Transkript
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Verletzungen und überlastungsbedingte Schäden am Fuss
Chronische Überlastungen im Mittel- und Vorfussbereich
REINHARD WITTKE
Die Füsse sind naturgemäss
besonders hohen Belastungen
ausgesetzt, schliesslich ruht
auf ihnen das gesamte Kör-
pergewicht. Kommen dann
noch spezielle Herausforde-
rungen auf sie zu, wie die
Bergtour eines ungeübten
Wanderers, intensives Schuss-
training beim Fussballprofi
oder einfach nur eine massive
Adipositas, kann es leicht zu
Schäden an Knochen, Sehnen
oder Bändern kommen.
Allein aus der Schmerzlokalisation lassen sich oft schon ausreichende Rückschlüsse auf das Krankheitsbild ziehen. Die therapeutische Palette reicht von Antiphlogistika über Einlagen, Gips-Ruhigstellungen, Tapes und Steroid-Injektionen bis zur Operation. Wer einmal umknickt, dem passiert dieses Missgeschick danach meist noch öfter. Und wiederholte Inversionstraumen des oberen Sprunggelenks können schliesslich zu einem so genannten Sinus-tarsi-Syn-
drom führen. Das im Sinus tarsi gelegene Lig. talocalcaneum interosseum ist dabei dauerhaft geschädigt. Die Betroffenen können Dehnungsreize nicht mehr ausreichend wahrnehmen, was eine Instabilität des Sprunggelenks nach sich zieht. Die Folge sind Schmerzen vor dem Aussenknöchel, zunächst unter Belastung, später auch in Ruhe. Therapeutisch bieten sich eine Entlastung des äusseren Fussrands (Erhöhung) beziehungsweise Schuheinlagen mit Aussenranderhöhung an. Ausserdem kann ein gezieltes funktionelles Training der Propriozeption (Therapiekreisel, Minitrampolin, Weichmatte) die Stabilität des Sprunggelenks erhöhen. Eine lokale Infiltration mit einem Steroid-Präparat in den Sinus tarsi ist oft hilfreich (Abbildung 1). Beim Sport sollten knöchelstabilisierende Bandagen getragen werden. Eine operative Revision des rupturierten Bands ist nicht notwendig und auch nicht erfolgreich.
Exostose durch Schusstraining
Klagt ein Fussballspieler über belastungsabhängige Schmerzen im vorderen Knöchelbereich zwischen Tibiavorderkante und Talushals, sollten Sie an ein so genanntes vorderes Schienbein-Kompressionssyndrom denken. Auslöser des Beschwerdebilds sind wiederholte Mikrotraumen der ventralen Gelenkkapsel, wie sie zum Beispiel beim forcierten Schusstraining beim Fussball zustande kommen. Die Schmerzen verstärken sich bei aktiver oder passiver Dorsalflexion des Fusses. Im Röntgenbild lässt sich häufig eine Exostose am Talushals erkennen, die eine Dehnung der Wadenmuskulatur verhindert. Die Therapie beschränkt sich auf lokale Infiltrationen (Abbildung 2) und Verbände
Merk-
sätze
q Therapeutisch ist eine Vorfusspolsterung in gut angepassten Schuheinlagen sinnvoll und im akuten Stadium Tapeverbände und NSAR oral.
q Antiphlogistische Massnahmen in Verbindung mit einer Immobilisation in der Castschiene bringen schnelle Erleichterung bei einer Tendinitis der Extensoren.
q Auf Dauer ist beim Hallux valgus nur die operative Korrektur erfolgversprechend.
beziehungsweise eine kurzzeitige Ruhigstellung in einer Castschiene. Bei anhaltenden Beschwerden bleibt nur die operative Entfernung der Exostose.
Schneeballknirschen beim Bergwanderer
Ist der Fussrücken schmerzhaft geschwollen und überwärmt, liegt der Verdacht auf eine Tendinitis/Tendovaginitis der Extensorenmuskeln nahe. Die Beschwerden entstehen häufig durch eine einmalige akute Überlastung (Bergwandern, lange Läufe etc.) ohne adäquates Training beim so genannten «Weekend Warrior». Wenn Sie das typische Schnellballknirschen bei der schmerzhaften Flexion und Extension des Fusses hören können, ist die Diagnose gesichert. Antiphlogistische Massnahmen mit NSAR, topisch und eventuell auch oral, in Verbindung mit einer Immobilisa-
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Verletzungen und überlastungsbedingte Schäden am Fuss
Tabelle 1: L e i t s y m p t o m e u n d B e h a n d l u n g v o n h ä u f i g e n c h r o n i s c h e n Überlastungsschäden im Mittelfussbereich
Krankheitsild
Leitsymptom
Behandlungsmassnahme
Sinus-tarsi-Syndrom
Instabilität des Sprunggelenks, Druckschmerz, Schwellung im Sinus tarsi
Steroid-Infiltration, stabilisierende Einlagen, Propriozeptionstraining
Vorderes Schienbein-KompressionsSyndrom
Schmerz bei der Dorsalflexion des Fusses, Druckschmerz am Talushals
Steroid-Infiltration, Castschiene, Operation
Tendovaginitis der Extensorensehnen Schwellung, Überwärmung, Rötung, Schneeballknirschen
Verbände, Castschienen, NSAR (topisch/oral)
Tarsaltunnelsyndrom
Druckschmerz, Schwellung hinter dem Innenknöchel, verstärkt beim Anheben des Fussaussenrands
Steroid-Infiltration, antiphlogistische Verbände, Einlagen
Ermüdungsfraktur oder Osteochondrose Schmerz und Schwellung am medialen
des Os naviculare (M. Köhler I)
Fussrand
Unterschenkelgehgips 4 Wochen, Einlagen
Os tibiale externum
Fussinnenrandschmerz nach Eversionstrauma Steroid-Infiltration, antiphlogistische Verbände, stabilisierende Einlagen, evtl. Operation
tion in der Castschiene bringen schnelle Erleichterung.
Senkfuss drückt auf Tarsaltunnel
Schwellung und Druckschmerz hinter dem Innenknöchel sowie Schmerzen beim Anheben des äusseren Fussrandes deuten auf ein Tarsaltunnelsyndrom hin. Hinter dem Innenknöchel werden die Sehnen des M. tibialis posterior sowie des M. flexor digitorum unter dem Retinaculum im Tarsaltunnel umgeleitet. Der Schmerz entsteht durch eine Kompression des N. tibialis, wenn die Sehne beziehungsweise die Sehnenscheiden durch Überlastung verdickt sind und mehr Raum beanspruchen
als vorgesehen. Prädisponierend wirkt sich ein Senkfuss mit Hyperpronation aus. Deshalb darf neben den akuten antientzündlichen Massnahmen in der Therapie die Verordnung von stabilisierenden Schuheinlagen mit einer Innenranderhöhung (0,3 cm) nicht vergessen werden. Die Steroid-Injektion in den Tarsaltunnel (cave: Arteria tibialis posterior!) lindert rasch die Schmerzen (Abbildung 3).
Ermüdungsbruch oder Knochennekrose?
Wenn ein Läufer über Schmerzen im Bereich des medialen Fussrands klagt, die ihn zum Schonhinken und zum Auftreten mit dem lateralen Fussrand zwingen, liegt
wahrscheinlich ein Ermüdungsbruch des Os naviculare pedis vor. Handelt es sich allerdings um ein Kind, sollte man am ehesten an eine aseptische Knochennekrose des Os naviculare (M. Köhler I) denken. Im Röntgenbild kommen beide Krankheitsbilder gut zur Darstellung. Beim M. Köhler I finden sich im Initialstadium sowohl eine Strukturauflockerung im Os naviculare (Demineralisierung) wie auch eine Verdichtung (Sklerosierung) nebeneinander. Später tritt eine Kondensation beziehungsweise eine Fragmentation mit Grössenabnahme des Naviculare beziehungsweise ein scholliger Zerfall auf (Abbildung 4). Therapeutisch empfiehlt sich bei starken Beschwerden anfangs ein Unterschenkelgehgips über mehrere Wochen.
Abbildung 1: Injektion in den Sinus tarsi bei Sinus-tarsi-Syndrom (Läsion des Lig. interosseum)
Abbildung 2: Injektionstechnik bei vorderem Schienbein-Kompressionssyndrom
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Abbildung 3: Injektion in den Tarsaltunnel bei Tarsaltunnelsyndrom
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Verletzungen und überlastungsbedingte Schäden am Fuss
Tabelle 2: L e i t s y m p t o m e u n d B e h a n d l u n g v o n h ä u f i g e n c h r o n i s c h e n Überlastungsschäden im Vorfussbereich
Krankheitsbild Spreizfuss
Hallux valgus
Hallux rigidus
Mittelfussköpfchen-Nekrose DII (M. Köhler II) Morton-Neuralgie
Leitsymptom
Quergewölbe aufgehoben, Gaenslen-Handgriff positiv
Valgusstellung der Grosszehe, Bursitis, Pseudoexostose
Schmerzen im Grosszehen-Grundglied bei Flexion, Extension
Druckschmerz, Schwellung über dem Metatarsale II (meist Mädchen)
Schmerzen und Sensibilitätsstörung, Elektrisieren im Interdigitalraum DII/III
Therapeutische Massnahme Vorfusspolsterung (Schuheinlage), NSAR
antiphlogistisch (lokal), verschiedene Operationsverfahren Steroid-Injektionen, operative Resektion des Grundglieds Vorfussentlastung (z.B. Schuh), antiphlogistische Massnahmen, selten Operation Steroid-Infiltrationen, Entlastung des Quergewölbes, operative Resektion des Neurinoms
Nachfolgend sollten dann gut angepasste Schuheinlagen zur Anhebung des Längsgewölbes verordnet werden. Der M. Köhler I heilt beim Kind innerhalb von zwei Jahren meist folgenlos aus.
Zusatzknochen reizt den Fussrand Lang anhaltende Beschwerden nach einem Eversionstrauma am medialen Fussrand sind ein Hinweis auf ein Os tibiale externum. Dabei handelt es sich um einen akzessorischen,
Abbildung 4: Aseptische Osteonekrose des Os naviculare pedis (M. Köhler I)
zirka erbsgrossen Fussknochen, der dem Os naviculare angelagert ist (Abbildung 5). Durch den Zug des M. tibialis posterior kommt es zu einer Dislokation dieses Fragments mit einer schmerzhaften Weichteilreizung. Mit einer Schaumstoffeinlage und der therapeutischen Steroid-Infiltration sowie antiphlogistischen Verbänden lässt sich den Beschwerden meist gut beikommen. Bei Therapieresistenz kann die operative Entfernung des Os tibiale externum gerechtfertigt sein.
Übergewicht schafft Spreizfüsse
Auch der Vorfuss ist anfällig für chronische Überlastungen. Typisches Beispiel dafür ist der schmerzhafte Spreizfuss – eine Verbreiterung des Vorfusses durch Überdehnung der queren Bandverbindungen. Der Fussabdruck zeigt ein durchgetretenes Quergewölbe mit der Hauptbelastungszone der Metatarsalia III und IV. Zu einer solchen anlagebedingten Schwächung des Quergewölbes kommt es durch Übergewicht, Fehlbelastung und sportliche Überlastung. Mit Hilfe des so genannten GaenslenHandgriffs (Kompression des Vorfusses) ist die Diagnose leicht zu stellen – er löst vermehrte Schmerzen aus.
Hallux valgus gehört operiert
Mit dem Spreizfuss vergesellschaftet ist häufig der Hallux valgus, das heisst ein
Abbildung 5: Os tibiale externum
Abweichen der Grosszehe nach lateral durch Insuffizienz des M. abductor hallucis longus. Der Druck des Schuhs bewirkt zusätzlich eine Bursitis und Pseudoexostose an der Innenseite des Mittelfussköpfchens I. Die konservative Behandlung mit Einlagen und antiphlogistischen Massnahmen ist oft nicht ausreichend. Auf Dauer ist nur die operative Korrektur erfolgversprechend. Dafür stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung, von der Debasierung des Grundglieds bis zur Keilresektion und Verlagerung der Sehne des M. adductor hallucis.
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Abbildung 6: Osteonekrose des Metatarsalköpfchens DII (M. Köhler II)
Hallux rigidus stört den Gang
Nicht weniger problematisch ist der Hallux rigidus, eine Arthrose im Grosszehengrundgelenk, die vor allem bei Lauf- und Spielsportlern auftritt. Klinisch fällt eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Flexion und Extension des Gelenks auf. Der Patient hat ein verändertes Gangbild, da er nicht mehr korrekt über die Grosszehe abrollen kann. Therapeutisch kann die intraartikuläre Injektion eines Steroid-Gemisches hilfreich sein, ausserdem Physiotherapie mit chiropraktischer Gelenkmobilisation. Letztlich bleiben diese konservativen Massnahmen bei weiterer sportlicher Belastung aber frustran, sodass zur Schmerzfreiheit die Operation nach Keller-Brandes mit Resektion des Grundglieds um ein Drittel empfohlen wird.
auch hier die Entlastung (Vorfussentlastungsschuh) und die Anwendung antiphlogistischer Massnahmen zu empfehlen. Die Regenerationstendenz ist im Allgemeinen schlechter als beim M. Köhler I. Ein operativer Eingriff mit Teilresektion des Grundglieds kann erst nach Abschluss des Wachstums erwogen werden, sofern sich eine therapieresistente schmerzhafte Arthrose eingestellt hat.
Quergewölbe quetscht Zehennerv
Neben dem Hallux rigidus ist auch die so genannte Morton-Neuralgie ein häufiges Krankheitsbild bei Laufsportlern. Die Betroffenen klagen über Schmerzen und Sensibilitätsstörungen, meist zwischen der dritten und vierten Zehe. Ursache ist die Verbreiterung des Quergewölbes mit
der Kompression der Interdigitalnerven
unter Ausbildung eines Neurinoms. Typi-
sches klinisches Zeichen ist auch hier der
positive Gaenslen-Handgriff. Therapeu-
tische Massnahme ist neben der stabilisie-
renden Einlage die mehrfache Injektion
eines Steroids von dorsal aus in den Inter-
digitalraum. Bei therapieresistenten Be-
schwerden ist nur die Resektion des Neu-
rinoms erfolgversprechend.
q
Dr. med. Reinhard Wittke Facharzt für Allgemeinmedizin,
Sportmedizin, Chirotherapie D-95444 Bayreuth
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 19/2003. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Die Gi(e)raffe
vor lauter Gier bekam das Tier ‘nen langen Schlund
und hat’s beim Bücken nun im Rücken.
Köhler II trifft weibliche Teenager
Wenn ein junges Mädchen über Schmerzen im Vorfussbereich klagt, ist an eine Nekrose des distalen Mittelfussköpfchens (Morbus Köhler II) zu denken. Dieses Krankheitsbild tritt besonders häufig bei Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren auf. Die Beschwerden äussern sich meist unter Belastung, zum Beispiel beim Tanzen und bei sportlichen Aktivitäten, und imponieren klinisch mit einer Schwellung und Druckschmerzen im Bereich des zweiten Strahls sowie einem Schonhinken. Beweisend für die Diagnose ist das Röntgenbild (Abbildung 6), das ein kelchartig deformiertes Metatarsale-II-Köpfchen (im späteren Stadium) zeigt. Therapeutisch sind
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