung. Bei Eierstock- und Gebärmutterkörperkrebs werden die Frauen erst durch Symptome wie ungewöhnliche Blutungen und Schmerzen auf die Wucherungen aufmerksam. Dann befinden sich die Tumore meist bereits in einem Stadium, in dem die Heilungsaussichten sehr schlecht sind. Der seit etlichen Jahrzehnten etablierte Pap-Test hat seit einigen Jahren Konkurrenz durch den HPV-Test bekommen. Nach anfänglichen Versuchen der Herstellerfirma Digene, den Pap-Test zu diskreditieren, um ihn durch den HPV-Test zu ersetzen (20), hat sich bei den HPV-Befürwortern eine etwas moderatere Haltung durchgesetzt (3): Jetzt sollen beide Tests gemeinsam die erste Linie im Screeningverfahren bilden. Der Virennachweis würde, so die Argumentation, die schlechte Sensitivität des Pap-Tests und der Pap-Test die schlechte Spezifität (in Bezug auf Läsionen) des Virennachweises wettmachen.
Pap-Test Der Name «Pap»-Test geht auf den aus Griechenland stammenden, in New York praktizierenden Frauenarzt George Nicholas Papanicolaou zurück. 1928 beschrieb Papanicolaou eine Methode, mit der er Frühstadien des Gebärmutterhalskrebses aufspüren konnte. Für seinen Test entnahm er mit einem Tupfer Zellproben aus der Scheide, färbte sie und begutachtete sie unter dem Mikroskop. Zunächst verpufften seine Erkenntnisse unbemerkt,
und frustriert gab er das Thema auf. Erst als Kollegen ihn ermutigten, doch wieder daran zu arbeiten, publizierte er 1941 mit Herbert Frederick Traut erneut einen Artikel über den Zelltest. Mit dieser wegweisenden Veröffentlichung setzte der Siegeszug des Pap-Abstrichs ein und verdrängte die bis dahin üblichen Methoden zur Früherkennung des Zervixkarzinoms: die direkte Gewebeentnahme und das Begutachten der Gebärmutter mit dem Kolposkop. Der Pap-Test selbst ist für die Frauen zwar unangenehm, aber ungefährlich. Ein auffälliger Befund kann jedoch gravierende Folgen haben: Die Konisation etwa, das Herausstanzen einer kegelförmigen Gewebeprobe, bedeutet häufig einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt und eine Operation unter Vollnarkose. Zunehmend wird jedoch auch ambulant konisiert. Bei zwei bis drei von 100 Konisationen kommt es zu schweren Blutungen. In seltenen Fällen kann der Eingriff sogar zum Verlust der Gebärmutter und damit der Fruchtbarkeit führen. Frauen mit Kinderwunsch tragen noch ein weiteres ernst zu nehmendes Risiko: Wird viel Gewebe herausgeschnitten, ist die Gefahr einer Frühgeburt dreimal so hoch wie bei unbehandelten Frauen (21). Als der Pap-Test aufkam, bestätigte eine erste Studie aus British Columbia die Annahme, Gebärmutterhalskrebs wirksam vorbeugen zu können. Diese Erkenntnis löste eine regelrechte Euphorie aus, und ohne solides wissenschaftliches Fundament nahmen etliche Länder den Pap-Test in ihre Früherkennungsprogramme auf (22). Während die Frauenbewegung den Test anfangs als Akt der symbolischen Unterwerfung ablehnte, wird er heute von allen Gruppierungen als wirksames Mittel zur Förderung der Frauengesundheit geschätzt und propagiert. Einen direkten wissenschaftlichen Beweis für die Effektivität des Pap-Tests gibt es nicht. Trotzdem hält die Mehrzahl der Experten die Fülle und Eindeutigkeit der indirekten Hinweise für ausreichend (1, 2, 5). Das Hauptargument sind dabei die dramatisch gesunkenen Todesraten in den vergangenen Jahrzehnten in den Industrie-
ländern. Als überwiegend sexuell übertragbare Krankheit ist der Gebärmutterhalskrebs jedoch gesellschaftlichen Umwälzungen unterworfen wie kaum ein anderes Leiden. Dieser Wandel mindert die Aussagekraft der Todesraten: So liesse sich mutmassen, dass selbst ein Stagnieren der Mortalitätsraten, wie es in manchen Altersgruppen in den vergangenen Jahren beobachtet wird, für die Wirksamkeit der Vorsorge spricht, weil die Todesrate etwa durch das freizügige Liebesleben der Pillengeneration ansonsten noch gestiegen wäre. Dagegen könnte man einwenden, dass die Todesraten auch ohne Vorsorge stetig gefallen wären, wofür etwa spricht, dass die Mortalitätskurve in Ländern wie den USA und England lange vor der Einführung des Pap-Tests nach unten knickte. Selbst dort, wo die Todesraten zeitgleich mit der PapTest-Einführung zu sinken begann, wie etwa in Deutschland, kann es nicht am Test liegen: Wegen der langen Entwicklungszeit von den Vorstufen bis zum unheilbaren Karzinom sind die Auswirkungen eines Screeningtests erst nach etlichen Jahren zu erwarten. Eine Studie aus Bristol, die die Effektivität des Screenens nachprüfen sollte, fiel verheerend aus (23): Obwohl von den rund 250 000 teilnahmeberechtigten Frauen 225 000 das Angebot annahmen, und über 15 000 auffällige Befunde genauer unter die Lupe genommen wurden, gelang es nicht, die Todesrate erkennbar zu senken. Vom ursprünglichen Ziel, die 30 bis 40 jährlichen Todesfälle ganz zu verhindern, konnte erst recht keine Rede sein. Das bittere Fazit der Studienleiter: «Unsere Schlussfolgerung ist, dass trotz guter Organisation ein grosser Teil unserer Anstrengungen in Bristol darin besteht, den Schaden, der gesunden Frauen zugefügt wird, zu begrenzen und unsere Mitarbeiter vor Rechtsstreit zu schützen, da Fälle ernster Krankheit nach wie vor auftreten.» Einige Jahre später präsentierten die Experten aus Bristol konkrete Daten zur Schaden-Nutzen-Bilanz (24): Um einen Zervixkarzinom-Todesfall zu verhindern, erhalten 150 Frauen einen positiven Befund, bei 80 Frauen wird eine Gewebe-
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probe genommen, und 50 Frauen werden behandelt. Dabei hat der britische Gesundheitsdienst nichts unversucht gelassen, dem Programm zum Erfolg zu verhelfen: Unzufrieden mit der Qualität und der Akzeptanz des bereits 1964 etablierten ScreeningProgramms führten die zuständigen Stellen 1988 Sonderzahlungen an Ärzte und ein «Call And Recall System» ein: Alle Frauen zwischen 20 und 64 Jahren wurden jedes dritte Jahr per Brief zur Teilnahme aufgefordert, wenn nötig auch mehrmals. Der britische Staat griff dafür tief in die Tasche: Mit rund 200 Millionen Euro jährlich ist das Zervix-Screenen in England viermal so teuer wie die Mammografie für das Brustkrebs-Screening. Der Erfolg der Anstrengung: Nach anfangs 42 von 100 Frauen nahmen sechs Jahre später 85 von 100 Frauen teil. Die Anzahl invasiver Karzinome ging im selben Zeitraum zurück von 16 auf 10 pro 100 000 untersuchten Frauen. Die WHO zog bereits vor einigen Jahren ein etwas gemischtes Fazit (25): Der Report «Cervical Cancer Control» von WHO und EUROGIN (European Organisation on Genital Infection and Neoplasia) konstatierte zum einen gute Erfolge etwa im kanadischen British Columbia und in Finnland mit 70 Prozent Mortalitätsreduktion, doch sei «die Realtität der weltweiten Situation deprimierend». Der Rückgang der Todesfälle stagniere weltweit seit einem Jahrzehnt, der tatsächliche Einfluss des Screenings sei viel schwächer als erwartet, und Entwicklungsländer könnten sich die Vorsorge gar nicht leisten. Zudem fänden Experten unter regelmässig gescreenten Frauen einen erheblichen Anteil an invasiven Karzinomen. Die Sensitivität des Pap-Tests ist schlecht. Studien haben gezeigt, dass ein einzelner Abstrich jede zweite Zellveränderung übersieht (26). 30 bis 50 Prozent der Frauen, die einen Tumor bekommen, waren mehr oder weniger regelmässig bei der Vorsorge (2). Dass sie durch die Maschen des Screeningnetzes gefallen sind, kann drei Gründe haben: Die Frauen wurden trotz eines auffälligen Befundes nicht behandelt, die Karzinome entwickelten
sich ohne erkennbare Vorstufen zwischen zwei Untersuchungen, oder die Tests erkannten die auffälligen Veränderungen nicht. Ganz grob lässt sich sagen, dass jedes zehnte Zervixkarzinom auf einen Testfehler zurückgeht. In der langen Kette vom Abstrich über die Übertragung der Zellen auf einen Objektträger und die Probenaufbereitung bis zur mikroskopischen Begutachtung durch einen Zytoassistenten oder einen Arzt können Missgeschicke, Unachtsamkeiten und mangelnde Routine zu falschen Aussagen führen. Ein nicht zu vernachlässigendes Problem sind die aggressiven, schnell wachsenden Karzinome, die sich in den Intervallen zwischen den Tests entwickeln und so durch
(1): Im Vergleich zu gar keiner Untersuchung treten bei zehnjährlichen Pap-Intervallen 64,1 Prozent, bei fünfjährlichen 83,6 Prozent, bei dreijährlichen 90,8 Prozent, bei zweijährlichen 92,5 Prozent und bei jährlichen Intervallen 93,5 Prozent weniger invasive Karzinome auf – vorausgesetzt, die Frauen sind zwischen 35 und 64 Jahre alt und nehmen absolut zuverlässig an den Tests teil. Aus den Daten zu den Screeningmodalitäten und Mortalitätsraten in den europäischen Ländern lässt sich kein Vorteil für frühen Screeningbeginn und kurze Intervalle ablesen (1, 5). Österreich und Deutschland gehören mit mehr als 50 empfohlenen Abstrichen in einer Lebenszeit zu den
Schweiz Österreich Portugal Dänemark Deutschland England Belgien Frankreich Irland Schweden Spanien Italien Griechenland Niederlande Finnland Luxemburg
Mortalitätsrate
Alterszielgruppe
Screeningintervall
Abstriche gesamt pro Frau
6,6 18–69 3
17
6,3 20+ 1
70+
6,3 20–64 3
16
6,3 23–59 3
13
5,5 20+ 1
50+
5,0
20–64
3 oder 5
10–16
4,6 25–64 3
14
4,6 25–64 3
14
4,6 25–60 5
8
3,7 23–60 3
14
3,5 25–65 3
14
3,2 25–64 3
14
3,0 25–64 3
14
2,7 30–60 5
7
1,7 30–60 5
7
1,6 15+ 1
75+
Abbildung 2: Mortalität und Screeningmodalitäten 1995 (1, 5)
die Maschen auch der qualitativ besten Kontrolle schlüpfen. Studien, die die Zeit zwischen den Tests verglichen haben, finden zwar deutliche Unterschiede in der Senkung der Tumorrate zwischen einem 10-Jahres- und einem 5-Jahres-Intervall, aber wenn die Intervalle weiter verkürzt werden, ist der Effekt weniger deutlich
screeningintensivsten Ländern, mit einer Mortalitätsrate von über 5,5 pro 100 000 dennoch zu den Ländern mit einer hohen Sterberate. Finnland und Holland kommen dagegen mit nur 7 Abstrichen pro Lebenszeit auf eine Sterberate von 1,7 beziehungsweise 2,7 pro 100 000 Frauen. Als eine Möglichkeit, die Fehleranfälligkeit
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des Pap-Tests auszugleichen, wird die bessere Probenaufbereitung mit der Dünnschicht-Zytologie diskutiert. Dazu wird der Zellabstrich in einer Flüssigkeit aufgeschwemmt und anschliessend abgefiltert, sodass eine von Schleim und anderem gereinigte homogene Schicht einzelner Zellen auf dem Objektträger zu liegen kommt. Eine Einführung der pro Test 6 Franken teureren Dünnschicht-Zytologie würde den gesetzlichen Versicherungen Mehrkosten von knapp 5 Millionen Franken aufbürden. Studien verliefen bislang enttäuschend (27), sodass der konventionelle Abstrich in der Schweiz weiterhin bevorzugt wird (5, 28). Eine Möglichkeit, den Pap-Test vom Makel der Subjektivität zu befreien, ist die Automatisierung (29). So sind bereits Geräte wie AutoPap in Erprobung und teilweise im Einsatz, die eine Vorauswahl auffälliger Zellen treffen und den Laboranten vom ermüdenden Begutachten tausender Zellen befreien oder die als unauffällig bewerteten Proben nachkontrollieren. Trifft ein Automat die Vorauswahl, lassen sich zwar nicht mehr Auffälligkeiten finden, aber es geht immerhin doppelt so schnell. Die Krankenkassen in Deutschland sowie der britische Gesundheitsdienst NHS stellen den Test für Frauen ab 20 Jahren kostenlos zur Verfügung. Die US-Task Force gibt dagegen keine Altersgrenze an, sondern empfiehlt den Test «allen Frauen, die sexuell aktiv waren und eine Zervix haben». Nach Ansicht der meisten US-amerikanischen Fachgesellschaften soll jedes Mädchen ab dem ersten Geschlechtsverkehr, aber spätestens ab 18, die Krebsvorsorge annehmen – schliesslich sei wenig glaubhaft, dass ein 18-jähriger Teenager noch keinen Sex hatte. Der europäische Kodex gegen Krebs empfiehlt dagegen erst ein Screenen ab 25 Jahren (34). Die US-Task Force wie auch einige andere Fachgesellschaften empfehlen, den Test ab einem Alter von 65 Jahren einzustellen, wenn bislang keine positiven Befunde vorlagen (2). Bei der üblicherweise langen Entwicklungszeit sei nicht davon auszugehen, dass solche Frauen noch ein tödliches Karzinom bekommen würden. Der NHS sieht bereits 64 Jahre als die Obergrenze
an, der europäische Kodex 60 Jahre, andere Fachgesellschaften dagegen 69 Jahre, die meisten aber, wie etwa die American Cancer Society, halten ein Testen bis zum Lebensende für angebracht. Bei der Frage des Untersuchungsintervalls gehen die Meinungen international weit auseinander. Die SGGG sowie die Deutsche Krebsgesellschaft empfehlen in ihren Richtlinien einjährige Intervalle. Die US-Task Force empfiehlt einen Abstand von höchstens drei Jahren, während etwa die American Cancer Society eine Mischlösung favorisiert: Sind die ersten drei jährlichen Befunde negativ, können die weiteren Tests in dreijährlichem Abstand erfolgen, wenn dies der Arzt für angebracht hält. Der NHS sowie der europäische Kodex gehen sogar von drei bis fünf Jahren aus.
HPV-Test Humane Papillomviren sind fast immer an der Entstehung eines Zervixkarzinoms beteiligt. Eine gross angelegte Analyse von 1000 Zervixkarzinom-Proben aus 22 Ländern fand in 930 Gewebeproben Papillomviren. Eine Überprüfung der Proben durch andere Wissenschaftler ergab jedoch, dass bei der Studie offensichtlich nicht besonders gründlich gearbeitet worden war. So wiesen tatsächlich 997 aller Proben Spuren von Viren-Erbgut auf (30). Deshalb liegt die Idee nahe, mit dem HPV-
Test die Mortalität weiter senken zu können. Die Frage ist dabei, ob der Virennachweis zum Screenen (allein oder in Verbindung mit dem Pap-Test) oder lediglich zur weiteren Diagnose unklarer PapBefunde herangezogen werden soll. Bislang gibt es keine wissenschaftlich fundierten Studien über die tatsächliche Senkung der Todesrate beim Gebärmutterhalskrebs durch den HPV-Test. Untersuchungen und Hochrechnungen kreisen um die Frage, wie viel mehr Läsionen ein HPV-Test im Vergleich zu einem Pap-Test oder in Verbindung mit ihm entdeckt. Dabei bestreitet niemand, dass eine Kombination aus Pap- und HPV-Test mit sorgsam genommenen Zellproben die effektivste Methode ist, möglichst viele potenzielle Krebsvorstufen zu erkennen. Das eigentliche Problem des HPV-Tests sind die vielen Fehlalarme in Bezug auf verdächtige Läsionen, weswegen ihm Ärzte, Fachgesellschaften, Krankenkassen und Genehmigungsbehörden bislang die Anerkennung als taugliche Screeningmethode versagt haben. Der HPV-Test als Screeningmethode würde das auch beim Pap-Test schon ungünstige Verhältnis von potenziell zu tatsächlich gefährdeten Frauen noch ungünstiger gestalten: Vier von fünf Frauen sind irgendwann in ihrem Leben mit Papillomviren infiziert (5). Vor allem unter den Teenagern und Twens ist
25
Anteil der Frauen an der Altersgruppe (%)
20
15
10
5
0 30–34
HPV-positiv in dieser Altersgruppe (%) 14,5%
35–39
8,6%
40–44 45–49 Alter (Jahre)
6,0% 4,4%
50–54
3,4%
55–60
3,8%
Abbildung 3: Anteil HPV-infizierter Frauen nach Altersgruppe (31)
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Krebsvorsorge
die Infektionsrate sehr hoch. Die meisten dieser Infektionen bilden sich innerhalb von Tagen bis Monaten von selbst zurück. Selbst Infektionen mit so genannten Hochrisiko-Virentypen, die vermehrt zu Krebs führen, kommen etwa 10-mal häufiger vor als behandlungsbedürftige Zellveränderungen und 1000-mal häufiger als Todesfälle. Der HPV-Nachweis ist also ein guter Virentest, aber ein schlechter Krebstest. Deshalb erfassen die meisten HPV-Studien erst Frauen ab 30 Jahren. Bei ihnen ist die Infektionsrate deutlich geringer, wodurch auch die Rate an HPV-positiven, aber kolposkopisch unauffälligen Befunden sinkt. Insgesamt, so das Argument der HPV-Befürworter, liesse sich die Zahl der Tests sogar senken, da sich HPV-negative Frauen fünf Jahre lang in Sicherheit wiegen und auf weitere Abstriche und Tests in dieser Zeit verzichten können. Im Grunde würde eine zusätzliche Verwendung des HPVTests die Maschen im Netz der Vorsorge enger knüpfen: Darin würden sich sowohl mehr Läsionen als auch mehr Fehlalarme verfangen. Etliche Studien haben dies bestätigt. Den Untersuchungen haftet jedoch der Makel an, dass sie einmaliges Testen vergleichen. Die Pap-Test-Sensitivität, die sich in den Studien als unbefriedigend herausstellte, würde nach mehrmaligem Testen deutlich steigen. Eine britische Studie an 10 000 Frauen, die sowohl einen HPV-Test als auch einen Pap-Abstrich bekamen, brachte folgendes Ergebnis (31): Der HPV-Test löste 678 Fehlalarme aus, wies 86-mal auf eine behandlungsbedürftige Gewebeveränderung hin und übersah 2 Läsionen. Der Pap-Test kam auf 422 Fehlalarme, 73 korrekt entdeckte Fälle und 15 übersehene. Eine Studie aus Tübingen und Hannover an 7908 ebenfalls doppelt getesteten Frauen, führte zu folgenden Ergebnissen (26): 7372 Frauen waren ohne Befund. 54 Befunde waren sowohl HPV- als auch
Pap-positiv, von denen sich 19 nach Kolposkopie und Biopsie als schwere Läsion herausstellten (CIN II und höher). Ausserdem fanden sich 360 Befunde, die Papnegativ und HPV-positiv waren. Von diesen zeigten 26 behandlungsbedürftige Läsionen. Umgekehrt fand sich unter 122 Befunden, die Pap-positiv und HPV-negativ waren, nur 1 schwere Läsion. Bemerkenswert ist die Interpretation der Daten durch die Autoren: Während die einen aus der Studie klar die Notwendigkeit eines Screenens mit dem HPV-Test herauslesen, betonen die anderen, dass für die Abklärung der vielen HPV-positiven Befunde eine qualitativ hochwertige Kolposkopie notwendig war, die in der Praxis so nicht gegeben ist (32), weshalb der HPVTest nicht zum Screenen eingesetzt werden sollte. Unterschiedlich wird auch der emotionale Schaden eines positiven HPV-Befunds bewertet. Manche Ärzte erleben in ihrer Dysplasiesprechstunde dramatische Gespräche, in denen sie den Frauen bestätigen müssen, dass ihr positiver HPV-Test auch die Untreue ihres Partners bedeuten kann oder sogar bewiesen hat (3). Die HPV-Befürworter halten dem entgegen, dass eine Infektion mit Papillomviren keine sexuell übertragbare Krankheit im engeren Sinn ist und deshalb die Patientinnen beruhigt werden können (33). Bislang zeigen sich Expertengremien, Krankenkassenausschüsse und Behörden diesseits und jenseits des Atlantiks wenig geneigt, den HPV-Test zum Screenen einzusetzen. Den HPV-Test nicht als Screeningmethode zu verwenden, sondern unter Umständen als diagnostisches Instrument nach einem positiven Pap-Test, ist die Empfehlung der American Medical Women’s Association (AMWA), des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände, der Europäischen Kommission, der deutschen Gesellschaft für Zytologie und der Arbeitsgemeinschaft für Zervixpathologie
und Kolposkopie. In den Guidelines der
SGGG heisst es hierzu (5): «Aufgrund der
hohen Prävalenz onkogener HPV-Infektio-
nen ist einleuchtend, dass der HPV-Test
nicht als generelles Screening eingesetzt
werden kann. Somit bleibt er speziellen
Fragestellungen vorbehalten.»
Auf der Tagung in Freiburg Anfang Okto-
ber wurde vor allem von den Frauenärzten
immer wieder eindringlich auf eine wei-
tere Möglichkeit, die Effektivität des Scree-
nens zu steigern, hingewiesen: die Teil-
nahmerate erhöhen. Während deshalb in
Deutschland Krebsgesellschaft, Krebshilfe
und die Fachverbände seit Jahrzehnten
auf eine einseitige Motivierung der weib-
lichen Bevölkerung setzen, gehen die zu-
ständigen Behörden in Grossbritannien ei-
nen anderen Weg: Mit der Einladung zum
Screenen erhält jede Frau auch ein Falt-
blatt, das sowohl über die Vor- als auch
über die Nachteile des Screenens aufklärt,
damit sie, so heisst es explizit, selbst ent-
scheiden kann, ob sie am Programm teil-
nehmen will oder nicht (4).
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Das umfangreiche Literaturverzeichnis kann beim Verlag angefordert werden (info@rosenfluh.ch)
Korrespondenzadresse: Dr. Christian Weymayr
Hafengasse 7 D-72070 Tübingen Tel. 0049-7071-922853 Fax 0049-1212-530183695
E-Mail: Kontakt@krebsvorsorge-aktuell.de
Interessenlage: Christian Weymayr und Klaus Koch sind Autoren des Buchs «Mythos Krebsvorsorge – Schaden und Nutzen der Früherkennung», Eichborn Verlag, Frankfurt 2003. Christian Weymayr gibt den Newsletter «Krebsvorsorge aktuell» heraus. (www.krebsvorsorge-aktuell.de)
A R S M E D I C I 2 2 q 2 0 0 4 1105