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EDITORIAL q ÉDITORIAL
W enn ein Studienergebnis die stimmige Folge des Vertrauten und Erwarteten unterbricht, löst dieser «Zwischenfall» Interesse, aber auch Dissonanzen aus – erst recht, wenn die zugrunde liegende Untersuchung firmenunabhängig konzipiert und schliesslich in einer der angesehensten Fachzeitschriften publiziert wurde. Das ist jüngst wieder einmal geschehen. Die Studie, von der die Rede ist, kommt zu dem Schluss, dass Acetylcholinesterasehemmer für Alzheimer-Patienten weitgehend nutzlos sind, die Medikamente weder den kognitiven Verfall nennenswert aufzuhalten vermögen noch das Schicksal einer Heimeinweisung hinauszuzögern vermögen (S. 759).
tate auf die eigenen Voreinstellungen hin zu interpretieren. Im vorliegenden Fall – beklagte Studienmängel hin oder her – ist in der Sache letztlich allerdings nur Bekanntes bestätigt, wiewohl in höherer Dosis verabreicht worden: Es gibt momentan keine durchschlagende medikamentöse Hilfe für Alzheimer-Patienten. Einzelne Betroffene werden gewiss
Bittere Einsicht
Träfe diese Annahme zu, wäre die bisher vorherrschende Auffassung Lügen gestraft und der propagierte Therapieerfolg als schimärisch entlarvt. Die Reaktionen auf «unpassende» Resultate gewähren manchmal auch Einsicht in die «immunologische» Reaktionsbereitschaft der Expertengemeinde. Rasch formieren sich die Abwehrreihen, man brandmarkt die Ergebnisse als das Fremde im Korpus der einschlägigen Literatur, die Experten nehmen die abweichende Studie nach allen Regeln der Kunst auseinander, bis am Ende nicht mehr übrig bleibt als ein weitgehend wertloses Datenwrack, dass es eigentlich verdiente, im Orkus zu versinken. Ähnlich trägt es sich zuweilen bei notorischen Pharmakritikern zu, welche sich a priori in skeptischer Abwehrhaltung befinden, um das Neue, noch unklar Positionierte, wo immer es geht, mit dicken Fingern bei seinen Unzulänglichkeiten zu packen und herunterzuziehen. Damit fällt ein Licht auf unsere Neigung zur «inneren Selektion», auf das Vermögen, eintreffende Resul-
befristet und spürbar von Antidemenentiva profitieren, und es erscheint eine durchaus respektable ärztliche Haltung, es auf einen Versuch ankommen zu lassen; die meisten Patienten können aber letztlich nicht mit einem medikamentösen Therapieerfolg rechnen. Wer jemals einen demenzkranken Angehörigen in seinem Schicksal begleitet hat, weiss um die Bitterkeit dieser Einsicht. «Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können», schrieb einst der Erzähler Jean Paul. Wie Unrecht er damit hatte. Für den Alzheimer-Kranken versinkt die Vergangenheit in einem dunklen Meer, das nach und nach alles verschluckt. Der Verfall seiner Persönlichkeit schreitet unweigerlich voran, und doch müssen wir dem Schicksal nicht tatenlos zusehen. Es kommt darauf an, die verbliebenen Kräfte und Fähigkeiten des Erkrankten zu stärken und seine Würde zu schützen, so schwer es auch fallen mag.
Uwe Beise
A R S M E D I C I 1 5 q 2 0 0 4 745