INTERVIEWq INTERVIEW

«80 Prozent aller Erektionsstörungen sind organisch bedingt»
Der Urologe Frank Sommer beantwortet Fragen zur Therapie von Erektionsstörungen

Der Urologe und Privatdozent
Dr. Frank Sommer leitet die
grösste deutsche androlo-
gische Sprechstunde an der
Universität Köln. In einem
Interview äussert er sich zu
praktischen Fragen der Thera-
pie von Erektionsstörungen,
insbesondere zum Einsatz von
PDE-5-Inhibitoren.
ARS MEDICI: Erektionsstörungen werden oft als Lifestyle-Krankheit abgetan. Trifft diese kritische Bemerkung Ihrer Meinung nach zu? Sommer: Nein, Erektionsstörungen beurteile ich nicht als Lifestyle-Krankheit. Heute wissen wir, dass Erektionsstörungen viele Krankheiten in der Männergesundheit widerspiegeln. So sind über 80 Prozent davon organischen Ursprungs. Deshalb arbeiten auch Urologen, Kardiologen und Hausärzte eng zusammen. Zudem ist Lebensqualität mehr als nur Lifestyle. Die Lebensqualität eines Mannes, der unter Erektionsstörungen leidet, kann dank einer Therapie wieder wesentlich gesteigert werden. Ärzte müssen verstehen, dass Erektionsstörungen keine Lifestyle-Erkrankung sind. Die Behebung von Erektionsstörungen muss aus medizinischer Sicht beurteilt werden.

In welchen Fällen sind PDE-5Inhibitoren angezeigt? Im Prinzip bei allen Männern mit erektiler Dysfunktion, bei denen die sexuelle Stimulation noch vom Gehirn gesteuert werden kann, also zum Beispiel auch nach einer radikalen Prostatektomie, sofern genügend Nerven bei der Operation verschont blieben. Diabetiker, eine Gruppe, bei der die Prävalenz zwei- bis dreimal häufiger als bei Nichtdiabetikern ist, können davon profitieren, wie auch Männer mit Herz-Kreislauf-Problemen, sofern sie in einer genügend guten körperlichen Verfassung sind und keine nitrithaltigen Medikamente oder NO-Donatoren verwenden. Interessanterweise wird übrigens bei Patienten, die infolge einer erektilen Dysfunktion den Arzt aufsuchen, in 20 Prozent aller Fälle ein Diabetes erstdiagnostiziert. Das zeigt, dass es bei Erektionsstörungen im Endeffekt um die Männergesundheit geht. Wenn die Ursachen der erektilen Dysfunktion psychischen Ursprungs sind, können PDE-5-Inhibitoren die Erektion verbessern und gleichzeitig zu einer Verbesserung der psychischen Verfassung beitragen.
ARS MEDICI: Mittlerweile gibt es drei PDE-5-Inhibitoren auf dem Markt: Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil. Wie unterscheiden sich die Substanzen voneinander? Sommer: Vardenafil und Sildenafil haben ein ähnliches Wirkungsprofil, wobei

Privatdozent Dr. Frank Sommer
Vardenafil die maximale Plasmakonzentration früher erreicht, nämlich nach etwa 40 Minuten, verglichen mit 70 Minuten für Sildenafil. Tadalafil unterscheidet sich dagegen klar: Die Halbwertszeit liegt mit etwa 17 Stunden, verglichen mit 4 bis 5 für Vardenafil und Sildenafil, wesentlich höher. Die maximale Plasmakonzentration wird nach etwa zwei Stunden erreicht, wobei eine Wirksamkeit oft schon vor Erreichen der Spitzenkonzentration gegeben ist. Auch die Wirkpotenz zeigt Unterschiede. Sie ist umgekehrt proportional zur Produktkonzentration, die es braucht, um ein Enzym zu inhibieren. Labormessungen zufolge ist Vardenafil der potenteste PDE-5Inhibitor, gefolgt von Sildenafil und Tadalafil.

902 A R S M E D I C I 1 8 q 2 0 0 4

INTERVIEWq INTERVIEW

«80 Prozent aller Erektionsstörungen sind organisch bedingt»

“ Bei 20 Prozent der Patienten,
die infolge einer erektilen Dysfunktion

tivität auch von einem PDE-5Inhibitor mehr oder weniger blockiert werden können. Hier spielen vor allem die in

die verlässlich wirkt. Für die Übrigen bietet das sehr lange wirkende Tadalafil eine Alternative. Ganz allgemein gilt aber: Bei Problemen aufgrund möglicher Nebenwir-

den Arzt aufsuchen, wird ein

der Retina vorkommende kungen oder bei einem kardiovaskulären PDE-6 und die unter ande- Risikoprofil lieber ein Medikament mit ei-

Diabetes mellitus erstmals
”diagnostiziert.

rem in Skelett- und Herzmuskulatur vorhandene PDE-11 eine Rolle. Die in einigen Fällen vorkommenden Sehstörungen und Muskelschmer-

ner kürzeren Halbwertszeit verwenden!
ARS MEDICI: Sie haben eine Präferenzstudie mit den drei PDE-5-Inhibitoren geleitet. Für das Design der

ARS MEDICI: Eine Hauptursache für zen werden auf die Inhibition von PDE-6 Studie erhielten Sie den Wissen-

die erektile Dysfunktion ist die koro- respektive PDE-11 zurückgeführt.

schaftspreis auf dem letzten europäi-

nare Herzkrankheit. Welcher Zusam- Es ist offenbar von Vorteil, wenn das ein- schen Urologenkongress. Was sagen

menhang besteht zwischen den Er- gesetzte Präparat schon in niedriger Dosis solche Vergleichsstudien aus, und wie

krankungen, und wie wirkt sich die ausreichend wirksam ist, also die Maxi- lauteten die Ergebnisse Ihrer Studie?

Einnahme von PDE-5-Inhibitoren in maldosis umgangen werden kann. Bei Sommer: Präferenzstudien zeigen ganz

diesen Fällen aus?

hoher Selektivität und Potenz ist die einfach, was Patienten wirklich wollen.

Sommer: Aufgrund von Studien wissen Wahrscheinlichkeit von Interaktionen mit Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass

wir, dass Männer mit Erektionsstörungen anderen PDE geringer. Die drei Produkte PDE-5-Inhibitoren im Allgemeinen sehr

vier bis sechs Jahre nachdem die durch unterscheiden sich diesbezüglich vonei- gut wirken, das heisst bei rund 80 Prozent

Gefässprobleme bedingten Erektionsstö- nander. Für genaue Zahlen verweise ich der Patienten, egal, um welches Produkt es

rungen aufgetreten sind gehäuft einen an dieser Stelle auf die Literatur. Die Ne- sich handelt. Trotzdem gibt es bei den

Herzinfarkt oder eine Herzinsuffizienz er- benwirkungen sind generell aber vorwie- Präferenzen klare Tendenzen: Ein rascher

leiden. Mit der Untersuchung von Erek- gend von leichter bis mässiger Art und las- Wirkungseintritt und eine starke Wirkung

tionsstörungen haben wir – Urologen, sen nach längerer Therapiedauer oft nach waren für eine Mehrzahl ausschlaggebend

Kardiologen und Hausärzte – demnach oder verschwinden ganz. Es kann deshalb für die Wahl. Die Studie umfasste zwei ge-

ein ganz wichtiges Diagnoseinstrument in sinnvoll sein, die Behandlung trotz an- trennte Untersuchungen, zum einen mit

der Hand.

fänglicher Probleme fortzusetzen. Dieser der Maximaldosierung, zum anderen mit

Zur Einnahme von PDE-5-Inhibitoren: Wir Umstand muss dem Patienten vor Beginn der empfohlenen Anfangsdosierung. Un-

haben in Köln eine Studie durchgeführt, der Therapie erklärt werden.

ter der Anfangsdosierung sprachen sich

in der Patienten über ein Jahr lang täglich

50 Prozent für Vardenafil, 31 Prozent für

einen PDE-5-Inhibitor bekommen haben. ARS MEDICI: Ausgehend von den er- Sildenafil und 19 Prozent für Tadalafil aus.

Dabei stellten wir fest, dass allem An- wähnten Eigenschaften: Welches Pro- Die Resultate für die Maximaldosis laute-

schein nach das gesamte Gefässsystem im dukt ist für welchen Patienten geeig- ten: 43 Prozent präferierten Vardenafil,

Körper von einer Therapie profitiert. net?

17 Prozent Sildenafil und 40 Prozent Tada-

Wahrscheinlich hat nicht nur die Penis- Sommer: All jene, bei denen der Sex lafil. Man muss bei diesen Zahlen aber

durchblutung nach einem Jahr sehr stark mehr oder weniger planbar ist, nehmen bedenken, dass es sich hier um Zwischen-

zugenommen, sondern auch die Durch- mit Vorteil ein Medikament mit einer kür- resultate handelt und die vollständige

blutung im restlichen Körper. Speziell be- zeren Halbwertszeit, also Sildenafil oder Auswertung noch aussteht. Es sind also

achten sollte man allerdings Patienten mit Vardenafil. Paare, die spontan Sex haben noch gewisse Veränderungen in den Pro-

kardiovaskulären Problemen: Der Einsatz möchten, aber nicht ein zwei Tage wir- zentzahlen möglich. Sicher lässt sich aber

eines PDE-5-Inhibitors mit langer Wir- kendes Medikament schlucken wollen, bereits zu diesem Zeitpunkt sagen, dass

kungsdauer, also Tadalafil, kann hier we- brauchen eine schnell wirkende Substanz, Tadalafil in der Anfangsdosis und Sildena-

gen der Kontraindikationen problema-

tisch sein und ist meiner Meinung nach in diesen Fällen nicht indiziert.

“ Paare, die spontan Sex haben möchten,

ARS MEDICI: Wie steht es um die Nebenwirkungen der drei PDE-5-Inhibitoren? Sommer: Neben PDE-5 gibt es noch andere PDEs im Körper, die je nach Selek-

aber nicht ein zwei Tage wirkendes Medikament
schlucken wollen, brauchen eine schnell wirkende
”Substanz, die verlässlich wirkt.

A R S M E D I C I 1 8 q 2 0 0 4 903

INTERVIEWq INTERVIEW

«80 Prozent aller Erektionsstörungen sind organisch bedingt»

“ Alle drei verfügbaren PDE-5-

heiten, aufdecken zu können. Er muss Kontraindikationen ausschliessen.

tuation grosse psychologische Probleme: Intimitäten gab es lange nicht mehr, man hat sich auseinander gelebt, sich arran-

Inhibitoren wirken sehr gut.

Das heisst abklären, ob giert, und plötzlich kommt der Mann mit der Patient nitrithaltige seiner Erektion! Die Erwartungen des Paa-

Hinsichtlich der Präferenz der Anwender
”gibt es aber Unterschiede.

Medikamente oder NODonatoren zu sich nimmt. Wenn ein Patient einen PDE-5-Inhibitor haben

res sind in solchen Fällen sehr unterschiedlich. Es muss zuerst wieder eine gemeinsame Basis gefunden werden. In solchen Fällen ist es wichtig, eine gemein-

möchte, kann der Arzt same Gesprächsführung zu beginnen, um

fil in der Maximaldosis ihre nachrangige kontraindizierte Medikamente durch eine zu sehen, ob es überhaupt noch einen ge-

Position rein rechnerisch nicht mehr wer- wirkungsäquivalente Alternative ersetzen. meinsamen Nenner gibt. Manche Partne-

den aufholen können.

Des Weiteren – und das gilt wie-

ARS MEDICI: Welche Schlüsse konnten Sie aus dem Sexualverhalten der

derum für alle PDE-5-Inhibitoren – sollte ein Schlaganfall oder Herzinfarkt mindestens drei bis

“ Besonders wichtig ist,

Patienten konkret bezüglich Wirkungs- sechs Monate zurückliegen. Der profil eines PDE-5-Inhibitors ziehen? Patient muss sich gut regeneriert

dem Patienten die genaue

Wo liegen die Präferenzen?

haben. Sexualität beinhaltet ja

Sommer: Das «Window of opportunity», auch eine körperliche Anstren-

Wirkungsweise und die

also die Zeitspanne, während der eine gung. Besonders wichtig ist, dem unterschiedlichen Wirkungsprofile
Substanz wirkt, spielt in der Fantasie der Patienten die genaue Wirkungs-

Männer interessanterweise eine Rolle. De weise und die unterschiedlichen facto läuft es aber in der Praxis oft folgen- Wirkungsprofile der einzelnen

der einzelnen Medikamente

dermassen: Der Mann fängt an, Intimitäten aufzubauen, und möchte ein Medikament haben, das sofort wirkt! Vermutlich deshalb entschieden sich die meisten un-

Medikamente mit allen Vor- und Nachteilen zu erklären. Bei Patienten, die schon lange Probleme mit ihren Erektionen hatten,

mit allen Vor- und Nachteilen
”zu erklären.

serer bislang ausgewerteten Probanden kann es nötig sein, das Medika-

für das schnell wirksame Vardenafil mit ei- ment über einen längeren Zeitraum einzu- rinnen haben zudem Angst, dass das Me-

nem kürzeren Wirkungsfenster. Dies auch nehmen, bevor sich eine zufrieden stel- dikament dafür zuständig ist, dass ihr

deshalb, weil die Patienten Angst vor den lende Erektion einstellt. Generell rate ich Partner eine Erektion kriegt. Es ist deshalb

Nebenwirkungen haben. Ein lang wirken- meinen Patienten, das erste Mal eine Pille sehr wichtig zu kommunizieren, dass eine

des Medikament kann auch länger an- ohne sexuellen Absichten zu nehmen. So Erektion nur dann möglich ist, wenn die

dauernde Nebenwirkungen haben – so können sie sich mit der Wirkung und all- Partnerin respektive die sexuelle Stimula-

die Assoziationen der Patienten.

fälligen Nebenwirkungen ohne äusseren tion da ist.

q

Druck vertraut machen.

ARS MEDICI: Worauf muss bei der Be-

ratung des Patienten und der darauf- ARS MEDICI: Welche Rolle spielt die

folgenden Behandlung besonders ge- Partnerin in der Behandlung?

achtet werden?

Sommer: Eine sehr wichtige. Deshalb

Sommer: Grundsätzlich gilt: Erektions- sollte bei der Behandlung von Erektions-

störungen spiegeln viele andere Krankhei- störungen das Paar ins Zentrum gestellt

ten wider. Ein Arzt soll deshalb seine werden. Wenn ein Mann nach einer lan- Interessenlage: Dr. Sommer führte Studien

männlichen Patienten auf Erektionsstö- gen Zeit ohne Intimitäten dank eines Me- mit allen drei zugelassenen PDE-5-Inhibitoren

rungen ansprechen! Vor allem auch, um dikamentes wieder eine Erektion bekom- durch. Die erwähnte Kölner Präferenzstudie

die zwei wesentlichen Volkskrankheiten, men kann und den sexuellen Kontakt zur wurde aus dem Forschungsetat der urolo-

Diabetes mellitus und koronare Herzkrank- Partnerin sucht, entstehen aus dieser Si- gischen Klinik der Universität Köln finanziert.

904 A R S M E D I C I 1 8 q 2 0 0 4