Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Ösophaguskarzinom
Eine Übersicht
THE NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
Neuere Fortschritte bei Dia-
gnose, Staging und Therapie
haben zu kleinen, aber signi-
fikanten Verbesserungen
beim Überleben von Patien-
ten mit Speiseröhrenkrebs
geführt.
«Das Ösophaguskarzinom ist eines der weltweit am schlechtesten untersuchten und tödlichsten Krebsleiden», schreiben die Bostoner Onkologen Peter C. Enzinger und Robert J. Mayer in ihrer Übersicht im «New England Journal of Medicine». Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass Speiseröhrenkrebs relativ selten ist und zum Beispiel in den USA erst an siebter, weltweit an sechster Stelle der Krebstodesursachen liegt.
Pathologie
Mehr als 90 Prozent sind entweder Pflasterzell- oder Adenokarzinome, nur selten entwickeln sich auch Melanome, Leiomyosarkome, Karzinoide oder Lymphome in der Speiseröhre. Rund drei Viertel der Adenokarzinome entstehen im distalen Drittel, die Pflasterzellkarzinome verteilen sich hingegen etwa gleich auf mittleres und distales Drittel der Speiseröhre; ein Karzinom im proximalen Drittel ist sehr ungewöhnlich.
Die Pathogenese bleibt unklar. Tierexperimentelle Daten lassen auf oxidative Schäden als Mechanismus schliessen, die durch Rauchen oder gastroösophagealen Reflux hervorgerufen werden und über Entzündungsreaktionen, Ösophagitis und erhöhten Zellumsatz zur Karzinogenese führen können. Hat sich ein Speiseröhrenkarzinom einmal entwickelt, breitet es sich oft rasch aus. Bei Diagnosestellung hat mehr als die Hälfte der Patienten entweder einen nichtresezierbaren Tumor oder radiologisch sichtbare Metastasen.
Ätiologische Faktoren
Rauchen ist sowohl mit einem erhöten Risiko für Pflasterzell- wie auch Adenokarzinome assoziiert. Man stellt sich vor, dass verschluckte Tabakkondensate, vor allem Nitrosamine, in Kontakt mit der Speiseröhren-Schleimhaut treten. Das Risiko durch Rauchen korreliert direkt mit der Zahl täglich gerauchter Zigaretten und mit der Dauer der Exposition. Eine zurückliegende Radiotherapie des Mediastinums, etwa im Rahmen der Behandlung von Brustkrebs oder Lymphomen, prädisponiert zu beiden histologischen Typen von Speiseröhrenkrebs, wobei die Latenz typischerweise zehn und mehr Jahre beträgt.
Pflasterzellkarzinom
Jede chronische Irritation und Entzündung der Schleimhaut scheint die Inzidenz von Pflasterzellkarzinomen zu erhöhen. Ein substanzieller Alkoholkonsum, vor allem zusammen mit Tabakrauchen, erhöht das Risiko für Pflasterzell- (nicht aber Adeno-)karzinome deutlich und dürfte in den wirtschaftlich entwickelten Ländern über 90 Prozent der Fälle verursachen.
Merk-
sätze
q Rauchen, massiver Alkoholkonsum und chronische Refluxsymptome gelten als Risikofaktoren für Speiseröhrenkrebs.
q Beim Barrett-Ösophagus wird eine regelmässige endoskopische Überwachung empfohlen.
q Das Fünfjahres-Überleben ist schlecht, hat aber von 4 Prozent in den Siebzigerjahren auf derzeit 14 Prozent zugenommen.
q Bei resezierbarem Tumor wird die Ösophagektomie angestrebt.
q Sowohl Pflasterzell- wie Adenokarzinome sprechen auf Chemotherapie an.
q Eine prompte Palliation kann bei Dysphagie durch Ballondilatation, Einlage eines beschichteten Metallstents, Laserablation oder fotodynamische Behandlung erreicht werden.
Andere chronische Irritationsursachen sind Achalasie und Speiseröhrendivertikel. Auch eine Verätzung beispielsweise durch Laugen muss Anlass zur sorgfältigen Überwachung der Speiseröhrenschleimhaut sein. Sehr selten ist auch eine genetische Disposition ursächlich und äussert sich in familiären Clustern der Erkrankung. Das Pflasterzellkarzinom ist – im Gegensatz zum Adenokarzinom – klar mit einem tiefen sozioökonomischen Status assoziiert.
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Ösophaguskarzinom
Adenokarzinom
Menschen mit rezidivierenden Refluxsymptomen haben ein achtfach erhöhtes Risiko für ein Adenokarzinom der Speiseröhre. Andere Marker für eine Refluxerkrankung wie Hiatushernie, Ösophagusulzera oder häufiger Konsum von Antazida oder H2Antagonisten sind keine unabhängigen Risikofaktoren. Medikamente, die den gastroösophagealen Sphinkter relaxieren und damit einen Reflux begünstigen, wie Anticholinergika, Aminophylline oder Betablocker, könnten bei bis zu 10 Prozent der Speiseröhren-Adenokarzinome zur Entstehung beitragen, wobei die Resultate entsprechender Untersuchungen aber widersprüchlich sind. Als unbewiesene Hypothese bezeichnen die Autoren die Vorstellung, dass eine Helicobacter-Infektion (besonders mit CagA-positiven Stämmen) das Risiko für schweren Reflux mindern und so einen Schutz vor SpeiseröhrenAdenokarzinomen bieten könne. Hingegen wird angenommen, dass die Zunahme der Fettleibigkeit in den westlichen Ländern über die Erhöhung des intraabdominalen Drucks und die Förderung von Reflux zur steigenden Inzidenz von Adenokarzinomen beitragen kann. Entsprechende Studien sind aber bisher widersprüchlich. Ein Barrett-Ösophagus im untersten Speiseröhrenbereich entwickelt sich bei 5 bis 8 Prozent der Patienten mit chronischer Refluxkrankheit. Zunächst wird dabei das normale Pflasterzellepithel durch zylindrisches Epithel ersetzt, in dem sich Metaplasien entwickeln können. Patienten mit Barrett-Ösophagus tragen ein erhöhtes Risiko für ein Adenokarzinom, die jährliche neoplastische Transformationsrate soll ungefähr 0,5 Prozent betragen. Bemerkenswert und bisher nicht befriedigend erklärt ist eine Zunahme der Adenokarzinome und eine Abnahme der Pflasterzellkarzinome der Speiseröhre, sodass heute in den USA und auch anderswo wahrscheinlich mehr neue Fälle von Adeno- als von Pflasterzellkarzinomen beobachtet werden. Als Ursache dieser Entwicklung vermutet werden Trends bei Rauchen und Fettleibigkeit sowie Ände-
rungen bei der Ernährung und der Einsatz von Medikamenten.
Prävention, Screening
Rauchstopp und Mässigung beim Alkoholkonsum sind wichtige Schritte zur Reduktion des Risikos für Plattenepithelkarzinome der Speiseröhre. Zehn Jahre nach dem Verzicht aufs Rauchen reduziert sich das Risiko substanziell. Im Gegensatz dazu nimmt das Risiko für Adenokarzinome auch 30 Jahre nach Rauchstopp nicht ab. Der Ersatz stark gesalzener, mit Nitrosaminen oder mikrobiellen und Pilztoxinen kontaminierter Lebensmittel könnte das Risiko für Speiseröhrenkrebs halbieren. Die relativ tiefe Inzidenz, die fehlenden Frühsymptome und die Seltenheit hereditärer Formen machen ein Screening auf Bevölkerungsebene bei dieser Erkrankung nicht sinnvoll. Patienten mit Barrett-Ösophagus sind hingegen Kandidaten für eine endoskopische Überwachung. Einige Experten empfehlen die Endoskopie alle drei Jahre, wenn keine epitheliale Dysplasie vorliegt, und öfter bei geringgradiger Dysplasie. Eine Behandlung mit ProtonenpumpenInhibitoren (PPI) bessert die Symptome bei gastroösophagealem Reflux und führt bei den meisten Patienten zum vollständigen Abheilen einer erosiven Ösophagitis und leistet damit einen Beitrag zur Prävention, schreiben Peter C. Enzinger und Robert J. Mayer. Beim Barrett-Ösophagus kann die Abtragung von abnormem Epithel in Kombination mit PPI eine Umwandlung zu normalem Pflasterepithel bewirken. Ob diese Behandlungsstrategie tatsächlich zu einer Reduktion des Krebsriskos führt, ist unbekannt. Eine dokumentierte hochgradige Dysplasie (also ein Carcinoma in situ) wird als Indikation für eine Ösophagektomie angesehen, da bei der Resektion häufig ein invasiver Tumor gefunden wird. Bei Patienten in schlechtem Zustand ist die endoskopische Schleimhautablation eine Alternative. Ohne Therapie entwickelt etwa die Hälfte der Patienten mit hochgradiger Dysplasie innert drei Jahren ein invasives Karzinom.
Diagnose
Die meisten Patienten mit Speiseröhrenkrebs klagen über Dysphagie (74%), und ein Teil auch über Schmerzen beim Schlucken (Odynophagie, 17%). Bei mehr als der Hälfte liegt auch ein Gewichtsverlust vor. Beträgt er mehr als 10 Prozent der Körpermasse, ist er ein unabhängiger Indikator für eine schlechte Prognose. Eine langzeitige Refluxanamnese ist zwar bei diesen Patienten häufig (21%), die Refluxkrankheit an sich ist jedoch häufig und mündet bei der überwiegenden Mehrzahl der Betroffenen nicht in ein Ösophaguskarzinom. Seltenere Symptome sind Dyspnoe, Husten oder Schmerzen (retrosternal, im Rücken oder im rechten oberen Abdominalquadranten); sie können auf eine ausgedehnte, nichtresezierbare Erkrankung hindeuten. Bei der Abklärung zeigt sich im Röntgenbild nach Barium-Schluck typischerweise eine Striktur oder Erosion, endoskopisch eine verletzliche, ulzerierte Masse. Das Computertomogramm von Brust, Abdomen und Becken kann Metastasen darstellen. Bei Patienten mit vermuteter lokalisierter Erkrankung kann ein endoskopischer Ultraschall weitere Hinweise auf die Tiefe der Tumorinvasion sowie den lokalen Lymphknotenbefall und damit auf das genaue Stadium liefern. In manchen Zentren hat die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) das invasive thorakoskopische und laparoskopische Staging ersetzt. Standard-Tumormarker haben beim Speiseröhrenkrebs eine geringe Sensitivität und Spezifität und sind damit für Screening, Rezidivsuche oder Abschätzung von Therapieansprechen oder Prognose von geringem Wert. Bei Diagnosestellung haben über 50 Prozent der Patienten einen nichtresezierbaren oder metastasierenden Tumor. Unter primär operierten Patienten zeigt die Erkrankung in 13 bis 20 Prozent ein Stadium I, in 14 bis 27 Prozent ein Stadium IIA, in 7 bis 16 Prozent ein Stadium IIB und in 40 bis 54 Prozent ein Stadium III. Die Stadienverteilung bei Diagnosestellung ist für Pflasterzell- und Adenokarzinome relativ ähnlich.
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Ösophaguskarzinom
Das Fünfjahres-Überleben insgesamt ist schlecht, hat aber von 4 Prozent in den Siebzigerjahren auf derzeit 14 Prozent zugenommen. Nach vollständiger Tumorentfernung haben Patienten im Stadium 0 (in situ) ein Fünfjahres-Überleben von mehr als 95 Prozent, für Stadium I beträgt es 50 bis 80 Prozent, für Stadium IIA 30 bis 40 Prozent, Stadium IIB 10 bis 30 Prozent und Stadium III 10 bis 15 Prozent. Das mediane Überleben von Patienten mit Fernmetastasen (Stadium IV), die eine palliative Chemotherapie erhalten, erreicht weniger als ein Jahr.
Behandlung bei fortgeschrittener Erkrankung (Stadium IV)
Beide histologischen Typen des Ösophaguskarzinoms sprechen auf Chemotherapie an. Eine Reduktion des Tumors um mindestens 50 Prozent kann bei 15 bis 30 Prozent der Patienten erzielt werden, die mit Fluorouracil, einem Taxan (Paclitaxel [Taxol®] oder Docetaxel [Taxotere®]) oder Irinotecan (Campto®) behandelt werden. Eine ähnliche Therapieantwort wurde bei 35 bis 55 Prozent beobachtet, wenn Cisplatin mit diesen Substanzen kombiniert wird. Zwar kann eine Chemotherapie die Symptome bei vielen Patienten lindern, die palliative Wirkung hält aber typischerweise nur wenige Monate an, und das Überleben ist kurz. Kombinationstherapien erreichen häufiger eine Tumorreduktion als Monotherapien, dieser Vorteil muss aber im Einzelfall gegen die Nachteile der höheren Toxizität abgewogen werden. Pflasterzellkarzinome scheinen etwas besser auf Mono- oder Kombinationschemotherapie anzusprechen.
Management bei lokalisiertem Ösophaguskarzinom
Zur Ösophagektomie kann ein transhiataler oder transthorakaler Zugang gewählt werden. Die beiden Verfahren zeigten in retrospektiven und prospektiven Studien keine signifikanten Unterschiede bei Überlebensraten und Operationsmortalität. Multizentrische randomisierte Studien neueren Datums ergaben Resektionsraten
von 54 bis 69 Prozent, eine Operationsmortalität von 4 bis 10 Prozent sowie Komplikationsraten (kardiopulmonal, Infektionen, Anastomoselecks) von 26 bis 41 Prozent. Allein chirurgisch behandelte Patienten hatten ein medianes Überleben von 13 bis 19 Monaten, Zweijahres-Überlebensraten von 35 bis 42 Prozent und Fünfjahres-Überlebensraten von 15 bis 24 Prozent. Der wichtigste Vorteil einer primären Radiotherapie ist die Vermeidung der perioperativen Morbidität und Mortalität. Die primäre Bestrahlung ist aber wahrscheinlich als palliatives Verfahren zur länger dauernden Linderung von Dysphagie und Odynophagie nicht so effektiv wie die Operation und zudem mit einer höheren Wahrscheinlichkeit katastrophaler Komplikationen wie Ösophagotrachealfisteln behaftet. Angesichts der enttäuschenden Ergebnisse mit alleiniger Operation oder Radiotherapie sind verschiedene Modalitäten von Kombinationstherapien studiert worden. Für die präoperative Radiotherapie konnte kein Überlebensvorteil nachgewiesen werden. Für die präoperative Chemotherapie ergaben zwei grosse Multizenterstudien widersprüchliche Ergebnisse. Sollte die Kombination von Cisplatin und Fluorouracil präoperativ Vorteile bieten, kann der Behandlungsnutzen aber nur klein sein, resümieren die Autoren. Ebenfalls auf schwachen Füssen steht nach ihrer Einschätzung die Kombination von Chemo- und Radiotherapie vor dem chirurgischen Eingriff. Hierzu gibt es etliche, allerdings kleine Studien, von denen nur eine einzige einen Überlebensvorteil fand. Eine postoperative Chemo- und Radiotherapie wird bei nicht vollständiger chirurgischer Tumorentfernung oft vorgeschlagen, kann sich aber nicht auf einwandfrei dokumentierte Erfolge stützen. Die alleinige Radiotherapie vermag Ösophaguskarzinome kaum zu heilen, in Kombination mit einer Chemotherapie (Cisplatin und Fluorouracil) wurde über ein Langzeitüberleben bei rund einem Viertel der Patienten berichtet, vergleichbar demjenigen nach alleiniger Operation.
Kontrolle der Symptome
Die Operation bietet die beste kurz- und
langfristige Palliation bei Dysphagie. Nach
chirurgischer Resektion wird zudem selte-
ner eine Dilatation oder Stenteinlage not-
wendig als nach Chemotherapie oder
Bestrahlung. Bei Patienten mit nichtrese-
zierbarem Tumor scheint eine Cisplatin-
basierte Chemotherapie hinsichtlich der
Dysphagie ebenso effektiv wie die Radio-
therapie und kann auch Metastasen be-
einflussen. Eine Besserung oder Beseiti-
gung der Dysphagie kann bei 70 bis 90
Prozent der Patienten unter Chemothera-
pie nach zwei bis sechs Wochen erwartet
werden. Eine prompte Palliation kann bei
Dysphagie auch durch Ballondilatation,
Einlage eines beschichteten Metallstents,
Laserablation oder fotodynamische Be-
handlung erreicht werden.
Die Entwicklung einer ösophagotrachea-
len Fistel ist eine lebensbedrohliche Kom-
plikation bei Speiseröhrenkrebs. Häufigste
Initialsymptome sind Husten, Aspiration
und Fieber; oft kommt es zur Pneumonie.
Die Entwicklung geeigneter Stents hat die
Behandlung dieses Problems revolutio-
niert. Fast alle malignen Fisteln können
heute auf diese Weise verschlossen wer-
den, mit substanziellem Gewinn an Le-
bensqualität für die Betroffenen.
q
Peter C. Enzinger, Robert J. Mayer (Department of Medical Oncology, DanaFarber Cancer Institute; Department of Medicine, Brigham and Women’s Hospital; Department of Medicine, Harvard Medical School, Boston/USA): Esophageal cancer. New Engl. J. Med. 2003; 349: 2241–2252.
Halid Bas
Interessenkonflikte werden in der Originalpublikation nicht deklariert.
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