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Schmerzen in Hüfte und Knien
Ein kleines ABC aus der Sicht eines orthopädischen Chirurgen
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Schmerzen in der Hüfte oder
im Knie sollten immer
zunächst an die jeweils
typischen und häufigen
Ursachen denken lassen.
Schmerzen in der Hüfte
Kinder Kinder mit einer Hüfterkrankung können weder Schmerzen noch eine Unfallanamnese zeigen, sondern nur ein unerklärliches Hinken. Nicht direkt erklärbare Knieschmerzen sollten immer auch an eine Hüftabnormität denken lassen. Kongenitale Hüftluxation: Durch das Ultraschall-Screening sollte diese Störung eigentlich ausgeschlossen sein, vereinzelte Fälle zeigen Verzögerung beim Gehenlernen, Hinken oder eine Beinlängendifferenz. Solche Kinder werden im Allgemeinen vor dem Alter von fünf Jahren zum Arzt gebracht. Die verpasste Diagnose kann später zu inkongruentem Gelenk und frühzeitiger Arthrose im Erwachsenenalter führen. Morbus Perthes: Die Desintegration des Femurkopfs mit nachfolgender Heilung und Verformung der Hüfte tritt gewöhnlich bei Knaben zwischen 5 und 10 Jahren auf. Die genaue Ursache ist unklar, als wahrscheinlich gilt eine segmentale avaskuläre Nekrose des Femurkopfes. Hinken, Hüft- oder Knieschmerzen können Zeichen sein. Die Therapie zielt darauf ab, den Femurkopf im Acetabulum zu halten,
um späteren arthrotischen Veränderungen vorzubeugen. Proximale femorale Epiphysenlösung: Sie kommt typischerweise bei hypogonadalen übergewichtigen Knaben vor, obwohl auch Mädchen betroffen sein können. Auch hier wird der Schmerz oft ins Knie projiziert. Die Diagnose ist nicht immer einfach, allenfalls hilft eine Röntgenaufnahme in Spezialprojektion. Eine chirurgische Stabilisierung ist dringend, um ein weiteres Abgleiten entlang des Epiphysenspalts zu verhindern. Die kontralaterale Hüfte ist oft ebenfalls von einer Epiphysenlösung bedroht (Warnzeichen zuhanden der Eltern: erneutes Hinken oder Schmerzen). Septische Arthritis: Sie ist relativ ungewöhnlich, sollte aber vermutet werden, wenn ein Kind in klinisch schlechtem Zustand und gehunfähig ist. Schmerzbedingt ist das Hüftgelenk unbeweglich. Die Diagnose stützen erhöhte Leukozyten und Senkungsreaktion sowie allenfalls die sonografische Darstellung eines Gelenkergusses. Die dringende chirurgische Drainage ist zur Verhütung einer späteren Arthrose ausschlaggebend. Die Diagnose ist besonders bei Neugeborenen schwierig. Meist ist Staphylococcus aureus der ursächliche Erreger. Transiente Synovitis: Ein reaktiver, allenfalls ultrasonografisch darstellbarer Gelenkerguss kann im Rahmen von systemischen viralen Erkrankungen auftreten. Betroffene Kinder sind gewöhnlich nicht akut krank und können die Hüfte bewegen. Im Allgemeinen ist die Störung selbstlimitierend. Auch ein M. Perthes kann im Frühstadium einen Gelenkerguss ohne radiologische Veränderungen verursachen. Andere Arthritiden: Die juvenile chronische Arthritis kann sich zunächst in Hüft-
Merk-
sätze
q Hüft- und Knieschmerzen haben bei Kindern meist andere Ursachen als im Erwachsenenalter.
q Hüftschmerzen werden bei Erwachsenen meist in der Leiste oder auf der Oberschenkelvorderseite angegeben, an projizierte Schmerzen im Knie ist immer auch zu denken.
q Steroide dürfen nur nach sicherem Ausschluss einer Sepsis ins Kniegelenk gespritzt werden.
schmerzen äussern. Das umfassende Management der Arthritis ist wichtig und muss Physiotherapie zur Verhütung von Kontrakturen einschliessen.
Erwachsene Vom Hüftgelenk ausgehender Schmerz wird normalerweise in der Leiste oder auf der lateralen oder vorderen Seite des Oberschenkels lokalisiert. Eine Schmerzprojektion ins Knie kann leicht falsch interpretiert werden. Schmerzen im Gesäss können auch einmal von der Hüfte ausgehen, in der Regel ist aber die lumbale Wirbelsäule anzuschuldigen. Erkrankungen der Hüfte führen oft zu Hinken, reduzierter Gehstrecke und Steifigkeit, die im Alltag hinderlich ist, etwa beim Ein- und Aussteigen aus der Badewanne, Schuhebinden oder bei der Fusspflege. Eine Übersicht der häufigen Ursachen für Hüftschmerzen gibt Tabelle 1. Arthrose: Sie ist eine der häufigsten Ursa-
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Schmerzen in Hüfte und Knien
Tabelle 1: Ursachen für Hüftschmerzen bei Erwachsenen
q Hüftgelenksarthrose
q entzündliche Arthritiden: – rheumatoide Arthritis – Psoriasis-Arthritis – ankylosierende Spondylitis
q Hüftfraktur
q Morbus Paget
q Avaskuläre Nekrose
q Malignome
q Infektion
q schmerzhafte Weichteilaffektionen: – Trochanter-Bursitis – schnellende Iliopsoas-Sehne – Labrumabriss
chen von Hüftschmerzen bei Erwachsenen. Meist sind die Betroffenen über 60 Jahre alt, eine Hüftgelenksarthrose kann aber in jedem Alter auftreten. Ruhigstellung, einfache Analgesie oder ein Gehstock können den Schmerz oft lindern. Im Extremfall kommt es zu einer Beinverkürzung mit fixierter Flexion und Adduktionsdeformität. Der totale Hüftgelenksersatz ist zur Schmerzlinderung effektiv. Entzündliche Arthritiden: Rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis und ankylosierende Spondylitis können auch Hüftschmerzen verursachen. Die ankylosierende Arthritis geht besonders oft mit Steifigkeit einher. Oft ist ein Hüftgelenksersatz notwendig. Hüftfrakturen: Durch Osteoporose bedingte Hüftfrakturen sind bei älteren Frauen epidemisch. Diagnostisch sind Sturz, Aussenrotation und Verkürzung des Beins. Eine nichtdislozierte Fraktur kann radiologisch zunächst nicht sichtbar sein und noch Gewichtsbelastung erlauben. Im Zweifelsfall helfen wiederholte Röntgenbilder, ein Knochenscan oder MRI weiter. Die Therapie besteht in chirurgischer Stabilisierung oder Ersatz des Femurkopfs. Oft besteht eine beträchtliche Komorbidität.
Morbus Paget: Diese Erkrankung erfasst oft auch das Becken und verursacht Hüftschmerzen. Eine Behandlung mit Bisphosphonaten kann die Schmerzen lindern. Zu achten ist auf eine begleitende Hüftgelenksarthrose. Avaskuläre Nekrose: Die meist idiopathische segmentale Nekrose des gewichtstragenden Abschnitts des Femurkopfes kann progressive Schmerzen und Hinken, später eine sekundäre Arthrose verursachen. Das MRI erlaubt eine Diagnose in frühen Stadien. Sind einmal radiologische Zeichen vorhanden, haben chirurgische Massnahmen zur Verhinderung der Progression weniger Erfolgsaussichten. Am Ende steht oft der Hüftgelenksersatz. Malignome: Metastasen in Beckenknochen oder proximalem Femur können Hüftschmerzen auslösen. Lokale Radiotherapie oder Bisphosphonate können Schmerzlinderung bringen. Bei drohender Fraktur kann eine chirurgische Stabilisierung erfolgen. Primäre Knochentumoren sind extrem seltene Ursachen für Hüftschmerzen. Infektion: Bei Erwachsenen ist die primäre septische Hüftgelenksarthritis selten, kommt aber mit schleichendem Beginn bei Immunkompromittierten vor. Ein Röntgenbild oder die Ultraschalluntersuchung können einen Erguss darstellen. Gewöhnlich ist eine chirurgische Drainage notwendig. Trochanter-Bursitis: Die normalerweise selbstlimitierende Entzündung der Bursa zwischen Trochanter major und Fascia lata führt typischerweise zu Schmerzen über dem Trochanter, nicht aber in der Leiste. Therapeutisch helfen können Ruhigstellung, lokale Physiotherapie, NSAR und allenfalls Injektion eines Lokalanästhetikums und Kortikosteroids. Schnellende Iliopsoas-Sehne: Beim Übergang von Extension zu Flexion kommt es zu einem schmerzhaften «Klicken» in der Leiste. Ansonsten ist die Hüfte normal. Eine chirurgische Sanierung kann notwendig werden. Labrumabriss: Diese Läsion führt zu Schmerzen in der Leiste bei Rotationsbewegungen der Hüfte. Der Befund kann im MRI dargestellt und das gerissene Labrum acetabuli arthroskopisch entfernt werden.
Knieschmerzen
Knieschmerzen können spontan oder nach Trauma auftreten. Steifigkeit oder die Unfähigkeit, das Knie voll zu strecken, deuten auf einen Erguss hin. Bei Erguss verstreichen auch die Eindellungen seitlich der Patella. Knieschmerzen können auch durch Projektion von der Hüfte entstehen. Da das Kniegelenk der Körperoberfläche näher liegt als das Hüftgelenk, gibt der Ort von Spontan- oder Druckschmerz gute Hinweise auf die genauere Lokalisation.
Kinder Vorderer Knieschmerz ist bei adoleszenten Mädchen anzutreffen. Als Ursache ist eine Aufweichung des Knorpels auf der Patellahinterseite anzusehen. Dieser Schmerz verschwindet gewöhnlich mit der skelettalen Ausreifung. Patellasubluxation: Sie kommt bei Mädchen in Zusammenhang mit einer schlechten Führung der Patella, allenfalls zusammen mit tibialen Torsionsdeformitäten oder Valgus-Knien, vor und spricht auf Physiotherapie an. Morbus Osgood-Schlatter: Diese Osteochondritis kommt bei adoleszenten Knaben vor. Symptome sind lokalisierter Schmerz und Druckdolenz an der Ansatzstelle der Patellarsehne. Da die Störung selbstlimitierend ist, bedarf sie nur einer analgetischen Behandlung.
Erwachsene Trauma: Sportverletzungen des Knies sind häufig (Tabelle 2). Stürze aus einiger Höhe und schwere Traumata können intraartikuläre Frakturen hervorrufen, die dringend orthopädisch behandelt werden müssen. Schwellung, Rötung und Schmerz: Eine akute Gelenkentzündung kann diese Symptome sehr ausgeprägt erscheinen lassen. Eine septische Arthritis sollte bei begleitenden Allgemeinsymptomen ausgeschlossen werden. Diese können allenfalls durch eine Steroidbehandlung verschleiert werden. Zur genaueren Diagnostik muss eine Kniepunktion durchgeführt und das Aspirat kulturell untersucht werden. Auch soll die
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Schmerzen in Hüfte und Knien
Tabelle 2: Sportverletzungen am Knie
Mechanismus Verdrehung beim Fussball
Valgusbelastung
Symptome plötzlicher Schmerz und Schwellung
medialer Schmerz und Druckempfindlichkeit, kein Erguss
Ursache Hämarthros wegen Kreuzbandriss oder grösserem Meniskusabriss gerissenes mediales Seitenband
Gelenkflüssigkeit auf Kristalle untersucht werden. Intraartikuläre Steroide dürfen nie appliziert werden, solange eine Sepsis nicht ausgeschlossen werden kann. Chronische Schwellung und Schmerz: Die Kniegelenksarthose befällt gewöhnlich das mediale Kompartiment. Ein Gelenkerguss kann vorliegen, zusammen mit Druckschmerz am medialen Gelenkspalt. Eine rheumatoide Arthritis (ebenso wie andere entzündliche Arthritiden) kann auch am Knie eine Synovitis mit Erguss hervorrufen und schliesslich zu einer Valgusdeformität führen. Wenn konservative Therapien versagen, ist ein totaler Gelenkersatz zu erwägen.
Chronischer Schmerz und Instabilität: Rezidivierender medialer Gelenkschmerz, Instabilität und Druckempfindlichkeit können sowohl auf einem chronischen medialen Meniskusriss als auch auf einer Arthrose beruhen. Bei Arthrose kann es zu Knorpelablösungen kommen, die zu Instabilität und intermittierendem Schmerz führen und manchmal palpabel sind. Auch eine Osteochondrosis dissecans kann Schmerzen und Schwellung sowie das Gefühl, dass das Knie nachgibt, hervorrufen. Typische Lokalisationen für solche Knorpelablösungen sind der mediale Femurkondylus und die Rückseite der Patella. Eine chronische Instabilität kann
auf eine alte Ruptur des vorderen Kreuz-
bands zurückgehen. Eine chirurgische Sa-
nierung ist bei ausgeprägter Instabilität
oder bei professionellen Sportlern indi-
ziert.
Lokalisierter Schmerz mit Schwellung:
Bursae kommen an verschiedenen Stellen
ums Knie vor. Schwellungen über dem
Ligamentum patellae kommen bei lang-
fristigem häufigem Knien vor, geeignete
Kniepolster bringen Abhilfe. Baker-Zysten
in der Kniekehle sind gewöhnlich Zeichen
einer zugrunde liegenden Knieerkrankung
und sprechen auf eine Behandlung der
Synovitis an. Die chirurgische Entfernung
ist potenziell nicht ohne Gefahren, und
Rezidive sind häufig.
q
Andrew J. Hamer (Consultant Orthopaedic Surgeon, Northern General Hospital, Sheffield/UK): Pain in the hip and knee. Brit. Med. J. 2004; 328: 1067– 1069.
Halid Bas
Interessenkonflikte: keine
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