Transkript
Hormonersatztherapie
Auch Östrogen allein kann riskant sein
Die «Women’s Health Initiative»-Studie (WHI) hat für Aufsehen gesorgt, da sie an einer grossen Zahl von postmenopausalen Frauen belegte, dass bei einer Hormonersatztherapie (HRT) mit Östrogen plus Progestin (z.B. Premarin®) der potenzielle Schaden den Nutzen übersteigt. Ein weiterer Behandlungsarm, die WHI-AloneStudie, wurde nun auch vorzeitig beendet, und die Ergebnisse sind kürzlich in JAMA teilweise publiziert worden. Hier waren 10 739 gesunde, hysterektomierte Frauen entweder zu Östrogen allein oder Plazebo randomisiert worden. Erwartet wurde ein Nutzen hinsichtlich des Risikos für koronare Herzkrankheit (KHK). Er trat nicht ein (Kasten). Beobachtungs- und Surrogatstudien hatten also in die Irre geleitet. Überraschenderweise (und nur schwer erklärbar) ergab sich aber ein Nutzen hinsichtlich Brustkrebs. Die Gesamtbeurteilung (Global
Hazard-Ratios für drei grosse Hormonstudien (95%-Konfidenzintervall)
klinisches Ereignis KHK-Ereignisse Schlaganfall Lungenembolie Brustkrebs Kolonkrebs Hüftfraktur Tod Globaler Index
HERS Östrogen + Progestin 0,99 (0,80–1,22) 1,23 (0,89–1,70) 2,79 (0,89–8,75) 1,30 (0,77–2,19) 0,69 (0,32–1,49) 1,10 (0,49–2,50) 1,08 (0,84–1,38)
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WHI Östrogen + Progestin 1,29 (1,02–1,63) 1,41 (1,07–1,85) 2,13 (1,39–3,25) 1,26 (1,00–1,59) 0,63 (0,43–0,92) 0,66 (0,45–0,98) 0,98 (0,82–1,18) 1,15 (1,03–1,28)
WHI Östrogen allein 0,91 (0,75–1,12) 1,39 (1,10–1,77) 1,34 (0,87–2,06) 0,77 (0,59–1,01) 1,08 (0,75–1,55) 0,61 (0,41–0,91) 1,04 (0,88–1,22) 1,01 (0,91–1,12)
Index aller aufgeführten Ereignisse) ändert aber an der neuerdings vorsichtigeren Einschätzung des Werts einer HRT nichts. Immerhin bleibt eine kurzfristige, niedrig dosierte und gut kontrollierte Östrogen-
therapie gegen Menopausesymptome mit
Östrogen allein vertretbar. (JAMA 2004;
291: 1701–1712)
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H.B.
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Langzeitstudie bei Patienten mit Prostatakrebs
Tumorprogression nach über 15 Jahren
Das Prostatakarzinom ist zumeist ein langsam wachsender Tumor, deshalb gilt die Feststellung: Viele Betroffene sterben mit dem Prostatakrebs, aber nicht an ihm. Diese Erkenntnis hat zur praktischen Folge, dass das «Watchful Waiting» gerade bei betagten Männern oft für eine angemessene Strategie im Umgang mit dem Krebsleiden gehalten wird. Jetzt ist im «Journal of the American Medical Association» (JAMA) die bislang längste prospektive Kohortenstudie veröffentlicht worden, in der 223 Männer mit einem im frühen Stadium entdeckten Tumor über durchschnittlich mehr als zwei Jahrzehnte begleitet wurden (JAMA 2004; 29: 2713–2719). Die Teilnehmer der Studie waren zwischen 1977 und 1984, also vor Einführung des PSA-Tests, in Schweden rekrutiert worden.
Bei allen wurde das «Watchful Waiting» praktiziert, erst bei Tumorprogression erfolgte eine hormonelle Behandlung durch Orchiektomie oder Östrogengabe. Es zeigte sich dabei, dass der Tumor zwischen dem 15. und 20. Beobachtungsjahr dreimal so häufig fortschritt oder zum Tode führte als in dem Zeitraum davor. Über den gesamten Beobachtungszeitraum von durschschnittlich 21 Jahren erfuhren 40 Prozent eine Tumorprogression, bei 17 Prozent bildeten sich Metastasen. 90 Prozent verstarben während des Follow-up, in 16 Prozent wurde der Prostatakrebs als Ursache angenommen. Patienten mit schlecht differenziertem Prostatakrebs hatten auf lange Sicht einen ungünstigeren Verlauf als solche mit hoch differenziertem Tumor. Nach Auffassung der
Studienautoren sprechen die Ergebnisse
dafür, dass Männer mit einer hohen Le-
benserwartung von über 15 Jahren doch
frühzeitig therapiert werden sollten.
Eine ebenfalls in Schweden durchge-
führte randomisierte Studie hatte er-
geben, dass die Krebsmortalität bei früh-
zeitiger radikaler Prostatektomie zwar
deutlich sank, die Sterblichkeit sich insge-
samt aber nicht veränderte gegenüber
den Nicht-Therapierten – mit anderen
Worten: die Patienten starben an einer
anderen Erkrankung. Allerdings betrug
die Beobachtungszeit hier nur sechs Jahre
– zu kurz, meinen Experten, um solide
Schlüsse ableiten zu können
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U.B.
644 A R S M E D I C I 1 3 q 2 0 0 4
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Rosenbergstrasse 115
Die Zürcher Ärzte dürfen und dürfen nicht. Ganz erstaunlich, wie kreativ die Politikerinnen und Politiker plötzlich werden, wenns darum geht, Mittel und Wege zu finden (oder wenn es sie noch nicht gibt, sie zu er-finden), wie man den Ärzten das durch Volksentscheid zustehende Recht auf Selbstdispensation so lange wie möglich und wenn möglich dauerhaft verweigern kann. Erstaunlich demgegenüber, wie rasch ein Verwaltungsgericht zu einem – zum Glück ablehnenden – Entscheid über die Einsprache des VCS gegen den Neubau des Hardturmstadions gelangen kann – wenn bloss ein Stadtpräsident sich dahinter klemmt. Obstruktion scheint eben immer dann berechtigt, wenns im eigenen Interesse liegt. Wenigstens hierin unterscheiden sich VCS und Kantonsregierung nicht.
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Auch der treueste und teuerste Akku mag eines Tages nicht mehr. Wenn er ein guter Akku war, dann hat er je nach Ort des Gebrauchs ein paar Jahre auf dem Buckel, ebenso wie das Gerät, in dem er die ganze Zeit gesteckt hat. Wenn das Gerät seinen Dienst noch tut (täte), dann würde es ja genügen, wenn man den alten Akku gegen einen neuen tauschte. Überlegt man sich als Laie. Die Überlegung an sich ist richtig, allein die Wirklichkeit ist eine andere. Suchen Sie mal den passenden Akku zu einem Gerät, von dem inzwischen drei neue Modellreihen auf den Markt gebracht worden sind. Akku? Viel zu teuer, kaufen Sie lieber gleich ein neues Gerät, das kann ohnehin viel mehr als Ihr altes, der Akku ist drin und das ganze Gerät kostet nicht mehr als ein alter Akku, den wir erst bestellen müssten. Und überhaupt, dieses AkkuModell gibts seit zwei Jahren nicht mehr. Oder: Was, so alt ist Ihr Akku? Die halten doch normalerweise höchstens zwei Jahre. Fehlanzeige allerorten. Bis, ja bis einer empfiehlt: Versuchen Sies doch mal
beim Akku-Doktor. Der «Accu-Doc», so gelesen in der «BaZ», residiert an der Missionsstrasse 15 in Basel, und er soll tatsächlich alle die alten Akkus noch an Lager halten. Oder wenn nicht, notfalls – ganz einfach – auch einen alten neu bauen.
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Es gibt sie, die israelischen Soldaten, die sich nicht vorwerfen lassen wollen, sie hätten – wie alle andern auch (wir, die Amerikaner, die Israelis selber) – davon gewusst und nichts getan. Sie haben eine Ausstellung organisiert: «Das Schweigen brechen». Szenen aus dem Alltag der Demütigung von Arabern – Alten, Frauen, Kindern – durch zutiefst frustrierte Soldaten im Auftrag einer Politikerclique, der jeglicher Sinn für der andern Menschen Würde längst abhanden gekommen ist.
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Die Europawahlen waren ein demokratisches Debakel. Lediglich zwischen 20 und 50 Prozent der «Europäerinnen und Europäer» interessierten sich für die Wahlen von unbekannten Funktionären in ein sich um jede Menge Regelungsvereinheitlichung (die Bananenkrümmung lässt grüssen) bemühendes, in entscheidenden Fragen aber bedeutungsloses Parlament. Die Lösung eines kritischen EU-Kommissars: Den Wahlmodus ändern und vor allem die Wahltermine verlegen. Wie wärs mit einer Wahlprämie? Zehn Euro für jeden, der seine Stimme abgibt. Das gibt läppische drei Milliarden Euro, wenn alle wählen gehen. Und das Geld ist sicher besser angelegt als in der Brüsseler Verwaltung.
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«My son is a good son, a good father and a good soldier. And he did what good soldiers do: they do what they are said to do.» Hilflosigkeit eines sympathischen Mittvierzigers, Vater eines der Folter im
Abu-Chraib-Gefängnis angeklagten amerikanischen Soldaten.
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Fussball-EM. Gut, wir sind schon gesetzteren Alters und etwas abgeklärter als vor 20 Jahren. Dennoch, die Analyse der männlichen Seele angesichts eines Fussballs, von Karen N. Gerig in der «BaZ» mit schon fast enervierend wohlwollendem Unverständnis ausgebreitet, enthält Erkenntnisse, deren wir uns längst bewusst waren, die deshalb keine Erkenntnisse sein können, sondern männliche Normalität darstellen, uns allerdings, so präsentiert, dann aber doch irgendwie erstaunen: Frauen verstehen den Fussball nicht. Man muss Partei ergreifen, sonst ist es langweilig. Und man muss sogar den Verstand abgeben und einen völlig sinnlosen Enthusiasmus einschalten. Das können Frauen nicht. Und weiter: Will Frau überhaupt verstehen, worum es geht? Vielleicht zieht sie es ja vor, unwissend zu sein. Jawohl, Fussball ist und bleibt Männersache. Vor allem in Männeraugen.
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Es bleibt nicht bei der Forderung nach Werbeverboten. Jetzt werden von den Tabakgegnern flächendeckende Verkaufsverbote angestrebt. Zunächst nur für unter 18-jährige. Doch ist zu fürchten: Was sich gesundheitspolitisch so vernünftig anhört, dass selbst liberale Ärzte sich nicht dagegen wehren möchten, ist nur der Anfang. Tugendwächter haben immer mehr im Sinn als die nächstgelegene Einschränkung. Verbieten (zumindest die Werbung dafür) liesse sich mit scheinbar ehrbaren Motiven noch vieles: zuckerhaltige Süssigkeiten, fetthaltige Nahrungsmittel, PS-starke Autos. Nur eben: Die Freiheit stirbt in Raten.
Richard Altorfer
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